Online-Händler mit Offline-Shops

Omnichannel-Trend: Vom Internet in die Innenstadt

09.02.2016
Vom Internet in die totgesagte Welt der Supermärkte und Einkaufsstraßen: Internethändler wie Mymuesli, Chocri oder Notebooksbilliger verlassen sich längst nicht mehr allein auf das boomende Onlinegeschäft. Sie reizt auch der Offline-Handel.

Lange Zeit galt der Online-Handel als Totengräber des klassischen Einzelhandels. Allerdings eröffnen inzwischen immer mehr native Online-Händler wie Mymuesli, Notebooksbilliger oder Fashion For Home selbst stationäre Geschäfte - oder verkaufen ihre Produkte über etablierte Fachgeschäfte und Supermarktketten. Der Grund: die totgesagte Welt des Offline-Handels hat auch für sie Vorteile.

Immer mehr Online-Händler zieht es in die Innenstädte. Ein Offline-Shop dient vielen Internet-Anbietern als lukratives Nebengeschäft.
Foto: dotshock - shutterstock.com

Online-Shops mit Offline-Drang

Beispiel Chocri: "Der Schritt in den stationären Süßwaren-Fachhandel war mehr als richtig. Er war für uns ein absoluter Glücksgriff", meint Michael Bruck, Geschäftsführender Gesellschafter der Berliner Schokoladenmanufaktur. Gegründet wurde Chocri 2008 als Online-Shop. Er bietet Kunden auf seiner Website die Möglichkeit, aus mehr als 80 Zutaten ihre eigene Schokolade zu kreieren. Mit dieser Idee ist das Unternehmen - nach eigenen Angaben - zu Deutschlands größte Online-Confiserie geworden.

Doch inzwischen gibt es die Produkte der Berliner auch schon in über 300 Süßwaren-Fachgeschäften. Geht es nach Bruck, sollen es in zwölf Monaten schon 500 Verkaufsstellen sein. "Das Geschäft über die traditionelle Ladentheke hat sich bei uns schnell und robust als drittes Standbein etabliert", betont er. Noch mache man zwar deutlich mehr Volumen mit dem Online-Geschäft für Privat- und Geschäftskunden, aber die Wachstumschancen im stationären Handel seien noch lange nicht ausgereizt.

Chocri ist mit dem Schritt vom Online-Handel zum Offline-Handel nicht allein. Nach einer Marktanalyse des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI betreibt schon heute jeder zweite der 1000 größten Onlineshops auch stationäre Geschäfte. Und es ist vielleicht auch eine vernünftige Überlebensstrategie. Gehen doch Handelsexperten wie Kai Hudetz vom Institut für Handelsforschung (IFH) davon aus, dass in den nächsten Jahren 90 Prozent der reinen Online-Händler wieder vom Markt verschwinden werden, weil sie den Platzhirschen wie Amazon nicht gewachsen sind.

Online-Shopping 2015 - Frust statt Lust beim Online-Kauf - eCommerce-Studie von JDA Software und Centiro
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Die einfache Rücksendung der bestellten Waren ist für Online-Käufer ganz wichtig.
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Die Rücksendung sollte nach Möglichkeit kostenlos sein.
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Die online bestellte Ware im stationären Laden persönlich abholen ist für Kunden eine wichtige Option.
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Der nächste Webshop ist nur einen Mausklick weiter entfernt.
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Viele Kunden klagen über unzureichende Zustellung der online bestellten Artikel.

Der Trend zur Omnichannel-Strategie

Zu den ersten, die den Schritt in die Offline-Welt wagten, gehörte Mymuesli. Der 2007 gegründete Versender von individuell zusammengestellten Müslis eröffnete bereits 2009 neben dem Online-Standbein das erste traditionelle Geschäft und betreibt inzwischen 36 Mymuesli-Läden in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Auch in den Supermärkten von Edeka, Rewe und Co. stehen die Produkte der Online-Shop-Pioniere längst in den Regalen. Viele Menschen zögen es gerade bei Lebensmitteln vor, sie vor dem Kauf erst einmal anzufassen und eventuell zu probieren, erklärt Mymuesli-Mitgründer Max Wittrock die Vorteile realer Läden. Außerdem steigere die Präsenz vor Ort den Bekanntheitsgrad der Marke.

Auch Elektronikversender wie Cyberport und Notebooksbilliger haben längst den Reiz stationärer Geschäfte erkannt. Cyberport betreibt inzwischen neben seinem Online-Geschäft zwischen Hamburg und München auch 15 ganz normale Läden. "Technik wird immer mehr zum Lifestyleobjekt, dies heißt, es besteht bei vielen Kunden ein großes Bedürfnis die Geräte vorher anzufassen, auszuprobieren oder auch die Farbe des Produktes live zu sehen", begründet das Unternehmen die Offline-Offensive. Über die Stores erreiche man außerdem besser die Kunden, die noch Beratung suchten oder unentschlossen seien. Der Online-Möbelshop Fashion For Home bietet seinen Kunden inzwischen die Möglichkeit in sechs Showrooms die Möbelstücke auf Herz und Nieren zu prüfen. Dies habe sich als "absolute Erfolgsidee" erwiesen, heißt es im Unternehmen. Nach Einschätzung von Fachleuten erhöht ein lokales Geschäft die Glaub- und Vertrauenswürdigkeit.

Fünf Ideen für den Omnichannel-Handel der Zukunft
Echtes Autohaus virtuell besichtigen
Fiat setzt auf Live-Videoübertragungen, um potenzielle Kunden anzusprechen. Dabei präsentieren Mitarbeiter mit Headset und Webcam neue Modelle. Gleichzeitig blendet Fiat Informationen und Farbvariationen ein. Die Zuschauer können Probefahrten vereinbaren.
Über Barcodes Gutscheine für Freunde erstellen
Mit der mobilen Anwendung Jifiti können Nutzer in ausgewählten Geschäften Barcodes an Produkten einscannen und daraus Geschenkgutscheine herstellen. Diese lassen sich digital versenden. Der Empfänger kann damit das Geschenk im Laden abholen oder es online bestellen.
Laden markiert die auf Pinterest beliebtesten Waren
Die in Seattle ansässige Kaufhauskette Nordstrom markiert jene Produkte, die auf Pinterest am häufigsten gepinnt werden. Momentan verfügt Nordstroms Pinterest-Account über 4,5 Millionen Follower, so dass die Schilder die Meinung einer erheblichen Anzahl von Kunden repräsentieren.
Touchscreen mit endlosem Warenkatalog
Die britische Supermarktkette Tesco stellt in Filialen Touchbildschirme auf, auf denen Kunden mehr als 11.000 Produkte finden. Die Artikel lassen sich unter anderem nach Preis filtern. Kunden können die Produkte an einem Abholschalter mitnehmen oder sich nach Hause schicken lassen.
Nahtloser Kundendialog über mehrere Kanäle
Der Anbieter SapientNitro erlaubt mit dem System Connected Retail einen Kundendialog über mehrere Kanäle. Ein Sportartikelhändler ermöglicht Kunden mit Connected Retail, sich zuhause von einer virtuellen Shoppingassistentin online beraten lassen und einen Besuchstermin im Geschäft vereinbaren. Im Laden ist die Assistentin per Bildschirm an der Beratung beteiligt.

Bedeutet die wachsende Omnichannel-Lust der Online-Händler also Entwarnung für die klassischen Händler? Im Gegenteil - meint der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein. Der Druck auf die etablierten Händler könne dadurch sogar noch größer werden. "Ich glaube, die Online-Anbieter werden den stationären Handel neu erfinden: Sehr viel effizienter, verknüpft mit digitaler Technik", meint er und sagt voraus: "Der etablierte Handel wird hier noch einige Überraschungen erleben." (dpa/fm)

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