Sie heißen "Quickoffice Pro", "Popplet" oder "Fuze Meeting HD" und sind für wenige Euro schnell aus dem App-Store runtergeladen. Aber auch wenn sie gute Dienste leisten, fehlt ihnen ein entscheidendes Merkmal: Business-Apps sind meist nicht in die Unternehmens-IT integriert, sondern leisten als mobile Insellösungen auf mehr oder weniger Smartphones und Tablets eines Unternehmens ihren Dienst.
Selbst wenn solche Apps von Unternehmen selbst entwickelt werden, so Thomas Walter, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftsinformatik in St Gallen, lassen sie häufig noch keinen Nutzen für das Gesamtgeschäft erkennen. Standardisierte Prozesse für mobile Vorhaben seien genauso wenig vorhanden wie zentrale, für das Thema zuständige Organisationseinheiten. Vieles geschehe von Fall zu Fall und innovationsgetrieben in einzelnen Abteilungen. "Die daraus resultierenden Prototypen lassen sich kaum auf andere Aufgabenbereiche ausdehnen", so Walter. "Da macht es schon Sinn, über ein einheitliches Vorgehen nachzudenken."
Zumal die Mehrheit in den Geschäfts-Apps einen wichtigen Faktor für höhere Wirkkraft im Arbeitsalltag sieht, wie das St. Gallener Institut in seiner Studie "Mobile Business Solutions 2012" (http://www.business-goes-mobile.de/) festgestellt hat. Die Schweizer Wissenschaftler hatten 350 Entscheider und IT-Verantwortliche aus 20 börsennotierten Unternehmen unter anderem danach befragt, welche Geschäftsprozesse sich aus ihrer Sicht sinnvoll mobilisieren lassen und wie weit sie damit bereits fortgeschritten sind.
Prozesse anstoßen
Noch immer geht es heute primär darum, Informationen unterwegs empfangen zu können, und weniger darum, Prozesse anzustoßen und abzuwickeln. Mitarbeiter können überall E-Mails und Kalender sowie Daten des Kunden abrufen oder digitale Broschüren mit ihm ansehen. Am wichtigsten ist ihnen die zuverlässige Synchronisation aller Informationen zwischen PC und mobilen Endgeräten. Der Abschluss von Verträgen findet aber meist immer noch auf klassischen Wegen statt. Hier liegt für die Projektleiter der Studie noch viel Mobilisierungspotenzial brach. Viele Projekte gingen hinsichtlich der Prozessoptimierung nicht weit genug. Die Mitarbeiter könnten unterwegs vieles einsehen, aber nicht ausführen.
Um Geschäftsprozesse zu verbessern, müssten sich mobile Lösungen in die Unternehmens-IT wie aus einem Guss einfügen. Ohne einen systematischen Ansatz seien sie von Anfang an zum Scheitern verurteilt. "Mobile ist mehr als nur hippe Marketing-Apps", so Thomas Walter. Mobilisierung mache vor allem dort Sinn, wo sie die Werkbank der Geschäftsanwendungen verlängere.
Arbeitszeiten erfassen, Freigaben erteilen, aktuelle Umsätze im Flugzeug auswerten, Verträge vor Ort beim Kunden digital unterzeichnen, Ersatzteile unterwegs bestellen - die Beispiele für eine 1:1-Umsetzung von Geschäftsprozessen aus den Backend-Systemen auf mobilen Endgeräten sind zahlreich.
Unternehmensberater Thomas Lünendonk sieht das genauso: "Je größer und dezentraler ein Unternehmen und der Marktzugang, desto sinnvoller kann es selbst Apps entwickeln und mit den bestehenden Strukturen verbinden. Mitarbeiter im Außendienst müssen zum Beispiel einen Überblick über den Warenbestand und das Preisgefüge haben, um beim Kunden auskunftsfähig zu sein und Bestellungen auszulösen. Dazu müssen diese Informationen einerseits vor Ort verfügbar und andererseits sauber in die Betriebswirtschaft integriert sein." Das reduziere zudem zahlreiche Fehlerquellen, da etwa keine Informationen später erst manuell zusammengeführt werden müssten.
Mobile Middleware wie die Sybase Unwired Platform (SUP) und Lösungen für das Mobile Device Management ermöglichen es, zentrale SAP-Applikationen und Eigenentwicklungen mit nahezu beliebigen Endgeräten und Betriebssystemen sicher und mit hoher Verfügbarkeit zu nutzen. Spannend wird es nach Meinung von Hagen Rickmann, Geschäftsführer Service bei T-Systems, aber erst dort, wo Unternehmen mit mobilen Lösungen völlig neue Geschäftsprozesse und Mehrwerte erschließen. "Mit der Umsetzung 1:1 kann ich Zeit sparen, manches bequemer gestalten und eventuell die Servicequalität steigern, aber mit neuen Prozessen verbessere ich auch mein Geschäftsmodell."
Mobile Schadensmeldung
Die Mobiliar, einer der größten Versicherungskonzerne der Schweiz, zieht beispielsweise mit einer mobilen Schadensmeldung ihre Mitglieder selbst in den Unternehmensprozess mit ein. Bei einem Autounfall sendet der Kunde über eine App Fotos des Schadens, eine Skizze des Hergangs sowie eine Sprachdatei mit einer mündlichen Schilderung an die Sachbearbeiter. Die genaue Position des Unfalls wird zusätzlich per GPS übermittelt. Diese Vorgehensweise spart Aufwand und Kosten.
Die rund 80 Generalagenturen und 60 weitere Unteragenturen in der Schweiz beziehen Leistungen wie das Daten-Management von der Zentrale in Bern. Meldet der Kunde einen Schaden, sorgt die zentrale IT-Abteilung dafür, dass er der zuständigen Agentur zugewiesen wird. Der Kunde muss dazu auf seinem Handy die für ihn zuständige Agentur voreinstellen. "Er hat dann seine Agentur immer bei sich an der Seite, per Telefon, im Internet oder auf dem Smartphone ", sagt Fritz Zemp, Verantwortlicher Ideen- & Innovationsmanagement bei der Mobiliar. Die Lösung ist in eine Notruf-App integriert, die alle wichtigen Telefonnummern für den Schadensfall anzeigt. Kürzlich hat die Mobiliar sie um einen sogenannten Meteo-Alarm ergänzt, der - zugeschnitten auf individuelle Nutzerbedarfe - vor lokalen Unwettern warnt. "So gestalten wir mit der App nicht nur unsere Prozesse effizienter, sondern wir sind beim Kunden per Knopfdruck stets präsent." Bis heute haben rund 50.000 Kundinnen und Kunden die App auf ihr iPhone und 5.000 auf Android-Geräte geladen.
Die Mobiliar unterteilt Apps in rote für Kunden und blaue für Berater. Erstere stehen zum freien Download auf Google-Marktplätzen bereit. Die blauen Apps verteilt die Mobiliar intern über die SUP (Sybase Unwired Platform). "Wer von den Mitarbeitern mit seinem iPhone angemeldet ist, bekommt automatisch die App, die er zum Arbeiten braucht", sagt Zemp.
Flotten flexibel per iPad steuern
Dass es auch Apps aus dem App-Store für den Unternehmenseinsatz mit Zugriff auf Backends geben kann, zeigt Daimler FleetBoard. Der Anbieter von Services in der Nutzfahrzeugtelematik, unterstützt das Flottenmanagement in Speditionen fabrikatsunabhängig mit einer mobilen Lösung, die Nutzer aus dem Apple-Store herunterladen. Die Nutzdaten selbst sind alle im Rechenzentrum von Daimler gespeichert, nicht auf den Endgeräten. Die Lkw sind mit Rechnern ausgestattet, die Fahrzeugdaten speichern und per GPRS Informationen an die Zentrale senden.
Die leitenden Disponenten dort arbeiten außer am PC mit Tablets und Smartphones, um unterwegs passwortgeschützt auf aktuelle Fahrzeug- und Tourdaten zuzugreifen. Sie behalten somit orts- und zeitungebunden den Überblick über alle Lkw. Sie sehen, wo sich die Lkw gerade befinden, ob sie material- und kraftstoffschonend gefahren werden und ob die Touren wie geplant verlaufen. Gleich, wo sie sich gerade befinden, können die Disponenten kurzfristig Textnachrichten mit aktuellen Aufträgen oder Änderungen inklusive Laufplänen an die Fahrer verschicken.
Zusätzlich behalten die Manager mit einer Zeitwirtschaftslösung die Restlenkzeiten im Blick. Bei Bedarf empfehlen sie mit Hilfe der Kartendarstellung den nächstgelegenen Rastplatz. Alle diese Möglichkeiten gab es auch schon früher mit dem PC, aber mit der App-Lösung behalten die Entscheider jederzeit Kontakt mit den Lkws und ihren Fahrern. Dadurch lassen sich die Transportleistung, die Verfügbarkeit der Fahrzeuge und die Kostensituation verbessern.
Mobile Zeitwirtschaft
Mobilisierungsstrategien eignen sich aber nicht nur für große Konzerne. Der Mittelständler Husen Stahlbau aus dem Emsland beispielsweise steuert mit einer mobilen Lösung die Zeitwirtschaft von rund 180 Montageprojekten pro Jahr. Vorher dauerte es ein bis zwei Wochen, bis das Unternehmen die Wirtschaftlichkeit eines laufenden Bauvorhabens einschätzen konnte. "Da sich die Liefertermine permanent verkürzen und wir die Budgets immer knapper kalkulieren müssen, war ein solcher Blindflug nicht länger haltbar", sagt Karsten Schmidt, Projektleiter bei Husen Stahlbau. "Wenn wir im Falle eines Falles noch wirksam eingreifen wollen, müssen uns die Zeiten unserer bundesweit eingesetzten Montageteams tagesaktuell vorliegen."
Der Mittelständler stattete jedes seiner Montageteams mit einem mobilfunktauglichen Barcode-Scanner aus. Mit dem Lesegerät erfassen die Mitarbeiter im In- und Ausland Lade- und Montagezeiten einheitlich über voreingestellte Formulare und senden diese Informationen an das zentrale Auftragsmanagementsystem ams.erp. Dieses verarbeitet die eingehenden Daten in Echtzeit, einmal im Projektcontrolling und einmal in der Lohnbuchhaltung. Die Projektmanager erkennen somit sofort den Baufortschritt und ob ihre Budgets sowie die mit dem Kunden vereinbarten Termine für die Fertigstellung eines Objekts noch gültig sind.
Zudem lässt sich genau nachvollziehen, welche Arbeitsgänge zu welchen Zeiten führen, denn die Informationen aus der mobilen Zeitwirtschaft lassen sich den Positionen der Auftragsstückliste exakt zuordnen. "Stück für Stück schaffen wir damit eine klar dokumentierte Wissensbasis, von der aus wir die zukünftigen Bauvorhaben präziser kalkulieren und verlässlicher durchführen können. Mit der mobilen Zeitwirtschaft bekommen wir die Transparenz, um unsere Performance und damit auch unsere Wettbewerbsfähigkeit fortwährend zu verbessern", sagt Schmidt.
Mobile Ärzte am Krankenbett
Beispiele für erfolgreiche Mobilisierungsprozesse kommen auch aus dem Gesundheitssektor. SAP und die Telekom führen derzeit Ärzte-iPads in der Berliner Charité ein. SAP hat eine App für Krankenhäuser entwickelt, die Ärzten die Visite erleichtert. Dabei greift der Arzt über ein Tablet auf das Krankenhausinformationssystem zu und hat so stets sämtliche Patientendaten inklusive Laborwerten und Befunden aktuell am Krankenbett dabei.
Rund 200 iPads und Smartphones setzt die Charité derzeit ein, auf denen diese SAP-App installiert ist. Wie bei einer Krankenakte zeigt das Miniprogramm befugten Nutzern unter anderem auf einer Zeitleiste an, welche Operationen bei dem Patienten schon durchgeführt und welche Diagnosen gestellt wurden. Der Mediziner kann daneben unter anderem Patienten mit ähnlichen Diagnosen miteinander vergleichen. So lassen sich Therapien präziser zuschneiden. Pro Patient erhebt die Charité eine halbe Million Einzeldaten.
"Die neuesten technologischen Entwicklungen bei mobilen Endgeräten ermöglichen es uns, medizinische Informationen direkt am Bett zu präsentieren", sagt Helmut Greger, der IT-Chef der Charité. "Ich nehme an, dass wir in etwa einem Jahr die vollständige Patientenakte am Krankenbett darstellen können. Das Ziel ist dabei, den medizinischen Dokumentationsprozess zu unterstützen und somit den Arzt weitestgehend von administrativen Tätigkeiten zu entlasten."
Insgesamt zeigen diese Beispiele das Potenzial, das in Enterprise App Stores und Mobilisierungskonzepten allgemein für Unternehmen und öffentliche Organisationen steckt. "Gut wäre schließlich ein Chief Mobile Officer", sagt Thomas Walter von der Uni St. Gallen. Das ist auch ein Ergebnis der Studie: Rund die Hälfte der Befragten befürwortet eindeutige Zuständigkeiten bei der Mobilisierung von Geschäftsprozessen. "Im Grunde ist Mobilisierung klassische IT-Projektarbeit damit am Ende alles mit den verschiedenen Endgeräten und Betriebssystemen sowie mit unternehmensspezifischen Rollen- und Berechtigungskonzepten aus einem Guss funktioniert", so der Wirtschaftsinformatiker. Die Unternehmen könnten hier ruhig mutiger vorgehen, denn Mobilisierung sei letztlich gar nicht so neu: "Aus einem Buch über IT-Management lassen sich 60 bis 70 Prozent der Kapitel eins zu eins übernehmen." (mb)