Wie Top-Teams funktionieren

Leadership statt Alleingänge

09.03.2012 von Renate Oettinger
Warum der Vorstand eines Unternehmens eine Leistungsgemeinschaft sein muss, sagen Dr. Kai Dierke und Dr. Anke Houben.

Knirscht es auf der Top-Ebene von Unternehmen, dann gefährdet dies deren Erfolg und zuweilen sogar die Existenz. Davon sind die beiden Top-Management-Berater Dr. Kai Dierke und Dr. Anke Houben, Zürich, überzeugt.

Frau Dr. Houben und Herr Dr. Dierke, Sie beraten Vorstände internationaler Großunternehmen. Hat die Finanzkrise das Denken der Top-Manager verändert?

Dierke: Ja. Sie beschäftigen sich viel intensiver mit der Frage: Wie kann ich mein Unternehmen gegen unvorgesehene, äußere Risiken absichern? Aus dem Blick geraten dabei aber oft die inneren Risiken, die den Unternehmenserfolg mindestens ebenso gefährden.

Welche Risiken meinen Sie damit?

Foto: Fotolia, Robert Kneschke

Houben: Zum Beispiel das Leadership-Risiko. Es besteht darin, dass das Top-Team eines Unternehmens nicht optimal zusammenarbeitet und funktioniert.

Dierke: Bei Top-Managern wie CEOs beobachtet man unter Druck immer wieder folgende Verhaltensweise: Sie wählen eher den "Alleingang" als die konsequente Arbeit im Team. Sie lassen wenig Dialog, geschweige denn Feedback zu und gefährden durch ihre Alleingänge den Erfolg, zuweilen sogar die Existenz des Unternehmens.

Gefährliche Alleingänge der CEOs

Können Sie hierfür ein Beispiel nennen?

Dierke: Prominente Beispiele wie Wiedeking bei Porsche, von Pierer bei Siemens oder Fuld bei Lehman Brothers sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie brachten ihre Unternehmen zwar voran, setzten diese aber zugleich enormen Risiken aus. Ihre Alleingänge wurden nicht durch das "Team at the Top" ausbalanciert.

Houben: Auch bei unserer täglichen Arbeit registrieren wir immer wieder ein Sich-Abkapseln der Vorstandsmitglieder unter Stress; des Weiteren eine Quasi-Entmachtung der Vorstandsteams durch die CEOs. Dabei lassen sich insbesondere drei Verhaltensmuster beobachten.

Die schlimmsten Zahlenpatzer
Zahlendreher und Rechenfehler
CIOs erhalten tagtäglich eine Fülle an Berichten. Da bleiben kleine Fehler schnell unbemerkt - mit teils katastrophalen Folgen.
Adam Ries soll GEZ-Gebühren zahlen
Im März 2009 schickte die GEZ eine Zahlungsaufforderung an Adam Ries. Soweit ist das nichts Ungewöhnliches, doch der Zahlen- und Rechenkünstler ist seit rund 450 Jahren tot. Ein Rechenfehler der GEZ-Behörde sorgte dafür, dass das Adam-Ries-Museum in Annaberg-Buchholz einen Bescheid erhielt, wonach der Gelehrte die Rundfunk- und Fernsehgebühren entrichten sollte. Auch nach der Richtigstellung seitens des Museums folgten weitere Mahnungen - zudem wurde Ries auch aufgefordert, seine Rundfunk-Teilnehmernummer endlich bekannt zu geben.
Rundungsfehler bei der Pferdesport-EM
Bei der Pferdesport-EM 2010 in Prag zeigte das deutsche Team eine beinahe fehlerfreie Darbietung. Überraschenderweise überreichten die Preisrichter aufgrund eines Rechenfehlers anstelle der Goldmedaille den Silberpokal. Ein Rundungsfehler sorgte dafür, dass das Team der Briten irrtümlich eine höhere Gesamtpunktezahl erhielt und somit vor dem Team aus Deutschland lag. Bei einem zweiten Wertungsdurchgang wurde der Fehler behoben und England und Deutschland teilten sich den ersten Platz.
Zu lange Haft durch Rechenpatzer
Das Amtsgericht Heidenheim verurteilte 2008 einen jungen Mann wegen schweren Raubes zu dreieinhalb Jahren Gesamtfreiheitsstrafe. Dieses Jahr hat der Täter hat nicht nur seine Strafe verbüßt, er saß zudem sieben Monate zu lang hinter Gittern. Bei der Strafermittelung unterlief dem Rechtspfleger ein Rechenpatzer: Er vergaß die sieben Monate anzurechnen, die der Verurteilte bereits ausgesetzt hatte. Das ist aber weder dem Gericht noch dem Täter aufgefallen - erst bei seiner Entlassung wurde der Fehler bemerkt.
Ökoenergie mit Rechenfehler
Wegen einer falsch berechneten EEG-Umlage stiegen dieses Jahr die Preise für Ökostrom bei rund 750 Versorgern drastisch an. Es hat sich aber herausgestellt, dass die Stromkosten zu hoch angesetzt wurden, da 2010 weniger Solaranlagen einer Neuinstallierung unterlagen als eigentlich vorgesehen war. Statt 2,7 Cent mussten die Verbraucher nun 3,5 Cent pro Kilowattstunde bezahlen. Das Verbraucherportal Verivox errechnete, dass die Verbraucher insgesamt 882 Millionen Euro zu viel für ihren Strom gezahlt haben. Dieser Betrag soll zwischen den Energieversorgern und den Übertragungsnetzbetreibern mit der EEG-Umlage von 2012 verrechnet werden.
Denkfehler bei der Bahn
In Nordrhein-Westfalen steht die höchste Eisenbahnbrücke in Deutschland. Die Müngstener Brücke ist 107 Meter hoch, 465 Meter lang und mit ihren 112 Jahren an vielen Ecken und Enden rostig. Daher ließ die Bahn in diesem Jahr die Brücke prüfen und sanieren. Dabei ist dem Verantwortlichen ein Denkfehler unterlaufen. Bei der Sicherheitsüberprüfung ging man rein von dem Gewicht eines leeren Zuges aus und vergaß vollkommen die zusätzliche Last durch Güter und Fahrgäste. Jetzt können zwar die Züge die Brücke nutzen, aber nur wenn diese leer sind.
Fehleinschätzung beim Bau der Boing 737
Im Frühjahr dieses Jahres hatten die 123 Passagiere einer Boing 737 ein besonderes Erlebnis: In rund zehn Kilometer höhe riss das Dach der Kabine auf und die Passagiere konnten durch einen eineinhalb Meter langen Riss den Himmel "bewundern". Bei einer anschließenden Überprüfung zeigte sich, dass die vernieteten Übergänge zwischen den Aluminiumplatten die Unfallursache war. Das sorgte umgehend für eine Überprüfung von ähnlichen Flugzeugtypen auf diese Schwachstellen. Bei einigen baugleichen Boings wurden dabei kleine Risse in der Außenhülle gefunden. Dieses Verschleiß-Problem war den Boeing-Ingenieure von Anfang an bekannt. Allerdings ging das Unternehmen davon aus, dass die Ermüdung des Materials frühestens nach 60.000 Flügen beginnt. Das Unglücksflugzeug hatte aber nach seiner 15-jährigen Dienstzeit nur rund 39.000 Flüge absolviert.

Typische Verhaltensmuster bei Stress

Welche?

Foto: Andres Rodriguez/Fotolia.de

Houben: Da ist erstens der "klassische Held". Er reagiert auf Komplexität mit einer Dramatisierung der Situation und Schwarz-Weiß-Rhetorik. Das ist bei einem Turnaround ein angemessenes Verhalten. Zündet ein CEO oder CFO aber ständig "die Bühne an", dann findet in der Regel keine gemeinsame Analyse und kein Dialog im Top-Team mehr statt. Das Team folgt vielmehr dem Helden auf dem Pfad des Aktionismus. Die Folge: Das Top-Team und die Organisation werden auf Dauer "sauer" gefahren.

Dierke: Der zweite Typ ist der "Erfahrene der ersten Stunde". Er will komplexe Probleme mit Erfolgsrezepten der Vergangenheit lösen - nach dem Motto "Das hat immer funktioniert". In globalisierten, technologiebasierten Märkten liegt in einem solchen Verhalten ein immenses Risiko. Denn Top-Manager, die so agieren, blenden die Komplexität aus und stellen sich nicht konsequent den neuen Realitäten.

Und der dritte Typ?

Houben: Ist der "meinungsstarke Unbeirrbare". Er begründet sein Verhalten mit den Verhältnissen, nach dem Prinzip: "Ich habe keine Alternative - entweder ihr seid für oder gegen mich." Er fordert bedingungslose Loyalität und stellt das Top-Team vor eine Scheinwahl. Innere Emigration und Demotivation sind häufig das Resultat.

Von Alphatieren und Strukturen

Warum zeigen Top-Manager in Stresssituationen oft diese gefährlichen Verhaltensmuster?

Dierke: Vor allem aus zwei Gründen: Erstens sind die Denkmuster von Top-Managern nun mal leistungs-, ergebnis- und somit auch wettbewerbsorientiert. Der Alphatier-Habitus ist ihr Erfolgsrezept, um an die Spitze zu gelangen und dort zu überleben. Deshalb sind viele CEOs wenig auf Dialog und Annahme von ehrlichem Feedback getrimmt. Und dieser Tunnelblick verstärkt sich in Zeiten zunehmender Komplexität.

Und der zweite Grund?

Houben: Sind Strukturen und Systeme, die der Teamarbeit im Vorstand entgegenwirken. Bereichsvorstände streben oft primär nach einem Optimieren ihres Bereichs. Denn dies ist ihre Kernaufgabe. Auch die Kompensations-, Zielerreichungssysteme und Budgets sind in erster Linie bereichsorientiert definiert.

Heißt das, an der Firmenspitze ist die Konkurrenz besonders stark?

Houben: Ja. Deshalb gibt es dort auch keine natürliche Entwicklung in Richtung "ein Team".

Die elf wichtigsten Soft Skills
1. Kommunikative Kompetenz
Ihre Kommunikationsfähigkeit hilft Ihnen, Konsens herzustellen und Verständnis für Ihre Ziele und Wünsche zu erzeugen.
2. Selbstbewusstsein
Selbstbewusst bedeutet unter anderem, sich selbst bewusst wahrzunehmen, die eigenen Stärken und Schwächen zu kennen.
3. Einfühlungsvermögen
Wer empathisch ist, kann andere leichter von seiner Sache überzeugen.
4. Teamfähigkeit
In jeder Stellenanzeige ist Teamfähigkeit gefordert. Teamfähig zu sein bedeutet unter anderem, seine Rolle im Team zu erkennen und sich entsprechend der an diese geknüpften Erwartungen zu verhalten.
5. Kritikfähigkeit
Kritikfähig zu sein bedeutet nicht nur, Kritik zu üben (fair, sachlich), sondern auch Kritik annehmen, reflektieren und entsprechend umsetzen zu können. Besonders in Teams, Projekten und in Führungssituationen spielt der Umgang mit Kritik eine entscheidende Rolle.
6. Analytische Kompetenz
Wenn Sie Ihre analytischen Fähigkeiten trainieren, sind Sie in der Lage, Situationen rasch zu erfassen und entsprechend schnell zu reagieren.
7. Vertrauenswürdigkeit
Vertrauen ist die Erwartung, sich in kritischen Situationen auf den anderen verlassen zu können.
8. Selbstdisziplin/Selbstbeherrschung
Wer sich nicht selbst beherrscht, bleibt immer Knecht. Nur wer sich selbst im Griff hat, kann andere überzeugen.
9. Neugierde
Neugierde ist die Voraussetzung für Kreativität.
10. Konfliktfähigkeit
Nur wenn Sie andere Auffassungen akzeptieren können und sich offen mit Ihren Mitmenschen auseinander setzen, leben Sie ein selbstbestimmtes Leben.
11. Durchsetzungsvermögen
Sich angemessen durchzusetzen bedeutet zu überzeugen, statt zu überreden - oder zu zwingen. Überzeugt folgen Ihnen andere gern auf Ihrem Weg.
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Das "Harmonie-Kartell" brechen

Wie können Top-Teams trotzdem erreichen, dass sie optimal zusammenarbeiten?

Dierke: Indem sie sich immer wieder vor Augen führen, dass sie Leistungsgemeinschaften mit einer klaren Zielausrichtung sind. Erst die gemeinsame Verpflichtung auf ein Ergebnis bei gegenseitigem In-die-Verantwortung-Nehmen macht ein Team wirksam. Deshalb ist der produktive Konflikt ein wichtiger Geburtshelfer jedes erfolgreichen Top-Teams.

Heißt das, die Teammitglieder müssen immer wieder gemeinsam ihr Verhalten hinterfragen?

Houben: Ja, denn es ist eine Fiktion anzunehmen, Teams an der Spitze würden automatisch einen High Performance-Status entwickeln. Sie müssen sich diesen systematisch und diszipliniert erarbeiten. Erst wenn das oberflächliche Harmonie-Kartell gebrochen ist, kann das Team eine höhere Stufe der Performance erklimmen.

Knirscht es bei diesem Prozess zuweilen?

Dierke: Ja, denn es ist ein mühsamer Prozess, sich als Team einen produktiven und effizienten Modus zu erarbeiten - und es ist genauso mühsam, ihn aufrechtzuerhalten. Deshalb lautet die Kernherausforderung für jedes Top-Team, sich durch ein konsequentes Reflektieren der eigenen Funktionalitäten und Disfunktionalitäten in einem Dialog über sich selbst zu halten.

Houben: Das Team muss also die Fähigkeit zur Selbstreflektion entwickeln. Dann kann es auch das Leadership-Risiko verringern. (oe)

Spielregeln für das Projekt-Team
Spielregeln für das Projekt-Team
Diese Spielregeln sorgen für eine offene Kommunikation und bieten auch im Konfliktfall eine Orientierung.
Tipp 2
Eine offene Kommunikation einhalten.
Tipp 3
Eine konstruktive Zusammenarbeit umsetzen.
Tipp 4
Zu Problemen grundsätzlich Lösungsvorschläge anbieten.
Tipp 6
Keine Arbeitspakete ohne Termin und Verantwortlichen definieren.
Tipp 7
Delegieren von Arbeitspaketen vermeiden.
Tipp 8
Lieber miteinander reden anstatt E-Mail-Ping-Pong zu spielen.
Tipp 9
Keine politischen Spielchen treiben.
Tipp 11
Dynamik entwickeln und auf das gesamte Projektteam sowie alle Anwender übertragen.

Dr. Kai Dierke und Dr. Anke Houben sind Managing Partner der Top Management Beratung Dierke Houben Associates, Zürich (www.dierkehouben.com).