IoT-Roundtable

Neue B2B-Geschäftsmodelle: Evolution oder Disruption?

11.08.2017 von Christiane Pütter
Künftig entwerfen KI-Systeme neue Business-Modelle. Diese Modelle werden Daten verdienen statt Geld. Und: wer innovativ sein soll, darf kein Budget bekommen. Thesen und Erfahrungen von zwölf Experten in Sachen Internet of Things (IoT).

"Digitale Geschäftsmodelle sind Schnee von gestern, wenn man sie nicht richtig anfasst." Starke Worte von Helmut Schnierle. Der Head of Business Sales IoT/M2M bei Telefonica diskutiert mit elf weiteren Experten über neue Business-Modelle, die das Internet of Things (IoT) generieren kann. Ende Juli treffen sie sich in der Redaktion des Computerwoche-Magazins in München.

Fand großen Zustrom: Der IoT-Roundtable "Neue B2B-Geschäftsmodelle"
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Wie man die Modelle richtig anfasst, lernt man offenbar vom Konsumenten-Markt: 63 Prozent der IoT-Anwendungen laufen unter B2C (Business to Consumer), meldet der US-Marktforscher Gartner. Andreas Hein, Vice President bei Capgemini, überrascht das nicht: "Wenn dem privaten Konsumenten eine App abschmiert, ist das nicht dramatisch. Ein Unternehmen kämpft mit ganz anderen Konsequenzen." Gerardo Labrador Solar, Director Technical Sales bei AT&T, hinterfragt allerdings Gartners Definition: "Ist das vernetzte Auto B2B? Oder B2C, weil ein Konsument damit fährt?" Und Karin Sondermann, Senior Manager DCoE - Lead of Digital Analytics/IoT bei Avanade, betont: "B2B ist ja nur ein Zwischenmarkt. Der Mehrwert entsteht letztlich immer beim Endkunden. Von dort kommt der Pull!"

Mehr als nur Prozessoptimierung

Eifrig am Diskutieren: Gerhard Lesch, Intel, und Karin Sondermann, Avanade
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Schnierle unterscheidet zwischen Evolution und Disruption bei der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle. So weit allerdings sind die Kunden von Thomas Rohrmann, Senior Marketing and Business Development Manager bei SAS, noch nicht: "Sie diskutieren immer noch darüber, wie sie das, was sie bereits machen, besser machen können. Es geht meist um Prozessoptimierung." Fangen diese Kunden mit der Vernetzung ihrer Produkte an, berühren sie plötzlich rechtliche Fragen.

Auch beim IoT-Roundtable "Neue B2B-Geschäftsmodelle" zugange: Martin Pfeil, Atos, und Wolfgang Klimt, Consol.
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Das kann Martin Pfeil bestätigen: "Daten-Ownership ist ein ganz wichtiges Thema im Umfeld von gemeinsam genutzten IoT-Plattformen", weiß der Chief Technology Officer und Industrie-4.0-Verantwortliche bei Atos in Deutschland. Als Beispiel dafür nennt Sondermann den klassischen Reifenhersteller, der dank Sensortechnologie Reifen-as-a-Service anbieten kann - und gegebenenfalls mit einer Versicherung kooperiert, was nicht jedem Fahrer und jedem Unternehmen passen dürfte.

Daten statt Geld verdienen

Gerade dieses Beispiel aber zeigt, worum es künftig gehen wird. Rohrmann formuliert das so: "Neue Geschäftsmodelle sollen Daten verdienen statt Geld!" Er denkt etwa an den Rauchmelder, der nicht nur die Rauchentwicklung in der Luft misst, sondern auch die Konzentration an Schimmelsporen. Schon geht es nicht mehr nur um Feuerschutz, sondern auch um Gesundheitsthemen. Kommentar von Gerhard Lesch, IoT Business Development bei Intel: "Die Macht der Daten ermöglicht unglaublich viele neue Geschäftsmodelle!" Sein Tipp an Entscheider in den Unternehmen: Mit überschaubaren Proofs-of-Concepts starten, die aber einen konkreten Business-Nutzen haben müssen, und den Roll-Out in die Fläche gleich mitdenken.

Gerardo Labrador Solar, AT&T, und Andreas Hein, Capgemini, waren sich in der Diskussion nicht immer einig.
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Doch wer sind diese Entscheider? "Da gibt es den CIO, den Chief Digital Officer (CDO) und den Chief Security Officer (CSO)", zählt Labrador Solar auf. "Und immer öfter haben wir direkt mit dem Fachbereich zu tun." Das ist auch gut so, bestätigt die Runde. Denn wer End-to-End denken will, muss Silostrukturen aufbrechen. Wolfgang Klimt, Prokurist bei Consol Consulting, kann nur raten: "Man sollte die Leute zusammenbringen, die normalerweise nicht miteinander reden. Mitarbeiter aus Fertigung und IT zum Beispiel. Dann gibt man ihnen sechs Monate Zeit!" SAS-Manager Rohrmann schmunzelt: "Aber geben Sie denen kein Geld! Sobald das Team ein Budget kriegt, läuft oft schon was falsch!" Einfach deswegen, weil es dann um Ziele und Vorgaben geht. Das schadet offenbar der Experimentierfreude und damit der Innovationsfähigkeit.

Kontinuierliche datengetriebene Innovation

Einen weiteren Aspekt bringt Sebastian Hild ein. Der Principal Solution Specialist bei Microsoft empfiehlt, nicht von "IoT-Projekten" zu sprechen. "Ein Projekt hat einen Anfang und ein Ende", erklärt er. "Was Unternehmen brauchen, ist ein Schwungrad für kontinuierliche, datengetriebene Innovation!" Automobilhersteller beispielsweise könnten es sich heute nicht mehr leisten, alle acht Jahre ein neues Modell auf den Markt zu bringen. Der Verbraucher will ständig Verbesserungen sehen, und diese können nur Data Analytics generieren.

Michael Schenk, Oracle, und Thomas Rohrmann, SAS
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Stichwort Autobauer: Die Diskussionsteilnehmer erwarten, dass künftige Verbrauchergenerationen nicht mehr "einen Audi" oder "einen BMW" kaufen werden, sondern das Fahrzeug, das sie am einfachsten und bequemsten von A nach B bringen wird. Hinzu kommt: Die klassischen Hersteller erhalten neue Konkurrenz durch innovative Anbieter wie Uber. So wie die einst erfolgsverwöhnten Hotels durch Dienste wie AirBnB.

Christian Pereira, Q-Loud, und Gerardo Labrador Solar, AT&T.
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Wobei Christian J. Pereira gar nicht nur über die bekannten Größen der deutschen Wirtschaft sprechen will. Der Geschäftsführer von Q-loud (QSC) ist viel für den Mittelstand tätig. Und diesen will er nicht unterschätzt sehen: "30 Prozent meiner Kunden haben einen CDO eingesetzt", sagt er. "Blockaden gegen das IoT bestehen nicht im Management. Sondern auf den Ebenen weiter unten." Michael Schenk, SCM Sales Representative von Oracle, kennt das von seinen Kunden: "Technisch ist alles machbar, aber das Internet of Things berührt Kulturfragen in den Unternehmen. Es erfordert einen Change." Und bei dem orientiert man sich am Besten an den Methoden des Design Thinking, rät Avanade-Managerin Sondermann.

Standortvorteile mit IoT sichern

"Unternehmen müssen kundenzentriert einsteigen", appelliert Felix Bleichert, IBM
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Das IoT erfordert aber auch die nötigen Skills. "Deutschland mit seinen Weltmarktführern auf der Schwäbischen Alb hat seine Standortvorteile", sagt Capgemini-Mann Hein. "Wenn wir es schaffen, vernünftige Regularien bei der Datensicherheit einzuführen, werden wir sein wie Phönix aus der Asche!" Neben diesen Regularien brauchen Unternehmen den richtigen Ansatz. "Unternehmen müssen kundenzentriert einsteigen", appelliert Felix Bleichert, Client Experience Leader bei IBM. Als Watson-Experte weiß er um die Möglichkeiten von Data Analytics und Künstlicher Intelligenz für eine verbesserte Kundenzufriedenheit.

Sebastian Hild, Microsoft, und Helmut Schnierle, Telefonica.
Foto: Michaela Handrek-Rehle

Doch Microsoft-Manager Hild gibt zu bedenken: "Bis wir die nötigen Data Scientists ausgebildet haben - das dauert fünf Jahre!" Er setzt deshalb auf eine "Demokratisierung von Machine Learning und Artificial Intelligence, um die Technologien für jeden nutzbar zu machen". Eine Idee, die AT&T-Manager Labrador Solar gleich weiterspinnt. "Heute wird ja bereits Software von anderer Software entwickelt", überlegt er. "Vielleicht entwickeln ja KI-Systeme neue Geschäftsmodelle künftig selbst?" Und so mancher in der Runde findet: Wenn Manager überflüssig würden, das wäre doch eine ganz neue Perspektive in der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen...