Nach dem Sanierungskurs

LH-Systems-Chef Hansen im Interview

16.04.2012 von Heinrich Vaske
Stefan Hansen, der Vorstandsvorsitzende der Lufthansa Systems AG, hat einen heftigen Sanierungskurs abgeschlossen. Nun will er das Unternehmen auf Wachstumskurs führen - auch mit externen Kunden.

CW: Lufthansa Systems hat ein hartes Spar- und Restrukturierungsprogramm hinter sich. Die aktuellen Geschäftszahlen zeigen stagnierenden Umsatz und einen kleinen Gewinn. Ist der Umbau abgeschlossen?

Hat ein Drittel der Führungsmannschaft abgebaut: Der Vorstandsvorsitzende Stefan Hansen.
Foto: Lufthansa Systems

Hansen: Lufthansa Systems war, als ich im Juli 2010 anfing, in einer schwierigen Situation. Unsere wichtigste betriebliche Kenngröße, der Cash Value Added war in dem Jahr klar im Minus und es bestand dringender Handlungsbedarf. Heute ist das Unternehmen wieder auf Kurs. Wir haben das Ergebnis trotz Restrukturierungsmaßnahmen auf 19 Mio. Euro verdoppelt. Damit sind wir in einer guten Position, um im laufenden Jahr eine ordentliche Umsatzrendite zu erreichen.

CW: Was waren das für Restrukturierungsmaßnahmen?

Hansen: Wir haben ein Programm aufgesetzt, das wir Jetzt! genannt haben. Der unangenehmste Bestandteil war die Reduzierung der Mitarbeiterzahl und zwar in den deutschsprachigen tarifgebundenen Gesellschaften. Wir bauen zehn Prozent des Personals ab, das sind 250 Mitarbeiter. Das haben wir größtenteils in 2011 schon umgesetzt. Hinzu kommt ein Drittel der Führungsmannschaft.

CW: Warum dieser radikale Schnitt?

Hansen: Wir waren viel zu fragmentiert aufgestellt, hatten über 100 kleinere Profit Center. Und wir haben uns zu viel mit uns selbst beschäftigt und zu wenig Mehrwert generiert. Mit unseren Angeboten waren wir zu langsam und zu teuer - für den Lufthansa-Konzern und auch extern. Wir mussten strukturell schnell etwas ändern. Deshalb haben wir das Unternehmen jetzt in drei Bereiche strukturiert, über die wir in den Märkten agieren. Der eine bedient Lufthansa Passage mit den Verbund-Airlines. Der zweite adressiert die globale Airline-Industrie. Das ist ein globaler Markt, in dem wir einer der wichtigsten Player sind. Der dritte Bereich richtet sich an externe Kunden jenseits der Airlines.

Wichtig war für uns auch, den Fokus auf die Bestandskunden zu schärfen und mehr Partnerschaften einzugehen. Außerdem haben wir viele Dinge standardisiert und neue innovative Produkte entwickelt. Dazu zählt beispielsweise das Tool EasyMain für das Application Lifecycle Management und ein neues Arbeitsplatzmodell, bei dem wir die Anwendungen virtuell in unserem Rechenzentrum vorhalten.

CW: Sie haben zwischenzeitlich auch nach einem "globalen Partner" gesucht, auch als Übernahmekandidat wurden Sie gehandelt. Was ist passiert?

Hansen: Wir haben festgestellt, dass es für eine solche umfassende Option zu viele Widerstände im Konzern gibt. Die Gespräche haben gezeigt, dass die derzeitige IT-Organisation des Konzerns, also die Demand-Seite der Lufthansa, auf eine solche Zusammenarbeit nicht ausgerichtet ist. Deswegen ist das Thema gestoppt worden.

Wir arbeiten nun in bestimmten Projekten punktuell mit Partnern zusammen. Zum Beispiel mit Fujitsu Technology Solutions, mit denen wir einen globalen Vertrag abgeschlossen haben. Sie machen für uns den globalen Fieldservice im Bereich Desktop-Services.

Kein Outsourcing-Partner für Lufthansa

CW: War es wirklich die IT-Organisation der Lufthansa, die nicht reif für den großen Outsourcing-Partner war, oder war die Lufthansa Systems in einem zu schlechten Zustand, um gekauft zu werden?

Hansen: Es gab konkrete Gespräche und auch Unternehmen, die ich als Partner interessant gefunden hätte. Bei anderen konnte ich es mir von Beginn an nicht vorstellen. Ein großer Player wollte sogar unbedingt und war enttäuscht, dass nichts daraus geworden ist. Wir sind schon für viele interessant, nicht nur wegen der bestehenden Verträge mit der Lufthansa, sondern auch wegen unseren anderen Kunden. Letztendlich ist es aber aus den genannten Gründen nicht zum Abschluss gekommen.

CW: Der Umsatzanteil, den Sie mit Ihrem Mutterkonzern erwirtschaften, liegt bei 60 Prozent. Ist das eine ideale Größenordnung?

Hansen: Mein Ziel ist es, diese Relation so zu verändern, dass wir etwa die Hälfte im Konzern erwirtschaften. Dazu müssen wir mehr externe Kunden akquirieren. Wir haben gute Airline-Produkte, sind stark in IT-Projekten und der SAP-Beratung und haben wertvolles Know-how, wenn es um komplexe Geschäftsprozesse geht. Außerdem haben wir die Kompetenz große IT-Systeme für Konzerne zu entwickeln - das war immer eine unserer Stärken.

CW: Das, was Sie im externen Markt anbieten, klingt nach einem Kessel Buntem: Produkte, Projekt-Know-how, Outsourcing-Leistungen etc. Was ist das Kernangebot, mit dem Sie punkten wollen?

Hansen: Im Airline-Geschäft bieten wir Produkte entlang der gesamten Prozesskette an. Und wir können diese Applikationen auch hosten, so dass wir hier einen kompletten Service bereitstellen. Das ist ein für uns wesentlicher Markt, in dem wir eine Menge Know-how haben.

Externe Kunden sollen das Wachstum treiben, so Hansen.
Foto: Lufthansa Systems AG

Im deutschsprachigen IT-Markt wollen wir mit Professional Services für Industrieunternehmen wachsen. Wir haben die richtigen Leute, eines der modernsten und sichersten Rechenzentren in Europa und interessante Produkte. Von der Projektleitung bis zur Systementwicklung bieten wir unseren Kunden hier die gesamt Bandbreite. Zu unseren Kunden zählen beispielsweise Buderus, Schenker oder auch die Hamburg Port Authority.

CW: Entertainment-Systeme, Pricing- und Ticketing-Anwendungen - das sind für die Lufthansa zunehmend wettbewerbsrelevante Produkte. Inwieweit sind Sie als Partner gesetzt?

Hansen: Wir stehen hier voll im Wettbewerb, und das ist auch gut so. Einige Produkte entwickeln wir, andere kauft die Lufthansa bei anderen. Manche Lösungen sind auch nur bei Wettbewerbern der Lufthansa im Einsatz, bei Lufthansa selbst aber nicht. Wir haben in der Vermarktung keine Restriktionen.

CW: Wenn Sie zum Beispiel ein schickes Bord-Entertainment-System entwickeln, müsste die Lufthansa doch interessiert sein, dass es nicht beim Wettbewerb landet.

Hansen: Wir haben ein Entertainment-System entwickelt, doch die Lufthansa hatte sich für ihre Interkontinental-Flotte für eine andere Lösung entschieden, weil unser Produkt noch nicht marktreif war. Wir haben dann Virgin America und die Condor als Erstkunden gewinnen können. Und wir sind in fortgeschrittenen Gesprächen mit Airlines in Asien/Pazifik.

Die Lufthansa ist jetzt dabei, das System auch für die Kontinentalflotte auszuschreiben. Da werden die Karten neu gemischt. Ob wir gewinnen, wird man sehen. Wir haben eine erstklassige Lösung und deshalb denke ich, dass wir eine solide Chance haben. Ich bin überzeugt, dass es gut ist, im Konzern Wettbewerb zu haben. So bleiben wir angestrengt und aufmerksam.

Viele Produkte verkaufen wir gleichermaßen an die Lufthansa und ihre Wettbewerber. Revenue-Management ist so ein Beispiel. Um die Preisgestaltung hinzubekommen, bedarf es einer hochkomplexen Logik. Dass wir diese Software vielfach vermarktet haben, ist für viele eine Überraschung, ich weiß.

Cloud-Lösungen und SAP-Know-how

CW: Im Vergleich zu Wettbewerbern ist ihre Mannschaft eher klein. Ist das angesichts Ihrer immer noch breiten Aufstellung nicht ein Nachteil?

Hansen: Wir sind mit weltweit rund 4300 Mitarbeitern vielleicht nicht sehr groß. Aber wir sind schnell, was unsere Entscheidungsstrukturen angeht, und wir sind innovativ. Nehmen Sie unsere Cloud-Lösung deskBase: Ein Thin Client als Endgerät, Applikationen und Daten sind im Rechenzentrum, Sie können aus dem Büro, von zu Hause aus oder mobil darauf zugreifen und arbeiten - das haben wir im Konzern im Einsatz. Am Ende haben sich dazu nur zwei intelligente Köpfe zusammengesetzt und das Produkt entwickelt. Daraus haben wir dann mehr gemacht.

Oder das Thema BoardConnect, das gerade den international renommierten Crystal Cabin Award gewonnen hat: Wir ermöglichen Flugreisenden, ihre eigenen mobilen Endgeräte, die sie mit an Bord bringen, fürs Streaming zu nutzen. Auch da haben sich zwei oder drei unserer Spezialisten überlegt, wie kann das funktionieren? Damit haben wir bei Virgin America etablierte Wettbewerber aus dem Rennen geworfen. Eigentlich müsste man annehmen, dass diese aufgrund der Ressourcen klar im Vorteil sind. Schlaue Köpfe haben die auch. Der Unterschied ist: Wir sind in unseren Entscheidungsstrukturen viel schneller. Wir sind dichter am Geschäft und flexibler. Das ist ein Riesenvorteil.

Übrigens sind auch viele Industrie-Kunden froh, wenn sie mal nicht mit den Klassikern IBM, Accenture oder T-Systems zu tun haben. Da ist unsere Größe ein Vorteil. Sie haben bei uns das Gefühl, auf Augenhöhe zu agieren. Unser Lufthansa-Brand ist ein weiterer Pluspunkt.

CW: Wie gehen Sie vor, um bei den großen internationalen Projekten mit bieten zu können?

Hansen: Wir arbeiten eng mit diversen Partnern zusammen, so dass wir durchaus auch größere Themen angehen können. Zum Beispiel sind einige indische Unternehmen unsere Partner. Wenn es darum geht, größere IT-Projekte zu staffen, sind wir mit unserem Namen aber auch immer in der Lage, gute Leute vom Markt zu akquirieren.

CW: Trotzdem frage ich mich, ob Sie nicht einen Gemischtwarenladen betreiben: SAP-Einführungsprojekte stehen neben Cloud-Themen wie deskBase und Entertainment-Lösungen wie BoardConnect.

Hansen: Wir haben uns verschlankt und konzentrieren uns auf bestimmte Themen. Bei den Produkten im Bereich Airline Solutions sind die Geschäftsprozesse der Airlines der rote Faden, an dem wir uns ausrichten. Das RZ-Geschäft fungiert als Cost Center und ist Dienstleister für unsere drei Profit Center. Standardisierung und ein klarer Fokus auf die wesentlichen Plattformen ist uns hier wichtig. Wir haben einen Virtualisierungsgrad von 70 Prozent erreicht und konnten viel RZ-Fläche freimachen, so dass wir jetzt problemlos neue Kunden unterbringen können.

Unseren Industriekunden bieten wir gezielt Branchenlösungen und SAP-Beratung. Und hier setzen wir vor allem auf Application Lifecycle Management. Wir haben eine Vorgehensweise definiert, wie wir Legacy-Apps in den Regelbetrieb übernehmen und Cloud-fähig machen können. Das sind Konzepte, für die wir erheblichen Bedarf sehen und die wir im Markt platzieren möchten.

Grundsätzlich möchten wir aus der Interaktion mit dem Kunden heraus Mehrwert liefern. Wir wollen ja seine Legacy-Applikationen mit Cloud-Anwendungen integrieren oder sie gegebenenfalls Cloud-fähig machen. Wir haben historisch bedingt viel Middleware-Kompetenz, die uns hier hilft. Diese Cloud-Readiness für die Kunden herzustellen und ihm zu helfen seine IT-Kosten zu senken, darum geht’s.

CW: Als ausgegliederte IT-Organisation eines Konzerns haben Sie mit Vorurteilen zu kämpfen. Ihre Mutter ist der erste Kunde, alle anderen werden nachrangig behandelt. Wie können Sie das entkräften?

Hansen: Wenn wir 80 oder 90 Prozent des IT-Budgets der Lufthansa hätten, würde ich sagen: Die Sorgen könnten berechtigt sein. Aber wir haben nur 60 Prozent. Alle Projekte im Konzern werden ausgeschrieben. Wir müssen die Besten sein, um uns durchzusetzen. Das ist ein starker Anreiz, technologisch, preislich und auch hinsichtlich der Kundenorientierung die Besten zu sein.

CW: In welchen Fällen hat sich die Lufthansa denn gegen die eigene Tochter entschieden?

Hansen: (Lacht) Darüber rede ich natürlich nicht so gerne. Aber o.k., das ist zum Beispiel das Crew Management.