Branchenreport

Medizintechnik braucht Informatiker

21.10.2009 von Peter Ilg
Seit Jahren wächst die Medizintechnik stärker als andere Branchen. Die Krise schadet ihr kaum. Für Ingenieure und Informatiker ergeben sich Jobchancen.

Bis zum Abitur war sich Erik Laatsch sicher, dass er anschließend Informatik studieren würde. Schulkameraden beneideten ihn um seine klare Vorstellung von der beruflichen Zukunft. Doch zunächst forderte Vater Staat seinen Dienst, und Laatsch entschied sich für den Zivildienst in einem Krankenhaus. "Hier habe ich festgestellt, dass es nicht mein Lebensziel ist, MP3-Player zu entwickeln." Von der Technik wollte er aber nicht lassen, und so suchte er nach einer Möglichkeit, die Informatik mit einem Arbeitsfeld zu kombinieren, das Menschen hilft. Heraus kam die Medizintechnik. Laatsch studierte in Ulm, schrieb seine Diplomarbeit beim Hersteller von Orthopädietechnik Otto Bock in Duderstadt und ist bis heute im Unternehmen geblieben. Mittlerweile ist der 32-jährige Gruppenleiter und entwickelt mit seinem Team Embedded-Software für mechatronische Systeme. Sie steuern künstliche Gelenke in Prothesen und Orthesen an Armen und Beinen.

Software steuert Gelenke und Computertomografen

Prothesen und Implantate, Tele- und regenerative Medizin sowie E-Health, die Integration von Informations- und Kommunikationstechnologien ins Gesundheitswesen, sind die dynamischsten Innovationsfelder in der Medizintechnik. Zu diesem Ergebnis kommt der Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) in seiner Studie "Medtech 2020", die zum Weltkongress der Medizintechnik Anfang September vorgestellt wurde. Für die Studie wurden über 600 Experten aus aller Welt befragt, die Beiträge zum Kongress eingereicht hatten. Nach deren Meinung sind die Computerwissenschaften die weitaus wichtigsten Schlüsseltechnologien für die Branche. An zweiter Stelle folgen Zell- und Biotechnologien, Rang drei nimmt die Informations- und Kommunikationstechnik ein.

Nicht nur in Computertomografen steckt jede Menge Software. Foto: Siemens

Für Marc Kraft, Vorsitzender des Fachgebiets Medizintechnik im Verein Deutscher Ingenieure (VDI), ist der Fortschritt in der Medizintechnik in großen Teilen der rasanten Entwicklung in der Informatik zu verdanken. "In fast jedem medizinischen Gerät steckt heute intelligente Elektronik, die mit Mikroprozessoren oft das Herzstück der Systemsteuerung ausmacht. Diese Systeme müssen programmiert werden." Für bildgebende Systeme wie Computer- oder Magnetresonanztomografie sei eine extrem aufwändige Datenverarbeitung notwendig, die ohne leistungsfähige Software undenkbar wäre. Daneben würde auch jede Menge Software gebraucht für Berechnungen, Datenverwaltung bis hin zur Konstruktion der Geräte. Der Informatik in der Medizintechnik bescheinigt Kraft deshalb "eine zentrale Bedeutung in vielfacher Hinsicht".

Dennoch spüren auch die Unternehmen in der Medizintechnik die Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise, wenngleich in milder Form. "Die Branche hat sich schon in der Vergangenheit krisenresistenter als andere Industrien gezeigt. Deshalb erwarten wir im Gesamtjahresergebnis nur ein leichtes Minus", lautet die Prognose von Sven Behrens, Geschäftsführer vom Fachverband Spectaris. Im ersten Halbjahr 2009 lag der Umsatz zwei Prozent unter dem Vorjahresergebnis. Dem Fachverband Medizintechnik haben sich rund 1250 Unternehmen angeschlossen.

Komplexe Produkte erfordern IT-Wissen

Tendenziell sind die Aussichten gut: In den vergangenen zehn Jahren ist die Branche durchschnittlich um sieben Prozent gewachsen, die Industrie nur um drei. Ein Grund dafür, dass die Medizintechnik bisher deutlich konjunkturunabhängiger war als andere Branchen, liegt in der langfristigen Budgetierung im Gesundheitswesen, die kurzfristige Nachfrageschwankungen so gut wie ausschließt. Und es gibt einen sicheren Wachstumsgaranten: Mit der rasch anwachsenden Weltbevölkerung und der alternden Gesellschaft wird der Bedarf an medizintechnischen Produkten und Leistungen weiter zunehmen. 2008 erzielten die deutschen Medizintechnikunternehmen einen Jahresumsatz von rund 18 Milliarden Euro - davon entfielen gut 60 Prozent auf das Auslandsgeschäft - und hatten rund 100.000 Mitarbeiter.

Der Orthopädietechnik-Hersteller Otto Bock meldet einen steigenden Bedarf an Ingenieuren und Informatikern, 185 seiner Mitarbeiter haben Informatik, Medizintechnik oder Ingenieurwesen studiert: Vom Maschinenbauer über den Feinwerktechniker und Elektrotechniker bis zum Mess- und Regeltechniker sind die unterschiedlichsten Fachrichtungen vertreten. Bock beschäftigt Entwickler, Konstrukteure, Prüfingenieure, Produkt-Manager oder Softwareentwickler. "Künftig brauchen wir mehr Informatiker, Medizintechniker und Ingenieure, weil die Technologien und Produkte komplexer werden und dafür Spezialisten mit fundierter Ausbildung notwendig sind", ist Michael Hasenpusch, Geschäftsführer für Forschung und Entwicklung, überzeugt. Die Geräte sollen kleiner, leichter und preiswerter werden. Die wesentlichen Produktfunktionen beruhen immer mehr auf Elektronik und Mechatronik. Wichtig sind auch schnelle Innovationen und ansprechendes Design.

Erik Laatsch ist zufrieden mit seinem Kompromiss: "Ich habe mit Informatik zu tun und gebe durch meine Arbeit den Menschen ein Stück Mobilität zurück." Zudem fühlt er sich sicher aufgehoben in einer Branche mit hohem Wachstumspotenzial. "Bevor an der Gesundheit gespart wird, verzichten die Leute eher auf ein neues Auto", sagt der Medizintechniker.

Jobprofil Medizininformatiker

Kleine Firmen suchen Generalisten

Informatiker, Medizininformatiker oder Ingenieure der Medizintechnik: wer hat die besten Karten in der Branche? Marc Kraft, Professor für Medizintechnik an der TU Berlin, meint, dass jeder einen Job finden wird.

Marc Kraft, TU Berlin: "Die Medizintechnik ist ein lukrativer und zuverlässiger Arbeitgeber."

CW: Bachelor und Master krempeln die Bildungslandschaft um. Wie wird der Weg von Ingenieuren und Informatikern in die Medizintechnik künftig ausschauen?

KRAFT: Ich favorisiere den Weg, den wir an der TU Berlin gehen: im Bachelor-Studiengang vermitteln wir die ingenieurwissenschaftlichen Grundkenntnisse, um auf diesen im Medizintechnik-Master aufzubauen. Es gibt aber auch Hochschulen, die Bachelor-Studiengänge in der Medizintechnik anbieten, wiederum andere lehren medizinische Informatik.

CW: Werden in der Medizintechnik auch reine Informatiker gebraucht oder sind es vor allem die auf Medizintechnik spezialisierten Informatiker?

KRAFT: Sowohl als auch, das hängt vom Arbeitgeber und von dessen Produktportfolio ab. Größere Unternehmen sind so organisiert, dass die arbeitsteilige Organisationsstruktur auch die Einstellung von spezifisch qualifiziertem Personal möglich macht. Hier kann es sein, dass Informatiker Algorithmen für Berechnungen entwickeln, ohne eine genaue Vorstellung darüber zu haben, wofür diese Softwaremodule im medizintechnischen Gerät Einsatz finden. In kleineren Firmen sind eher Generalisten gefragt, die im Kontakt mit den Anwendern über das Design der Userinterfaces entscheiden. Dies können auf medizinische Anwendungen spezialisierte Informatiker besser.

CW: Wie schätzen Sie die Berufs- und Zukunftsaussichten in der Branche ein?

KRAFT: Bestens, denn die deutsche Medizintechnik ist seit Jahren im Wachstum und damit eine besonders erfolgreiche Industriebranche. Beschäftigungspolitisch ist die Medizintechnik ein lukrativer und zuverlässiger Arbeitgeber.