Krankenversicherungen schmieden IT-Allianz - ohne SAP

23.11.2006
220 Krankenkassen wollen gemeinsam Rechenzentren und Softwareentwicklung betreiben. Die geplante IT-Holding will, anders als die AOKs, ohne SAP-Software auskommen.

Die mit der Gesundheitsreform geplante Auflösung und Neuorganisation der Kassenverbände bis 2008 und der Zwang zu Kosteneinsparungen bringen die bisherigen IT-Strategien der Akteure auf den Prüfstand. So kommt es jetzt zu einem spektakulären Bündnis: Die DAK, Deutschlands zweitgrößte Kasse, der BKK Bundesverband, der IKK-Bundesverband sowie weitere Ersatzkrankenkassen haben in einem "Letter of Intent" vereinbart, auf dem Gebiet der IT und dazugehöriger Services gemeinsame Sache machen zu wollen. Ziel ist es, bis Ende Juni 2007 eine IT-Holding zu gründen, die IT-Gesellschaften und Rechenzentren der Beteiligten vereint. Damit würde der größte Anbieter von IT-Lösungen in der Gesetzlichen Krankenversicherung entstehen, der für rund 220 Krankenkassen (von etwa 250 in Deutschland) mit 26 Millionen Versicherten (rund 40 Prozent Marktanteil in der GKV) zuständig wäre. Die Holding soll im Endausbau mit einem jährlichen Budget von 200 Millionen Euro ausgestattet sein und über 1000 Mitarbeiter beschäftigen.

Allein in den beteiligten Krankenkassen würden 45 000 Mitarbeiter vom gemeinsamen Dienstleister mit Software und Services versorgt. Letztere umfassen die Softwareentwicklung und das IT-Consulting, den Betrieb von Netzen und Rechenzentren, den Betrieb und die Fachberatung von Anwendungssoftware, Telematik-Dienste, dispositive Datenverarbeitung sowie weitergehende Dienstleistungen zur Unterstützung der operativen Prozesse. Die beteiligten Kassen und Verbände erwarten sich von der Bündelung ihrer IT-Kräfte einen deutlichen Effizienzgewinn, da bestehende Strukturen optimiert und somit Ressourcen für die Entwicklung neuer, innovativer IT-Lösungen freigesetzt werden könnten. Dazu wird in einem ersten Schritt beispielsweise auch die Umsetzung der elektronischen Gesundheitskarte gehören (siehe auch "Streit um die Gesundheitskarte geht in die nächste Runde").

Die Vereinbarung treibt die Spaltung der Krankenkassenlandschaft in Sachen IT voran. Bisher hatten sich hier drei Gruppen gegenübergestanden: Die IKKs und BKKs und einige Erstatzkassen ließen über ihre IT-Tochter ISKV GmbH in Essen die Krankenkassensoftware "ISKV" entwickeln. Den Betrieb übernahmen die Rechenzentren/Dienstleister ISC WEST eG, GSKV GmbH , IKK ISC, ITSC (die sich aber nicht an der Holding beteiligen wird) sowie das Rechenzentrum der IKK Baden-Württemberg und Hessen. Diesem IT-Verbund stehen die AOKs mit ihrer IT-Tochter AOK Systems in Troisdorf gegenüber. Diese entwickelt und verwaltet mit "Oscare" eine eigene Lösung auf der Basis von SAP-Software. Das Projekt hatte in der Vergangenheit aufgrund seiner hohen Kosten und der Verzögerungen in der Produktentwicklung bereits für Zündstoff gesorgt hatte (siehe auch "SAP-Projekt der AOK kriselt"). Zwischen diesen beiden Gruppierungen stehen die Krankenkassen des VDAK, die bisher auf Eigenentwicklungen setzen. Zu ihnen zählen die Barmer Ersatzkasse, die sich bereits für Oscare entschieden hatte, sowie nun die DAK, die ihre eigene Lösung zugunsten von ISKV aufgeben will und mit ihrer IT-Abteilung hinzustößt. Die noch verbliebenen Kassen wie etwa die Techniker Krankenkasse dürften nun heiß von den Kontrahenten umworben werden.

Eine Schlappe bedeutet die Blockbildung nicht nur für AOK Systems, sondern vor allem auch für die SAP, hatte der Konzern sich doch eine bedeutende Rolle in der künftigen Krankenkassenlandschaft ausgerechnet. Stattdessen heißt nun für die große Mehrheit der Kassen die Softwarezukunft "ISKV 21c" (21st Century). Dabei handelt es sich um die Nachfolgearchitektur von ISKV, deren Benutzeroberfläche nicht mehr dem neuesten Stand entsprach. Der Nachfolger wird in diesem Jahr pilotiert und ab dem kommenden Jahr sukzessive ausgeliefert. Basierend auf einer Java-Architektur wird die Software eine Reihe von Anwendungsmodulen wie Melde- und Beitragswesen, Fibu oder Leistungsverwaltung, die nicht aus Walldorf kommen. Vielmehr empfiehlt der Dienstleister ISKV für die Hauptbuchhaltung Software des Anbieters Wilken. Hierzu wurde eine strategische Partnerschaft geschlossen, die eine enge Verzahnung in die übrigen Anwendungen vorsieht. Zudem sind Erweiterungen beispielsweise für CRM (Eigenentwicklung) oder Business Intelligence (vom Anbieter Cognos) erhältlich. Die BKKs nutzen zudem seit einigen Jahren ein Data Warehouse von Teradata als Analysebasis. (siehe auch "Mit dem Data Warehouse gegen Versicherungsbetrüger"). Laut einem Insider soll das neue System nur ein Bruchteil der SAP-Lösung kosten, die derzeit mit stolzen 540 Millionen Euro budgetiert wird. (as)