Martin Urban, BSR

"Lötkolben oder Bilanz? Beides!"

29.11.2006 von Hans Königes
Eine Staatsfirma, die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR), hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und nimmt den Kunden ernst. Die IT und ihr Chef, Martin Urban, spielen dabei eine maßgebliche Rolle.

Das Büro des CIO über die Berliner Mülltonen und Schneeräumgeräte ist für einen Außenstehenden zunächst etwas Gewöhnungsbedürftig. Nicht, dass der Besucher noch keine Großraumbüros gesehen hätte, von denen aus Chefs ihre Beschäftigten lenken. Martin Urban hat sich aber für eine verschärfte entschieden. Mit einer Abteilungsleiterin, einer Controllerin und der Sekretärin teilt er sich ein Durchgangszimmer. Das bedeutet unter anderem, dass immer wieder mal ein Mitarbeiter der IT-Abteilung den Raum durchquert. Urban hat eine einfache Begründung für seinen unorthodoxen Führungsstil: "Ich weiß immer, wie die Projekte laufen. Wenn Mitarbeiter von Terminen zurückkommen, brauche ich mir nur deren Gesichtsausdruck anzuschauen. Wenn es klemmt, weiß ich sofort Bescheid und frage nach."

Erfolgsbausteine

Als Fundament: Klare Strategiedefinition, deren konsequente Umsetzung in der Aufbauorganisation, messbare und gemessene KPIs (Key Performance Indikatoren), Standardisierung nach anerkannten Best Practices, transparente Verrechnung.

Reorganisation der gesamten Kundenbetreuung;

Verbesserung der internen Kommunikation durch die Ankoppelung von zwei Dritteln der Mitarbeiter an das Intranet, die vorher keinen IT-Zugang hatten;

Einführung eines mobilen Flotten-Managements;

Einführung eines integrierten Beschaffungssystems.

Buch- und Filmtipps

Buch: Kehlmann, Daniel: Die Vermessung der Welt

Welch wunderbarer Blick auf C:F: Gauss!

Filme: Ich entdecke gerade die alten Greenaway-Filme wieder neu. Am liebsten sind mir "The cook, the thief,..." und "Drowning by numbers". Wunderbare skurrile, leicht morbide Atmosphäre mit - für den binären IT-Mann- 100 sauber durchnummerierten Szenen.

Kundenbetreuung umgekrempelt

Ob diese ständige Nähe zu den Mitarbeitern und zu den Projekten wohl der Grund dafür ist, dass Urbans IT so innovativ ist und er selbst zu den erfolgreichsten IT-Chefs dieser Republik zählt? Fakt ist, dass sich seine Abteilung schon im vorigen Jahr mit einem Projekt am COMPUTERWOCHE-Wettbewerb "Anwender des Jahres" beteiligte und als erster und einziger kommunaler Arbeitgeber die Finalphase erreichte. In diesem Jahr nun wird der Chef selbst als erfolgreicher CIO geehrt.

Besonders angetan war die Jury von der Berliner Reorganisation der gesamten Kundenbetreuung angefangen von der Anfrage bis hin zum Mahnwesen. Ziel war, wie es der CIO ausdrückte, die "vorher extrem fragmentierten Prozesse an einer Stelle zu bündeln und für den Kunden erreichbar zu organisieren". Anders formuliert: Ein BSR-Mitarbeiter kann dem Anrufer nun genau sagen, warum es beispielsweise bei der Müllentsorgung an einem bestimmten Wochentag zu einer bestimmten Uhrzeit zu Problemen gekommen ist. Damit konnte auch das Ziel erreicht werden, die Datenqualität zu verbessern. Erstmalig kann nun neben den Groß- und Basiskunden, also Wohnungsbaugesellschaften und Privatkunden, auch der Mittelstand systematisch betreut werden.

Wie bei jedem guten Projekt haben die Fachabteilungen und die IT neue Kernprozesse definiert und dazu eine Geschäftseinheit mit zirka 160 Mitarbeitern geschaffen, denen ein neues, kundenzentriertes IT-System zur Verfügung steht. Dabei wurden ERP-System, Beschwerde-Management und Vertriebsunterstützung in einer Customer-Relationship-Management-(CRM-)Oberfläche integriert. So schufen die BSR im Rahmen dieses Projekts eine für die Entsorgungswirtschaft bemerkenswerte, hoch integrierte Lösung. Dabei verschmolzen die Berliner die neue Version der SAP-Branchensoftware "Waste and Recycling" mit der bestehenden Mysap-Enterprise-Landschaft und der vorhandenen Logistik-Lösung.

Ziel der Projektleitung war, die Steigerung der Kundenzufriedenheit durch schnelle, qualifizierte Bearbeitung der Anfragen, eine kräftige Reduzierung des Personalaufwands, niedrigere Außenstände sowie kürzere Prozessdurchlaufzeiten. Das Gesamtbudget betrug 10,9 Millionen Euro, davon entfielen auf die IT 7,7 Millionen Euro.

Millionen eingespart

Das Projekt dauerte insgesamt drei Jahre, wobei es immer wieder zu Verzögerungen kam. Die Verhandlungen zwischen Chefetage und Arbeitnehmervertreter, wenn es etwa um die Sicherung von Arbeitsplätzen ging, nahmen mehr Zeit in Anspruch als einkalkuliert. Dennoch ist der CIO stolz auf das Ergebnis, das sich sehen lassen kann: "Die angestrebten Einsparungen belaufen sich auf mehrere Millionen Euro pro Jahr, davon der Großteil durch die mittelfristige Reduzierung der Personalkosten, der Rest durch geringere Aussenstände, Mahnkosten und durch Standardisierung reduzierte Aufwände im IT-Betrieb."

Urban gibt aber auch zu, dass die Versetzung von etwa 160 Mitarbeitern aus einer eher dezentralen Organisation in eine zentrale Einheit, durch die Besonderheiten des öffentlichen Tarifrechts in Berlin und den neuen Standort mit einem Tarifkreiswechsel West-Ost verbunden, sowie der Wegfall zahlreicher Führungspositionen "erheblichen Widerstand" hervorgerufen hat. In einem stark mitbestimmten öffentlichen Unternehmen habe der Interessenausgleich "eben einige Zeit in Anspruch genommen." Die dadurch bedingte einjährige Verzögerung vom Sommer 2003 bis zum Sommer 2004 geführt, die allerdings IT-seitig "als Chance genutzt wurde, um die Komplettintegration in der CRM-Oberfläche und den neuesten Release-Stand zu implementieren".

Die ganzheitliche Kundensicht erfordert nun von den Sachbearbeitern entsprechende Kompetenz in allen drei Themenfeldern Abfallwirtschaft, Reinigung und Debitorenbuchhaltung. Urban bedauert, dass nicht alle Mitarbeiter dies als Chance im Sinne einer Joberweiterung empfunden haben. "Entsprechend mussten im Einvernehmen mit den Personalräten Mittel und Wege gefunden werden, um allen Mitarbeitern eine Perspektive aufzuzeigen", so der Manager.

Technik und Betriebswirtschaft

Urban hat an seiner Person beobachtet, wie wichtig es ist, sich weiterzuentwickeln. Als Diplomphysiker kam er von der technischen Seite und hat sich Stück für Stück betriebswirtschaftliche Kompetenz angeeignet, die er mit einem Abschluss als Master of Business Administration (MBA) krönte. An einen CIO würden technische und betriebswirtschaftliche Anforderungen gestellt. "Einen Erfolg unter Vernachlässigung einer der beiden Seiten kann ich mir schwer vorstellen. Lötkolben oder Bilanz? Beides!" ist sein Fazit.

Zur Person

Seit 2000 CIO der Berliner Stadtreinigungsbetriebe;

1999 bis 2000 Leiter IT ÖTV, Stuttgart;

1992 bis 1999 Zunächst Leiter IT, dann Leiter Orga/Verwaltung/Finanzen ÖTV Landesbezirk Berlin;

Studium der Physik, zusätzlicher MBA-Abschluss