Warum Unternehmen sich ändern müssen

Kunden an der Macht

14.04.2014 von Klemens Skibicki
In den vergangenen Jahren haben Unternehmen begonnen, Social-Media-Kanäle für sich nutzbar zu machen. Nicht immer ist ihnen die Tragweite ihres Tuns bewusst.

So ziemlich jeder hat zur Kenntnis genommen, dass in den letzten Jahren etwas Großes passiert ist. Das soziale Netzwerk Facebook zählt keine zehn Jahre nach seiner Gründung 1,2 Milliarden Nutzer. Youtube ist im achten Jahr des Bestehens mit einer Milliarde Nutzer die größte Bewegtbildplattform. Twitter ist heute mit einem weit größeren "Korrespondentennetz" ausgestattet als jeder professionelle Nachrichtenticker. Waren Unverständnis oder gar Abwehrhaltung in den Entscheideretagen zunächst weit verbreitet, haben die Unternehmen inzwischen längst die neuen Kanäle für sich entdeckt.

Foto: Sashkin, Shutterstock.com

Einige schichten bereits massiv Budgets auf die neuen Medien um. Trotzdem wird immer noch zu oft der Fehler begangen, ausschließlich nach dem Return on Investment von Social-Media-Aktivitäten zu fragen, statt sich gründlich mit den neuen Kanalen zu beschäftigen und in der Folge eigene Strukturen und Verhaltensweisen zu hinterfragen.

Grundlegend neue Rahmenbedingungen

Social Media - allen voran Facebook, Twitter und Youtube - haben die Rahmenbedingungen von Kommunikation grundlegend und nachhaltig verändert. Jeder Internet-Nutzer kann über soziale Medien immer, von überall und prinzipiell an eine unbegrenzte Anzahl von Menschen Botschaften in Form von Texten, Bildern oder Videos senden. Ebenso kann er diese empfangen, kommentieren und nach Bedarf weiterleiten. Noch vor wenigen Jahren waren solche Möglichkeiten wenigen Redakteuren in TV, Radio oder Printmedien vorbehalten.Einseitiges Senden an viele Empfänger war die Regel.

In der Kommunikationswelt des Social Web haben Konsumenten nicht nur Zugriff auf klassische Informationskanäle, sondern auch auf Meinungen, Empfehlungen und Warnungen von Menschen. Diesen wird im Zweifel eher zugehört und Vertrauen geschenkt als unternehmensgesteuerten Informationen. Damit findet eine nachhaltige Machtverschiebung zum Konsumenten statt - und das auf allen Märkten.

Die Macht des Geldes
Wir haben einmal die Treiber der „Social-Media-Bewegung“ aufgeführt und sie nach ihrer Marktkapitalisierung eingeordnet. Außerdem haben wir den am 29. Oktober 2013 ermittelten Aktienkurs angegeben.
Platz 4: Facebook
Marktkapitalisierung in Milliarden Dollar: 126,51 <br> Aktienkurs in Dollar (per 29.10.2013): 50,29
Platz 2: Google
Marktkapitalisierung in Milliarden Dollar: 340,91 <br> Aktienkurs in Dollar (per 29.10.2013): 1017,01
Platz 1: Apple
Marktkapitalisierung in Milliarden Dollar: 477,83 <br> Aktienkurs in Dollar (per 29.10.2013): 530,81

Unternehmen und Massenmedien haben das Monopol, Informationen zu deuten, verloren, ihr Einfluss auf die viel zitierte "öffentliche Meinung" ist nur noch begrenzt. Im Social Web kann sich der Konsument zu geringen Kosten mit jedem anderen Nutzer austauschen. Mit einer Statusmeldung können in Sekunden gleichzeitig Hunderte oder gar Tausende Menschen erreicht werden. Die Ausbreitung von Smartphones mit Internet-Zugang verstärkt diesen Trend noch.

Ein Bekannter "haftet" mit seinem sozialen Kapital, riskiert also die Freundschaft, wenn er etwas empfiehlt, hinter dem er nicht steht oder wofür er vielleicht sogar "gekauft" wurde. Menschen machen auf Facebook & Co. via Statusmeldungen, Likes und Weiterleitungen das, was sie auf Partys tun: Sie führen Gespräche über Alltägliches und Triviales genauso, wie sie über Produkte und Unternehmen sprechen und Tipps oder Warnungen dazu abgeben.

Unerheblich ist dabei, ob man sich über Konsumgüter oder B2B-Produkte austauscht. Es geht unabhängig von den einzelnen Inhalten um das dialogische Gesprächsprinzip, das Facebook, Google+, LinkedIn, Xing etc. etabliert haben. Wichtig: Mit Marktschreierei erzeugen Unternehmen im Social Web sicher kein positives Feedback.

Beispiel Allianz Versicherung

So berichtet beispielsweise die Allianz AG auf Facebook im Zusammenhang mit Kunden aus der Filmbranche weniger von sich als tollem Versicherer. Sie malt zum Start des jüngsten James-Bond-Films aus, wie viele Autos bei den Dreharbeiten "geschrottet" wurden. Das interessiert viele - und die Allianz liefert die Hintergrundinformationen, die sie als Versicherer besitzt.

Kritiker fragen oft, was solche Aktionen bringen. Die Antwort ist einfach: Empfehlungen zwischen Menschen haben einen weit höheren Einfluss als alles, was althergebrachte Medien oder PR-Abteilungen liefern können. Die Erwähnung von Marken funktioniert im Social Web so wie im Partygespräch. Andererseits entfaltet auch Kritik eine ungeheure Kraft. Selbst eine massive Erhöhung der Werbeausgaben wird kaum helfen, gegen die öffentliche Meinung im Social Web anzukämpfen.

erwaehnung
Die Anwendung „mention“ mit dem etwas unglücklichem deutschen Namen „Erwaehnung“: Sie steht als Web-Anwendung oder wie hier auch als Windows-Programm bereit. Die versprochene Android-App konnten wir auf einem deutschen Nexus Tablet nicht installieren.
Alarmmeldungen
Durchsucht das Web nach genau vorgegebenen Suchbegriffen und einigen Regeln: Der Anwender kann in der freien Version drei dieser „Alarmmeldungen“ definieren.
Gesucht, gefunden
Die einfachste Art, einen Alarm zu setzen und die Meldungen mit Hilfe von „Erwaehnung“ zu verfolgen: Es wird einfach nach einer bestimmten Zeichenkette (beispielsweise einem Namen) in den ausgewählten Quellen gefunden und angezeigt.
PDF-Export
Was uns an „Erwaehnung“ gut gefallen hat: Erstellte Statistiken und Reports lassen sich schnell und einfach in PDF-Dateien exportieren.
TwentyFeet
Aus der „hohen Sicht“ der Giraffe: TwentyFeet bietet dem Anwender eine Übersicht über seine Tätigkeiten im Netz – dabei steht ihm die Auswertung eines Twitter- und eines Facebook-Kontos kostenlos zur Verfügung.
Auswertungen
Wer umfangreiche Informationen auswerten will, der muss einer Anwendung den Zugriff auf seine Konten erlauben: Das ist bei TwentyFeet nicht anders als bei vielen anderen Anwendungen und Web-Seiten rund um dieses Thema.
Kritische Stelle
An dieser Stelle kann es kritisch werden – jedenfalls für sicherheitsbewusste Anwender: Eine Analyse-Software wie TwentyFeet möchte viele Rechte eingeräumt auf das Anwenderkonto eingeräumt bekommen.
Umfangreich
Kann bei der Auswertung von Social-Media-Kanälen einen guten Überblick gewähren: Neben den Indikatoren zum Einfluss des Nutzers (der sich auch anhand der Retweets ausmachen lässt), stellt TwentyFeet eine Menge andere Daten zur Verfügung.
SproutSocial
Ist zwar nicht kostenlos, SproutSocial bietet aber in allen verfügbaren Ausprägungen die Möglichkeit, diese Features für 30 Tage ohne Einschränkungen zu testen.
Dashboard
Ein „Dashboard“ gehört bei fast allen Lösung zum Monitoring und Überwachen von Social Media dazu: Da macht auch Sprout Social keine Ausnahme – allerdings muss der Nutzer hier zunächst mal einen Überblick gewinnen.
Mobile Monitoring
Hinein in den Nachrichtenstrom: Mit Hilfe der Android-App von SproutSocial können Anwender nicht nur auswerten, einen News Stream auch mobil beobachten und auswerten.
SocialMotus
Der Nutzer kann sich auch bei "SocialMotus" mit Twitter, Facebook und LinkedIn verbinden – etwas „exotischere“ Kanäle wie Google+ bleiben leider außen vor.
Rechte abtreten
Ist ebenfalls bei allen Werkzeugen für Social Media notwendig: Der Anwendung – wie hier SocialMotus beim Zugriff auf LinkedIn – müssen weitreichende Rechte eingeräumt werden
Twitter-Analyse
Gute Analysemethoden für Twitter: Beim Einsatz von SociaMotus sehr genau nachverfolgen (und damit bewerten), welche Aktivitäten bei einem Twitter-Account ablaufen.
Facebook-Analyse
Das Portal SocialMotus kann dann auch im Namen des Nutzers auf Facebook posten: Durch einen Klick auf den gleichen Hinweis „SocialMotus“ wird das dann auch deutlicher.
Tweetdeck
Nicht unbedingt das ideale Analyse-Tool: Aber für den Überblick und die Verwaltung mehrerer Twitter-Accounts lässt sich auch das kostenlose Tweetdeck gut einsetzen – zumal auch hier mit Filtern gearbeitet werden kann.
MetroTwit for Windows 8
Twittern auch im „Kachel-Stil“: Mit „MetroTwit for Windows 8“ steht eine Lösung bereit, die sich dann auch leichter auf Tablets bedienen lässt. Allerdings kann in der freien Version nur ein Konto verwaltet werden.
Der wichtige Security-Tipp zum Schluss
Werden die verschiedenen Analyse- und Überwachungswerkzeuge nicht mehr gebraucht, so ist es Pflicht, diesen Programmen in den Einstellungen (hier am Beispiel Twitter gezeigt) wieder den Zugriff zu verwehren.

In Zeiten solch fundamentalen Wandels haben Unternehmen ein Problem: Etablierte und einstudierte Muster und Metriken der Kundenkommunikation in der "alten Welt" helfen im Social Web nicht weiter. Früher ließen sich Reaktionen der Konsumenten in Umfragen, Telefonaten oder Live-Treffen erheben. Zwar waren die Kosten hoch, doch die Risiken blieben überschaubar. Heute sind Reaktionen von Konsumenten im Social Web für jedermann sichtbar und nachvollziehbar. Gleichzeitig können Kunden unmittelbar nachfragen - ein Umstand, auf den sich Unternehmen vorbereiten müssen.

Die Marktmachtverschiebung zum Konsumenten bringt also massive Herausforderungen mit sich. Unternehmen müssen ihre Prozesse entlang der Wertschöpfungskette umgestalten: weg von einseitiger, zentraler Push-Kommunikation und hin zum lebendigen Dialog mit dem Kunden - in welchem Netz auch immer er sich aufhält.

Monitoring-Systeme erlauben mittlerweile, die Diskussionen im Social Web auszuwerten. Unternehmen, die das tun und sich aktiv in die öffentlichen Gespräche einschalten, können bessere Entscheidungen treffen. Musste früher viel Geld für Marktforschung und Kommunikationssteuerung in die Hand genommen werden, um den Kunden mit seinen Bedürfnissen zu verstehen, bieten soziale Medien nun ganz neue Chancen: Richtig genutzt, helfen sie der Produktentwicklung, dem Marketing, dem Kundenservice und der PR, näher am Kunden zu sein und sich mit ihm auszutauschen.

Social Media - eine Entwicklung verändert die Welt
Heute ist klar: Social Media kann Gesellschaften ebenso auf den Kopf stellen wie Geschäftsprozesse radikal ändern. Einen Weg zurück gibt es nicht.
Was im Internet in 60 Sekunde passiert
Quellen: www.pcmag.com, www.go-gulf.com, www.businessinsider.com, www.dailymail.co.uk, www.4mat.com, www.scoop.intel.com, IDC, Gartner, eigene Recherche
Genutzt Internet-Dienste
n = 6.739; Mehrfachnennungen; Angaben in Prozent
Die 20 Firmen mit den meisten Fans bei Facebook im Oktober 2013
Weltweit; Angaben Millionen Fans
Die Top 10 der deutschsprachigen Leitmedien der Social-Network-Nutzer im September 2013
Welche Magazine, Nachrichten-Websites und Blogs werden bei Facebook, Twitter und Google+ am häufigsten empfohlen, geliket, verlinkt?

Business kontra IT: 3 Top-Gründe
Angaben in Prozent; Untersuchung von Experton bei 309 deutschen Unternehmen mit mindestens 100 Mitarbeitern.

Welche sozialen Medien besuchen Nutzer am häufigsten?
Unique Visitors pro Monat in Tausend vom Dezember 2012 bis Mai 2013
Haben sich Ihre Social-Media-Aktivitäten für Ihr Unternehmen bisher gelohnt?
2012In Prozent (Anteil der Befragten); Deutschland; Basis 2012: n = 124, Basis 2011: n = 13;Forschungswerk; Business Intelligence Group; 2011 und 2012

Nutzer von sozialen Netzwerken von 2011 bis 2017 weltweit
Internet-Nutzer, die ein soziales Netz mit irgendeinem Gerätetyp mindestens einmal im Monat besuchen.

Internet und Gewalt
n = 1.953; Angaben in Prozent; Kategorie „weiß nicht“ wurde nicht berücksichtigt

Welche sozialen Netze nutzen die Fortune 500-Unternehmen?
Prozentanzeil der Nutzung von jedem der sozialen Netze im Juli 2013

Welche der folgenden Social-Media-Marketing-Instrumente setzen Sie ein?
Anteil der Befragten in Prozent; Deutschland; n 0 536 Unternehmen
Warum sind Sie "Fan" oder "Follower" von einem Unternehmen oder einer Marke?
In Prozent

Wenn Facebook eine Nation wäre ...

Welche genauen Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Social-Media-Marketing-Maßnahmen?
Anteil der Unternehmen in Prozent; Deutschland; n = 616 Unternehmen
Wichtigstes Medium
In Prozent; alle Befragten (n = 3.050; 70.214 Mio. Personen ab 14 Jahre); 2011: 3.076 Befragte; 2009: 2.000 Befragte; In Prozent; alle Befragten (n = 3.050; 70.214 Mio. Personen); Max. VS / HS: n = 589; 26,706 Mio.); Mittlerer Bildungsab-schluss (n = 1.039; 23,760 Mio.); (Fach-) Hochschule (n= 1.388; 18,312 Mio.)

Telekom und Bahn

In Deutschland gehörten die Telekom und die Deutsche Bahn zu den ersten Unternehmen, die auf Twitter und Facebook in den Dialog mit ihren Kunden traten. Beide Konzerne legten Wert darauf, die Auswirkungen dieses neuen Engagements auf die gesamte Wertschöpfungskette zu analysieren und nicht nur auf den "Business-Case Kundenservice". So zeigten sich auch die positiven Einflüsse auf die PR-Arbeit, die Markenwahrnehmung und die langfristige Kundenbindung.

Coca-Cola

Coca-Cola machte in diesem Jahr mit einer Marketing-Kampagne zur Kundenbindung von sich reden: Das Unternehmen ließ Vornamen auf die Markenetiketten drucken. Prompt kauften Kunden Flaschen mit ihren Namen in den Supermarktregalen, fotografierten diese und posteten sie in den sozialen Netzwerken. Coke kam auf diese Weise als Marke millionenfach in die Newsfeeds auf Facebook & Co. - kostenlos.

Dell

Dell richtete bereits vor Jahren mehrere "Listening & Command Center" ein. Sie erfassten mit MonitoringDiensten weltweit die rund 27.000 Erwähnungen von Dell im Social Web, werteten sie aus und leiteten sie umgehend an verschiedene Entscheider in der Wertschöpfungskette weiter. Besonders wichtige Trends laufen bei einem "Chief Listening Officer" zusammen. Dieser hat die Befugnis, Entscheidungen für die Entwicklung von Produkten auf der Basis der Social-Web-Auswertungen zu verändern, die vorher allein von der Entwicklungsabteilung getroffen wurden.

Malerbetrieb Heyse

Der kleine Malerbetrieb Heyse bei Hannover startete 2011 mit ersten Aktivitäten im Social Web. Heute steht er, ausgehend von einem zentralen Blog, auf allen gängigen Plattformen wie Facebook, Xing, Google+, Twitter, Instagram, Pinterest etc. für Dialoge zur Verfügung. Dort versorgt er seine Follower mit Geschichten aus dem Alltagsleben der rund 20 Mitarbeiter. Der Eigentümer Matthias Schultze beziffert den täglichen Zeitaufwand hierfür auf rund vier Stunden. Dem steht aber ein zusätzlicher Umsatz durch direkte Akquisition oder Empfehlungen im Social Web von 360.000 Euro im Jahr 2012 gegenüber - Tendenz 2013 stark steigend. (mhr)