4. Nationaler IT-Gipfel

Politik sucht Dialog mit Internet-Community

09.12.2009 von Jürgen Hill
Den vierten nationalen IT-Gipfel in Stuttgart prägten vor allem zwei Themen: Wie kann Deutschland mit Hilfe der ITK beim beginnenden globalen Aufschwung zu den Siegern zählen? Wie kann der Staat die Vertrauenskrise seiner Bürger in Sachen Internet-Nutzung bewältigen?
Auf dem 4. IT-Gipfel in Stuttgart betonte Bundeskanzlerin Merkel die Rolle der ITK-Branche als Wachstumsmotor.
Foto: RegierungOnline/Kugler

Die wohl positivste Nachricht vom IT-Gipfel in Stuttgart lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Die neue Regierung in Berlin scheint ihre Einstellung und Einschätzung der Rolle von ITK in Deutschland grundsätzlich überdacht zu haben. So sieht Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle die "ITK als Zaubertrank für die Wirtschaft", der 40 Prozent der erzielten Produktivitätsfortschritte zu verdanken seien. Gleichzeitig fand der Minister jedoch auch warnende Worte, nicht bei dem erreichten stehen zu bleiben, denn im internationalen Vergleich belege die Bundesrepublik bei den ITK-Anwendungen nur den siebten Platz. "Das muss noch besser werden", so Brüderles Botschaft aus Stuttgart. Große Hoffnungen in die ITK-Industrie setzt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, welche die Branche als den Wachstumsmotor sieht, um aus der Krise zu kommen. Und Brüderle forderte die Wirtschaft auf, mehr Gas zu geben: "Verteidigen Sie nicht das Gestern, sondern gewinnen Sie das Morgen" und helfen bei der Gestaltung des "Deutschland-Valley". Denn alleine mit Hilfe der ITK-Branche habe Deutschland die Chance 450.000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Allerdings müssten anstelle von Projekten mehr der Markterfolg von neuen Produkten gefördert werden. Brüderle schwebt diesbezüglich eine Art Prämienmodell vor. In die gleiche Kerbe schlug Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer als er forderte, die deutsche Industrie müsse ihre Wertschöpfungskette nachhaltig ändern, denn an Innovationen mangle es nicht. "Ohne deutsche Grundlagentechnik gäbe es kein iPhone und iTunes wurde nur mit von SAP-Software realisiert", so Scheer weiter. Gleichzeitig wiederholte der Bitkom-Präsident auf dem Gipfel seine Forderung an die Politik nach verlässlichen Rahmenbedingungen und bemängelte gleichzeitig einen Engpass an ITK-Managern, um solchen Ideen umzusetzen. "Uns fehlt ein Konzept zum Brüten von Managern", führte Scheer pointiert aus.

Green made als Markenzeichen

Zumindest im Bereich Green-IT habe die deutsche Wirtschaft eine Chance das neue Markenzeichen "Green made in Germany" zu entwickeln, das auch auf den Weltmärkten nachgefragt werde, so Brüderle, der gerade von einer China-Reise zurückkehrte und dort eine große Nachfrage nach deutscher Umwelttechnik feststellte. Deshalb dürfe es beim Thema Green-IT nicht mehr nur darum gehen, den Stromverbrauch der ITK-Systeme selbst zu reduzieren, sondern mit Hilfe der ITK ressourcenschonendere Herstellungs- und Prozessketten zu entwickeln. So ist Kanzlerin Merkel überzeugt davon, dass mit Hilfe der ITK die CO2-Emissionen in Deutshclan bis 2020 um bis zu 30 Prozent reduziert werden können. Allerdings, so mahnte der Bitkom-Präsident, dürfe die Branche nicht vergessen, dass ITK-Systeme bereits 10,5 Prozent des deutschen Stroms verbrauchen. Für Scheer sind deshalb "intelligente Netze eine unverzichtbare Voraussetzung dafür, die Energieversorgung und Mobilität unserer Gesellschaft zu sichern um den Klimawandel zu stoppen, oder etwa das Bildungs- und Gesundheitswesen zu modernisieren".

Breitbandausbau

Eine Voraussetzung hierfür sieht Kanzlerin Merkel im flächendeckenden Breitbandausbau, dessen Bedeutung sie auf dem 4. IT-Gipfel in Stuttgart erneut betonte. Laut Brüderle war Mitte 2009 bereits für 96,5 Prozent der Haushalte ein 1 Mbit/s schneller Breitband-Zugang verfügbar. Bis 2014 sollen dann 75 Prozent der Haushalte Zugänge mit 50 Mbit/s nutzen können, was Brüderle zufolge ein Investitionsvolumen von 40 Milliarden Euro erfordert. Um die Ziele ihrer Breitbandstrategie zu erreichen, setzt die Bundesregierung dabei weiterhin vorrangig auf die Kräfte des Marktes. Mit dem Infrastrukturatlas, der seit dem IT-Gipfel genutzt werden kann, werde eine verbesserte Nutzung bestehender Kommunikationsinfrastrukturen des TK-, Energie- und Verkehrsbereichs und damit auch mehr Wettbewerb möglich. Zudem fördere der Staat die Kommunen bei der Verlegung von Leerrohren mit mehreren hundert Millionen Euro. Und last but not least eröffne die Nutzung der digitalen Dividende (frei werdende Fernsehfrequenzen, die als Internet-Zugang per Funk genutzt werden können) weiter Möglichkeiten.

Merkel zweifelt an digitaler Dividende

Auf dem IT-Gipfel in Stuttgart überzeugte sich Bundeskanzlerin Merkel persönlich über die Fortschritte in Sachen Behördenrufnummer 115.
Foto: RegierungOnline/Kugler

Chancen, denen Kanzlerin Merkel durchaus skeptisch gegenüber steht. Gerade hinsichtlich der digitalen Dividende hat Merkel Zweifel. Mit einem Seitenhieb auf den ebenfalls anwesenden Präsidenten Matthias Kurth (SPD), Präsident der Bundesnetzagentur, und die klagenden Mobilfunker merkte die Kanzlerin schnippisch an: "Ich bin gespannt was für Komplikationen sich bei der Versteigerung der Frequenzen ergeben, auch wenn es mir gegenüber im heißt, alles sei klar". Auch die restliche ITK-Industrie bekam in Stuttgart mit Blick auf das Mautprojekt TollCollect oder die Gesundheitskarte ein Rüffel und wurde dazu aufgefordert, künftig ehrlichere Angebote zu präsentieren. "In der IT-Branche ist es Mode geworden, mit Blaupausen den Himmel zu versprechen", kritisierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière und räumte aber auch gleichzeitig ein, dass die staatliche Nachfrageseite nicht gut organisiert gewesen sei. Er hofft, dass dies nun mit De-Mail und der Behördenrufnummer D115 besser werde.

Gleichzeitig ist die Gesundheitskarte für die Kanzlerin ein Beleg dafür, dass es nicht funktioniere, "neue Techniken gegen die Akzeptanz der Menschen einzuführen". Diese Akzeptanz und die Bedeutung des Internet für die Menschen im Alltag sieht Merkel als eine neue gesellschaftliche Herausforderung, der sich ihre Regierung stellen werde.

Innenminister sucht Dialog mit der Internet-Community

Eine Erkenntnis, die wohl - wie von diversen Quellen auf dem Gipfel zu hören war - unter dem Eindruck des Erfolgs der Piratenpartei entstand. So schien de Maizière im Gegensatz zu seinem Vorgänger Wolfgang Schäuble geradezu Kreide gefressen zu haben, als er "von einer Vertrauenskrise zwischen Bürger und Staat hinsichtlich der Internet-Nutzung sprach". Sah Schäuble das Internet noch als Hort der organisierten Kriminalität und von Terroristen, sprach de Maizière Punkte wie Freiheit, Sicherheit und Vertrauen im Zusammenhang mit der Internet-Nutzung an. Staatliche Einzelmaßnahmen wie etwa die geplanten Internet-Sperren solle es künftig nicht mehr geben. Vielmehr wolle er eine neue Vertrauensbasis schaffen, die durch transparentes staatliches Handeln gekennzeichnet sei. Wie dieses Handeln künftig aussehen kann, zählt für de Maizière zu einen der Leitfragen, die er im Laufe des ersten Halbjahres 2010 beantworten will. Dazu plant der Minister mehrere vier- bis sechsstündige Workshops mit Experten seiner Wahl. Die Ergebnisse will er dann später der Netzgemeinschaft zur Diskussion stellen. Gleichzeitig kritisierte der Innenminister, dass derzeit die Sicherheit im Netz privat organisiert sei, "und dies gehört auf Dauer nicht in private Hände, die sichere Kommunikation ist vielmehr eine Gewährleistungspflicht des Staates". Analog zur Stiftung Warenschutz kann sich de Maizière eine Stiftung Datenschutz vorstellen, "denn der Zugriff von privaten Wirtschaftsunternehmen auf private Daten stellt eine viel größere Gefahr dar als der Staatszugriff".

Der IT-Gipfel lebt weiter

Angesichts der Bedeutung der ITK "als unabdingbarer Wirtschaftsfaktor" und überzeugt von der Idee des Nationalen IT-Gipfels kündigte Kanzlerin Merkel bereits an, dass es 2010 den 5. IT-Gipfel geben werde. Dieser findet dann in Dresden statt. Zudem will die Bundesregierung bis zum Sommer 2010 eine nationale IT-Strategie vorlegen.

Die Detailergebnisse des 4. IT-Gipfels und Aktionspläne der Bundesregierung finden Sie in der "Stuttgarter Erklärung", die wir für Sie ebenfalls bereitstellen.