#Beautygate und #Chargergate des iPhone XS

Nur noch Apple-Hass im Netz?

09.10.2018 von Stephan Wiesend
In den letzten Jahren haben die iPhone-“Gates“ überhandgenommen. Wer ist daran aber eigentlich schuld und wo liegt die Gefahr?

Von den Fotos des neuen iPhone XS waren nicht nur wir begeistert, auch renommierte Fotografen und Testlabors sind des Lobes voll. Wie ein Fallbeil kam da aber „Beautygate“ und erklärte die gelungenen Fotos zur Lüge. Schlimmer noch: Das iPhone XS Max scheint einen anderen häßlichen Fehler zu haben: Man kann es nicht zuverlässig aufladen, ein noch schlimmeres „Chargergate“.

Kritik an Apple gibt es oft

Nach einigen Tagen blieb von diesen beiden Katastrophen nicht viel übrig: Das Beautygate ist bei näherer Betrachtung einfach eine stark ausgelegte Rauschreduktion, die bei schlechtem Licht Bildfehler glättet. Gerade bei Innenräumen und bei Nutzung der Selfie-Kamera nicht zu übersehen. Allerdings ist das nicht neu und betrifft alle lichtschwachen Smartphonekameras. Würde man diese Glättungsfunktion abschalten, wären die Beschwerden wohl noch größer und Apple hätte ein „Artefakt-Gate“.

Auch das „Chargergate“ hat sich bereits in Luft aufgelöst. Das Problem: Schließt man ein gesperrtes iPhone an ein Ladegerät an, wird es manchmal nicht geladen. Durch das Update auf iOS 12.1 wird das Problem aber offensichtlich gelöst.

Wie kommt es aber, dass eigentlich simple Probleme sich derart schnell verbreiten und sogar Tageszeitungen und TV-Sender erreichen?

Sieht man sich die Herkunft dieser beiden Medienereignisse näher an, führen Sie eigentlich an die gleiche Adresse: den Youtube-Kanal "Unbox Therapy". Er war der Erste, der die Glättung der Frontfotos einem breiten Publikum vorführte(4 Millionen Views) und auch die erste solide gemachte Präsentation der Auflade-Probleme vorführte (6,8 Millionen Aufrufe). Dass der Betreiber Lewis Hilsenteger außerdem 2,09 Millionen Follower auf Twitter hat, darunter auch gut mit anderen Youtubern wie Linus und Marques Brownslees vernetzt ist, sorgt zusätzlich für Reichweite.

An seiner Kritik ist viel dran, allerdings muss man wie bei vielen Youtubern die besonderen Sprachregeln für die Video-Plattform berücksichtigen: Möglichst stark übertreiben und klare kurze Botschaften für ein Publikum mit der Aufmerksamkeitsspanne eines übernächtigten 12-Jährigen nach drei Dosen Red Bull. So wird aus einer technischen Schwäche ein erschütterndes Apple-Fiasko und einem kleinen Bug oder besser gesagt einer Mücke einen Elefanten. Außerdem gilt bei Youtube ebenfalls, dass nur eine schlechte News eine gute News ist und Lob wenig bringt. So wird auf "Unbox Therapy" gerade das neue LG V40 geschmäht, Chargergate ist aber wohl schon längst vergessen. Aber auch Twitter hat da einen negativen Einfluss, führt die Zeichenbeschränkung oft dazu, dass Thesen stark überspitz werden.

Apple wird auf Unbox Therapy oft hart kritisiert.
Foto: Unbox Therapy

Sind Medienereignisse wie #Beautygate aber nicht völlig irrelevant? Die Youtube-Nutzer selbst sollte man nicht unterschätzen: Diese können die Meinung von Hilsenteger oder Linus ganz gut einschätzen und ziehen vermutlich automatisch 50 Prozent von jeder Behauptung ab – und sind sowieso keineswegs die typische iPhone-Kundschaft.

Man kann also eigentlich Hilstenteger nichts vorwerfen und muss Respekt vor seinem Erfolg haben. Bedenklich wird es für Apple aber, wenn Themen wie „Beautygate“ die sozialen Medien verlassen und zum Thema der etablierten Medien werde: Und wortgewandte Redakteure über ein Thema berichten, von dem sie wenig verstehen. Gegenüber dem Publikum, das Apples wichtigste Zielgruppe ist. So spekulierte etwa die "Süddeutsche Zeitung" über eine KI, die von Apple mit unrealistischen Schönheitsidealen gefüttert worden wäre – was natürlich einfach Humbug ist. Aber schon vorher machte die "Zeit" in einem Artikel die iPhone-Kamera zum Thema der Kulturkritik und klagt: „Das neue iPhone sagt seinem Nutzer, seiner Nutzerin: Schau her, ich zeige dir dein eigentliches Ich, und es ist schön.“

Hier haben wir den Eindruck, dass manche Redakteure wohl auf Marketing-Sprüche Apples wie „Billionen Rechenoperationen für jedes einzelne Bild“ hereingefallen sind. Die iPhone-Kamera ist eine gute Smartphone-Kamera und holt dank Software aus einem eigentlich viel zu kleinen Sensor und winzigen Objektiv tolle Fotos heraus – mehr aber auch nicht.

Zumindest hat die neue Hysterie ein Gutes: Selbst minimalste Schwächen eines iPhones werden sofort bekannt und Apple muss schnell reagieren, um Ärger mit seinen Kunden nicht zu riskieren. So gesehen sind Beiträge wie die von "Unbox Therapy" gar nicht so schädlich und ein gelegentlicher "Anstupser" für Apples Qualitätskontrolle. Außer aber, sie verselbständigen sich und nagen dann doch an Apples Ruf. Zumindest scheint es für seriöse Testberichte von Tech-Magazinen wie Macwelt weiterhin Bedarf zu geben. (Macwelt)