IT-Fertigungstiefe unter 50 Prozent

Outsourcing in die Cloud

12.07.2012 von Andreas Schaffry
Jeder zweite Euro aus dem IT-Budget wandert jetzt schon an Dienstleister. Wie weit kann die Fertigungstiefe in der IT noch sinken?
Sebastian Ritz, CTO der Xchanging Transaction Bank (XTB): "Idealerweise läge unsere IT-Fertigungstiefe nicht bei 30, sondern bei 50 bis 60 Prozent."
Foto: Xchanging Transaction Bank (XTB)

Sebastian Ritz macht längst nicht mehr alles selbst: "Aktuell liegt unsere IT-Fertigungstiefe bei rund 30 Prozent", sagt der CTO der Xchanging Transaction Bank (XTB). Die XTB hat Entwicklung, Betrieb und Wartung ihres Kernbanksystems ausgelagert. Auch die Frontend-Lösungen für das Trading-Geschäft sowie große Teile der IT-Infrastruktur und der Netzwerke sind draußen. Ganz zufrieden ist Ritz mit seinen 30 Prozent allerdings nicht: "Da wir die Kontrolle über alle wichtigen IT-Plattformen und Querschnittfunktionen haben müssen, läge unsere IT-Fertigungstiefe idealerweise nicht bei 30, sondern bei 50 bis 60 Prozent."

Ungefähr in diesem Bereich liegen derzeit die meisten Unternehmen. "IT-Outsourcing ist heute keine Frage des Ob, sondern nur des Was", bestätigt Timo Kopp, Managing Consultant des Beratungshauses Maturity aus München. Laut seiner Benchmarks haben Betriebe die IT-Fertigungstiefe innerhalb der vergangenen zehn Jahre kontinuierlich gesenkt. Die Ausgaben für Auslagerungen schlagen heute beim Gesamtbudget mit 52 Prozent zu Buche und haben sich damit seit 2001 verdoppelt.

Die Fertigungstiefe in der IT befindet sich im Abwärtstrend.
Foto: Capgemini

Aus dem Haus geben IT-Verantwortliche in erster Linie Entwicklung, Wartung und Betrieb von Geschäftsanwendungen, IT-Infrastrukturen und Netzwerke, aber auch den kompletten Rechenzentrumsbetrieb, die Desktop-Services und den User-Helpdesk. Angesichts des schönen, neuen Cloud-Himmels drängt sich die Frage auf: Was bleibt am Ende überhaupt noch im Haus?

Szenenwechsel zur deutschen Unternehmenszentrale von Procter & Gamble (P&G) in Schwalbach im Taunus. Unter dem Dach von P&G tummeln sich Marken wie Pampers, Braun, Gillette, Blend-a-med, Wella, Pringles und Wick. Der Konzern gehört weltweit zu den größten SAP-Anwendern aus der Konsumgüterindustrie und hat nahezu alle IT-Bereiche ausgelagert.

Der Group-CIO Filippo Passerini gilt als eine Ikone der Outsourcing-Szene, und auch sein deutscher Vertreter bestätigt: "Ein Ziel unserer IT-Strategie ist es, Geschäftsprozesse auf Basis einer standardisierten IT-Systemlandschaft zu vereinfachen und zu verbessern. Wenn wir das durch Outsourcing besser erreichen können, lagern wir Prozesse an unsere globalen IT-Partner aus", erläutert Tobias Günthör, als CIO verantwortlich für die IT des Konsumgüterkonzerns in Deutschland.

Anteil Eigenbetrieb

2001

2006

2011

74%
Laut Benchmarker Maturity
haben IT-ler 2001
noch 74 Prozent der Arbeit selbst erledigt.
Heute sind es nur noch 48 Prozent

62%

48%

Insourcing muss möglich bleiben

Tobias Günthör CIO Deutschland, Procter & Gamble (P&G): "Ob die Fertigungstiefe bei 20, 30 oder 50 Prozent liegt, spielt für uns keine Rolle."
Foto: Procter & Gamble (P&G)

Konkrete Zahlen zur IT-Wertschöpfungstiefe lässt sich Günthör leider nicht entlocken. "Ob die bei 20, 30 oder 50 Prozent liegt, spielt für uns keine Rolle. Entscheidend ist ausschließlich der betriebswirtschaftliche Nutzen", stellt der CIO klar. Den Mitarbeitern in der internen IT-Organisation bleibt so mehr Raum für strategische Kernaufgaben. Dazu zählt Günthör Portfolioplanung und -Management sowie die Umsetzung von IT-Innovationen.

In den eigenen Händen behält der P&G-CIO zudem die Leitung globaler IT-Initiativen, wie etwa die Einführung eines neuen Finanz- und Controlling-Systems und die Planung der IT-Enterprise-Architektur. Günthör legt Wert auf eine gesunde Balance zwischen Outsourcing und internem Know-how. "Das ist Teil unserer IT-Strategie. Wenn es mit dem Outsourcing einmal nicht klappt, müssen wir jederzeit in der Lage sein, ausgelagerte IT-Bereiche wieder einzugliedern."

Die IT-Fertigungstiefe lässt sich also keineswegs beliebig reduzieren - selbst in solchen Unternehmen nicht, die sich ausdrücklich ihres Outsourcing-Anteils rühmen. "In jedem Fall benötigt man mindestens zehn bis 15 Prozent an internen Mitarbeitern, um die externen Dienstleister zu koordinieren und zu überwachen - oder als Störungsreserve", rechnet Bank-CTO Ritz vor. Bei strategisch wichtigen Plattformen müsse die interne Wertschöpfungstiefe sogar deutlich höher liegen.

Was aus Outsourcing-Trends wurde
Vorhersagen für 2011 "revisited"
Viele Outsourcing-Trends haben sich nicht durchgesetzt: Cloud-Services und die Schatten-IT blieben Randthemen. Auch neue Marktteilnehmer sucht man vergebens.
Outsourcing-Verträge auf dem Prüfstand
Kosteneinsparungen beim IT-Outsourcing sind nicht wirklich neu. IT-Verantwortliche haben das schon immer gemacht. IT-Budgets stehen unter Druck und CEOs und CFOs verlangen von ihren IT-Leitern, von den IT-Outsourcing-Providern (ITO) für weniger Geld mehr Leistung herauszuholen. Outsourcing-Vereinbarungen werden in der Regel nachverhandelt, um Kosten zu senken. Doch 2011 waren die Potenziale in diesem Bereich weitgehend ausgeschöpft.
Outsourcing Provider: Herantasten an die Cloud
Herkömmliche Outsourcing-Anbieter müssen mit der Zeit gehen und ihren Kunden auch Cloud-Services anbieten. Doch meist handelt es sich um herkömmliche Outsourcing-Pakete in neuer Verpackung. Cloud-Services sind im Hinblick auf die Datensicherheit und die gemeinsame Nutzung von IT-Infrastrukturen und -Ressourcen noch nicht reif für den Massenmarkt.
Outsourcing-Dienstleister halten an ihren Preisen fest
Das stimmt in den meisten Fällen. Allerdings gibt es häufig eine Art "quid-pro-quo"-Deals zwischen dem IT-Outsourcer und seinen Kunden. Ersterer gibt einen Preisnachlass und erhält dafür im Gegenzug von Letzteren eine längere Vertragslaufzeit.
Kostensenkungen durch Offshoring und Entlassungen
Alle großen US-Service-Provider haben im abgelaufenen Jahr ihre Offshore-Aktivitäten rund um den Globus weiter vorangetrieben und im Ausland in Arbeitskräfte investiert. Umgekehrt tun indische Outsourcing-Provider sich aufgrund von Einschränkungen bei der Visa-Vergabe schwer damit, in den USA Fuß zu fassen, was der US-Politik den Vorwurf des Protektionismus einbringt.
Mega-Merger zwischen US- und indischem ITO
Beobachter und Experten haben den Zusammenschluss zwischen einem namhaften indischen Outsourcing-Provider und einem multinational tätigen Outsourcing-Unternehmen aus den USA vorausgesagt. Dazu ist es bisher nicht gekommen.
China, Brasilien und Ägypten entern die Bühne
Ägypten hat in diesem Jahr für Schlagzeilen gesorgt, aber nicht im Hinblick auf das IT-Outsourcing. China und Brasilien boomen als Outsourcing-Provider für IT- und Business-Process-Services (BPO) - aber nur im jeweils heimischen Markt. Beide Länder sind derzeit nicht in der Lage, die von Unternehmen geforderten hochwertigen Services auch außerhalb ihrer Grenzen bereitzustellen.
Automatisierung soll Marge retten
Service-Provider verkaufen Automatisierungs-Tools an ihre Kunden, um Margen zu schützen: Dieser Trend setzt sich nur sehr langsam durch. Speziell bei komplexen Aufgaben und Prozessen ist eine Automatisierung problematisch.
Die "Schatten-IT" nimmt zu
Nicht bestätigt hat sich die These, dass Fachanwender die IT-Abteilung umgehen und massenhaft Public-Cloud-Services ohne deren Zustimmung nutzen und sich dadurch eine Schatten-IT im großen Stil etabliert. IT-Organisationen achten in der Regel auf alle IT-technologischen Aktivitäten im Unternehmen und verhindern durch Governance-Modelle unabgestimmte Cloud-Deals des Business.
Kunden akzeptieren Standard-Services
Laut Stephanie Overby wird hierbei viel Wind um nichts gemacht. Unternehmen würden standardisierte Services zwar akzeptieren, doch die meisten Anbieter sind nicht in der Lage diese umzusetzen, denn die Anforderungen des Business sind sehr komplex und individuell. Das wiederum erfordert ein hohes Maß an Customizing. Genau das ist auch eine Barriere für die allgemeine Cloud-Nutzung, die weitgehend standardisierte Prozesse voraussetzt.
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Jedoch: Derlei Sicherheitsbedenken plagen den gemeinen IT-Nutzer nicht. Fachanwender nutzen die Cloud ohne Wissen der IT-Abteilung für Projekt-Management, Terminverwaltung oder Speicherung von Daten. Damit liegt die tatsächliche IT-Fertigungstiefe in vielen Fällen unter den offiziell angegebenen Werten. "Diese Schatten-Informatik stellt CIOs vor ganz neue Probleme", warnt Professor Walter Brenner von der Universität St. Gallen: "Da sich die Nutzung von IT-Anwendungen und Serverkapazitäten dem Einfluss der IT-Abteilung entzieht, steigt das Risiko von Datenverlusten."

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der CW-Schwesterpublikation CIO.de. (mhr)