Innovation und Investition

Innovation hängt nur bedingt vom Maß der Investition ab

11.04.2013 von Karin Quack
Wer das Thema Innovation auf Forschung und Entwicklung beschränkt, hat es wohl nicht richtig verstanden. Die innovativsten Unternehmen sind denn auch nicht die mit den höchsten R&D-Ausgaben. Innovation ist vor allem ein Management-Thema.

Nicht mehr, sondern besser investieren - das ist das Geheimnis der "Innovation Leader". Auf diesen Nenner bringt Kai Engel, Leiter der Innovation Practice und Partner beim Management-Beratungsunternehmen A.T. Kearney, die Ergebnisse einer weltweiten Studie mit 1750 Unternehmen. Der zufolge gibt es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen der relativen Höhe der Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf der einen Seite sowie der Profitablilität eines Unternehmens auf der anderen. Wohl aber können die Marktbeobachter eine Verbindung zwischen Innovationsfähigkeit und wirtschaftlichem Erfolg nachweisen.

Alle Optionen ausloten

Foto: Peshkova - shutterstock.com

Seit einem Jahrzehnt schreibt A.T. Kearney regelmäßig einen Wettbewerb für besonders innovative Unternehmen aus. Diese unterscheiden sich von anderen beispielsweise dadurch, dass sie die Optionen für mögliche Neuerungen besser ausloten und sich dann auf diejenigen konzentrieren, die ihnen am meisten Erfolg versprechen. Wie solche Optionen aussehen können, demonstriert A.T. Kearney am Beispiel des Einzelhandels: Der richtige Mix aus

Als gutes Beispiel für eine Geschäftsinnovation führt A.T. Kearney den Fotospezialisten CEWE an. Ihm gelang es im Gegensatz zu Mitbewerbern wie Agfa, Kodak oder Fuji Film, mit Marktveränderung in Richtung Digitalfotografie auch sich selbst zu transformieren. Er blieb erfolgreich im Geschäft, dominiert sogar den europäischen Markt für kundenspezifische Fotobücher und andere digitalisierte Fotoservices.

Was zeichnet "Innovatoren" aus?
Ein echter Entrepreneur oder Innovator an der Unternehmensspitze zu sein, verlangt mehr als ein Unternehmen zu managen und die Ressourcen effektiv zu nutzen. Es schließt kreative Elemente ein wie das Identifizieren von Marktchancen, das Finden neuer Geschäftsideen und deren Umsetzung in Form neuer Geschäftsmodelle. Das setzt gewisse persönliche Eigenschaften voraus:
Neugier
Entrepreneure hinterfragen auch scheinbar selbstverständliche Dinge und wollen diese verstehen. Sie stellen Fragen, die andere nicht stellen - zum Beispiel: Warum muss ein Auto ein Lenkrad haben? Warum stapeln sich in meiner Schublade die Gebrauchsanleitungen und Fernbedienungen? Muss ein Unternehmen eine "Zentrale" haben?
Innere Unruhe
Entrepreneure geben sich mit bestehenden Lösungen nicht zufrieden. Sie hinterfragen auch Selbstverständlichkeiten wie etwa, dass in nahezu jedem Haushalt eine Bohrmaschine vorhanden ist, mit der sie ein- oder zweimal jährlich Löcher in ihre Wände bohren, obwohl sie das eigentlich lästig finden. Also ergibt sich die Frage: "Wie könnte man Dinge anders befestigen?" So gelangen sie zu ganz neuen Problemlösungsansätzen und schließlich zu Produkten, die sich verkaufen lassen.
Imagination
Entrepreneure verfügen über die Fähigkeit, sich Dinge anders vorzustellen als sie gerade sind. Sie sehen beim Betreten einer leeren Wohnung nicht die kahlen, kalten Räume - also die Realität. Sie sehen vor ihrem geistigen Auge vielmehr, wie die eingerichtete Wohnung künftig aussehen könnte. Sie sehen also die Möglichkeiten, Potenziale und Chancen.
Ausdauer und Beharrlichkeit
Entrepreneure zeichnen sich durch eine gewisse "Starrköpfigkeit" aus. Sie glauben auch noch an eine Lösung, wenn die ersten Versuche gescheitert sind und fast alle im Umfeld sagen "Das klappt nie". Zugleich bewahren sie jedoch den erforderlichen Realitätsbezug, ohne den sie Phantasten wären.
Unternehmer- statt Managergeist:
Entrepreneure sind Macher und Erfinder zugleich. Sie verfügen wie Edison über einen gesunden Pragmatismus. Ein typisches Beispiel ist Reinhold Würth, der aus der väterlichen Schraubenhandlung die weltweit agierende, auf Befestigungs- und Montagetechnik spezialisierte Unternehmensgruppe Würth entwickelte. Ein weiteres Beispiel ist Artur Fischer, der die Fischerwerke gründete, die heute noch auf ihrer Webseite stolz verkünden: "Aus der Belegschaft stammen jährlich 13,2 Patentanmeldungen pro 1000 Mitarbeiter (Industriedurchschnitt: 0,54). Bezogen auf die Zahl der Mitarbeiter meldet Fischer mehr Patente an als jeder der zehn aktivsten Anmelder in Deutschland."

Bedürfnisse der Kunden verstehen

Ein anderes Exempel gibt die Lebensmittel-Handelskette Tesco. In Südkorea bietet sie der werktätigen Bevölkerung die Möglichkeit, einzukaufen, während sie auf die U-Bahn zur Arbeit wartet. In den U-Bahnhöfen hat Tesco riesige Displays mit einem limitierten Produktangebot installiert. Der Kunde fotografiert mit seinem Handy den integrierten QR-Code, ordert und bezahlt dann online, um die Ware schließlich nach der Arbeit zu Hause in Empfang zu nehmen.

Solche Ideen kommen immer seltener aus Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. Um sie zu generieren, muss man nah am Markt sein und die wirklichen Bedürfnisse der Kunden verstehen. Und man braucht den Willen, "die Welt zu gestalten, bevor sie einen selbst gestaltet", wie A.T. Kearney es formuliert. Aus diesem Grund ist der Innovationsexperte Engel auch überzeugt: "Innovations-Management ist kein R&D-, sondern ein Topmanagement-Thema."

Die größten Innovationsfallen
Oft verpassen vermeintlich innovative Unternehmen die Marktentwicklung. Lesen Sie hier die gefährlichsten Innovationsfallen, in die Firmen tappen.
Die Hochglanzfalle
Wer sich Websites, Visionen und Hochglanzbroschüren der meisten Unternehmen genauer ansieht, stellt schnell Folgendes fest: Irgendwie sind sie alle visionär, hochkreativ und praktisch kurz davor, die Branche zu revolutionieren. Auf den ersten Blick liest sich das beeindruckend. Blickt man jedoch genauer hinter die Fassade der Homepages und Prospekte, dann haben diese Botschaften oft wenig Substanz.
Die Erfahrungsfalle
Insider, die auf den Management-Tagungen des ehemaligen Druckmaschinenherstellers Manroland waren, erinnern sich an die Botschaften des Vorstands. Er sagte der Zeitung eine große Zukunft voraus. Immer wieder wurde die Solidarität zur Druckrolle beschworen, während die meisten Medienverlage bereits ihr Wachstum auf ganz anderen Feldern suchten. Der Vorstand von Manroland ignorierte das. Die eigenen Erfahrungen sprachen dagegen. Für den damals zweitgrößten Druckmaschinenhersteller der Welt war es schlichtweg unvorstellbar, dass seine Produkte einmal überflüssig werden könnten. Das Ergebnis dieser Fehleinschätzung: Der Konzern wurde Anfang 2012 zerschlagen.
Die Trägheitsfalle
Prozessoptimierung, Kostenoptimierung, Lean Management: Das waren die Schlagwörter der 90er- und frühen 2000er-Jahre. Arbeitsabläufe wurden systematisch gescannt, jede überflüssige Handbewegung untersagt und jede Tätigkeit in genau definierte Prozessabläufe gezwängt. Das hat bis heute einen positiven Effekt: Unternehmen können das operative Geschäft viel schneller, besser und billiger als andere beherrschen. Die Kehrseite ist: Es bleibt kaum Zeit, über neue Wege nachzudenken. Anders gesagt: Man ist so sehr damit beschäftigt, den operativen Ergebnissen nachzujagen, dass man sich kaum fragt, ob dies noch sinnvoll ist.
Die Erfolgsfalle
Erfolg macht sexy. Erfolg fühlt sich gut an. Erfolg macht zufrieden. Genau das ist das Problem. In zahlreichen Firmen werden schnelle Erfolge belohnt. Ein kurzfristiges Plus der Verkaufszahlen, ein großer Deal, kurzfristige Erfolge bei der Neukundengewinnung. Gerade in Unternehmen, die vom Quartalsdenken geprägt sind, ist der schnelle Erfolg wichtiger als langfristiges Denken. Im Kern ist das nicht verkehrt, denn: die Summe vieler schneller Erfolge macht eine erfolgreiche Company aus - nur nicht unbedingt eine innovative. Solange schnelle Erfolge mit dem Bestehenden zu erzielen sind, hat das Neue kaum eine Chance, sich durchzusetzen.
Die Kannibalismusfalle
Unternehmen haben ständig Angst sich selbst zu kannibalisieren. Wenn die Konkurrenz angreift, ist das schlimm. Schlimmer ist es jedoch, wenn ein Unternehmen sich selbst Marktanteile wegnimmt. Aus diesem Grund weigerten sich die Elektronikhändler Saturn und Media Markt jahrelang, Online-Shops zu eröffnen. Die Kunden könnten schließlich via Internet und nicht mehr in den Läden einkaufen. Auch der Entertainment-Gigant Sony leidet unter dem Kannibalismusproblem. Um das eigene CD-Geschäft zu schützen, hat er die Entwicklung eines Download-Portals für Musik nur halbherzig vorangetrieben. Und der Fotohersteller Leica? Er vermied es Anfang der 90er Jahre tunlichst, in die digitale Fotografie einzusteigen - aus Angst, das eigene Geschäft mit analogen Apparaten zu gefährden.

Struktur und Prozess

Um aus Ideen oder auch Erfindungen Innovationen zu machen, bedarf es eines Innovationssystems. Den gedanklichen Rahmen liefert A.T. Kearney mit dem "House of Innovation". Dessen Dach bildet die Innovationsstrategie. Sie muss auf einer innovationsfreundlichen Kultur aufbauen. In der Belle Etage residiert das Innovation Life Cycle Management, das eine Flucht von drei Zimmern bewohnt: Erzeugen von Ideen, Entwickeln zur Marktreife und ständiges Verbessern. Das Fundament bilden unterstützende Faktoren wie Key Performance Indicators (KPIs), Knowledge-Management, Personalentwicklung, Controlling etc.

Der Innovations-Management-Prozess bestimmt, welche Ideen und wie schnell sie marktreif werden. Er lässt sich in vier Schritte unterteilen: Mitarbeiter, Lieferanten, Kunden oder andere Quellen liefern Ideen; diese werden in funktionsübergreifenden Teams diskutiert; die Ideengeber bekommen ein detailliertes Feedback und werden dann belohnt. Für alle Stufen gibt es unterstützende Methoden und Tools.

Software-Tools können Hilfestellung leisten

Ein Werkzeug macht den Narren nicht gescheiter, sagt ein Sprichwort aus dem angelsächsischen Sprachraum. Das Gegenteil gilt für Leute, die wissen, was sie tun. Auf das Innovations-Management bezogen, heißt das: Ein Unternehmen mit einer Innovationsstrategie, einer entsprechenden Kultur und einem definierten Innovations-Management-Prozess kann stellenweise von Software-Tools profitieren. Aber wo sind diese Stellen?

Vier Kategorien von Tools

Das in Wiesbaden ansässige Beratungsunternehmen Invensity hat eine Marktevaluierung in Angriff genommen. Die Autorin der Studie, Gaye Onay, hat vier Tool-Kategorien definiert:

Öffentlicher Wettbewerb

Um Ideen in hoher Zahl und Qualität zu entwickeln, verlassen sich viele Unternehmen nicht allein auf die Mitarbeiter, sondern spannen auch Geschäftspartner und Kunden ein. Einige haben sogar "CoCreation-Netzwerke" geschaffen, in denen helle Köpfe draußen im Web ihre Ideen anbieten; als Vorreiter gilt Procter & Gamble.Wer will, kann sich auch das Phänomen "Crowd-sourcing" zunutze machen. Dienstleister wie Ninesigma bieten eine Plattform und die zugehörigen Services dafür an.

Bewertung via Facebook

Das Prinzip funktioniert auch hinsichtlich der Bewertung von Ideen. Der Serviceanbieter Quirky.com hat sich darauf spezialisiert, Produktideen zu sammeln und zum Kommentar durch potenzielle Kunden freizugeben - über Facebook. Handelsunternehmen wie Barnes & Noble oder Target zählen zu den Kooperationspartnern.

Unternehmen, die Innovationen lieber im eigenen sozialen Netz vorantreiben, können ebenfalls auf Tool-Unterstützung zurückgreifen. Ein Beispiel dafür liefert der Lebensmittelkonzern Danone. Das Werkzeug "IdeaNet" des Beratungsunternehmens Hyve ermöglicht ihm ein unternehmensinternes Crowdsourcing.

Auch Invensity entwickelt eine Innovations-Management-Lösung: "Hivescout" bildet quasi den hausintern genutzten Prozess ab. Laut Daniel Pfeifer, stellvertretender Leiter des Invensity-eigenen Center of Excellence Systematic Innovation, sehen sich die Wiesbadener aber eigentlich eher als Berater denn als Tool-Anbieter. (mhr)