CW-Interview mit Hagen Rickmann von T-Systems

Infrastruktur bleibt unsere Kernkompetenz

28.01.2013 von Joachim Hackmann
Mit Cloud Computing verschwinden die klaren Grenzen zwischen Privatkunden- und Business-IT. Hagen Rickmann, Vorstandsmitglied von T-Systems, erläutert im CW-Gespräch die neue Rolle der Telekom-Tochter.

CW: T-Systems zählt in Deutschland zu den bekanntesten Cloud-Anbietern im Business-Umfeld, obgleich die Basis des heutigen Angebots eigentlich aus dem Outsourcing entstanden ist. Was ist der Hintergrund?

Hagen Rickmann, T-Systems: Preislich stehen wir im Wettbewerb zu Amazon.
Foto: Norbert Ittermann

Rickmann: Der Treiber war in den Jahren 2005 und 2006 das Outsourcing-Geschäft. Damals lauteten die Hypethemen Industrialisierung, Automatisierung und Standardisierung. Die Idee war, Anwendungen mit Hilfe eines vorkonfigurierten Steckers - das mag vielleicht ein wenig altmodisch klingen, aber wir nennen das Interface heute immer noch so - hochdynamisch mit den entsprechenden Storage- und Computing-Ressourcen zusammenzuführen. Mit den Virtualisierungstechniken waren wir 2005 dazu in der Lage. Die Initialzündung kam zu einem Zeitpunkt, als vom Cloud Computing noch nicht die Rede war. Die Umgebung haben wir damals zuerst bei Henkel eingeführt, 2008 kam Shell hinzu, wo wir insgesamt 12.000 Server migriert haben. In den Jahren 2008 und 2009 hat sich die verfügbare Bandbreite erhöht, so dass wir mehr Daten durch die Netze schleusen konnten und nochmals performanter wurden.

CW: Der Begriff Stecker assoziiert den unkomplizierten IT-Bezug aus der Steckdose. Ist das heute schon möglich?

Rickmann: Wir haben auf Basis einer standardisierten Plattform den Weg in Richtung Serviceprodukte eingeschlagen. Das geht allerdings nicht so weit, dass wir unsere Produkte ähnlich vertreiben können, wie es die Automobilbranche mit den PKWs tut. Gerade das Enterprise-Umfeld ist nach wie vor hochkomplex, insbesondere wenn die Anwender ihre alte Umgebung in eine neue und standardisierte IT überführen wollen. Das geht nur über den Weg der Integration und des Projektgeschäfts. Diese Reise muss jeder Provider mit seinen Kunden machen, und die ist nicht trivial. Dabei müssen vor allem unzählige Altapplikationen analysiert, bewertet und überführt oder abgelöst werden. Cloud Computing im Geschäftskundenmarkt ist mit dem Consumer-Umfeld nicht zu vergleichen, wo man Fotos mit einem Mausklick im Netz speichern kann.

Eine Cloud-Infrastruktur für Unternehmen zu betreiben, ist einfach. Die Applikationen und Prozesse zu migrieren - das ist komplex.

CIOs drängen auf Standardisierung

CW: Die Kunden bekommen in der Cloud Standard-Kost. Gibt es heute keine Nachfrage nach kundenspezifischen Installationen mehr?

Rickmann: 2005 war der Bedarf an individuellen IT-Umgebungen noch deutlich größer. Wenn wir heute mit Kunden wie Daimler über den Betrieb von Collaboration-Services verhandeln, dann ist die Standardisierung eine wesentliche Forderung der CIOs. Die gesamte CIO-Community hat sich in den vergangenen Jahren ganz deutlich in diese Richtung bewegt, weil eine kundenspezifische Installation bei jedem Release-Wechsel einen erheblichen Aufwand bedeutet. Insgesamt wollen die CIOs weitgehend Standards, und an den richtigen Stellen Individualität.

CW: Dynamisierung bedeutet auch einfaches Zu- und Abschalten von Ressourcen. Das Abschalten sehen Provider nicht so gern und haben es in der Vergangenheit oft sehr aufwändig gestaltet.

Rickmann: Mit unserem Kunden Continental rechnen wir nur nach Bedarf ab. Reduziert Continental den Bedarf um 20 Prozent, dann liefern wir auch 20 Prozent weniger. Dass das Abschalten nicht funktioniert, ist definitiv nicht der Fall.

Dynamischer Bezug: Ja, aber ohne Software

CW: Wir reden dabei immer über Infrastruktur-Ressourcen. Funktioniert das Ganze auch mit Software, etwa mit SAP-Lizenzen?

Rickmann: Nein, die Lizenzierung ist nicht so dynamisch, wie sie sein sollte. Die Lizenzen werden in der Regel zwischen Hersteller und Anwender verhandelt und vereinbart. Die Softwareanbieter wollen immer die direkte Kundenbeziehung, das gilt nicht nur für SAP. Daran etwas zu ändern, ist auch nicht unser Ziel, die Lizenzen würden den Umsatz nur unnötig aufblähen.

CW: Für den dynamischen Softwarebezug hat SAP eigens Business ByDesign entwickelt. Ist das kein Thema mehr?

Rickmann: Wir haben mit SAP über Business ByDesign gesprochen, sind bei dem Thema aber nicht so weit gekommen, wie wir es wollten. Bestimmte Funktionen hinzubuchen und abbestellen erwies sich als nicht so dynamisch, wie von uns gewünscht. Wir hätten es gern gesehen, wenn Kunden beispielsweise für 25 Euro im Monat mit SAP CRM einsteigen und bei Gefallen die Buchhaltung oder andere Funktionen hinzufügen können.

SAPs Business ByDesign kostet pro Monat und Seat zwischen 130 und 160 Euro. Das kann sich ein Handwerksbetrieb mit 100 Mitarbeiter und zehn SAP-Lizenzen nicht leisten, zumal der Vorteil auch nicht klar erkennbar ist. Die meisten Betriebe haben ja irgendeine Lösung im Einsatz, mit der sie beispielsweise die Buchhaltung erledigen und sehen keine dringende Notwendigkeit, die abzulösen. SAPs Argument, dass man mit einem SAP CRM ganz einfach das Marketing einbinden könne, kommt im Mittelstand zurzeit noch nicht an.

Auf Augenhöhe mit Amazon

CW: Im Geschäft mit der Cloud-Infrastruktur geben die US-Firmen wie Google und Amazon den Takt vor. Was haben Sie dem entgegen zu setzen?

Rickmann: Wir haben unsere Dynamic-Service-Produktfamilie um sehr viele kleinteilige, produktorientierte Lösungen ausgebaut. Heute ist es kein Problem, für das Testing oder Prototyping Server-Kapazitäten über eine DSL-Verbindung zu bestellen und zu beziehen. Das läuft über ein Web-Portal, das auch für Geschäftskunden vorgesehen ist. Preislich stehen wir mit elf Cent pro Server und Stunde in vergleichbarem Wettbewerb zu Amazon.

Im Low-end-Bereich waren wir zugegebenermaßen nicht so schnell. Wir hatten 2009 oder 2010 keine attraktiven Dienste am Start. Das haben wir aufgeholt, die sind nun da.

CW: Sie sind Nachzügler in dem Geschäft. Warum sollten Kunden von Amazon zu T-Systems wechseln?

Rickmann: Um beim Beispiel Computing-Services zu bleiben: Wir haben mehr Features. Kunden können etwa die Rechnung direkt einer Kostenstelle zuweisen, das erleichtert die Abrechnung und das Controlling. Wir erfüllen alle gesetzlichen Vorschriften hinsichtlich des Datenschutzes. Kunden können auf unserem Portal sehen, in welchem Land ihre Daten gehostet werden, wir können sogar sagen, in welchen Rechenzentrum wir speichern. Wir bieten hier volle Transparenz.

Auf Konzernebene gibt es eine Cloud-Initiative, um Anforderungen des Consumer-Segments auch im Business-Umfeld anzubieten. Wir kommen aus dem Enterprise-Umfeld und wollen weiter in den Consumer-Markt vordringen.

Der Privatkunde rückt näher

CW: Das passt gar zur Aufstellung von T-Systems, die ausdrücklich auf das Großkundensegment ausgerichtet ist.

Rickmann: Das konzernübergreifende Cloud-Leadership-Team bringt die Erfahrungen aus dem Privatkunden-, Mittelstands- und Großkundengeschäft ein und führt sie zusammen. T-Systems liefert die technische Basis für die Cloud-Angebote, die Modelle werden von den jeweiligen Segmenten umgesetzt.

Ein Beispiel ist der Business Marketplace. Dort können etwa Startups Speicher- und Rechenressourcen sowie die zugehörige Standard-Business-Software mieten und haben sofort eine komplette IT-Umgebung, in der sie arbeiten können. T-Systems betreibt die Infrastruktur samt Provisionierung, so dass jeder Anbieter seine Software über diesen Marktplatz vertreiben kann.

CW: Ist nicht auch ein wesentliches Ziel der Telekom, sich mit Inhalten ein weiteres Standbein neben dem unter enormen Preisdruck leidenden Infrastrukturgeschäft aufzubauen?

Rickmann: Der Schwerpunkt von T-Systems liegt auf weiteren Plattformen. Wir stellen als Enabler den Content-Providern die Rechenpower und Infrastruktur zur Verfügung, damit sie ihre Kunden erreichen. Eigene Inhalte zu erstellen, ist nicht unser Ziel. Das Infrastrukturgeschäft wird immer unsere Kernkompetenz bleiben. (mhr)

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2008:
Fehltritt mit Folgen – Manfred Balz tritt als erster Vorstand für Datenschutz, Recht und Compliance der Telekom sein Amt an.
Anja Feldmann:
Feldmann leitet seit 2006 den Lehrstuhl für „Intelligent Networks“ und „Management of Distributed Systems“ der Deutsche Telekom Laboratories, einem An-Institut der Technischen Universität Berlin. Sie erhält den Leibnitz-Preis für ihre Konzepte eines Internet 2.
2007:
Friedrichshafens Oberbürgermeister Josef Büchelmeier, Ferdinand Tempel, Leiter T-City Repräsentanz und Bereichvorstand Technik T-Home Friedrich Fuß freuen sich über die Auswahl von Friedrichshafen als T-City.
2006:
Nach Kai-Uwe Ricke soll der ehemalige T-Online-Manager René Obermann Ordnung in das Telekom-Geschäft bringen.
Am 1. Januar 2005 ...
startete die LKW-Maut, an deren Realisierung T-Systems maßgeblich beteiligt war.
Von 2002 bis 2006 ...
steuerte Kai-Uwe Ricke als Telekom-Vorstand die Geschicke des Unternehmens.
2000:
Der schicke Robert T-Online wirbt für den Börsengang des gleichnamigen Telekom-Ablegers. Für die Anleger am Ende eine Pleite. Insofern wäre ein Pleitegeier wohl das bessere Symbol gewesen.
1998:
Die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation – heute Bundesnetzagentur – die in diesem Gebäude in der Bonner Tulpenallee residiert, nimmt ihre Arbeit auf und sollte der Telekom noch viel Ärger bereiten.
1996:
28,50-DM-Mann (so hoch war der Aktienpreis für Privatanleger) Ron Sommer zieht als CEO den ersten Börsengang der Telekom durch.
Tim Berners Lee:
Der Erfinder des World Wide Web, das ab Anfang der 90er seinen Siegeszug antrat und auch das Geschäft der Telekom mit DSL-Anschlüssen beflügelte.
Start des D1-Netzes 1992:
Dieser Chip machte es möglich, über D1 zu telefonieren
Erst 1966 ...
wurde die letzte Handvermittlungsstelle auf automatisierten Betrieb umgestellt. Das Fräulein vom Amt starb aus.
1965:
Telefonieren auch in die USA über den Satelliten Early Bird.
1961:
Für heutige Verhältnisse gigantisch mutete das erste Telefon für das A-Netz an, das 1958 startete.
1904 ...
installierte Quante in Berlin die erste Telefonzelle
1877 ...
funktionierte in Berlin das erste Telefon, hergestellt von Siemens.