Appian Europe 2019

Low-Code gegen Entwicklermangel

12.12.2019 von Karin Quack
Fast die Hälfte ihrer Arbeitszeit verbringen Entwickler mit Routinetätigkeiten, sagt Matt Calkins, CEO des Softwareanbieters Appian. Dessen Entwicklungs- und Automatisierungsplattform soll die kreativen Köpfe entlasten.

In fünf Jahren werden zwei von drei neuen Anwendungen mit Low-Code-Plattformen entwickelt, prognostiziert das Marktforschungsunternehmen Gartner. Gründe dafür gibt es viele. So sieht Neil Ward-Dutton, Vice President bei IDC, Low-Code als Antwort auf den Personalnotstand in den Entwicklungsabteilungen. Praktiker wie Konrad Nadobny, Senior Data Scientist beim Pharmakonzern Bayer, betonen hingegen die Arbeitserleichterung für erfahrene Entwickler. Low-Code ist also eine Möglichkeit, Anspruch und Wirklichkeit in der Softwareentwicklung zu vereinen.

Softwareentwickler Mangelware? Lesen Sie, wie Appian per Low-Code-Plattform Fachkräftemangel und Arbeitsüberlastung bekämpfen will.
Foto: Who is Danny - shutterstock.com

Die Latte liegt hoch. So charakterisierte der Gartner-Analyst Paul Saunders kürzlich auf dem "Symposium" in Barcelona die Anwendung der Zukunft folgendermaßen: Sie sei vom Nutzer her konzipiert, im Einklang mit ihm entwickelt und fähig, sich mit ihm weiterzuentwickeln. Ein solcher Anspruch ist mit konventionellen Entwicklungswerkzeugen kaum zu verwirklichen.

Low-Code-Tiefenintegration mit Third-Party-Funktionen

Low-Code-Tools arbeiten mit Modellen und grafischen Elementen; der Entwickler nutzt die Maus statt der Tastatur. Plattformen wie Appian, OutSystems oder Mendix nehmen ihm Routineaufgaben ab, indem sie die repetitiven Tätigkeiten im Hintergrund automatisieren. Und wenn die Anwendungsoberfläche von der Integrationsschicht sauber getrennt ist, lässt sich die Applikation ohne übermäßigen Aufwand "up to date" halten.

Für die Appian-Plattform sprechen laut CEO Matt Calkins die zahlreichen "Connected Systems": Bestimmte von Fremdanbietern bereitgestellte Funktionen lassen sich ohne Programmierarbeit in die Applikationen einpassen - "nicht nur oberflächlich, sondern tiefgehend", wie Calkins in seiner Keynote betonte. "Unsere beliebte Salesforce-Anbindung beispielsweise macht aus Salesforce-Objekten tatsächlich Appian-Objekte."

Theoretisch könne der Kunde jede Funktion integrieren, die ihm zusage, führte Calkins im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE aus. Doch Appian habe sich auf den wichtigsten Anwendungsfeldern für jeweils ein "marktführendes" System entschieden und dafür eine Default-Integration entwickelt.

Künstliche Intelligenz ohne Lizenzkosten

Die neuesten Beispiele für Connected-Systems-Anbindungen sind die Integration des Cloud-Speichers Google Drive und des E-Signature-Tools DocuSign. Außerdem soll der "AWS Signature Version 4 Support" die Authentifizierung für mehr als 100 AWS-Services vereinfachen, darunter S3, Comprehend und Textract. In das Machine-Learning-Entwicklungssystem "AI for Appian" ist jetzt ferner die Möglichkeit integriert, via "Google Cloud Translation" Texte automatisch in unterschiedliche Sprachen zu übersetzen.

Die KI-Entwicklungsumgebung gehört zu einer Reihe von vorgefertigten Anwendungen, die Appian ebenfalls bereitstellt. Es gibt sie beispielsweise für Robotic Process Automation (RPA), konkret: für die Orchestrierung von "gemischten Teams" aus Menschen, Bots und KI-Komponenten, sowie für den Institutional-Onboarding-Prozess, der vor allem in hochregulierten Branchen wie Banken und Versicherungen hochkomplex ist.

AI for Appian beruht auf den KI-Funktionen von Google. Die Partnerschaft zwischen Appian und dem Hyperscaler ist deutlich enger als die mit anderen Third Parties: Der Kunde benötigt nicht einmal eine Google-Lizenz; Google AI ist fester Bestandteil der Appian-Plattform und sogar in der kostenlosen Testversion eingeschlossen.

Low Code inklusive Health Check

Eine weitere Verbesserung in Appian 19.4 betrifft den Komfort der Codebereitstellung für DevOps-Umgebungen. Laut Anbieter können Appian-Entwickler Codeänderungen direkt, sprich: ohne Umweg über die DevOps-Software eines Dritten, von einer Umgebung auf eine andere übertragen.

Vereinfacht hat Appian auch die Bereitstellung von Anwendungen auf mobilen Endgeräten. Sicherheits-, und Deployment-Anforderungen lassen sich jetzt zentral verwalten - im Einklang mit den Standards der AppConfig Community. Möglich sei zudem die Arbeit im "Mobile-Offline"-Modus.

Last, but not least will Appian seinen Kunden in jeder Phase des Anwendungs-Lebenszyklus das gute Gefühl vermitteln, dass ihre Applikation funktional und logisch in Ordnung ist. Dazu dient der automatisierte "Health Check". Er prüft auch, ob die Anwendung bewährten Vorgehensweisen entspricht und welche Risiken sie in Sachen Wartung oder Skalierbarkeit birgt. Im jüngsten Release der Appian-Plattform lässt sich diese Gesundheitsprüfung direkt von der Administrationskonsole einrichten, planen und verfolgen.

Computerwoche Roundtable DevOps 2019
Bernd Wachter, Capgemini
„DevOps ist einer der zentralen Bausteine, um Software schneller releasen zu können, Agilität, DevOps und Cloud werden in Summe die IT-Landschaft so verändern, wie sie in den vergangenen Jahren nicht verändert worden ist. Die Kunst dabei ist, die Transformation vom projekt- zu einer produktorientierten Organisation aktiv zu gestalten. Und das ist kein rein technologisches Thema, sondern ein primär kulturelles, das bis in die Führungsebenen hineinreicht und oft unterschätzt wird. Deshalb scheitert die erfolgreiche Umsetzung von DevOps derzeit noch bei vielen Unternehmen in Deutschland.“
Mark Aichholz, IBM
„Es ist wichtig, die Brücke zwischen Business und IT zu schlagen. Ein probates Mittel dafür ist, die Menschen beim Kunden zusammenzubringen und in Workshops herauszuarbeiten, wo das Business die IT sieht. Wie weit bin ich vom Bild eines perfekten agilen Unternehmens entfernt? Wo verliert man die meiste Zeit, wo ist die Qualität nicht ausreichend, und wo schmerzt es das Business am meisten? Ohne begleitenden Schulungs- und Überzeugungsprozess wird es schwierig, DevOps über die Fläche auszurollen.“
Mark Hlawatschek, ATIX
„Ein aufgezwungener Ansatz funktioniert nicht, weil DevOps eine Kultur ist. Das Team muss verstehen, dass es Verantwortung haben will und am Ende auch tragen muss. Es geht bei der Entscheidung für DevOps nicht um Ja oder Nein, sondern um die Frage, warum man DevOps machen möchte. Es ist auch nicht die Frage, mit welcher Hardware ein Kulturwandel vollzogen wird. Es braucht die Zusammenarbeit von Entwicklung und Betrieb sowie Automatisierungslösungen. Eine funktionierende DevOps-Kultur ist ausschlaggebend für den Erfolg digitaler Geschäftsmodelle. Die Geschwindigkeit, mit der neue Softwareversionen veröffentlicht werden können, ist einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren.“
Ulrich Eschbaumer, CGI
„Das Thema DevOps ist aktuell ein Hype, bei dem man nicht auf der grünen Wiese anfängt. Es muss mit Kompetenz und jahrelangem Know-how implementiert werden, weshalb der Altersdurchschnitt der Beteiligten relativ hoch ist. Die Umstellung in den Köpfen ist dabei eine der wesentlichen Herausforderungen. Eine andere liegt in der Hybridsituation aus agilen und klassischen Vorgehensweisen. Diese zu verheiraten und zusätzlich noch Geschwindigkeit aufzunehmen ist eine echte Challenge.“
Donald S. Fitzgerald, EasiRun
„Um die Implementierung von DevOps als Strategie zu rechtfertigen, benötigt man deutliche Mehrwerte, und die kommen hauptsächlich vom damit erreichten verbesserten Erfolg im Markt. Im Markt entscheidet nur einer über Qualität und Vorteile: der Kunde! Erfolgreiche Implementierungen von DevOps-Strategien und -Prozessen realisieren die Qualitätsansprüche von Kunden nicht durch die Geschwindigkeit, wobei Patches und Releases täglich beziehungsweise stündlich rausgehen – ganz im Gegenteil: Wenn alle Beteiligten in die Wertschöpfungskette eingebunden sind, ihre Beiträge leisten und das Bewusstsein entwickeln, dass der Kunde über die Qualität entscheidet, wird die Wahrnehmung für Qualität als Ziel geschärft – auch die des Kunden.“
Markus Eisele, Red Hat
„DevOps hat seine Wurzeln in der Open-Source-Kultur. Die hohe Geschwindigkeit, die heute durch kürzere Produktionszyklen und die Automatisierung bei der Infrastrukturbereitstellung angestrebt wird, spielt in der Open-Source-Gesellschaft seit vielen Jahren eine herausragende Rolle. Allerdings wird hier aufgrund der großen Community viel offener kommuniziert, nach ganz anderen Regeln und mit weniger Bürokratie, also in einer offenen Kultur. Das Kultur-Thema ist letztlich auch der Dreh- und Angelpunkt, an dem Unternehmen immer wieder sehen, warum Pilotprojekte scheitern.“
Peter Schmidt, PKS Software
„Es gibt kein Patentrezept für die Einführung von DevOps, denn die beteiligten Personen – junge und langjährig erfahrene Softwareentwickler, IT-Abteilung und Fachbereich, Entscheider und Umsetzer – sind über ganz unterschiedliche Aspekte für solch ein Vorhaben zu motivieren. Hier braucht es also neben IT- und Tool-Experten vor allen Dingen auch das Wissen um die Belohnungssysteme der Menschen und darüber, wie man Teams so zusammenstellt, dass der Projekterfolg programmiert ist. Für ein Pilotprojekt werden häufig die engagiertesten Mitarbeiter aus den einzelnen Abteilungen eingebunden – damit ist ein initialer Erfolg quasi garantiert. Doch die Einführung beziehungsweise der Roll-out gestaltet sich umso schwieriger. Gerade bei den Legacy-Systemen gibt es in den Unternehmen viele Kopf-Monopole mit Klumpenrisiko; gerade diese Mitarbeiter muss man mit auf die Reise nehmen, um von DevOps dauerhaft als Unternehmen zu profitieren.“
Wilfried Cleres, Fujitsu
„Bei der Einführung von DevOps gibt es drei wichtige Punkte. Der erste ist die Ist-Aufnahme: Wo stehe ich heute mit meiner Tool-Landschaft? Zweiter Punkt: Vergiss die Menschen nicht. Nimm alle mit, sonst kann man die Kultur nicht umsetzen. Und drittens: Entwickelt gemeinsam den künftigen Bebauungsplan mit den wichtigsten Zielen. Wichtig ist, dass diese auch erreichbar sind. Lieber weniger Ziele setzen, die dann aber auch erreicht werden können.“

Low Code Tools in vier Segmenten

Die auf der Appian Europe 2019 vorgestellten Verbesserungen betreffen vor allem die Entwicklungsplattform. Aber die Stärke von Appian sehen Analystenhäuser wie Gartner und Forrester vor allem in seiner Herkunft aus dem "intelligenten", Modell-getriebenen Business Process Management (iBPM). Die Fähigkeit, mit komplexen Geschäftsregeln, Entscheidungsprozessen und Workflows umzugehen, sei ein Pluspunkt, ebenso die Unterstützung für fortgeschrittene Web-Applikationen und Chatbots, so die Gartner-Einschätzung. Die Appian-Plattform gelte als Enterprise-tauglich, skalierbar und sicher; der Anbieter werde als verlässlicher Partner betrachtet - vor allem seit dem Börsengang im Jahr 2017.

In seinem "magischen Viereck" verzeichnet Gartner unter dem Schlagwort Low-Code so unterschiedliche Softwarewerkzeuge wie PowerApps von Microsoft, die Entwicklungsplattformen von Mendix und Appian sowie die Development Tools von Lösungsanbietern wie Salesforce oder ServiceNow. Die Analysten von Forrester unterscheiden vier sich überlappende Segmente:

Vertrauensbildende Maßnahme für Neukunden

Negativ bewertet Gartner die laut Referenzkunden wenig flexible Lizenzpraxis von Appian. Wie Calkins einräumt, ist die Software "alles andere als billig". Für Neukunden hat der Anbieter allerdings ein besonderes Angebot in petto: Die "Appian-Garantie" verspricht dem Erstanwender ein Projekt zum Fixpreis von 150.000 Dollar (120.000 Euro), das innerhalb von acht Wochen fertiggestellt sein soll - sofern sich der Kunde auf gewisse "Standardbedingungen" einlässt, wie etwa den Bezug der Software aus der Cloud und eine vorangegangene User-Beschreibung. Laut IDC erzielen Appian-Anwender den Break-even nach durchschnittlich sieben Monaten.

Trotzdem haben in Deutschland bislang nur etwa 30 Großunternehmen angebissen. Das klingt nicht eben nach einem durchschlagenden Erfolg. Dirk Pohla, Managing Director DACH, kontert mit zwei Argumenten: Appian wurde zwar schon 1999 gegründet, ist aber erst seit sechs Jahren auf dem kontinentaleuropäischen Markt tätig. Außerdem wende man sich nicht an den Massenmarkt, sondern vor allem an große, häufig ingenieurgetriebene Unternehmen: "Hier geht es um Zuverlässigkeit und Vertrauen, und das will langsam erworben werden."