Predictive Analytics ist nicht ganz neu. Banken und Versicherungen treffen bereits seit längerem im Risikomanagement Vorhersagen über die Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Ereignissen. Banken schätzen beispielsweise beim Kredit-Scoring das Risiko ab, mit dem eine Person oder ein Unternehmen die zukünftigen Ratenzahlungen eines gewährten Kredits nicht leisten könnte. Versicherungen prognostizieren über Data Mining und andere statistische Methoden zukünftige Schäden und deren potenzielle Kosten. Auf diese Weise ermitteln sie unter anderen die passenden Tarife, um ihr Schadenrisiko zu minimieren.
Foto: Sergey Niven - Fotolia.com
Mittlerweile wird Predictive Analytics in vielen Branchen mit Erfolg eingesetzt. Hier einige ausgewählte Beispiele für Einsatzszenarien von Zukunftsprognosen.
Automobilzulieferer: Auslastungsprognose sichert Überleben
Ein global tätiger Automobilzulieferer mit 55.000 Mitarbeitern und 52 Standorten in 20 Ländern hatte das Ziel, den Absatz pro Land genauer vorherzusagen, um die Auslastung in den weltweiten Produktionsstandorten zu verbessern. Dabei ging es auch darum, die Produktionskapazitäten besser auf Absatzschwankungen zwischen den einzelnen Ländern auszurichten und damit handlungsfähiger gegenüber lokalen und auch globalen Krisen zu sein.
Der Zulieferer realisierte daher auf Basis von Predictive Analytics eine Gesamtplanung für alle Länder und Standorte. Dieses System bestand seine Feuertaufe 2009/10 in der Finanzkrise nach der Lehman-Pleite. Das Unternehmen spielte innerhalb von nur drei Tagen belastbare Szenarien über die künftige Auslastung seiner Produktionsstätten durch, passte umgehend die Kapazitäten an und legte auf Basis der Berechnung die absehbar unrentabel werdenden Fabriken still. Diese sehr harten und schnellen Einschnitte sicherten dem Unternehmen schließlich das Überleben. Aus dem Unternehmen, das nicht genannt werden will, heißt es dazu: "Ohne unsere auf Predictive Analytics basierte Gesamtplanung gäbe es uns heute nicht mehr."
Luftfahrt: Vorhersage des Passagieraufkommens verbessert Cash-Flow
Der weltweite Wettbewerb unter den Luftfahrtkonzernen ist hart. Eine deutsche Fluggesellschaft setzt daher auf Predictive Analytics, um das zu erwartende Passagieraufkommen für alle Routen und Maschinen möglichst genau zu planen. Damit verfolgt das Unternehmen mehrere Ziele: Durch die genauere Vorhersage der Passagierzahlen, die auch Faktoren wie Buchungsstornierungen angemessen mit berücksichtigt, lassen sich die benötigte Treibstoffmenge genauer vorherzusagen, die Treibstoff-Disposition verbessern und die Kosten für Sicherungsgeschäfte zur Treibstoffbeschaffung senken.
Hintergrund: Bei den Fluggesellschaften entfallen rund 40 Prozent der gesamten Betriebsausgaben auf die Treibstoffkosten. Angesichts der Preisschwankungen bei Treibstoffen und des knappen Angebots bemühen sich Luftfahrtkonzerne, ihren Kerosinbedarf möglichst zutreffend zu prognostizieren, um bei der Treibstoffbeschaffung und Absicherung von Preisrisiken Kosten zu sparen. Für die Prognose des Treibstoffbedarfs zieht die Predictive Analytics-Lösung neben dem Passagieraufkommen auch Wetterdaten wie die Temperatur am Start- und Zielort oder Informationen zur Sicherheitslage am Zielort mit heran, die erfahrungsgemäß die Stornoquote beeinflussen.
Tatsächlich gelingt es dem Unternehmen, die Prognosen für die Flugbuchungen laufend zu verbessern, die Beschaffungskosten durch bessere Ausnutzung von Schwankungen des Kerosinpreises (Ölpreisentwicklung) zu senken und so den Cash-Flow zu erhöhen.
Absatzprognosen vereinfachen Disposition
Foto: Blue Yonder
Predictive Analytics kommt im Einzelhandel sehr häufig im Umfeld der Disposition zum Einsatz, wenn es um den bedarfsgerechten Einkauf von Waren geht. Mit präzisen Absatzprognosen lassen sich kostspielige Über- oder Unterbestände im Lager verhindern, Leerverkäufe werden vermieden und das Sortiment ist stets verfügbar. In Supermärkten stellt die Disposition beispielsweise bei Frischeprodukten wie Fleisch, Fisch oder Meeresfrüchten eine besondere Herausforderung dar.
Die Unternehmensgruppe Kaufland mit europaweit rund 1.200 Filialen nutzt für ihre täglichen Bestellungen für SB-Frischfleisch eine Predictive Lösung von Blue Yonder. Für Kaufland ist es entscheidend, in jeder Filiale die richtige Menge an Fleisch für seine Kunden verfügbar zu haben. Dabei spielt die automatisierte Disposition auf Basis genauer Absatzprognosen die zentrale Rolle. Neben unternehmensinternen Daten bezieht die Supermarkt-Kette auch wichtige Einflussfaktoren wie Sonderaktionen, Feiertage oder Wetter ein. Denn es gilt: Je wärmer es ist, umso häufiger wird gegrillt, umso mehr Frischfleisch wird verkauft.
Foto: Blue Yonder
Auch der deutsche Online- und Versandhändler Otto Group setzt für seinen Onlineshop auf Absatzprognosen, um den Wareneinkauf zu automatisieren und zu optimieren. Mit rund 4.000 Marken und zwei Millionen Artikelpositionen aus den Bereichen Mode, Technik, Möbel, Sportartikel, Schuhe oder Spielzeug fallen große Datenmengen an. Täglich wird für jeden Artikel je Farbe und Größe eine aktualisierte Prognose auf Basis von 200 verschiedenen Inputvariablen (z. B. Marke, Preis, Onlineplatzierung, Bestandssituation, Wetter) ermittelt. Hierzu übergibt Otto wöchentlich 300 Millionen Datensätze an Blue Yonder. Jedes Jahr werden somit mehr als 5 Milliarden Einzelprognosen erstellt. Die Prognosequalität verbesserte sich dadurch gegenüber den herkömmlichen Verfahren um bis zu 40 Prozent je Artikel.
Dynamische Preisgestaltung
Ein weiteres Einsatzgebiet von Predictive Analytics ist die dynamische Preisgestaltung. Unternehmen können damit ihre Preise - auch in Echtzeit - an die aktuelle Markt- und Wettbewerbssituation sowie an Verfügbarkeiten und Lieferbedingungen anpassen. Im Modebereich sind Preise beispielsweise im Winter- oder Sommerschlussverkauf entscheidend, um die Lager pünktlich zum Saisonende zu räumen. Auch Wetterdaten oder Feiertage fließen in die Berechnung ein. Ein konkretes Beispiel:
Foto: Blue Yonder
Wie viel darf eine Badehose kosten, wenn es in den Pfingstferien regnet? Was darf sie kosten, wenn die Sonne scheint? Ein Modehändler weiß aus seinen historischen Daten, dass der Absatz von Badehosen an den ersten warmen und freien Tagen generell deutlich steigt. Kunden, die das schöne Wetter für einen Tag am See oder über Pfingsten in den Urlaub fahren, sind bereit, genau jetzt Geld für eine Badehose auszugeben. Das heißt: Der Händler kann mehr Geld verlangen, wenn er seinen Umsatz erhöhen will. Eine Predictive Analytics-Lösung rechnet hier mit Hilfe externer Daten (Wetter, Feiertage etc.) und interner Faktoren wie Einkaufspreise, Umsatzziel, historische Preise etc. mehrere Szenarien durch und ermittelt den optimalen Preis automatisiert.
Industrie 4.0: Predictive Maintenance
Foto: Blue Yonder
Ein Beispiel aus der Industrie ist Predictive Maintenance, sprich vorausschauende Wartung. Basis dafür ist die Fülle an Sensordaten, die Maschinen, Geräte und Fahrzeuge heute senden. Diese Sensoren übermitteln dabei Daten zum Status etwa einer Anlage wie Leistung, Temperatur, Umdrehungen und Auslastung (meist) an eine Cloud-Plattform. Die Lösung analysiert Kenndaten bezüglich Nutzung, Verschleiß und Zustand aus verschiedenen Quellen und erkennt so Fehlermuster und qualitativ minderwertige Komponenten - und kann Fehler vorhersagen. Der Service kann dadurch rechtzeitig reagieren und einen kostspieligen Ausfall der Maschine proaktiv verhindern, indem er beispielsweise ein neues Ersatzteil einbaut oder die Wartungsarbeiten vorzieht.
Predictive Analytics hilft zudem bei der Entscheidung über die Laufzeit und Konditionen bei der Verlängerung von Serviceverträgen. Hier sind anhand des Anlagen- bzw. Maschinenzustands präzise Prognosen zu Risiken, Ausfällen und Wartungsbedarf möglich; hier lassen sich auch Wetterdaten und sonstige Umwelteinflüsse integrieren. Die Analyse bildet die Basis für die Entscheidung, ob der Vertrag zu den bisher für den Kunden günstigen Konditionen beibehalten oder geändert wird.
Personalmanagement: Wahrscheinlichkeit einer Kündigung vorhersagen
Auch im Personal Management kommt Predictive Analytics zum Einsatz. Die Lösung Workday Talent Insights beispielsweise analysiert über einen selbstlernenden Algorithmus historische Daten zur Mitarbeiterfluktuation, um das Kündigungsrisiko von Mitarbeitern frühzeitig zu erkennen. Als Parameter für die Wechsel-Wahrscheinlichkeit dienen Fragen wie: Wie lange arbeitet der Kollege im Unternehmen? Wie oft erhielt er eine Gehaltserhöhung? Wie lange ist sein Arbeitsweg? Wie oft wechselten seine Vorgesetzten? Wie viele Projekte hat er abgewickelt? Wie wurde er beurteilt? Für welche Projekte erhielt er eine Auszeichnung?
Foto: Workday
Die ermittelten Muster werden dann mit ähnlichen Mustern von Mitarbeitern verglichen, die das Unternehmen verlassen haben, um das Kündigungsrisiko einzuschätzen. Die Ergebnisse sind rein statistischer Art und bilden einen Anhaltspunkt für individuelle Gespräche mit dem potenziell wechselwilligen Mitarbeiter. Zugleich bietet die Software konkrete Empfehlungen, wie sich die Abwanderungswahrscheinlichkeit reduzieren lässt, beispielsweise durch die Versetzung zu einem interessanten Projekt. Mit der Lösung lassen sich auch Fragen beantworten wie: Um wie viel Prozent reduziert sich die Wahrscheinlichkeit einer Kündigung, wenn wir das Gehalt um fünf Prozent erhöhen? (mb)