Itil 3 – ein Schritt in die richtige Richtung

31.05.2007 von Gerhard Auer
Die Nutzer begrüße die Management-Orientierung der neuen Version, wollen aber den Umstieg nicht überstürzen.

Die lang erwartete Version 3 (V3) der IT Infrastructure Libary (Itil) ist da. Erste Kritiker haben sich auch bereits zu Wort gemeldet. Gespannt durchforstet Sascha Kurth, Consultant für Service-Management bei der Kess DV-Beratung in Hennef, die neuen Unterlagen. "Beim ersten Querlesen habe ich befürchtet, dass kein Stein auf dem anderen bleibt", berichtet er, "der zweite Eindruck zeigte aber, dass sich die meisten Inhalte aus der alten Version auch bei Itil 3 wiederfinden." Das Rad sei nicht neu erfunden, aber stark weiterentwickelt worden.

Berater Sascha Kurth: "Das Rad wurde nicht neu erfunden, aber stark weiterentwickelt."
Foto: Kess DV-Beratung

Erweitert wurde vor allem der Umfang der Betrachtung: Bislang lag der Schwerpunkt des IT-Service-Managements (ITSM) auf den operativen und taktischen Prozessen. Die fünf neuen – statt der elf alten – Itil-Bücher behandeln sowohl eine übergeordnete strategische Ebene als auch technische Funktionen, also sämtliche Ebenen eines wirtschaftlich orientierten IT-Service-Managements (siehe auch: "Lifecycle steht im Mittelpunkt") Das erste behandelt die Definition der "Service Strategy"; in den Folgebänden "Service Design", "Service Transition", "Service Operation" und "Continuous Service Improvement" wird der Lebenszyklus eines Services kontinuierlich fortgeführt.

Die neue, am Service-Lifecycle orientierte Struktur wirkt sich in der Praxis gravierend aus. Dazu Kurth: "Wenn Sie ab sofort vollständige Infos über einen spezifischen Prozess wie Capacity Management benötigen, kommen Sie nicht daran vorbei, in allen fünf Büchern zu recherchieren." Die IT müsse sich künftig stärker damit beschäftigen, wie IT-Services die Wertschöpfung der Geschäftsprozesse verbessern. Damit reiche der Itil-"Scope" weit über die bisherige Zielgruppe des IT-Service-Managements hinaus.

Itil 3: Die fünf Bände im Einzelnen

"Service Strategy" bietet Konzepte und Methoden zum Strategie-Management. Darin eingeflossen sind betriebswirtschaftliche Modellen wie Principal-Agent-Beziehungen und Transaktionskostentheorien. "Die Methoden sind sehr anschaulich beschrieben", urteilt Kurth. Beispielsweise zeige die Transaktionskostentheorie die Kosten und Risiken bei Vertragsverhandlungen auf. So könne der IT-Manager besser verstehen, auf welcher Grundlage Kunden und Lieferanten Entscheidungen treffen.

Das im Zyklus folgende Buch "Service Design" behandelt den Aufbau eines Servicekatalogs und die Modellierung von Services. Dabei beschreibt es sowohl die Sicht des Kunden als auch die technische Sicht und erörtert das Zusammenspiel beider Perspektiven. Die Inhalte des vormaligen Prozesses "Service-Level-Management" sind (in Anlehnung an ISO 20000) abgespeckt und auf andere Itil-Prozesse, beispielsweise Supplier-Management, verteilt worden. Sie konzentrieren sich jetzt vor allem auf das Management von Service-Level-Agreements. Das Service-Continuity-Management sowie Teile des früheren Capacity-, Availability- und Security-Managements bilden jetzt wichtige Bestandteile des Service-Designn.

Der nächste Band, "Service Transition", widmet sich dem Übergang vom Design in den Betrieb der Services. Eine tragende Rolle spielt hier das Change-Management, wobei auch Änderungen in der strategischen Ebene betrachtet werden. Erstmals konkret ausgeführt sind die Themen Service Validation, Testing und Evaluation. Wie Kurth erläutert, wies Itil 2 hier eine Lücke auf: "Es wurden zwar Annahme, Freigabe und Klassifikation eines Changes behandelt, aber gerade bei den erfolgskritischen Themen Bewertung, Test und Einführung klaffte ein Loch, das einer fehlenden Systematik Tür und Tor öffnete." Zudem begrüßt der Berater, dass V3 dem Anwender konkrete Best Practices dafür an die Hand gebe, wie er den Change-Prozess und seine Formulare gestalten könne. "Das hebt die neue Itil-Version auch gegenüber ISO 20000 hervor, wo lediglich die Mindestanforderungen – wie etwa die Dokumentationspflicht von Changes – genannt sind."

Wie der Titel "Service Operations" bereits suggeriert, erläutert der nächste Band den Betrieb der Services. "Dieses Buch behebt viele Redundanzen", lobt Kurth: "Frühere Unklarheiten wie die Frage, ob ein Major Incident schon ins Problem-Management gehört, sind hier eindeutig beschrieben." Zudem enthalte es Vorschläge, wie sich etwa aus Anrufen am Service-Desk oder automatisierten Events aus dem System-Management die jeweiligen Workflows für Incident, Problem oder standardisierten Change ableiten lassen.

Weitgehend neu sind die Inhalte des letzten Buchs, "Continuous Service Improvement". Im Brennpunkt steht dabei das PDCA-Modell (Plan, Do, Check, Act), also ein möglichst geschlossenes Feedback-System für Services. Es fehlen jedoch nach wie vor konkrete Beispiele für Kennzahlen, die die Performance der Services messen. Hier müssen die Nutzer noch selbst entscheiden, welche Indikatoren sinnvoll und relevant sind.

Itil 3: Anwender warten erst einmal ab

Die Marktdurchdringung von Itil 3 scheint schon deswegen garantiert, weil V2 ab sofort offiziell als veraltet gilt. Allerdings sind die neuen Bände noch nicht ohne weiteres erhältlich: Aufgrund hoher Überbestellungen müssen sich einige Interessenten wohl bis Herbst gedulden.

Uwe Kaiser von BadenIT sieht keinen akuten Umstellungsbedarf.
Foto: BadenIT

Zudem wird sich nicht jedes Unternehmen in neue Projekte stürzen. Dazu Uwe Kaiser, Leiter des Qualitäts-Managements von BadenIT, einem Tochterunternehmen des Energieversorgers Badenova: "Der TÜV hat gerade unsere Servicequalität nach ISO 20000 zertifiziert." Die neue Itil-Version schlage sich hingegen noch nicht in einer ISO-Zertifizierung nieder. "Deshalb sehen wir im Moment keinen akuten Bedarf, unser ITSM auf V3 umzustellen. Wir werden aber die Unterschiede zwischen V2 und V3 genau unter die Lupe nehmen und dann entscheiden, ob uns Itil 3 voranbringt."

Grundsätzlich gilt auch für V3, was viele Anwender schon an V2 bemängelten: Eine Zertifizierung für eine komplette Prozessorganisation ist nicht möglich, nur einzelne Mitarbeiter können sich ihre Servicequalität bescheinigen lassen.

Egal ob V2 oder V3 – um eine Auseinandersetzung mit dem Thema Itil im Allgemeinen werden die Unternehmen aus Sicht des Qualitäts-Managers Kaiser nicht herumkommen. Beispielsweise vergebe die Automobilindustrie Aufträge kaum noch ohne Zertifizierungen.

Schnittstellen statt Black Box

Edmund Gröpl, Consultant im Bereich Application Development und Service Factory bei T-Systems, hingegen betrachtet die neue Itil-Version für sein Kerngeschäft als ein Pflichtthema: "Ich begrüße, dass die Version 3 Management-Themen in den Fokus stellt, etwa die Schnittstellen zwischen Entwicklung und Betrieb, die gezielte Ausrichtung der Serviceprodukte an den Bedürfnissen des Anwenders und die Integration der eigenen Systeme in die Prozesse des Kunden." Früher habe Itil oft als Black Box gewirkt. "Jetzt sind alle Beteiligten gezwungen, die Black Box so zu vernetzen, dass sie tatsächlich Nutzen für das Geschäft erbringt."

Darüber hinaus trägt Itil nach Gröpls Ansicht dazu bei, die Kosten zu senken: "Itil fördert die effiziente Gestaltung der Prozesse. So besteht die Möglichkeit, standardisierbare Tätigkeiten zu reduzieren." V3 beschleunige diesen Outsourcing-Ansatz noch einmal.

Ralf Hagemann, Human Resources Development and Marketing bei Thales Information Systems, verweist in diesem Zusammenhang auf den Zusatznutzen von ISO 20000. Nur hier werde geprüft, ob Prozesse in einem Unternehmen mehr als Papiertiger seien, also tatsächlich gelebt würden.

Itil 3: Leise Kritik am Prüfungsmodus

Bemängelt die Multiple-Choice-Prüfungen: Ista-Manager Ingo Mette.
Foto: Ista

Ingo Mette, IT-Service-Manager beim Energiekostenabrechner Ista und Leiter des itSMF-Forum Nord-West, will abwarten, wie sich der Aufwand für V3 entwickelt: "Für jede neue Methode müssen wir Ressourcen bereitstellen, und die sind nicht immer direkt vorhanden." Zudem sei genau zu prüfen, welche Auswirkungen V3 auf bereits eingeführte Itil-Prozesse habe. Leise Kritik äußerte Mette an dem intendierten Prüfungsmodus: "Mit reinen Multiple-Choice-Prüfungen wäre den schon zertifizierten IT-Service-Managern kein Gefallen getan. Die Ausbildung darf nicht zum Massenprodukt werden, sondern sollte auch weiterhin eine Auszeichnung bleiben." (Zum Thema Itil-Zertifizierung siehe auch: "Wertlose Zertifikate?")

Grundsätzlich hält Mette die neue Itil-Version für konsequent. Mit der Überarbeitung unterwerfe sich die Best-Practices-Sammlung dem, was sie selbst fordere: einem ständigen Verbesserungsprozess.

Dass die Verbesserung gelungen sei, konstatiert Kurth von der Kess DV-Beratung: "Der Aufbau der neuen Bücher wirkt deutlich übersichtlicher als bei Itil 2." Die Sorgen der Nutzer hinsichtlich eines kompletten Neuanfangs beschwichtigt er: "Viele Inhalte aus der Version 2 sind übernommen worden." Ein gewisses Maß an Grundlagenwissen sezte Itil 3 denn auch voraus: "Hat sich ein Unternehmen bisher noch gar nicht mit Itil beschäftigt, so wird es nur scher einen Einstieg finden." (qua)