Früher waren Informatiker vor allem mit dem Entwickeln und Pflegen von kundenspezifischen IT-Systemen in den IT-Anwenderbranchen beschäftigt - einem weitgehend stabilen und auch relativ homogenen Umfeld. "Das hat die Anforderungen an die Ausbildung geprägt", erklärt Mathias Weber, Bereichsleiter IT-Services beim Branchenverband Bitkom. Im Fokus hätten fachliche Inhalte gestanden. "Heute entwickeln internationale Teams IT-Systeme an mehreren Standorten", beobachtet Weber. Auf diese Anforderungen müssten die IT-Experten in der Ausbildung vorbereitet werden. "Die global verteilte Entwicklung und Lieferung von IT-Systemen setzt voraus, dass die Zusammenarbeit in solchen Teams funktioniert", erklärt der Bitkom-Mann. Voraussetzung dafür sei, dass die IT-Profis über entsprechende Sprachkenntnisse verfügen und interkulturell geschult sind.
Gesucht: Der weltoffene Kollege
Julia Andersch, Leiterin HR-Marketing und Recruiting bei der Management- und IT-Beratung Capgemini, sieht die Veränderung des Berufsprofils ähnlich. Hat ihr Unternehmen noch vor Jahren "einfach nur" 300 Generalisten im Techniksektor gesucht, sind heute für Projekte mit weltweit verteilten Teams Informatiker mit ganz speziellen Fähigkeiten gefragt - und zwar weltoffene Mitarbeiter, die sensibel sind und sich gerne mit anderen Menschen und Kulturen beschäftigen.
Im Idealfall verfügt der potenzielle Mitarbeiter über ausgezeichnete Englischkenntnisse sowie eine Kombination aus Technik- und sozialer Kompetenz. Die Personal-Managerin gibt zu bedenken, dass Projekte mit weltweit verteilten Teams durchaus ihre Tücken haben.
Auch bei Capgemini sei man in den ersten Offshoring-Projekten davon ausgegangen, dass die indischen Kollegen lernen müssten, in europäischen Strukturen zu arbeiten. "Dieser Blickwinkel war einseitig. Genauso wichtig ist es, dass die deutschen Kollegen bereit sind, global zu denken und zu handeln", meint die Personalerin heute. Zum Erfolg beigetragen hätten ein konstantes indisches Team, Erfahrungsberichte von Mitarbeitern, die über globale Erfahrung verfügten, und spezifische Schulungen, an denen deutsche und indische IT-Profis gemeinsam teilnehmen.
Arbeiten an der Kundenschnittstelle
Jeannette Sacharowa kam vor drei Jahren zu Capgemini. Die Wirtschaftsinformatikerin ist als fachliche Chefdesignerin in einem Projekt tätig, in dem Software für einen großen deutschen Automobilhersteller entwickelt wird.
Mit Hilfe dieser Software sollen Prozesse im Anlauf- und Änderungs-Management unterstützt werden. Sacharowa stimmt die fachlichen Anforderungen mit dem Kunden auf Deutsch ab und transferiert sie in das englischsprachige Team. Die Softwareexpertin sieht sich als Schnittstelle zwischen Kunde und Entwicklerteam. In der Hochzeit des Projekts waren von den bis zu 60 Teammitgliedern knapp 40 in Indien tätig. "International zu arbeiten war ursprünglich nicht mein ausdrücklicher Wunsch, ich bereue es aber keineswegs, dass mich mein beruflicher Weg dorthin geführt hat", kommentiert Sacharowa.
Einstellen auf andere Mentalität
Die indischen Kollegen hat sie bei einem einwöchigen Aufenthalt in Mumbai näher kennen gelernt. Als Erstes sei ihr aufgefallen, dass die Softwareprofis, anders als es ihre deutschen Kollegen gewöhnt sind, in einem Großraumbüro arbeiten. "Auffallend war auch die persönliche Atmosphäre, die im Team herrschte", so Sacharowa. Es sei viel über Privates gesprochen worden. Unterschiede gibt es der Chefdesignerin zufolge auch in puncto Mentalität. Man habe sich erst aneinander herantasten müsse.
Mit der Zeit aber lernten die Projektmitarbeiter, Gestik und Verhalten des Gegenübers richtig zu interpretieren. Wenn ein indischer Kollege beispielsweise eine Frage wiederhole, sei das fast immer ein Zeichen dafür, dass es zu einem Punkt noch Klärungsbedarf gebe: "Probleme oder Missverständnisse haben die indischen und deutschen Kollegen aber nach einer gewissen Zeit gut in den Griff bekommen." Zum Erfolg der virtuellen Zusammenarbeit trage auch bei, dass hiesige Capgemini-Mitarbeiter ihre Erfahrungen mit ausländischen Kollegen im eigenen Unternehmen weitergeben.
Ein solcher "Erste-Hilfe-Kurs" in puncto Offshoring sei vor allem für neue Mitarbeiter hilfreich. Ein weiterer Erfolgsfaktor seien die gegenseitigen Besuche. "Persönliches Kennenlernen ist der Garant dafür, sich - unabhängig von der Nationalität - als Team zu fühlen", ist Sacharowa überzeugt.