Was mittelständische Unternehmer von ihrer IT erwarten

Klartext statt Kauderwelsch

06.10.2005 von Winfried Gertz
Der Mittelstand hat großen Nachholbedarf in der IT, und die Scheu der Unternehmer wird allmählich geringer. Welche Investitionen und IT-Strategien sich aus ihrer Sicht lohnen, birgt manche Überraschung.

WER DEN Handwerker bestellt, muss mit allem rechnen, beispielsweise dass Termine platzen oder unfreundliches Personal anrückt. Wie sich jedoch ein Malerbetrieb im fränkischen Schwabach präsentiert, das ruft unter den Kunden Erstaunen hervor. Binnen Sekunden laden Mitarbeiter der Malerweiß GmbH Vertragsdaten und Zeichnungen auf ihren Rechner, übermitteln mit dem Handy geschossene Fotos in die Zentrale oder erfahren per Tastendruck auf PDA, wann der Chef zur Abnahme auf der Matte steht. „Mit moderner Technik haben wir die Ablage- und Ablauforganisation erheblich beschleunigt“, sagt Inhaber Joachim Weiß. „Unser explosives Wachstum verdanken wir vor allem der IT.“

Noch sind Unternehmer vom Schlage Weiß’ die Ausnahme im Mittelstand. Nur jeder fünfte Betrieb investiere in IT, „um seine Marktposition zu verbessern oder innovativ zu sein“, berichtet Andreas Zilch, Vorstand der Beratungsfirma Experton Group. Helmut Burger, bei der IHK München verantwortlich für IuK-Projekte, kennt Unternehmer, „die ihre IT seltener austauschen als ihre Autos“. Seit dem letzten Investitionsschub kurz vor dem Jahr 2000 gelte das Motto: „Never touch a running system“.

Investitionen zahlen sich aus

IT - bloß eine lästige Pflicht? Für Weiß, der Berge von Fachzeitschriften liest und neueste IT-Trends im Internet recherchiert, sicherlich nicht. Unternehmer wie er könnten anderen Mittelständlern ein Vorbild sein. Während im Einzugsgebiet der IHK Nürnberg viele Malerbetriebe tief im Schlamassel stecken, hat Weiß seinen Betrieb in den nur sieben Jahren seit Gründung auf 60 Mitarbeiter ausgebaut. IT ist für ihn keine „Black box“ - im Gegenteil: „Die Investition von bisher 200 000 Euro hat sich längst ausgezahlt.“ Kunden geben sich die Klinke in die Hand.

„In größere Mobilität zu investieren zahlt sich aus“, bestätigt IT-Berater Zilch. Nicht weil die Firmen mit moderner Technik Eindruck schinden wollen, „sondern weil sie ihren Informationsfluss beschleunigen“: Sind Daten und Dokumente schneller verfügbar, können die Kunden auch besser beraten werden. Mehr Service für Kunden, engere Kooperation mit Partnern, höhere Prozessqualität: Diese Ziele verfolgen Unternehmer, wenn sie in IT investieren. Das meint zumindest das Kasseler Beratungshaus Tech Consult, das aktuell die Studie „Mittelstand und IT“ vorgelegt hat. Befragt wurden 275 Unternehmer, die bis zu 499 Mitarbeiter beschäftigen. „Lediglich Kosten zu sparen“, hat Senior Consultant Alexander Kubsch ermittelt, rangiere in der Zielsetzung von Mittelständlern „weit hinten“.

„Dramatisch“, so Kubsch, habe der IT-Einsatz an Professionalität gewonnen. Immer mehr Unternehmer verlieren demnach ihre Scheu vor der IT und erzielen beachtliche Ergebnisse. Wie etwa der ehemalige Banker Martin Schmeding: Nachdem er eine Wein- und Spirituosenhandlung in Singen am Bodensee gekauft hatte, blieb er zunächst auf seinen Produkten sitzen. Nur zwölf Monate später macht er als Power-Seller von sich reden. „Die Präsentation auf eBay“, beschreibt er sein Erfolgsrezept, „hat mich in Windeseile bekannt gemacht und lotst immer mehr Kunden direkt in meinen Online-Shop.“

Schmedings Strategie nennt Zilch beispielhaft: „Durch Zugriff auf Serviceplattformen können gerade kleine Unternehmen ihren Umsatz massiv beeinflussen.“ Zwar bleiben die Margen äußerst dünn, zumal Schnäppchenjäger nicht enttäuscht werden wollen. Umso größer ist jedoch der Werbeeffekt, wenn zufriedene Kunden mittels Ranking das Angebot weiterempfehlen. „Mit einer herkömmlichen Anzeige“, kalkuliert Schmeding, „wäre mir das nie gelungen.“

Im Handel steckt der Gewinn

Mit seiner Internetstrategie ist Schmeding vielen kleinen und mittleren Unternehmen weit voraus, wie eine im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit erstellte Studie des Netzwerks Elektronischer Geschäftsverkehr (NEG) dokumentiert. Zwar interessieren sich viele der 3363 im Frühjahr befragten Unternehmer für das Internet-Business, doch ihre Web-Aktivitäten beschränken sich auf Informationsaustausch und Banking. Ein ähnliches Fazit zieht eine Studie von IBM und der Zeitschrift Impulse. Demnach plant in den kommenden Jahren nur eine Minderheit, das Internet als zusätzlichen Absatzkanal zu nutzen.

Während Schmeding sich mit der B2C-Offensive aus dem Umsatz- und Bekanntheitstief katapultierte, suchte Peter Späth eigentlich nach einer profitablen Ergänzung seines im Winter traditionell schleppend verlaufenden Baugeschäfts. Doch statt sich - wie in der Branche durchaus üblich - über behördliche Auflagen oder sparsame Kunden zu entrüsten, erschloss der Münchener Unternehmer lieber zwei neue Erlösquellen: Neben einem selbst entwickelten Homepage-Generator (find-faster.de), der Websites bei Suchmaschinen weit vorn platziert, vertreibt er Schneeketten und Schlauchboote übers Netz.

„Schon mein Großvater sagte: Im Handel steckt der Gewinn“, freut sich Späth über das neue Standbein. Freilich profitiert der Bauingenieur von wichtigen Erfahrungen, die er nach dem Studium als IT-Berater in der Immobilienwirtschaft sowie in der Autoindustrie gesammelt hat. Ein Programm zu entwickeln fiel ihm leicht, und dank vielfältiger Kontakte zum Mittelstand kam das Neugeschäft schnell auf Touren. Längst haben sich die Investition von 20 000 Euro für die Internetsoftware und die Kosten für den Online-Handel amortisiert. Der Laden brummt: „Ich will neue Mitarbeiter einstellen und weitere Produkte vermarkten.“

IT als strategische Waffe

Zugegeben, mit ihren Strategien sind diese Unternehmer keineswegs repräsentativ. Wer geht schon das Wagnis einer betrieblichen Kursänderung mit offenem Ausgang ein? Welcher unter chronischer Eigenkapitalschwäche leidende Mittelständler schenkt technischen Systemen Vertrauen, die womöglich am nächsten Tag schon einen Betriebsstillstand nach sich ziehen? Kein Wunder, dass rund 90 Prozent der Investitionsmittel der etwa 3,3 Millionen mittelständischen Betriebe für Ersatzbeschaffungen und Rationalisierungen verwendet werden, wie der Deutsche Sparkassen- und Giroverbands (DSGV) in der Studie „Diagnose Mittelstand 2005“ rekapituliert. Ähnliches weiß der Münchener Unternehmensberater Bernhard Schmid zu berichten: „Statt IT als strategische Waffe einzusetzen, werden Kostensenkungsprogramme als stärkstes Mittel zur Zukunftssicherung angesehen“, kritisiert er.

Diesen Fehler vermied Daniel Zimmermann, als er sich gemeinsam mit seinem Vater vom papiergestützten Rechnungsversand verabschiedete. Ihr Unternehmen, die in Göppingen beheimatete August Mink KG, kurz: Mink-Bürsten, beliefert 14 000 Kunden weltweit mit Bürsten für den maschinellen Gebrauch und setzte zuletzt rund 22 Millionen Euro um. Nach Installation des Dokumenten-Management-Systems (DMS) ELO, das rund 90 000 Produkte abbildet und Auftragsbestätigungen, Lieferscheine und Rechnungen automatisch aus dem ERP-System übernimmt, entschieden sich die beiden Unternehmer, auch den Rechnungsversand elektronisch zu steuern - und zwar per Fax.

Pro und contra SAP

Schnell rechnet Zimmermann junior das beeindruckende Sparprogramm für jährlich rund 38 000 Rechnungen durch: Weil Kosten für Porto, Briefpapier und Umschläge entfallen, bleiben umgerechnet 35 000 Euro in der Kasse - den Verwaltungsaufwand fürs Ausdrucken, Falten, Einkuvertieren und Frankieren noch nicht eingerechnet. Doch der tatsächliche Wert der Lösung geht weit über den Kostenaspekt hinaus, was dem Chefcontroller erst sukzessive klar wurde. „Zwar ahnten wir, dass der neue Rechnungsversand auch unseren Kunden gefällt“, skizziert Zimmermann die Auswirkungen der IT. Entscheidender sei aber die Prozessbeschleunigung, die das DMS auslöst. „Der Komfort für Mitarbeiter und Kunden ist enorm.“ Kaum ist der Anrufer in der Leitung, schon hat das System alle Daten und Dokumente auf den Bildschirm gezaubert.

Diesen Beispielen zum Trotz rücken die Prozessrelevanz der IT und der erhöhte Kundenservice erst mit Verzögerung in den Fokus des Managements.

Foto:

Fixiert auf Kostenziele, bleibt vielen Unternehmern der Blick aufs Wesentliche verwehrt: IT dockt Kunden fester an, IT schafft Raum für neues unternehmerisches Engagement. Dafür braucht Johannes Winklhofer, Eigentümer der Münchener Iwis Ketten GmbH, keinen Aufklärungsunterricht mehr. „Bei unseren IT-Investitionen geht es weniger um Kostensenkung“, legt er seine Marschroute fest. „Mit IT suchen wir konkrete Geschäftsvorteile.“

Zwar bewegt sich Iwis Ketten, dessen Produktionsstätte in Landsberg jüngst als „Fabrik des Jahres“ ausgezeichnet wurde, in anderen „Sphären“ als der schwäbische Bürstenfabrikant. Viermal so viele Mitarbeiter erwirtschaften den sechsfachen Umsatz. Doch sind sich die beiden Firmen sehr ähnlich: Um technisch immer auf dem neuesten Stand zu sein, haben sie sich für IT-Leasing entschieden. Allerdings sind die Unterschiede gravierend: Während Mink-Bürsten ein für den Mittelstand ausgelegtes ERP-System, FET von E.Bootis, für die betriebswirtschaftliche Unternehmenssteuerung favorisiert, setzt der Kfz-Zulieferer Iwis seit 30 Jahren auf SAP - „sicherlich nicht, um Kosten zu sparen“, wie Winklhofer betont.

Verständigungsprobleme

Was für Zimmermann jenseits des unternehmerisch Vertretbaren - „SAP provoziert einen riesigen Aufwand und ist viel zu teuer“ -, ist für Winklhofer schlichtweg Bedingung, „um Prozesse zu unterstützen, Abläufe zu automatisieren und die Informationstransparenz für Mitarbeiter zu erhöhen“. Wie für die Branche typisch, nimmt der Wettbewerbsdruck für den Autozulieferer unentwegt zu. „Schon aus Vertragsgründen“, erklärt der Unternehmer, komme es daher auf eine optimale IT-Integration mit Auftraggebern und Partnern an.

Überhaupt scheinen sich am Thema ERP die Geister zu scheiden. „SAP könnte im Mittelstand offene Türen einrennen“, wundert sich Berater Kubsch. Doch Deutschlands Vorzeige-Softwarefirma scheitere an dem Versuch, sich in die Welt der Firmen einzufühlen. „Spätestens bei der Angebotsvorlage“ werde den Unternehmern klar, dass sie mit einem Partner auf Augenhöhe besser beraten sind - „der die gleiche Sprache spricht, reelle Preise anbietet und durch Service überzeugt“, so Kubsch.

Diese Verständigungsprobleme gehen weit über das Thema ERP hinaus und beziehen auch IT-Dienstleistungen ein. Winklhofer ärgert sich über das arrogante Auftreten von Anbietern: „Oft wird man durch Kauderwelsch irritiert.“ Mit dieser Auffassung ist er nicht allein. In kleinen und mittelgroßen Unternehmen, heißt es in einer Hamburger Studie über den Mittelstand, mangelt es an vertrauensbildender Beratung und kundenorientierten Angeboten. Dringend geboten sei eine „Risikoverteilung durch neue Preis- und Servicemodelle“, die sich auch vertraglich niederschlagen müsse.

Expansion dank Outsourcing

Die Angst, sich unbeherrschbarer Technik auszuliefern oder gewieften Verkäufern zum Opfer zu fallen, ist deshalb nicht unbegründet und weit verbreitet. Viele Mittelständler, sagt IHK-Mann Burger, würden ihre IT am liebsten auslagern, „weil sie ihnen einfach lästig ist“. Die Münchener Buchhandelskette Hugendubel machte kurzen Prozess und gliederte vor drei Jahren ihre komplette IT-Abteilung einschließlich 13 Mitarbeitern als eigenständige Tochter aus. Doch die Entscheidung, sagt Udo Würtz, einst DV-Leiter der Buchhandlung und heute gemeinsam mit Maximilian Hugendubel für die Geschäftsführung der IT-Tochter Paragon Data GmbH verantwortlich, fiel nicht aus Frust über ein leidiges Thema. „Durch Outsourcing wollten wir vielmehr das Stammgeschäft vorantreiben sowie finanzielle und strategische Vorteile erringen.“

Blütenträume eines Schöngeistes? Ganz im Gegenteil. Im Unterschied zum Gesamtmarkt, dessen Umsatz tendenziell rückläufig ist, verfolgt Hugendubel eine ehrgeizige Expansionsstrategie. Die anhaltende Konsolidierung der Branche, in der immer mehr Buchhändler vor dem Aus stehen, will Hugendubel gezielt durch Zukäufe nutzen. „Dafür brauchen wir eine schlagkräftige IT“, sagt Würtz. „Sie muss neue Geschäftsfelder zügig integrieren und den erweiterten Betrieb sicherstellen.“

Dem Angriff standhalten

Die größte Herausforderung indes kommt auf die Hugendubel-IT, die personell um 50 Prozent gewachsen ist und ihren Service inzwischen auch anderen Unternehmen erfolgreich anbietet, erst noch zu: Ab 2008 werden sich auf breiter Front neben Hörbüchern auch elektronische Bücher durchsetzen, die bequem aus dem Internet heruntergeladen oder etwa als DVD erworben werden können. Würtz: „Nur wer leistungsstarke IT unterhält, wird dem massiven Angriff auf Unternehmensstrukturen und Handelskanäle überhaupt standhalten können.“

Winfried Gertz ist freier Journalist in Starnberg.