IT-Service-Management 2021

Mit Volldampf aus der Krise

29.10.2020 von Iris Lindner
Nachdem die anfänglichen Probleme gelöst sind, entdecken viele Unternehmen, dass Corona auch neue Chancen für das Business mitbringt – Chancen, für die sich die IT richtig positionieren muss.

Homeoffice war für viele ein lang ersehnter Wunsch, der von der Geschäftsführung in den meisten Fällen aber kategorisch abgelehnt wurde. Vor allem bei Banken, Versicherungen oder Behörden war die Präsenz der Mitarbeiter unantastbar. Doch als Corona sie dazu zwang, ihre Prinzipien über Bord zu werfen, mussten selbst die erzkonservativen Branchen und Unternehmen umdenken. Und wer hätte erwartet, dass sich durch die veränderten Rahmenbedingungen neue Chancen für das Geschäft ergeben? Wer hat vorher je daran gedacht, dass es auch möglich ist, Kunden zu gewinnen, ohne diese zumindest einmal persönlich gesehen zu haben? Corona hat gezeigt: Es geht - nur eben anders als gewohnt.

Self-Service-Portale, Automatisierung etc.: Anstatt die Entwicklung im ITSM zu bremsen, hat Corona Unternehmen bei der Digitalisierung von Prozessen Dampf gemacht.
Foto: Steve Heap - shutterstock.com

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Corona ist die neue Dampfmaschine

Doch welche Auswirkungen hat die aktuelle Situation auf das IT-Service-Management? Entpuppt sich Corona hier als Fluch oder Segen? Beides, meinen die Experten. Zuerst war es sicherlich ein Fluch, da eine Art Zwangsdigitalisierung stattgefunden hat, auf die niemand vorbereitet war. Ein enormer Stresstest für alle Beteiligten, denn es haben zum Beispiel nicht nur Lizenzen gefehlt, es mussten auch innerhalb kürzester Zeit Prozesse angepasst werden.

Mittlerweile breitet sich aber der Segen in Form neuer Chancen im Business aus. Und jetzt kommt es darauf an, wie die IT diesen Change angeht. Denn: Corona hat in Teilen der Industrie denselben Änderungseffekt wie damals die Einführung der Dampfmaschine. Es werden noch immer dieselben Dinge gemacht, allerdings schneller oder effizienter. Auch rücken die Mobilität von Anwendungen, Self-Service-Portale und die Kommunikation in den Fokus der Kunden, denn Homeoffice bietet zwar Flexibilität bezüglich der Arbeitszeiten, doch um 22 Uhr ist der Service-Desk im Unternehmen nicht mehr besetzt. Das heißt, die Services, die die IT hier nach wie vor erbringen muss, ändern sich ebenfalls.

Virtueller Round Table "ITSM"
Armin Lehmann, USU
Wegen Corona haben viele Unternehmen großes Interesse an einem ganzheitlichen Self-Service, der eben nicht nur für IT-Services, sondern auch für HR, Facility Management, Buchhaltung usw. nutzbar ist. Und viele Unternehmen arbeiten mit Hochdruck an der Automatisierung ihrer Standard-Service-Requests. Nur so klappt die Arbeit auch aus dem Homeoffice heraus auch ohne Produktivitätseinbußen. Ein weiterer Trend ist die immer stärkere Nutzung von Anwendungen und Infrastruktur aus der Cloud. Der Druck wird hier immer größer, das Cloud-Wachstum professioneller zu managen, Wildwuchs zu vermeiden und die Kosten unter Kontrolle zu behalten. Vor allem in hybriden Umgebungen ist das ohne zusätzliche Tool-Unterstützung kaum möglich.
Carsten Owerfeldt, iET Solutions
Manche Kunden gehen seit Beginn der Coronakrise Projekte langsamer an und überdenken ihre geplanten Investitionen zum Teil nochmals. Auf bestehende Service-Management-Projekte hat Corona bis heute hingegen keinen Einfluss, insbesondere dort, wo Prozesse zuvor stark auf die Kundenbedürfnisse maßgeschneidert worden sind. Self-Service-Funktionalitäten sind aber mehr denn je gefragt. Daher treiben wir die digitale Transformation weiterhin voran, fokussieren uns auf KI-Themen und setzen auch in Zukunft auf die Integration vielfältiger Kommunikationskanäle.
Jürgen Lorry, Micro Focus
Die größten Herausforderungen haben die Mitarbeiter im Homeoffice zu bewältigen. Deren Themen ändern sich so schnell, dass sie sich oft schon erledigt haben, bevor sie überhaupt automatisiert wurden. Von daher braucht es unbedingt eine zentrale Anlaufstelle. Eventuell muss die IT etwas abpuffern, und wenn das Problem immer noch besteht, beziehungsweise viele Anfragen eingehen, dann lohnt sich auch eine Automation. Das Wichtigste dabei ist aber, die aktuellen Bedürfnisse der User genau im Blick zu haben, um bei einer Prozessänderung nicht das Thema zu verfehlen.
Michael Geyer, OMNINET
TCO-Berechnungen leiden oft an der Fokussierung auf Kostenbereiche, für die man Rechnungen erhält. Wenn ein Unternehmen jedoch zum Beispiel im Rahmen einer RPA- oder Chatbot-Initiative interne Spezialisten benötigt, die Dialoge programmieren, sollte dies ebenfalls berücksichtigt werden. Zudem wäre eine ehrliche Einschätzung angebracht, welche neuen Low-Brain-Tätigkeiten man sich mitunter ins Haus holt. Bei ROI-Diskussionen wünsche ich mir, dass ergänzend zur Sicht auf Effektivitäts- und Effizienzsteigerungen auch die Nachhaltigkeit und Relevanz einer Initiative für die Wertschöpfung des Unternehmens thematisiert wird.
Sven Ossenberg, Glenfis
Das Recht auf Homeoffice in der Verwaltung – das ist ein Paradigmenwechsel, den es so noch nie gab. Und natürlich eine große Chance, um zu sehen, wo man mit den Prozessen steht und wo man sich weiterentwickeln kann. Wenn es dann aber um die Budgetierung geht, kommt der Gemeinderat und drückt auf die Bremse. Man sollte an dieser Stelle nicht versuchen, klassisch das TCO oder den ROI zu analysieren, sondern den Blick auf das Lean-Portfoliomanagement und die aktuelle Wertschöpfung legen.

Im Fokus: Enduser Experience und Self Service

Auch wenn jeder Lösungs- und Tool-Anbieter am Anfang zu kämpfen hatte, um den Status quo wieder herzustellen, so merken mittlerweile viele Kunden, dass es auch anders geht. Sie sehen ein, dass Prozesse verschlankt werden müssen, da sie nun teilweise zum Beispiel durch die softwareseitige Integration von Lieferanten über Organisations- und Unternehmensgrenzen hinausgehen.

Dieses neue Netzwerkdenken führt auch zu geänderten Anforderungen an die IT. So mussten in den vergangenen Monaten Hersteller zum Teil die Architekturen überarbeiten, da sich Netzwerkströme und Lasten vom Firmennetzwerk ins Kundensegment verteilt haben. Nach wie vor spielen Automatisierung oder der Einsatz von KI bei den Projekten eine Rolle, allerdings hat sich der Blickwinkel im Vergleich zu der Zeit vor Corona verschoben. Das Augenmerk liegt nun auf der End-User-Experience.

Und diese muss gut sein, denn sie ersetzt nicht nur ein wenig das Gefühl des persönlichen Kontakts. Weil es im Homeoffice wesentlich mehr Tipps und Tricks braucht, sind Unternehmen dabei, Lösungsdatenbanken im Self-Service in den Vordergrund zu stellen. Und genau dafür müssen die Tools einfach und gefällig sein, um Frust zu vermeiden. So wird Künstliche Intelligenz (KI) zwar häufig für Chatbots verwendet, um eine etwas höhere Qualität am Service Desk aufrechtzuerhalten.

Wege, den Normalbetrieb am Laufen zu halten und Stabilität hinzubekommen, haben vormals geplanten KI-Projekten aktuell aber den Rang abgelaufen. Nicht zuletzt deshalb, weil keiner Geld für die Pandemie übrig hatte. Und so wurden Budgets umverteilt, da dieselben Tätigkeiten nun eine fundamental geänderte Umsetzung erfordern wie beispielsweise das On-Boarding der Mitarbeiter im Home Office. Wie lässt sich das vom Service-Desk heraus automatisieren?

Studie "ITSM 2021": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema ITSM führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Frau Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384) Herr René Krießan (rkriessan@idg.de, Telefon: 089 36086 322) und Herr Bastian Wehner (bwehner@idg.de, Telefon: 089 36086 169) gerne weiter. Informationen zur ITSM-Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Transparenz bis in die Cloud

Cloud-Dienste haben sich bei manchen als Retter in der Krise bewiesen, wodurch auch bei Anbietern von IT-Service-Management der Bedarf an entsprechenden Cloud-Angeboten gestiegen ist, um den Kunden für jede Situation die beste Lösung bieten zu können. Das stellt auch die Tool-Anbieter vor neue Herausforderungen: Wenn ein Kunde seine IT-Infrastruktur in die Cloud verlagert, ist das im Grunde noch die gleiche Aufgabenstellung, aber sie ist technisch anders zu lösen. Und weil es sich heutzutage kein Anbieter erlauben kann, nur On-Premises- oder Cloud-Lösungen zu liefern, braucht es Flexibilität, Offenheit und Schnittstellen, um Teil der integrativen Landschaft zu sein.

Und mehr noch: Da der Cloud-Ansatz so aufgesetzt ist, dass es für Kunden einfach ist, neue Anwendungen zu nutzen, wird das Controlling eine immer wichtigere Rolle spielen. Ebenso das Lizenzmanagement, von dem man dachte, dass es mit der Cloud eigentlich verschwindet. Für das Zusammenspiel von Monitoring, Lizenz- und Service-Request-Management wird es künftig erforderlich sein, den Kunden eine zentrale Plattform zur Verfügung zu stellen, wo diese Informationen eingesehen werden können.

Dass Kunden derzeit weniger über das einzelne Tool als über die Plattform nachdenken, zeigt sich auch beim Voranschreiten von RPA im Service Desk. Die Plattform muss in der Lage sein, durchgängig aus den Prozessen heraus zu automatisieren - von der Oberfläche bis hin zum Desktop. Und das muss die IT beherrschen können, ohne dass sie bei jeden zweiten Handgriff einen externen Berater dazu braucht. Dazu fehlt es aber aktuell an Kapazitäten, weshalb die Automatisierung nach wie vor ein großes Thema ist, jedoch vorerst das letzte Glied in der Optimierungskette bleibt. Priorität hat der Prozess, der schlanker, agiler und vor allem transparenter werden muss.

Während die Unternehmen noch damit beschäftigt sind, den für RPA notwendigen Reifegrad überhaupt zu erreichen, widmen sich Hersteller von IT-Service-Management-Lösungen schon den Möglichkeiten, mit Predictive Analytics auf bevorstehende Service Desk Incidents zu reagieren. Bei Monitoring-Systemen wird dies bereits angewandt, jedoch zeigt sich gerade hier die Bedeutung von SaaS und Cloud. Denn: Je mehr Teilbereiche von Services ausgelagert werden, umso schwieriger ist es für Unternehmen, an wertvolle Daten für Predictive Analytics heranzukommen. Wer Verantwortung für den Betrieb abgibt, muss also Lücken in der Informationswolke in Kauf nehmen. Wie sollen sich also Unternehmen ITSM-mäßig am besten aufstellen, um ihr Kerngeschäft möglichst unbeschadet durch die noch vor uns liegende Corona-Zeit zu bringen?

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Das Ohr auf der Schiene, das Service-Portfolio-Management im Griff

Die Priorität steckt nach wie vor im zentralen Servicekatalog, der den Mitarbeitern zur Verfügung gestellt wird. Und dafür müssen Unternehmen neben der IT auch das Enterprise-Service-Management betrachten. In Zukunft wird es nämlich nicht mehr tragbar sein, dass sich ein Mitarbeiter im Home Office überlegen muss, ob sein Anliegen IT, HR oder Facility betrifft. All diese Themen und Services müssen zuerst in einem zentralen Portal zusammengefügt werden. Erst dann sollte man versuchen, nach und nach zu automatisieren.

Doch Vorsicht: Zurzeit stehen die Endbenutzer im Homeoffice vor der größten Herausforderung: Ihre Themen ändern sich teilweise so schnell, dass man das Ohr sehr fest auf die Schiene drücken muss. Wer nicht die aktuellen Bedürfnisse der zu unterstützenden User-Schar im Auge hat und einfach die Prozesse der IT überarbeitet, der kann sehr leicht das Thema verfehlen und die Nutzer weiter frustrieren. Auch sollte es die IT nicht verpassen, ihre Rolle, Abläufe und Kommunikationsplattform zu etablieren, um permanent mit dem Business in Kontakt treten zu können.

Durch Corona ergeben sich dauernd neue Chancen, die sich auf neue oder geänderte Services auswirken, weshalb man das Service-Portfolio-Management bestens im Griff haben muss. Zu versuchen, dieses agil und schnell zu halten, und sich auch einmal von Services zu trennen, statt immer noch einen draufzusetzen, ist ebenso erstrebenswert wie ein pflegeleichter Servicekatalog. Mit einem Service Delivery, das den Kopf frei hat, um die neuen und geänderten Dinge auch vernünftig in der gewohnten, vereinbarten Qualität umzusetzen, ist man als Unternehmen auch für die Zeit nach Corona bestens aufgestellt. (mb)