Regressansprüche denkbar

Pierer in der Siemens-Affäre noch nicht aus dem Schneider

13.05.2008
Der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer ist in der milliardenschweren Schmiergeld-Affäre noch nicht aus dem Schneider.

Auch wenn die Staatsanwaltschaft vorerst keine strafrechtlichen Ermittlungen gegen den 67-Jährigen führt, drohen ihm und anderen Mitgliedern der ehemaligen Führungsspitze möglicherweise hohe Schadenersatzforderungen des Konzerns. Die Siemens-Aufseher dürften ihre Entscheidung über mögliche Regressansprüche weitgehend unabhängig von den Einschätzungen der Ermittler treffen. Denn ihnen sitzt nicht zuletzt die mächtige US-Börsenaufsicht SEC im Nacken, die milliardenschwere Strafen gegen Siemens verhängen könnte. Auch wenn Pierer nun lediglich wegen einer Verletzung seiner Aufsichtspflichten belangt werden könnte, bleibe die Luft für den einstigen "Mister Siemens" dünn, sagt ein Beobachter. "Ich glaube, das hilft ihm nicht viel."

Schon seit Monaten schlagen die Spekulationen um Pierers Rolle in der Schmiergeld-Affäre, die den Konzern in seine bisher tiefste Krise gestürzt hatte, hohe Wellen. Dabei galt nicht nur bei Korruptionsexperten, sondern auch bei Aktionärsschützern als "schwer vorstellbar", dass ausgerechnet der einst oberste Konzernlenker und Chef-Aufseher von Siemens vom weit verzweigten Netz der schwarzen Kassen nichts gewusst haben soll.

Ins Abseits

Der frühere Top-Manager hat einen tiefen Fall hinter sich und war zuletzt immer stärker ins Abseits geraten, eine persönliche Verstrickung in den Schmiergeld-Sumpf wies er dabei stets zurück. Rund 13 Jahre stand Pierer an der Spitze des Konzerns, in dem er sein ganzes Berufsleben verbracht hat, vor einigen Jahren war der promovierte Jurist sogar als Kandidat für das Bundespräsidentenamt gehandelt worden. Zuletzt ging jedoch nicht nur die Bundesregierung auf Distanz zu Pierer, nachdem er Kanzlerin Angela Merkel (CDU) jahrelang in Innovationsfragen beraten hatte, nimmt er diese Aufgabe künftig nicht mehr wahr. Auch Siemens selbst rückte merklich von ihm ab: "Wir sprechen direkt mit der Staatsanwaltschaft und Herr von Pierer spricht über seine eigenen Angelegenheiten", erklärte kürzlich der für Korruptionsbekämpfung und Rechtsfragen zuständige Siemens-Vorstand Peter Solmssen bei der Halbjahresbilanz des Konzerns.

Mittlerweile laufen gegen vier ehemalige Vorstände des Konzerns staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, darunter der frühere Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger, der ehemalige Chef der Sparte Energieverteilung, Uriel Sharef, sowie der einstige Chef der Telekommunikationsbereichs, Thomas Ganswindt. Außerdem war der frühere Vorstand Johannes Feldmayer wegen zweifelhafter Zahlungen an die Arbeitnehmerorganisation AUB ins Visier der Ermittler geraten.

Siemens prüft Schadenersatz-Ansprüche

Siemens-Chef Löscher machte in Hamburg am Freitag noch einmal unmissverständlich klar, dass bei Verfehlungen früherer Führungskräfte mögliche Schadensersatzansprüche geprüft würden. Den Namen von Pierer nahm er dabei nicht in den Mund und erklärte, zu einzelnen Personen sage er nichts. Stattdessen betonte Löscher die Geschlossenheit des heutigen Vorstands und Aufsichtsrats: "Beide haben keine Vergangenheit zu verteidigen."

Aufbruch und nach vorn blicken, das ist jetzt Löschers Devise. Und der Österreicher, der erst im vergangenen Sommer als Siemens-Chef antrat, machte auch klar, dass er nicht in die Fußstapfen seines Vorvorgängers von Pierer treten und nach seiner Amtszeit an die Spitze des Aufsichtsrats wechseln will, "dies werde ich eindeutig ausschließen", falls ihm diese Position mal angeboten werden sollte. Ein solcher Wechsel würde nicht seinem Verständnis von Corporate Governance entsprechen. Der Aderlass, den Siemens durch die Schmiergeldaffäre im oberen Management erfährt, schreckt ihn nicht, Siemens habe eine derartige Dichte von Führungskräften, dass es kein Problem sei, diese Positionen neu zu besetzen, betonte Löscher. (dpa/tc)