Newtron

Newtron: Trommeln für den Welthandel

22.01.2001 von Christian Blees
Am Anfang war die Idee - und zwei Jahre später hatten vier BWL- und Jura-Studenten eine Firma mit über 100 Mitarbeitern, die internetbasierende Handelssysteme entwickelt. Der Expansionsdrang der Newtron AG mit Sitz in Dresden und Frankfurt am Main sowie Niederlassungen in Singapur, Wien und Neu-Delhi ist noch nicht gestillt.

Nur durch einen Zufall ist Nicole Tietz bei der Newtron AG in Dresden gelandet. “Ein Bekannter von mir wusste, dass hier noch Programmierer gesucht werden”, erzählt die 27-Jährige. Obwohl sie ihr Informatikstudium noch gar nicht abgeschlossen hatte, meldete sich die Berlinerin Mitte Oktober vergangenen Jahres spontan per E-Mail bei dem sächsischen Internet-Startup.

Torsten Jacobi

Dann ging wider Erwarten plötzlich alles sehr schnell: “An einem Donnerstag hatte ich mich beworben, 24 Stunden später wurde der Vertrag unterzeichnet, und am darauf folgenden Montag konnte ich schon als Softwareentwicklerin anfangen.” Nicht bei allen Interessenten gehe die Einstellung derart rasant über die Bühne, räumt Axel Steiner, Director Human Resources bei Newtron, ein. “Aber zumindest können Bewerber mit einer umgehenden Antwort auf ihre Anfrage rechnen”, verspricht er. Vor allem Product Developer, E-Commerce-Consultants sowie Softwarearchitekten hätten derzeit gute Einstiegschancen.

An der Elbe, wo sich die Abteilungen IT-, Softwareentwicklung und Administration niedergelassen haben, stößt die Belegschaft räumlich bereits an ihre Kapazitätsgrenzen. Zwar sind zu den ursprünglich angemieteten 1300 Quadratmetern in der siebten Etage des Dresdner “World Trade Centers” (WTC) vor kurzem noch einmal 1000 auf der anderen Seite des Treppenhauses hinzugekommen, doch gelten auch diese bereits als fest verplant. “Notfalls”, scherzt IT-Vorstand Torsten Jacobi, “schicken wir neue Kollegen aus Platzmangel erst einmal in eine unserer Auslandsniederlassungen.” Womit er gleich einen Vorteil des seit August 1999 als Aktiengesellschaft eingetragenen Unternehmens nennt: “Während Einsteiger woanders erst einmal fünf Jahre brav im Stammhaus dienen müssen, um sich für einen möglichen Auslandseinsatz zu qualifizieren, kann das bei uns ganz schnell gehen. Wir setzen die Leute halt gleich dort ein, wo sie gebraucht werden.”

Noch gilt dies freilich auch für die Räume im WTC. Hier wird ein Großteil der Mitarbeiter im Bereich Service and Support eingesetzt, um die Kunden bei der Anwendung der von Newtron entwickelten Software für Internet-Marktplätze zu beraten. Auf Wunsch kann diese Software an die Geschäftsprozesse der beteiligten Unternehmen angepasst werden. Damit können Kunden ihre auf sie zugeschnittenen Business-to-Business-Marktplätze im Netz installieren und betreiben. “Experten gehen davon aus, dass sich pro Branche nur zwei bis drei solche Marktplätze etablieren werden”, erläutert Jacobi. “Daher können wir es uns gar nicht erlauben, unsere Kunden nach der Entwicklung und dem Verkauf der Software im Stich zu lassen.” Um potenziellen Kunden zu zeigen, dass die Software tatsächlich funktioniert, betreibt Newtron eigene Handelsplätze im Netz. So finden sich etwa unter www.newtronCompoNet.com 48 000 Produktgruppen aus der technischen Zuliefererindustrie, während auf www.newtronMRO.com mehr als 5000 Anbieter gelistet sind, die von der Büroausstattung bis hin zur Logistikdienstleistung die gesamte Palette des administrativen Einkaufs nutzen können. Unter www.newtronAutomotive.com treffen sich zirka 50 000 Automobilzulieferer, um dort ihre strategische Beschaffung abzuwickeln.

Das Transaktionsvolumen der von Newtron direkt betreuten Handelsplattformen betrug im Jahr 2000 mehr als 700 Millionen Mark, inzwischen sind es mit der seit Dezember vergangenen Jahres gestarteten Plattform für Automobilzulieferer rund zwei Milliarden Mark jährlich. Von sieben bis 19 Uhr ist die Beratungs-Hotline werktags besetzt, und im Gegensatz zu so manchem Service Center geht es zumindest an diesem Freitag nachmittag in der Serviceabteilung recht ruhig zu. Wobei die relative Stille in den mit dunkelblauem Teppichboden ausgelegten Räumen ohnehin angenehm überrascht. Von hektischer Atmosphäre keine Spur. Stattdessen sitzen die Mitarbeiter ebenso entspannt wie konzentriert an ihren Schreibtischen. Hin und wieder dringen leise Gesprächsfetzen aus einer der überwiegend geöffneten Türen auf den langen Flur, oder es schreitet ein mit Headset ausgerüsteter Kollege über den Gang, ganz vertieft in ein Kundengespräch. Umso erstaunlicher, wenn plötzlich Trommelrhythmen zu vernehmen sind, die offenkundig aus einem verschlossenen Büro herüberdringen. “Das sind unsere Entwickler”, lächelt Jacobi, “die toben sich jeden Tag auf diese Weise für fünf Minuten aus. Das Trommeln entspannt angeblich wunderbar.”

Auch sonst gehe es bei dem sächsischen Vorzeige-Startup äußerst locker zu, bestätigt der Informatiker Herwig Weidle: “Solange man sein Pensum schafft, darf man morgens ruhig später anfangen. Überhaupt herrscht ein tolles Betriebsklima.” So gibt es eine Firmen-Volleyballgruppe, einen regelmäßigen Stammtisch und auch andere gemeinsame Freizeitaktivitäten. Nach seinem Studium an der Fachhochschule Zittau/Görlitz ist der 24-Jährige jedoch nicht nur wegen des lockeren Umgangs nach Dresden gekommen: “Hier kann ich mich ohne große Umstände in Java und E-Commerce weiterbilden, zudem lockt mich die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen - mehr kann ich wohl kaum verlangen.” Wem das tägliche Gratis-Obst sowie die freien Getränke nicht genügen, für den hält Gründungsmitglied Jacobi (“Unsere Einstiegsgehälter bewegen sich generell auf sehr gutem Marktniveau”) gegebenenfalls auch noch einen Firmenwagen und Aktienoptionen bereit. “Das gilt dann aber in erster Linie für Kollegen mit viel Berufserfahrung”, schränkt er sicherheitshalber ein. Letztere zählen bei Newtron eher zur Ausnahme. Das Durchschnittsalter liegt bei 26 Jahren, selbst Vorstand Jacobi ist gerade einmal 25 Jahre alt. “Das hat den Vorteil, dass man hier auch als Neueinsteiger sehr schnell Karriere machen kann”, wirbt Personalmann Steiner. So sei es theoretisch überhaupt kein Problem, innerhalb kurzer Zeit vom Assistenten über den Teamleiter bis zum Projekt-Manager aufzusteigen. Vorausgesetzt, man verfüge über ein ausreichendes Maß an sozialer Kompetenz, Teamfähigkeit sowie guten Englischkenntnissen. Angesichts der Expansionspläne darf es ruhig ein wenig mehr als das bisweilen mühsam erlernte Schulenglisch sein, um im Dialog mit den Geschäftspartnern und Kollegen aus Fernost nicht schon nach dem ersten Small Talk Schiffbruch zu erleiden.

“Dafür bieten wir einen krisenfesten Arbeitsplatz”, behauptet der IT-Chef. So sei “die Marke Newtron” in Fachkreisen bereits außerordentlich populär - was sicherlich auch am Teilhaber, der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck, liegen dürfte, der über Anzeigenschaltungen und Bannerwerbung im hauseigenen “Handelsblatt” und dem entsprechenden Online-Ableger fraglos zum Bekanntheitsgrad beigetragen hat. Weitere Geldgeber sind das Berliner Venture-Capital-Unternehmen bmp AG sowie die Commerzbank AG. Wer statt Geld lieber die eigene Arbeitskraft einbringen möchte, benötigt nach Angaben von Steiner keineswegs ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Beispielsweise sei es durchaus möglich, zunächst einmal ein Praktikum zu absolvieren oder das Thema der eigenen Diplomarbeit quasi vor Ort im Unternehmen zu recherchieren. Zu diesem Zweck stehe Newtron ohnehin in ständigem Kontakt mit der TU und HTW Dresden. “Natürlich können sich auch Interessenten von anderen Hochschulen bewerben”, stellt der Personalleiter klar. “Wer dann im Laufe der Zeit das Gefühl hat, gut zu uns zu passen, dem werden wir irgendwann schon ein passendes Angebot unterbreiten.” Es müsse ja nicht immer so schnell wie bei Nicole Tietz gehen.