Web 2.0 macht's möglich

Mit BI-Tools auf Kundenfang

26.06.2008
Die Zeiten, exakte Kundenprofile zu erstellen, waren für Unternehmen noch nie so günstig wie heute. Eine Chance für Marketing-Abteilungen, ein Ärgernis für Datenschützer.

Wer sich im Web bewegt, wird beobachtet. Seitenaufrufe und -besuche werden akribisch gezählt, Textanalysen zu den Vorlieben der Nutzer sind die Regel. Auch sonst werden Konsumenten immer exakter durchleuchtet, etwa wenn sie zum Bezahlen ihre Bonus- oder Mitgliedskarte zücken oder über einen Anruf im Call-Center Spuren hinterlassen.

In allen drei Fällen profitieren die Anbieter. "Die Informationen zu den Kunden sind sofort digital", so Marcus Behrendt, Practice Chairman bei Logica. "Sie können also direkt ins Data Warehouse einfließen. Hier angelangt, lassen sich die Daten nach allen Regeln der Marketing- und Verkaufskunst analysieren, Szenarien für einen gezielten Verkauf simulieren und die Ergebnisse anschließend auswerten und vergleichen."

Mit passend definierten Kennzahlen können die eingehenden Verkaufsdaten auf Produkte und Kundengruppen heruntergebrochen werden. Sie lassen sich permanent messen und überwachen sowie zu den dahinterstehenden Kosten in Beziehung setzen. Behrendt sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem blühenden Business-Intelligence-(BI-)Markt und dem lukrativen Geschäft der Anbieter mit immer besser qualifizierten Daten für eine gezielte Kundenansprache.

Das Data Warehouse ist gut gefüllt

BI gehört für Tegero Vieta, Marketing-Manager bei Caprabo, zum täglichen Handwerkszeug. Spaniens führende Super- und Hypermarktkette orientiert sich eng am Kunden, um ihre Geschäfte voranzutreiben. Das Data Warehouse ist gut gefüllt. "Wir müssen unsere Kunden genau kennen", argumentiert Vieta. Auch eingehende Kritik kategorisieren die Spanier anhand von Textanalyse. Die Kunden werden mit so genannten Mikroprofilen eingeordnet. Darin sind Kleingruppen mit hoch differenziertem, aber identischem Profil zusammengefasst. Insgesamt gibt es Hunderte solcher Profile. "Das Kaufverhalten und die Kaufbereitschaft der Angehörigen jeder Kleinstgruppe ist uns genau bekannt", sagt Vieta.

Der Lifestyle-Manager kennt seine Kunden

Einen Begriff für die verantwortlichen Mitarbeiter, die anhand der gesammelten, verdichteten und analysierten Kundendaten Marketing- und Verkaufskampagnen ziel- und preisgenau aufsetzen, hat er schon geprägt: Er spricht von Lifestyle-Managern. "Hier zählen Kurzzeitbetrachtungen und -bewertungen, keine historischen Rückschauen", berichtet Vieta.

Solche Analysen stoßen jedoch immer wieder an ihre Grenzen. "Die Herausforderung besteht darin, aus der Flut an immer kurzlebigeren und hoch differenzierten Daten die richtigen Erkenntnisse zu gewinnen", sagt Rainer Volck, Spezialist für BI-Lösungen bei Siemens IT Solutions and Services. Deshalb geht es immer wieder darum, Datenbestände zu bereinigen und zu konsolidieren. "Sonst haben die Informationen, die in den Cubes des Data Warehouse landen, nur geringe Aussagekraft", so Volck. Auch die Kundenprofile müssen ständig neu durchdacht und um aktuelle Erkenntnisse angereichert werden.

Außerdem müssten mit jeder neuen Produktstrategie geeignete Kennzahlen definiert sowie pfiffige Modelle für das jeweilige Gruppenkaufverhalten entwickelt werden. Der SIS-Manager verweist auf ein Beispiel aus der Praxis: "Eine Zielgruppe kauft Produkte eines Lieferanten in einer bestimmten Reihenfolge. Der Lieferant, der über dieses Wissen verfügte, konnte mit großem Verkaufserfolg eine selektive Kampagne starten." Kompliziert werde es allerdings dann, wenn Kosten und Erträge für diverse Produkte und Zielgruppen in Zusammenhang gebracht werden müssten. "Dann müssen für geeignete Daten erneut die Geschäftsprozesse durchleuchtet werden." Er rät deshalb den Entscheidern, die Kundenprofile nicht zu sehr zu verkomplizieren.

Robert Heinrich, Partner und verantwortlich für Beratungsservices bei Ernst & Young, sieht weitere Probleme, die die Mitarbeiter betreffen. "Die kundenzentrische Sicht, um die vielen Absatzgebiete besser zu beackern, ist schnell propagiert. Aber nicht nur die Technologie, sondern auch die interne Organisation mit ihren Menschen, Geschäfts- und Weiterleitungsprozessen müssen voll auf diese neue Sicht ausgerichtet und abgestimmt sein." Das hält der Chefberater für das größere Problem. "Markt und Kundenprofile mögen sich schnell ändern. Doch der Faktor Mensch und das, was er prägt, ist behäbig."

Nicht nur die Technik, auch die Organisation muss stimmen,meint Ernst&Young-Partner Robert Heinrich.
Foto: Ernst & Young

Heinrich registriert, dass viele (Internet-)Anbieter, die ihr umfassendes Datenreservoir möglichst intensiv ausreizen wollen, immer wieder auf interne Hindernisse stoßen. "Ebenso schwierig wie die zielgenaue Kundenansprache sind die Service- und Logistikprozesse. Sie müssen trotz stark differenzierter Märkte schnell und in hoher Qualität abgewickelt werden."

Herausforderung für die Organisation

Viele Mitarbeiter haben laut Heinrich zunehmend Mühe, dem "immer schnelllebigeren und kleinteiligeren Geschäft zu folgen". Er rät deshalb den Anbietern, beim Kunden vorab die Ausrichtung und Streuung des BI-gestützten Marktauftritts zu hinterfragen. Ist er organisatorisch durchsetzbar? Im Zweifelsfall sei es besser, einen Gang zurückzuschalten.

Eine Beobachtung ist auch, dass BI-Hersteller vor allem Großunternehmen als Abnehmer im Visier haben. Laut Jim Davis, Senior Vice President und Chief Marketing Officer bei SAS Institute, geht sein Haus vorrangig die 2000 führenden Unternehmen weltweit an. Interessant sind außerdem Konzerne, die einen gewissen Anteil an teuren Offerten haben und viele zahlungskräftige Konsumenten zu ihrer Klientel zählen, ergänzt Sven Löffler, Principal Solution Architect im Sales Response Team Europe bei Cognos. Erst dann lohne es sich, viele Mikroprofile zu entwickeln und zu füllen sowie in mehr oder weniger finanzstarke Kundenprofile zu segmentieren.

Für Anbieter, auf die dieses Angebots- und Marktprofil zutreffe, sei der Einsatz von BI-Werkzeugen aber sehr lohnend - vorausgesetzt, so Löffler, "der Anwender verstrickt sich nicht in verzichtbaren oder widersprüchlichen Unterscheidungskriterien und zu vielen Kleinstprofilen. Außerdem muss er die permanente Kundendatenflut nachhaltig in den Griff bekommen."

So hält man bei der IBM-Tochter Cognos wenig davon, ereignisgetriebene Daten innerhalb des Data Warehouse zu halten und zu pflegen. Löffler: "Das hat nur bei einer Batch-orientierten Datenverarbeitung Sinn." Event-getriebene Daten seien besser in den Hauptspeichern der BI-Software aufgehoben: "Hier können neue kurzlebige Kundeninformationen viel schneller und effektiver sondiert und aussortiert werden."

Reichlich vorhanden: BI-taugliche Informationen

Die Lufthansa setzt wie Caprabo eine BI-Lösung nach klassischem Data-Warehouse-Muster ein. Bei täglich 150 000 Passagieren und rund 2000 Flügen unterschiedlicher Distanzen in Economy, Business und First Class lohnt es sich, die Klientel genau zu durchleuchten. Hinzu kommen die Lufthansa-Shops als lukrative Einnahmequelle. Kundeninformationen fließen reichlich über das Internet, die Miles & More-Karten und aus den Shops ein.

Die Lufthansa kennt ihre Kunden und ordnet sie nach Profitabilität ein. In der Senator Lounge entspannen sich vermutlich die Hochkaräter der Kategorie M6. Sie genießen vielfältige Privilegien.

"Wir kennen unsere Kunden genau", behauptet Andreas Köster, Director Customer Analysis bei der Deutschen Lufthansa. Die Klientel wird nach ihrer Profitabilität für die Airline in die Kategorien M1 für niedrig bis M6 für hoch klassifiziert. "Die Strecken, Flüge und Passagierprofile werden von uns laufend überwacht. Simulationen wie Flugmusterbuchungen helfen uns, die Erträge zu maximieren und uns im harten Wettbewerb zu behaupten."

Danach werden die via SAS-Software identifizierten profitableren Kunden mit gezielten Marketing-Aktionen adressiert. Gesine-Katharina Varfis, Consulting Manager Route Profitability bei Lufthansa Consulting, sieht das Ende der Fahnenstange längst nicht erreicht. "In vielleicht zwei Jahren werden wir über BI genau wissen, wer gerade wann und wo in welcher Maschine sitzt. Das Flugzeug mit den für uns wichtigeren Kunden werden wir dann, an der Warteschleife vorbei, bevorzugt landen lassen", hebt Varfis ab. (hv)