Das ist der (Alp-)Traum des Gesundheitswesens: Man steht an einer Kreuzung. Ein freundlicher Herr, wahlweise eine Dame, klopft einem auf die Schulter und stellt sich als Doktor und Spezialist für Erkrankungen der Herzkranzgefäße vor. Dann diagnostiziert er, dass man in fünf Minuten einen Herzinfarkt bekommen wird. So weit, so schlecht.
Beruhigend weist er einen aber auf einen Rettungswagen hin, der an der Fahrbahnseite parkt und bereits auf einen wartet. Die Rettung naht. Alles wird gut.
Soweit das Sci-Fi-Szenario.
Tatsächlich nähert sich die Medizin aber mit Riesenschritten dieser schönen neuen Welt der Gesundheitsvorsorge. Der Bitkom nun wolllte in einer Untersuchung wissen, wie Deutsche die Digitalisierung der Health Care und die damit verbundene Überwachung der individuellen Gesundheitsparameter beurteilen.
Hierzu spannte der Marktforschungsarm des Digitalverbands Bitkom, Bitkom Research, diverse Szenarien auf: Der Arzt, der per Videochat von zu Hause aus konsultiert wird. Big-Data-Analysen, die rechtzeitig vor einer drohenden Herzerkrankung warnen. Roboter, die Chirurgen bei heiklen Operationen unterstützen. Samt und sonders digitale Technologien, die heute bereits im Einsatz sind und genutzt werden können.
Deutsche sehen große Chancen in der Digitalisierung der Medizin
Die Umfrage ergab, dass Deutschen im Einsatz digitaler Techniken große Chancen für die Prävention, Diagnose und Heilung von Krankheiten sehen. Großes Interesse hätten die Befragten demnach an telemedizinischen Angeboten, so der Bitkom: Jeder Fünfte (20 Prozent) erklärte, dass er im Krankheitsfall auf jeden Fall seinen eigenen Gesundheitszustand telemedizinisch überwachen lassen würde. Weitere 39 Prozent können sich vorstellen, diese Möglichkeit in Anspruch zu nehmen. Insgesamt 59 Prozent sind damit offen gegenüber dem sogenannten Tele-Monitoring.
Dabei werden beispielsweise die Vitalwerte wie Blutdruck oder Blutzucker von Patienten mit Herzerkrankungen oder Diabetes digital an ein Krankenhaus übermittelt, wo medizinisches Fachpersonal diese prüft und den Patienten bei Unregelmäßigkeiten benachrichtigt.
Online-Sprechstunden würde jeder Dritte wahrnehmen
Die Online-Sprechstunde mit dem Arzt würden 17 Prozent der Befragten auf jeden Fall nutzen, 16 Prozent können sich dies vorstellen (Gesamtinteresse: 33 Prozent). Um Ärzte im Ausland zu konsultieren, würden acht Prozent auf jeden Fall Telemedizin in Anspruch nehmen, 42 Prozent sind daran zumindest interessiert (Gesamtinteresse: 50 Prozent).
Und 14 Prozent würden sich einer Operation unterziehen, bei der ein Spezialist aus der Ferne per Video zugeschaltet ist und dem behandelnden Arzt Hinweise gibt, 45 Prozent können sich dies vorstellen (Gesamtinteresse: 59 Prozent). "Telemedizin ist ein hervorragendes Beispiel für das beeindruckende Potenzial der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Online-Sprechstunden oder Tele-Monitoring können die Versorgung kranker Menschen deutlich verbessern, Arzt und Patient entlasten und dabei auch noch die Kosten im Gesundheitswesen senken", sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder.
Entfremdung vom Arzt
Allerdings sehen die Befragten neben den Vor- auch erhebliche Nachteile etwa bei Online-Sprechstunden (siehe Grafiken "Vorteile/Nachteile von Online-Sprechstunde" - Quelle jeweils Bitkom). Rohleder hierzu: "Die Online-Sprechstunde wird die Präsenz-Sprechstunde nicht ersetzen, sondern ergänzen. Davon profitieren Arzt und Patient gleichermaßen."
Foto: Bitkom
Rohleder wies darauf hin, dass das Ende 2015 verabschiedete E-Health-Gesetz vorsieht, dass telemedizinische Befunde etwa von Röntgenbildern sowie die Online-Sprechstunde mit Patienten heute bereits starten könnten. "Die Einführung erster Telemedizin-Anwendungen ist ein großer Fortschritt. Weitere Anwendungen müssen schnell folgen", so Rohleder.
Foto: Bitkom
Über telemedizinische Szenarien hinaus bietet die Digitalisierung zahlreiche Chancen für die Prävention, Diagnose und Behandlung von Krankheiten. Moderne Methoden der Datenanalyse mittels Big-Data-Technologien ermöglichen es beispielsweise, Erbgut auf Gesundheitsrisiken zu untersuchen. Hier allerdings gibt es - bei prinzipieller Offenheit gegenüber diesen Möglichkeiten - durchaus auch Vorbehalte. "Wer über seine individuellen Krankheitsrisiken Bescheid weiß, kann sich entsprechend gesundheitsbewusst verhalten", so Rohleder. "Deshalb sollte jeder, der diese Informationen haben möchte, die Möglichkeit bekommen, ohne dass daraus eine allgemeine Pflicht erwachsen darf."
Bereit, Gesundheitsdaten zur Verfügung zu stellen
Gesundheitsdaten sind in der Medizin und im Gesundheitswesen auch für zahlreiche weitere Zwecke wertvoll, schreibt der Bitkom. Größte Sorgen ist und bleibt - wie das Debakel der immer noch nicht eingeführten Gesundheitskarte wegen der vielfältigen Sorgen um Security-Aspekte belegt - das Thema Datensicherheit. Viele Befragte (82 Prozent) haben die Sorge, dass durch die Digitalisierung der Medizin die Gefahr des Missbrauchs von Gesundheitsdaten steigt. Wären die Daten optimal geschützt sind, würden die Befragten aber unter gewissen Voraussetzungen ihre Gesundheitsdaten zur Verfügung stellen (siehe Grafik). "Medizinische Daten können im Gesundheitssektor Leben retten. Deshalb müssen wir sie konsequent und klug nutzen. Ein Höchstmaß an Datenschutz ist dabei Voraussetzung", so Rohleder.
Foto: Bitkom
Internet als Gesundheitsberater gefragt
Schon heute spielen digitale Technologien eine wichtige Rolle in Gesundheitsfragen - das wird deutlich am Beispiel der Online-Gesundheitsrecherche: Zwei Drittel der Internetnutzer (64 Prozent) informieren sich wenigstens hin und wieder im Internet über Gesundheitsthemen, jeder Fünfte (20 Prozent) sogar mindestens einmal pro Monat. Die drei Top-Themen sind dabei: gesunde Ernährung, Krankheitssymptome, Fitness/Sport und alternative Behandlungsmethoden (siehe Grafik).
Foto: Bitkom
Von den Recherchemöglichkeiten im Internet profitieren die Anwender in vielfältiger Weise: So würde sich die gesundheitliche Versorgung verbessert habe, zum Beispiel weil sie schneller als früher einen passenden Arzt finden. Zudem helfe die Internetrecherche dabei, souveräner gegenüber ihrem Arzt aufzutreten. Zudem verstehen sie ihren Arzt jetzt besser (siehe Grafik). "Patienten sind dank des Internets heute so gut informiert und so mündig wie nie zuvor - und das kann den Erfolg von Therapien enorm unterstützen", sagt Rohleder. Wenn der Patient zum Beispiel verstehe, wie ihm ein bestimmtes Medikament hilft und warum es auf nüchternen Magen eingenommen werden soll, steigere das die Therapietreue enorm.
Foto: Bitkom
Rohleder warnt allerdings davor, eigenmächtig Therapieänderungen vornehmen, also etwa vom Arzt verordnete Medikamente abzusetzen, oder sich gar in Panik versetzen zu lassen, weil man meint, eine bestimmte Krankheit zu haben.
Sorgen um die Gesundheit wegen Internetrecherche
20 Prozent der Nutzer von Online-Gesundheitsinformationen sagen, dass sie sich durch die Internetrecherche häufiger als früher Sorgen um ihren Gesundheitszustand machen. Jeder Zweite hat außerdem Probleme, bei der Fülle an Gesundheitsinformationen im Internet seriöse von unseriösen Quellen zu unterscheiden. Der Bitkom rät, bezüglich der Seriosität und Unabhängigkeit von Internetangeboten sowie der Kompetenz von Autoren Hinweise im Impressum zu beachten. Immer wieder werde nämlich ersichtlich, dass einzelne Unternehmen mit wirtschaftlichen Interessen hinter dem Angebot stecken.
Zudem würden oft Gruppen, die Meinungen fernab der Schulmedizin und etablierter alternativer Behandlungsmethoden vertreten, im Internet aufscheinen. Im Zweifel sollten Anwender einfach mal unterschiedliche Seiten und deren Informationen vergleichen, so der Bitkom, um zu prüfen, ob die jeweiligen Informationen glaubwürdig sind.
Mehrheit glaubt an die Chancen der Digitalisierung der Medizin
Abschließend schreibt der Bitkom, dass die Befragten insgesamt gegenüber der Digitalisierung in der Medizin und im Gesundheitswesen positiv eingestellt sind: Eine deutliche Mehrheit (61 Prozent) unterschreibt den Satz: Die Digitalisierung der Medizin birgt unterm Strich mehr Chancen als Risiken. "Wie einst die Erfindung des Penicillins läutet die Digitalisierung jetzt eine neue Ära der Medizingeschichte ein: Sie wird vielen Menschen zu einem längeren Leben mit einer höheren Lebensqualität verhelfen", so Rohleder. "Die Patienten haben dieses Potenzial erkannt, und die technischen Möglichkeiten sind da - nun wird es Zeit, sie konsequent zu nutzen."