BPM-Studie

Prozessintelligenz besser nutzen –aber wie?

09.09.2021 von Stefan Pechardscheck und Jan  Bernstorf  
Prozessorientierte Führungskultur ist eine wichtige Voraussetzung, um Potenziale der datengestützten Prozessintelligenz besser ausschöpfen zu können. Eine Studie zu BPM zeigt, wo es bei Unternehmen noch hakt und wo bereits Erfolge zu verzeichnen sind.
Eine professionelle Visualisierung macht im Prozessmanagement Sinn - einfach geht es natürlich mit Software.
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Es war eine Nachricht, die im Markt einschlug, wie eine Bombe: SAP übernimmt Signavio, das Berliner Softwarehaus, das sich schon seit vielen Jahren einen guten Namen mit seinen IT-Anwendungen für Prozessmodellierung, -automatisierung und -analyse gemacht hat. SAP verbindet mit diesem Zukauf eine strategische Neuausrichtung seiner Unternehmensstrategie und Produktpalette, die sich ab sofort rund um das Thema Prozessintelligenz rankt.

Die vollumfängliche Betrachtung und Optimierung von Prozessabläufen, die nachhaltige Messung der Prozessleistung und die integrative Nutzung von IT-Anwendungen zur Stärkung von Prozesseffizienz und Digitalisierung im Unternehmen stehen fortan im Vordergrund. Und natürlich bietet SAP alle Werkzeuge an, die dafür erforderlich sind. So der Plan. IT-Abteilungen auf der ganzen Welt müssen nun entscheiden, welchen Einfluss dieser Zukauf auf die IT-Strategie und die Zusammensetzung der jeweiligen IT-Anwendungslandschaft in ihren Unternehmen haben wird.Einen wichtigen positiven Effekt hat diese Übernahme jedoch bereits erreicht: Der Ende-zu-Ende Prozess, seine Daten und deren Nutzbarmachung erleben eine nie dagewesene Renaissance.

Das unterstreichen auch die Ergebnisse der Prozessmanagement & Analytics Studie 2021, einer branchenübergreifende Umfrage unter 336 Experten in Deutschland, Österreich und der Schweiz, die nun bereits zum vierten Mal von BearingPoint und BPM&O gemeinsam durchgeführt wurde. Seit der ersten BPM Studie hat das Thema Prozessmanagement bei den befragten Teilnehmern stets an Wichtigkeit gewonnen. 83 Prozent der Studienteilnehmer bestätigen aktuell dessen hohe Bedeutung für ihr Unternehmen.

BearingPoint Prozessmanagement & Analytics Studie 2021






Treiber und Ziele im Prozessmanagement

Die wichtigsten Treiber für den Aufbau von Prozessmanagementstrukturen im Unternehmen sind nach wie vor Kosteneinsparungen/Effizienzsteigerungen (48 Prozent) und Digitalisierung (40 Prozent). Die Bedeutung von Qualitätsicherung (31 Prozent) als Treiber für Prozessmanagement nimmt dagegen ab, was sich durch große Umsetzungsfortschritte in den letzten Jahren erklärt. Doch inwieweit werden die Ziele, die mit der Etablierung von Prozessmanagement verbunden sind, auch erreicht? Im Vergleich mit der Studie 2017 zeigen sich einerseits große Fortschritte, gleichzeitig wird jedoch auch klar, dass nach oben noch Spielraum ist. Den größten Fortschritt bestätigen die Studienteilnehmer bei dem Ziel Digitalisierung von Prozessen. Waren im Jahr 2017 nur 13 Prozent der Teilnehmer mit dem Erreichten zufrieden, so kletterte die Zufriedenheit in der aktuellen Studie auf immerhin 47 Prozent (ein Plus von 34 Prozent im Vergleich zu 2017).

Die Zufriedenheit mit der "Einsparung von Kosten" hat sich im Vergleich zur letzten Befragung zwar mehr als verdoppelt, liegt im Vergleich zu den anderen Zielen jedoch weit abgeschlagen am Ende der Liste. Nur 36 Prozent (plus 20 Prozent) der Teilnehmer sind mit dem Erreichten zufrieden. Positiv fällt hier nur die Telekommunikationsbranche mit 64 Prozent Zufriedenheit auf. Oftmals ist die Einführung von Prozessmanagement durch zu hohe Erwartungen an (messbare) Kosteneinsparungen geprägt.

Andererseits können auch fehlende Kompetenzen bzw. Werkzeuge zur Identifizierung, Quantifizierung und Umsetzung geeigneter Kostenreduzierungs- und Effizienzsteigerungsmaßnahmen die Ursache für unerfüllte Ziele sein. Anforderungen an die Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter mit Prozessverantwortung haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Standen vor zehn Jahren noch die Soll-Prozessdokumentation und vereinzelte Prozessanalysen im Vordergrund, müssen sich Prozessmanagement-Teams heute insbesondere mit Prozessautomatisierung, Prozessmessung und Prozessoptimierung beschäftigen und auskennen. Die Studienauswertung zeigt, dass Prozessorganisationen, die stark ausgeprägte Kompetenzen in diesen Bereichen vorweisen, ihre Kosteneinsparziele öfter erreichen.

Prozessmanagement-Organisationen stehen heutzutage unter einem deutlich höheren Erfolgsdruck messbare Ergebnisse vorzuweisen als noch vor einigen Jahren. Es reicht nicht mehr aus, den qualitativen Nutzen von Prozessmanagement, wie z.B. eine höhere (Prozess-)Transparenz, eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen und ein klareres Aufgaben- und Rollenverständnis, ins Feld zu führen. Die Entwicklung ist jedoch vielversprechend, denn zum ersten Mal seit Auflage der Studie gibt eine deutliche Mehrheit (66 Prozent) der Studienteilnehmer an, dass sie den Nutzen von Prozessmanagement regelmäßig messen. Neu ist, dass ca. 24 Prozent ein eigenes Prozesscontrolling etabliert haben und 22 Prozent der Befragten innovative Technologien wie z.B. Process Mining (12 Prozent) oder andere Softwareprodukte (10 Prozent) dafür einsetzen.

Diese Infografik bringt die wichtigsten Erkenntnisse der BPM-Studie von BearingPoint und BPM&O auf den Punkt.
Foto: BearingPoint

Process Mining steht noch am Anfang

Process Mining, also die Visualisierung von Prozessabläufen anhand der Transaktionsdaten (= Logs) aus den zugrundeliegenden IT-Systemen, wird von Marktforschungsunternehmen, Beratungshäusern und Unternehmen gleichermaßen als neue innovative Möglichkeit zur Prozessanalyse, -optimierung und -automatisierung gefeiert und beworben. Tatsächlich zeigt die Studie, dass sich 82 Prozent, also eine überwältigende Mehrheit der Studienteilnehmer, bereits mit dem Thema beschäftigen.

Allerdings sind die operativen Erfahrungen mit dieser neuen Technologie noch begrenzt, denn ein Drittel der Befragten führt aktuell Marktanalysen zum Thema durch, ein Fünftel befindet sich in der Softwareauswahl und rund ein Zehntel ist mit der Softwareprüfung (Proof of Value) beschäftigt. Erst 18 Prozent der Teilnehmer befinden sich in der Pilotphase, haben erste operative Erfahrungen gesammelt oder nutzen Process Mining Software bereits kontinuierlich zur laufenden operativen Überwachung und Einhaltung von Prozessstandards (= Soll-Prozesse). Die Zufriedenheit mit den Ergebnissen aus der Process-Mining-Einführung liegt immerhin bereits bei 48 Prozent, obgleich die operative Nutzung - wie gesagt - noch am Anfang steht.

Natürlich gibt es auch bei Process Mining, wie bei allen Softwareeinführungsprojekten, typische Herausforderungen und teils unrealistische Erwartungen, die es zu steuern gilt, beispielsweise:

Process Mining Tools 2020
Celonis Intelligent Business Cloud
Celonis Intelligent Business Cloud
Lana Labs
Lana Labs
UiPath Process Mining
UiPath process Mining
Fluxicon Disco
Fluxicon Disco
Mehrwerk Process Mining
Mehrwerk Process Mining
PAFnow
PAFnow
Signavio Process Discovery
Signavio Process Intelligence

Vom Fail zum Erfolg

Process-Mining-Softwarelösungen sind keine Plug & Play-Anwendung, deren Aufsetzen bereits Garantie dafür ist, dass Prozessprobleme über Nacht verschwinden. In der Tat müssen Process-Mining-Projekte als strategische Initiativen im Kontext von Prozessmanagement aufgesetzt werden. Sie sind nur in enger Abstimmung mit Fachbereich und IT, gestützt vom Top-Management erfolgversprechend. Die technische Systemanbindung (meist über mitgelieferte Standard-Konnektoren), der Aufbau eines Prozessdatenmodells und die Validierung der visualisierten Daten sind dabei erste wichtige, gemeinsame Schritte, um typischen Projektherausforderungen erfolgreich zu begegnen.

Um diese Herausforderungen der Process-Mining-Einführung nachhaltig zu überwinden, entscheiden sich Unternehmen immer häufiger für den Aufbau zentraler Process- und Data-Analytics-Teams, die oftmals zugleich Teil der Prozessmanagement-Organisation sind. Aufbereitete Prozessdaten können einen erheblichen Beitrag zur Steuerung und Verbesserung von Prozessen leisten. Häufig wird das Potenzial zur Nutzung von Prozessdaten zur Nutzenmessung von Prozessmanagement noch nicht ausreichend genutzt. Befragt nach den Gründen dafür, geben 39 Prozent der Unternehmen Probleme mit der Durchsetzbarkeit des Themas in der Organisation an, gefolgt von fehlenden technischen Möglichkeiten (36 Prozent), fehlenden Methoden (36 Prozent) und fehlenden Kompetenzen (28 Prozent). Die sprichwörtliche Intelligenz, die in den Prozessdaten schlummert, kann sich dadurch nicht entfalten. Das zeigt, dass die Prozessleistungsmessung noch am Anfang steht.

Um die Durchsetzbarkeit in der Organisation zu erhöhen, und entsprechende Methoden und Kompetenzen zu entwickeln, empfiehlt sich eine begleitende Nutzung von Prozessmanagement-Werkzeugen und -Methoden im Rahmen von großen Transformationsprogrammen, um:

Insbesondere wenn der Zusammenhang zwischen Soll-Prozessen, unterstützenden IT-Systemen und der künftigen Prozess- und IT-Zielarchitektur betrachtet werden soll, sind die tatsächlichen Ist-Prozessabläufe und deren Visualisierung oftmals der Schlüssel für eine objektive Analyse und wertschöpfende Verbesserung. Eine erstmalige Anwendung solcher Technologien im Rahmen eines strategischen Prozessoptimierungsprogramms (z.B. S/4 HANA oder Digitalisierungsprogramme) bringt sofort messbaren Nutzen. Es ermöglicht die risikofreie Bewertung für den Einsatz der Software zur dauerhaften Prozessleistungsmessung und gibt der Organisation Zeit den Aufbau von Prozessmanagement-Strukturen und einen entsprechenden Kulturwandel schrittweise einzuleiten.

Der messbare Erfolg im Prozessmanagement

Prozessmanagement ist erfolgreich, wenn:

Möglicherweise hat SAP mit der Akquise von Signavio also einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet, dass sich Unternehmen aller Branchen und Größen jetzt nochmals ernsthaft mit der Frage beschäftigen, wie gut sie ihre Prozesse schon kennen und ob sie bereits in der Lage sind, die Intelligenz, die in den Daten ihrer Prozesse liegt, optimal auszuschöpfen, um ihre Ziele zu erreichen. (bw)

Das sagen Experten zu Process Mining
Gunther Rameseder, Senior Vice President Solution Engi, bei Celonis SE
"Process Mining ist eine innovative Disziplin unter den Big-Data-Technologien. Sie macht es möglich, Abläufe aus Daten heraus zu analysieren und abzubilden. So erhalten Unternehmen umfassende Einblicke in ihre Prozesse."
Tobias Rother, CEO der Process Analytics Factory GmbH
"Vielen Unternehmen ist nicht bewusst, dass sie beste Voraussetzungen für Process Mining bereits mitbringen. Das gilt besonders für Unternehmen, die schon mit Business Intelligence Plattformen arbeiten und gezielt Daten sammeln und auswerten. Kombiniert man BI und Process Mining, so können Anwender von ihrem digitalen Arbeitsplatz Prozesse nicht nur analysieren, sondern die Optimierung dieser direkt anstoßen."
Constantin Wehmschulte, Head of Process Mining der MEHRWERK GmbH
"Unternehmen haben mit KI-gestütztem Process Mining die Möglichkeit, einfach und schnell auf Marktveränderungen zu reagieren. Damit verändert sich die Arbeitsweise von Unternehmen grundlegend."
Rami-Habib Eid-Sabbagh, Managing Director der Lana Labs GmbH
"Durch intelligente Machine-Learning-Algorithmen werden Muster in Prozessen erkannt. Dadurch werden automatisch die Kernursachen von Prozessproblemen identifiziert – durch Daten anstatt durch Spekulation. Das schafft die Basis einer faktenbasierten Optimierungsstrategie für die digitale Transformation von Unternehmen."
Gero Decker, CEO der Signavio GmbH
"2019 ist die allgemeine Akzeptanz und der Wert, der durch Process Mining-Initiativen in Verbindung mit umfassenden Modellierungsbemühungen erzielt wurde, enorm gestiegen. Dies liegt auch an der Verlagerung hin zu einer geschäftlichen, objektiven Herangehensweise, die im Zuge detaillierter Transformations- und Verbesserungsinitiativen zum Einsatz kommt. 2020 ist ganz klar das Jahr, in dem die Fähigkeit, solche objektiven Erkenntnisse an Business- und Prozessmanagement-Teams weiterzugeben, den Process Mining-Markt bestimmen wird."
Rudolf Kuhn, Head Process Mining Ambassador bei UiPath
"Process Mining ist der Röntgenapparat für Prozesse, also die Diagnose. Aber wenn die Prozesse nicht rund laufen, also “schmerzen”, dann hilft die Diagnose alleine nicht weiter. Es bedarf einer Behandlung, um das Problem zu lösen. Nicht die einzig mögliche, aber doch großartige Behandlungsmethode ist RPA. Nur die Kombination von gründlicher Diagnose und richtiger Behandlung sorgt für nachhaltige Heilung."