Outsourcing ist nur die halbe Miete

04.06.2003 von Riem Sarsam
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE)- Auch wenn seit geraumer Zeit immer wieder über Outsourcing diskutiert und berichtet wird, besteht noch immer große Unsicherheit über die konkrete Gestaltung. Als eines der zentralen Probleme gilt die mangelhafte Vorbereitung.
Foto: Hochtief

Die Marktforscher von Gartner schätzen, dass allein in Westeuropa im vergangenen Jahr rund sechs Milliarden Euro mit fehlgeschlagenen Outsourcing-Vorhaben in den Sand gesetzt wurden. Außerdem behaupteten die Analysten, die auffallend häufig Outsourcing-Projekte kritisieren, dass sich auch innerhalb der Unternehmen die Stimmung zu dem Thema dramatisch verschlechtert habe. Waren 2001 noch etwa 86 Prozent der Firmenverantwortlichen mit den Ergebnissen der IT-Auslagerung zufrieden, lag die Quote im vergangenen Jahr nur noch bei rund 50 Prozent. Die Dienstleister wüssten zu wenig über die Bedürfnisse ihrer Kunden, bemängelte Gartner-Analyst Roger Cox.

Die Schuld allein auf die Anbieter zu schieben verstellt die Sicht auf die Probleme der Anwender, mit dem Thema richtig umzugehen. „Outsourcing ist nur die halbe Miete“, formuliert Brian Rogers, Managing Consultant für den Bereich Operations bei der Meta Group . Die andere Hälfte ist gewissermaßen der eigene Anteil, den das Unternehmen zum Gelingen beiträgt. Oft scheitern Auftraggeber schon daran, ihren Bedarf genau zu definieren und zu formulieren, was sie von ihrem Outsourcing-Partner wollen. In so einem Fall nützt es wenig, über die Qualität des Dienstleisters zu jammern, ohne gleichzeitig den Blick nach innen zu wenden. Das A und O eines erfolgreichen Outsourcings ist und bleibt die sorgfältige Vorbereitung. Wie diese im Einzelnen aussehen sollte, wurde unter anderem auf der Düsseldorfer Euroforum -Konferenz „IT-Outsourcing“ in der vergangenen Woche thematisiert.

Zunächst warnte Meta-Group-Mann Rogers vor zu hohen Erwartungen an das Outsourcing. Der Wunsch nach Einsparungen oder zumindest einer flexibleren Gestaltung der Kosten gehe meistens nicht in Erfüllung. „Im Grunde genommen spart man gar nicht mit Outsourcing, das ist der große Selbstbetrug, dem noch viele unterliegen“, stellte er fest. Der entscheidende Nutzen von Outsourcing besteht nach Rogers Erfahrung darin, sich der Arbeiten zu entledigen, die ohnehin standardisiert und nicht geschäftsprozesskritisch ablaufen. „Statt dessen wird sich die IT auf Aufgaben konzentrieren, die wirklich die Geschäftsprozesse und die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens stützen.“

Doch bis ein Unternehmen diese Vorteile nutzen kann, muss es zunächst seine Hausaufgaben erledigen - und die sind oft sehr mühselig. Ganz oben auf der To-do-Liste steht die Auseinandersetzung mit Vorbehalten innerhalb der IT-Abteilung. Dabei spielt die Angst vor Neuem eine ebenso wichtige Rolle wie die Frage nach dem Prestige. „Ich verliere Menschen, ich verliere Prozesse, was bin ich jetzt noch wert?“, schildert Rogers das angeknackste Innenleben der IT-Manager. Erst wenn diese Barriere überwunden ist, lassen sich die nächsten Schritte zur Vorbereitung des Outsourcings angehen.

Dazu bedarf es als Erstes einer Bestandsaufnahme der eigenen Systeme. Eine Aufgabe, die die IT-Abteilung noch allein leisten kann. Dabei geht es weniger darum, festzustellen, woraus sich die Unternehmens-IT zusammensetzt - denn das sollte klar sein -, als vielmehr darum, sich einen Überblick über die IT-Prozesse zu verschaffen; beispielsweise eine klare Struktur für die weit verzweigten Abläufe, die ein ERP-System abbildet, zu zeichnen. „Erst wenn solche Fragen beantwortet sind, lassen sich auch die möglichen Schnittstellen zwischen im Hause verbleibenden und ausgelagerten IT-Systemen definieren“, erläutert Rogers. Danach, so seine Erfahrung, kann die eigentliche Diskussion darüber beginnen, was überhaupt nach außen gegeben werden kann und sollte.

Schludrigkeit rächt sich

Wichtig ist, dass diese Diskussion abteilungsübergreifend geführt wird. Karl-Heinz Tepker beispielsweise, CIO bei der Benteler AG, einem international tätigen Spezialisten für Automobiltechnik, Stahlrohrproduktion, Maschinenbau und Handel mit Stammsitz in Paderborn, berichtete in seinem Vortrag von einer entsprechenden Projektgruppe. Neben IT-, Security- und Rechtsspezialisten seines Unternehmens setzte sie sich aus Mitarbeitern aus dem Einkauf sowie den einzelnen Fachbereichen zusammen. Letztere formulierten schließlich die konkreten Anforderungen, die sie an die Systeme stellen.

Um sich nicht zu verzetteln, sollten für jeden einzelnen Bereich Leistungspakete - etwa für die Themen PC-Support, Desktop-Anwendungen oder LAN beziehungsweise WAN - geschnürt werden. Darin werden Zugangsberechtigungen, User-Zahl und Fragen der momentan und künftig benötigten Kapazitäten wie beispielsweise Speicherplatz gebündelt. Dies geschieht nicht zuletzt auch mit Blick auf die später zu formulierende Angebotserstellung, denn mit den einzelnen Bereichen werden sowohl die Prozesse selbst diskutiert als auch die damit zusammenhängenden Wünsche und Notwendigkeiten - und nicht zuletzt die Preise, die man bereit wäre, dafür zu zahlen.

Dies kann konkret bedeuten: Was verlangt der R/3-Anwender von seinem System, und wie viel ist ihm die Erfüllung seiner Wünsche wert? Will er seine Daten auch in Excel übertragen können? Braucht er eine Ausfallsicherheit rund um die Uhr?, Wie wichtig ist es, dass die Anwendung ständig auf dem neuesten Stand ist?

Die Erstellung dieser Liste ist je nach Komplexität des Systems lang und mühsam, doch unter Experten herrscht Einigkeit darüber, dass sich schludrige Vorarbeiten später rächen. „Je mehr Zeit Sie in die Anforderungsanalyse investieren, um so weniger Kopfschmerzen tauchen im Nachhinein auf“, riet auch Thomas Ruppelt, der sich an einem vorangegangenen Projekt bereits die Finger verbrannt hatte und am Ende mit zu hohen Kosten und zu wenig Leistung seines Outsourcing-Partners kämpfen musste. In seinem zweiten Anlauf hatte sich der CIO der Berliner Börse mehr als drei Monate mit den vorbereitenden Fragen beschäftigt, bevor er das Angebot für den externen Betrieb der Website und des Portals erstellte.

Erwartungen formulieren

Auch Tepker, der von den Vorbereitungen für die Auslagerung der SAP R/3-Systeme berichtete, konnte seine Arbeit auf vorhergehende Erfahrungen stützen. Sein Unternehmen formulierte bereits zum zweiten Mal eine entsprechende Ausschreibung. Oberstes Ziel sollte der störungsfreie Betrieb der Systeme plus einem umfassenden Basissupport von Seiten des Dienstleisters sein. Weil in der Vergangenheit die kurzfristige Bereitstellung optionaler Leistungen nicht funktioniert hatte - „da haben wir oft lange warten müssen“, klagte Tepker - kam auch dieser Punkt auf die Liste der Erwartungen, die der Outsourcer zu erfüllen hat. Daneben ging es um die Formulierung der Sicherheitsanforderungen, die Absicherung für den Katastrophenfall sowie Möglichkeiten der Haftung, wenn der Vertrag nicht erfüllt werden sollte.

Anschließend wurden die Erwartungen auf einzelne Details heruntergebrochen und nach drei Aspekten gegliedert. Für fachinhaltliche Anforderungen wie Verfügbarkeiten, Antwort- und Reaktionszeiten oder die zukünftige Entwicklung der Anwender waren die Vertreter der einzelnen Geschäftsbereiche zuständig. Die technischen Aspekte daraus abzuleiten, also Hard- und Softwarefragen, der Betrieb des Rechenzentrums oder die Netzanbindung, gehörte zum Aufgabenbereich der Informationstechniker. Sie mussten außerdem den dritten Bereich, die kaufmännischen und juristischen Kriterien sowie Anforderungen an die Sicherheitsstandards, berücksichtigen. Diese wurden von Fachleuten aus dem Einkauf, den Anwälten sowie dem konzereigenen Security-Manager zusammengestellt.

Alles muss rein

Für das jetzt folgende Pflichtenheft oder - je nach Perspektive - die Angebotserstellung folgte Tepker der eisernen Maxime: „Alles muss rein.“ Je konkreter das Angebot abgefasst ist, desto einfacher lässt sich später der Vertrag gestalten. Neben der Darstellung der aktuellen Ist-Situation sollte auch die erwartete Entwicklung der User-Zahlen und Datenbankgröße über die gesamte Vertragslaufzeit aufgenommen werden. Diese Werte seien keineswegs in Stein gemeißelt, so Tepker, als Richtschnur für die künftige Entwicklung spielten sie jedoch eine ebenso wichtige Rolle wie die Skizzierung der Szenarien, falls Prozesse nicht wie erwartet abliefen. Ein weiterer Punkt, der gerne vernachlässigt wird, aber keineswegs trivial ist, war laut Tepker die Zusammenlegung der Definition und Erläuterung verwendeter Begrifflichkeiten an einer Stelle des Vertrags. Hier konnte er von der Erfahrung des ersten Outsourcing-Vertrages profitieren, wo dies nicht geschehen war, was die Diskussionen zwischen Auftraggeber und Outsourcer erheblich kompliziert hatte.

Dass trotz aller Sorgfalt in der Vorbereitung später in der praktischen Arbeit mit dem Dienstleister Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen, steht für Meta-Group-Consultant Rogers außer Frage: „Kompromisse muss man immer eingehen.“ Dennoch: Die Chancen, dass die Kluft zu überwinden ist, dürften mit einer gründlichen Vorarbeit kräftig steigen.