Virtuelle Finanzgemeinschaften

IT-Startups profitieren von Crowdfunding

14.06.2011 von Lothar Lochmaier
Web-Portale zur Unternehmensfinanzierung machen Banken und anderen Kapitalgebern Konkurrenz. Besonders wenn es um die in der IT-Szene üblichen kleinteiligen Finanzierungen geht, haben Plattformen wie Kickstarter.com die besseren Karten.

Die in Szenekreisen bekannte New Yorker Futuristin Venessa Miemis warb bei der weltweit führenden Plattform Kickstarter.com um Unterstützung für ihr Vorhaben. Über ein professionelles Video-Testimonial präsentierte sie es als The Future of Facebook Project.

Laut Projektbeschreibung sollen Experten und andere Interessierte die nicht nur geschäftlichen Zukunftsperspektiven des sozialen Netzwerks Facebook ausloten. Das Spendenziel lag bei 5000 Dollar. Binnen weniger Wochen kam jedoch deutlich mehr Geld zusammen. Innovative Projekte, die sich auf die IT-Branche beziehen, haben ihren Charme.

"Der Markt für das Social Sponsoring und Fundraising verändert sich dynamisch", betont Irmgard Glasmacher, Geschäftsführerin CRM beim Beratungshaus Accenture. Neue Internet-Portale zur Unternehmensfinanzierung platzierten sich im Aktiv- und Passivgeschäft neben traditionellen Geldhäusern und Kreditvermittlern.

Bislang als exotisch geltende Finanzierungen etablieren sich

Internet-Nutzer können sich via Online-Plattformen wie kickstarter.com auch mit kleinen Beträgen an Startups beteiligen.
Foto: Alterfalter/Fotolia.de

Aus Sicht der Personalchefs und Manager bringt dieser Trend so einige Herausforderungen mit sich. Crowdfunding birgt neben Risiken auch besondere Chancen, wenn Mitarbeiter etwa darüber nachdenken, über das Netz nach Unterstützern für neue Produktentwicklungen zu fahnden. Ungewohnte und bislang als exotisch angesehene Finanzierungswege, bei denen eine größere Masse an Interessierten durch kleinere Beträge den Initiatoren frischen Schwung verleiht, werden ausprobiert.

"Konservative Märkte brechen auf", bilanziert Glasmacher. Zunächst anonyme Interessenten aus der Masse begutachten ein vorgeschlagenes Projekt direkt im Netz und unterstützen es mit einer Spende oder einem Darlehen. Der weltweit populärste Vertreter ist die amerikanische Plattform Kickstarter.com. Aber auch andere Namen kursieren in der lokalen Szene, wie das deutsche Portal Pling, auf dem beispielsweise der Leipziger Spieleentwickler Firehazard die anvisierte Spendenmarke von 10.000 Euro deutlich übertraf.

Das bei Kickstarter erfolgreich finanzierte Projekt Tiktok zeigt, dass virtuelle Finanzgemeinschaften nicht nur Peanuts zusammenbringen. Eine kleine amerikanische Firma LunaTik bat im Netz um Unterstützung für ein neues Produkt - und zwar für eine Halterung, um den iPod Nano als Multitouch-Armbanduhr zu konstruieren.

Für eine überzeugende Idee gibt die Internet-Gemeinde etwas aus

Der Erfolg der Aktion ließ nicht lange auf sich warten: 13.512 Geldgeber spendeten 941.718 Dollar. Die Entwickler hatten ursprünglich nur 15.000 Dollar als Spendenziel veranschlagt. Ist der Stein aber einmal ins Rollen gekommen und finden viele aus der Internet-Gemeinde die Idee gut, dann ist eine derartige Plattform im Netz nicht nur ein geeignetes Mittel zum Geldeintreiben. Den Werbe- und Marketing-Effekt gibt es gleich noch kostenlos dazu.

Was ist Crowdfunding?

Als Kapitalgeber fungiert die "Crowd", die anonyme Masse der Internet-Nutzer. Eine Aktion ist durch eine Mindestkapitalmenge gekennzeichnet, die durch die Masse fremdfinanziert sein muss, bevor die Aktion beginnt. Im Verhältnis zur Mindestkapitalmenge leistet jedes Mitglied der Masse, also jeder "Crowdfunder", nur einen geringen finanziellen Anteil. Die Plattform beziehungsweise ein IT-Dienstleister fungiert dabei als Mittelsmann gegen eine Vermittlungsprovision.

Breiter bekannt wurde Crowdfunding durch Projekte mit populären Künstlern wie der Band Public Enemy, die ihr neues Album durch Fans mitfinanzieren ließ. Furore machte im Juni 2010 auch das Projekt Diaspora. Vier Studenten benötigten für die Entwicklung einer neuen Internet-Plattform rund 10.000 Dollar. Die Plattform Diaspora sollte als anwenderfreundliche Alternative zum sozialen Netzwerk Facebook aufgebaut werden, besonders durch mehr Datenschutz und eine dezentrale Speicherung der Nutzerdaten direkt auf dem Rechner des Anwenders. Mehr als 200.000 Dollar kamen zusammen. Unter den Spendern befand sich auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.

Kreativer Anschub zur Wagniskapitalfinanzierung 2.0

Oftmals stecken hinter neuen Ideen erfahrene Praktiker. Für Tiktok agiert unter anderem ein früherer Kreativdirektor von Nike Watches. Dass Crowdfunding die Welt der Unternehmensfinanzierung kräftig beeinflusst, also kein Randbereich für Mikrospenden und Einzelprojekte bleibt, davon ist Philipp Steinberger überzeugt. Er ist Gründungspartner bei der c-crowd AG in Zürich, einem Online-Fundraising-Spezialisten, der auch im geschäftlichen Umfeld agiert.

Die zunehmende Beliebtheit von Crowdfunding zeige deutlich, so Steinberger, dass Kapitalgeber, sprich Spender und Investoren, damit begonnen hätten, bestehende Strukturen zu hinterfragen. "Gibt es wirklich Sinn, zusätzliche Fondsanteile zu kaufen, an der in erster Linie die Bank Geld verdient? Oder: Braucht die globale Stiftung mit einem administrativen Aufwand von 40 Prozent wirklich meine Unterstützung?" Steinberger stellt kritische Grundsatzfragen. Obwohl Crowdfunding heute eher kleinere Finanzierungen bewerkstellige, könne es bald zum institutionalisierten Werkzeug der Finanzierung heranreifen. Das Credo des Züricher Gründers: Grundsätzlich finde das Kapital immer irgendeinen Weg zu den zukunftsträchtigen Projekten.

Erfolgreiche Pilotprojekte zeigen die Richtung

Dass Business Crowdfunding keine unrealistische Vision darstellt, demonstriert auch die Schweizer Plattform Cofundit. Das Unternehmen in Lausanne hat sich auf die Vergabe von Darlehen spezialisiert. Der erste Deal im Wert von 170.000 Schweizer Franken (CHF) ist perfekt.

Dabei handelt es sich um Faction Skis, einen jungen aufstrebenden Skiproduzenten aus Verbier. Dieser war die letzten beiden Jahre dank einer Anschubfinanzierung über Business Angels bereits stark gewachsen. Für die Wintersaison 2010/11 war nun das Orderbuch zu groß, um den Einkauf der Basisstoffe aus eigenen Mitteln vorzufinanzieren.

Gerrit Sindermann, Business Development Manager bei Cofundit: "Wir haben uns auf die Vergabe von Darlehen spezialisiert."
Foto: Cofundit

"Der Liquiditätsbedarf über sechs Monate wurde über die Cofundit-Plattform bei sieben Investoren innerhalb eines Monats platziert", erläutert Gerrit Sindermann, Business Development Manager bei Cofundit. Innovative Unternehmen aus der IT-Branche sind längst ins Visier gerückt. So steht die nächste Finanzierungsrunde bei Key Lemon an, einer jungen Firma, die eine nutzerfreundliche Zugangssicherungssoftware auf Basis der Gesichtserkennung entwickelt hat. Key Lemon sucht jetzt nach weiteren Investoren für einen mittleren sechsstelligen Betrag.

Können sich Gesellschafter aus der Crowd vertragen?

Chris Leeb, Managing Partner beim German Seed Fund: "Deutsche Startups müssen zu unkonventionellen Methoden greifen."
Foto: German Seed Fund

Neue Perspektiven sieht Chris Leeb, Managing Partner beim German Seed Fund, gerade im etwas risikoscheuen Deutschland: "Startups, die nicht wissen, woher das Geld kommen soll, können entweder auswandern, zum Beispiel in die USA, oder sie greifen zu unkonventionellen Methoden", bilanziert der Experte.

Allerdings bleibt Crowdfunding besonders bei größeren sechs- bis siebenstelligen Beträgen zunächst ein Randphänomen. Unter anderem wegen juristischen Neulands und diverser gesetzlicher Regularien wie Banklizenzen und Konzessionen.

Michael Birkel, Venture Partner beim Wagniskapitalfinanzierer Target Partners: "Crowdfunding kann zu einer Zersplitterung der Gesellschafter führen."
Foto: Target Partners

Die damit verbundenen Risiken und Nebenwirkungen beschreibt Michael Birkel, Venture Partner beim Wagniskapitalfinanzierer Target Partners in München. Der schlanke Evaluierungsprozess lasse für den Unternehmer nur eine eingeschränkte betriebliche Nabelschau (Due Diligence) mit Blick auf zukünftige Investoren zu, dämpft der Experte allzu hochgesteckte Erwartungen.

Dies könne zu Gesellschaftern führen, die nicht zum Unternehmen passten, was ein erhebliches Konfliktpotenzial berge. "Außerdem kann Crowdfunding zur Gesellschafterzersplitterung und zu administrativer Komplexität führen, wenn die Stimmen der Gesellschafter nicht entsprechend gepoolt werden", sagt Birkel.

Und dann gebe es da auch noch den ganz banalen kulturellen Wandel im Unternehmen zu bewältigen. Blockt das Management eine derartige Initiative ab, etwa aufgrund von rechtlichen Hürden oder einem drohenden Machtverlust? Für Gerrit Sindermann von Cofundit wäre dies kein unüberwindliches Hindernis: "Im Gegenteil, geschickt gehandhabt kann ein sprunghaft gewachsenes Beziehungsnetz durchaus die eigene Position und Reichweite stärken."

Außerdem verschaffe sich der unmittelbar für die Finanzen verantwortliche Manager, so der Experte weiter, einen zusätzlichen Verhandlungsspielraum gegenüber konventionellen Finanzierungshäusern. "Allerdings wird in den neuen Kanälen häufig eine deutlich offenere, direktere und schnellere Kommunikation erwartet", fasst Sindermann zusammen.

Wer seine Community mitbringt, ist im Vorteil

Der große Vorteil von direkt durch die Crowd angetriebenen Unternehmen könnte darin liegen, dass sie weniger für Marketing ausgeben müssen. Teure Kredite unter einer Million Euro können sie gegen eine Art Vorkasse ersetzen. Aber auch hier ist die Praxis nicht unkompliziert.

Denn Crowdfunding ist auf die Kunst des einfachen und schlüssigen Erklärens angewiesen. Interessenten sollten das Projekt leicht verstehen. "Fans müssen gewonnen werden, dazu sollte der Aha-Effekt möglichst stark sein", sagt Denis Bartelt vom Crowdfunding-Spezialisten Startnext. Wer eine gut funktionierende Community mitbringe, sei gegenüber Neueinsteigern deutlich im Vorteil. Am Beispiel von Apple-Accessoires, die immer wieder hunderttausende Dollar einspielten, macht Bartelt die Vorteile gerade für Produktdesigner fest.

Im Idealfall haben die Gründer ein fertiges Produkt

Die auf Unternehmen spezialisierte Plattform Seedmatch aus Dresden deckt die Eigenkapitalfinanzierung von Startups ab. Der Fokus liegt auf jungen Unternehmen mit Innovationskraft und skalierbaren Geschäftsmodellen. Idealerweise hat das Gründerteam bereits ein fertiges Produkt vorzuweisen, oder es steht kurz vor dem Markteintritt, skizziert Seedmatch-Geschäftsführer Jens-Uwe Sauer die günstigste Ausgangsposition.

Die Plattform Seedmatch ist nach Angaben Sauers sogar selbst ein Kind von Crowdfunding, weil sie direkt von den registrierten Usern mitfinanziert worden sei. Nach längerer Vorbereitungszeit wollen die Macher jetzt durchstarten. Die ersten Projekte sollen im laufenden Halbjahr an den Start gehen. Mit der Plattform will Sauer demonstrieren, dass Mikroinvestitionen auch in Deutschland funktionieren, und zwar ganz anonym, ohne die sonst so nötige persönliche Kontaktpflege. An ihre Stelle tritt die Crowd, deren Urteilsfähigkeit die Anhänger der neuen Finanzierungsformen höher einschätzen.