IT-Branche predigt den Digital Lifestyle

11.01.2006 von Wolfgang Herrmann
Auf der Suche nach Wachstumsmärkten hat die IT-Branche die Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas als Werbeplattform für die weitere Elektronisierung des Alltags entdeckt.

Die Zuwachsraten im professionellen IT-Markt bleiben auf absehbare Zeit niedrig, zugleich finden immer mehr technische Innovationen zuerst in Consumer-Produkten Eingang. Diese Einsicht treibt auch klassische B-to-B-Anbieter dazu, Strategien für Privatkunden zu entwerfen. Auf der CES vom 5. bis 8. Januar nutzten die Großen und Kleinen der Branche die Gelegenheit, neue Produkte und Konzepte für den Digital Lifestyle einem internationalen Publikum zu präsentieren.

Gates wirbt für Vista

Die Verkaufsshow in der Wüstenstadt bilde mittlerweile das "Epizentrum" der Unterhaltungselektronik, erklärte Microsoft-Mitgründer Bill Gates in seiner Eröffnungsrede. Werkzeuge für die digitale Unterhaltung seien dabei, sich einen Massenmarkt zu erobern: "Immer mehr Menschen wollen auf ihre Musik, Bilder und Videos mit verschiedensten Geräten zugreifen können." Dabei spiele Software als verbindendes Element eine zentrale und plattformübergreifende Rolle.

Im Epizentrum der Unterhaltungselektronik: Die Consumer Electronics Show in Las Vegas zog mehr als 150000 Besucher aus 110 Ländern an.

Dass sich Programme mit dem Fenster-Logo dazu seiner Ansicht nach besonders gut eignen, erläuterte Gates in einem Ausblick auf das für die zweite Jahreshälfte angekündigte Betriebssystem Windows Vista. Er demonstrierte, wie Anwender auf einer neu gestalteten Oberfläche in Dateien oder Internet-Seiten in dreidimensionaler Ansicht blättern können. Mit einer Flut neuer Produkte machte er den Anspruch des weltgrößten Softwareherstellers deutlich, auch in der digitalen Unterhaltung eine führende Rolle zu spielen. Dazu gehören Internet-Angebote für Musik und Videos, mit denen Microsoft die Vorherrschaft Apples brechen will.

Für den Filmabend im Wohnzimmer kündigte der Chief Software Architect einen DVD-Player im HD-Format (High Density) von Toshiba an, der mit Windows Media Center arbeitet.

Für seine Offensive im Online-Musikmarkt hat Microsoft einen starken Partner ins Boot geholt: Noch in diesem Jahr soll laut Gates der gemeinsam mit dem Sender MTV konzipierte Musikservice "Urge" an den Start gehen. Der Dienst werde in Microsofts Windows Media Player integriert und im ersten Halbjahr 2006 Bestandteil von Windows XP sein. Das Nachfolgesystem Vista bringe die Software ebenfalls standardmäßig mit.

Google kontert

Um das Abspielen von Videos auf portablen Geräten zu ermöglichen, offeriert der Softwaremulti künftig den Abo-Dienst "Vongo". Die Plattform soll noch in diesem Jahr zunächst in den USA an den Start gehen. Microsofts vielleicht gefährlichster Konkurrent konterte prompt: Unter dem Namen "Google Videostore" präsentierte der Suchmaschinenbetreiber eine Vertriebsplattform für digitale Videoinhalte. Sie erlaubt es Kunden, Videos von CBS Broadcasting und der amerikanischen Basketballliga NBA über die Website zu laden. Dabei agiert Videostore wie ein Marktplatz: Google tritt nicht als Wiederverkäufer auf, sondern betreibt eine Plattform, über die Inhalteanbieter ihre Produkte zum Download oder zum Verleih feilbieten können. Mit "Google Video Player" stellte das Unternehmen zudem eine Software vor, mit der Kunden die Videos am Rechner abspielen können.

Sauer aufstoßen dürfte Microsoft die Softwaresammlung "Google Pack", die sich Anwender kostenlos von Google-Servern laden können. Sie umfasst unter anderem den Open-Source-Browser "Firefox", Symantecs "Norton Antivirus", das PDF-Anzeigeprogramm "Adobe Reader", den "Real Player" von Real Networks und den Instant-Messaging-Client "Trillian" von Cerulean Studios. Hinzu kommt der Spyware-Scanner "Ad-Aware" von Lavasoft.

Messesplitter

  • Ein Internet-Telefon der besonderen Art präsentierte das Luxemburger Unternehmen Skype gemeinsam mit dem Netzausrüster Netgear. Das Gerät lässt sich unabhängig von einem PC über den drahtlosen Funkstandard Wifi entweder zu Hause oder über öffentliche Hotspots nutzen.

  • Hewlett-Packard zeigte in Las Vegas sieben neue Digitalkameras. Das Topmodell "Photosmart R927" bietet 8,2 Megapixel, ein Drei-Zoll-Display und ein dreifaches optisches Zoom. Die Kameras sollen zwischen Februar und April auf den Markt kommen.

  • Der finnische Mobilfunkkonzern Nokia präsentierte drei neue Bluetooth-Headsets, darunter das nur neun Gramm schwere "BH-800" mit optionalem Ohrbügel. Es bietet bis zu sechs Stunden Sprechzeit, 160 Stunden Standby und ermöglicht Sprachwahl. Auch Jabra zeigte mit dem "JX10" ein besonders kleines Headset mit 200 Stunden Standby-Zeit, das sich via USB am PC wieder aufladen lässt.

  • Aufmerksamkeit erregte Motorola mit seinem Musik-Handy "ROKR E2". Statt der iTunes-Software aus dem erfolglosen Vorgängermodell "E1" setzt der US-Hersteller mit dem neuen Modell auf den eigenen Musikservice "iRadio". Dabei handelt es sich um einen nur in den USA verfügbaren Radio-Abonnement-Dienst mit 435 werbefreien Kanälen. Diese werden auf dem Mobiltelefon empfangen und bei Bedarf via Bluetooth auch ans Autoradio oder die heimische Stereoanlage weitergereicht.

  • Dem explodierenden Speicherbedarf in der digitalen Unterhaltung trug Iomega mit einer ganzen Reihe externer Festplatten Rechnung. Die "Minimax"-Harddiks etwa haben Platz für 160 oder 250 GB. Sie sind mit jeweils drei Firewire- und USB-Ports ausgerüstet und auch mit Apples Mac Mini kompatibel.

Yahoo öffnet neues Portal

Im erbitterten Kampf um Online-Nutzer meldete sich auch Yahoo lautstark zu Wort. "Das Internet besteht nicht nur aus Web-Seiten oder einer Arbeitsplatzoberfläche", verkündete CEO Terry Semel. Vielmehr biete das World Wide Web eine Infrastruktur, mit deren Hilfe verschiedenste Arten von Kommunikation und Unterhaltung betrieben und jegliche Art von Daten verbreitet werden könnten. In diese Richtung zielt das neue Angebot "Yahoo Go". Nutzer sollen damit von verschiedenen Endgeräten aus auf zentral im Netz gespeicherte persönliche Daten wie Fotos, Adressbücher oder E-Mails zugreifen können. Das Go-Portal erkenne automatisch, auf welchem Gerät die Inhalte angezeigt werden sollen. Bislang bietet Yahoo Varianten für den PC ("Go Desktop"), Mobiltelefone ("Go Mobile") und Fernsehgeräte ("Go TV") an.

AMD ärgert Intel

Ein Duell anderer Art lieferten sich Intel und AMD in der Wüste von Nevada. Noch vor dem Auftritt des scheinbar übermächtigen Konkurrenten kündigte AMD eine Initiative für den Digital-Home-Markt an. Unter dem Markennamen "AMD Live!" bewirbt der Hersteller aus dem kalifornischen Sunnyvale künftig unter anderem PCs, die als digitale Medienzentrale in Privathaushalten dienen sollen. Intel-Chef Paul Otellini hatte zumindest chronologisch das Nachsehen, als er am zweiten Messetag die Markteinführung von "Intel Viiv" bekannt gab (siehe Seite 5). Unter diesem Namen fasst der Chipkonzern mehrere Techniken zusammen, die PC-Hersteller für den Bau von Entertainment-Plattformen nutzen können.

Neben Multimedia-PCs, Autoelektronik, LCD-Fernsehern oder Digicams konnten Messebesucher in Las Vegas auch eine ganze Reihe neuer Mobiltelefone bestaunen (siehe Kasten "Messesplitter"). Für all diejenigen, die sich angesichts der vielen teuren Gadgets in der Aktentasche um ihre Sicherheit sorgen, hatte der US-amerikanische Anbieter Taser International das passende Produkt parat: Der "Citizen Taser X26c" wehrt potenzielle Angreifer mit einem 50 000 Volt starken Stromstoß ab - für schlappe 999 Dollar.