Viele Mitarbeitende aus IT-Abteilungen verstehen unter Innovation durch Informations- und Kommunikationstechnik (ITK) in erster Linie den Ersteinsatz neuer Produkte und Dienstleistungen. Die Fachbereiche denken dabei eher an das "Herumprobieren" mit neuen Gadgets.
In den kommenden Jahren wird Innovation durch ITK zu einem zentralen Thema für Unternehmen und öffentliche Verwaltungen werden. Wer den Anschluss an die innovativen Entwicklungen in der Informations- und Kommunikationstechnik in einer Branche verloren hat, gerät quasi in eine Todesspirale - dadurch beschleunigt, dass Kunden ihr Verhalten ändern und bei den Unternehmen kaufen, die innovative Lösungen kundenorientiert einsetzen. Viele Reisebüros, Handelsunternehmen und die gesamte Musikbranche können ein Lied davon singen.
Ein eindrucksvolles Beispiel für nachhaltigen Erfolg durch frühzeitiges Nutzen dieser Potentiale liefert Saleforce.com. Zu einer Zeit, als viele Hersteller, Berater, Wissenschaftler und CIOs noch darüber philosophierten, was "Software as a Service" in Zukunft bedeuten könnte, baute der Softwareanbieter eine Lösung für das Customer-Relationship-Management, durch die er innerhalb kürzester Zeit in der Lage war, mit den Angeboten von SAP oder Oracle in Konkurrenz zu treten. Wenn man den Aussagen von Analysten glauben kann, ist der Kunde von Salesforce.com in den meisten Fällen nicht der Informatik-, sondern der Fachbereich.
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Dieser Artikel basiert auf einem Buch, dass die Autoren, Walter Brenner und Christoph Witte, kürzlich veröffentlicht haben.
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Es heißt "Business Innovation - CIOs im Wettbewerb der Ideen".
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Erschienen ist es beim F.A.Z. Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen in Frankfurt am Main.
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Auf 224 Seiten enthält es unter anderem Interviews mit CIOs wie Steffen Roehn (Deutsche Telekom), Wolfgang Gaertner (Deutsche Bank) und Jürgen Sturm (BSH).
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Gedruckt und gebunden kostet es im Fachhandel etwa 50 Euro.
Die Innovations-Matrix
In einer ersten Dimension lassen sich vier Objekte von Innovation durch Informations- und Kommunikationstechnik unterscheiden:
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Das Geschäftsmodell, vor allem das Ertragsmodell, beschreibt, wie ein Unternehmen sein Geld verdient.
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Die Produkte und Dienstleistungen definieren den "Output", den ein Unternehmen erzeugt.
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Die Prozesse bezeichnen die Abläufe in Unternehmen, die von Menschen, Maschinen, ITK oder im Wechselspiel dieser drei Komponenten bestritten werden.
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Die Infrastruktur (Gebäude, Verkehrsanbindung, Equipment etc.) schafft die Voraussetzungen dafür, dass unternehmerisches Handeln stattfinden kann.
In einer zweiten Dimension ist Innovation durch ITK in zwei Stoßrichtungen strukturiert:
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"Innovate the Business" umfasst alle Innovationen, die im Fachbereich wirksam werden, zum Beispiel eine Prozessveränderung im Einkauf durch den Einsatz von Standardsoftware oder auch den Bau einer neuen Web-Seite für den Verkauf von Produkten beziehungsweise Dienstleistungen.
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"Innovate the IT" zielt auf Verbesserungen, die in der IT-Abteilung wirksam werden, beispielsweise die Einführung einer neuen Hardwaregeneration, deren Ausfallwahrscheinlichkeit wesentlich geringer ist, den Bau eines neuen Rechenzentrums oder den Einsatz neuerSoftware, um den IT-Betrieb zu beschleunigen.
Kombiniert man die beiden Dimensionen, ergibt sich eine Matrix (siehe Abbildung: "Die Innovationsmatrix"). Sie verdeutlicht, dass sowohl in beiden Stoßrichtungen - "Innovate the Business" und "Innovate the IT" - alle vier Objekte Gegenstand der Innovation sein können.
Innovate the Business - Infrastruktur
Innovationen durch ITK haben in den vergangenen 30 Jahren zu großen Veränderungen der Infrastruktur von Unternehmen geführt. Heute dominieren Laptops und mobile Telefone, wo früher Bleistift und Papier oder eine mechanische Schreibmaschine verwendet wurden. Die Schalterhallen der meisten Banken wurden in den vergangenen Jahren umgebaut, Automatenzonen eingerichtet, die Anzahl der klassischen Schalter reduziert etc. Machen Banken haben sogar einen Teil der Fläche an Einzelhandelsgeschäfte vermietet.
Innovate the Business - Prozesse
Die ITK hat fast alle Prozesse in den Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen erfasst. Begonnen hat die Veränderung der Prozesse mit standardisierten und repetitiven Abläufen, beispielsweise in der Buchhaltung oder in der Auftragserfassung. Ende der 80er Jahre hat sich - ausgehend vom Forschungsprojekt "Management in the 1990s" an der Sloan School des Massachusetts Institute of Technology - die Ansicht durchgesetzt, dass sich die Potentiale der IT nur ausschöpfen lassen, wenn sich auch die Geschäftsprozesse ändern. In diesem Umfeld entstand der Bestseller "Business Process Reengineering" von Michael Hammer und James Champy.
Viele europäische Unternehmen führten in den 90er Jahren Standardsoftware, vor allem von SAP, ein. Doch auch Standardsoftware entwickelt nur dann ihr volles Potenzial, wenn die Prozesse angepasst werden. Bis zum Beginn der 90er Jahre stand dabei die Veränderung unternehmensinterner Prozesse im Vordergrund. Ab 2000 wurde Business Process Reengineering auch auf die Umgestaltung von Prozessen zwischen Unternehmen angewendet.
Prozessinnovation bedeutet aber nicht nur die Veränderung bestehender, sondern auch die Schaffung neuer Geschäftsprozesse. Online-Versender wie Amazon haben in den vergangenen 15 Jahren den Prozess der Bestellung von Waren über das Internet etabliert. Angelehnt an das Vorbild der klassischen Versandhändler erlaubt es dieser Prozess, bequem und sicher über das Internet einzukaufen: Katalog aufrufen, Waren aussuchen, Waren in den Warenkorb geben und bezahlen.
Die ITK hört nun keineswegs auf, Prozesse und Abläufe der Unternehmen zu verändern. Im Gegenteil: Hier steckt weiter großes Potential zur Weiterentwicklung oder zum Erfinden von Prozessen. Web 2.0 verändert beispielsweise die Art und Weis, wie in einigen Unternehmen mit Mitarbeiterwissen umgegangen wird: Angestellte und Manager speichern Informationen in Wikis, auf die ihre Kollegen zugreifen und die sie auch verändern dürfen. Zudem verändert sich in vielen Unternehmen die Zusammenarbeit: Kommunikationsprozesse wie Online- oder Web-Meetings wären ohne Web-2.0-Werkzeuge wie Präsenzanzeigen Skype nie so populär geworden wären.
Innovate the Business - Produkte und Dienstleistungen
Nicht nur die Prozesse, sondern auch viele Produkte haben sich gewandelt. Vor 15 Jahren konnte eine Waschmaschine nichts als waschen und schleudern. Heute lässt sie sich fernwarten und über das Internet steuern. Die Verbindung der Produktinformations- und Kommunikationstechnik mit den Prozessen eines Unternehmens gewinnt an Bedeutung.
Immer mehr Produkte werden unter der Zielsetzung der "Serviceorientierung" um Dienstleistungen aus dem Internet ergänzt. Beispiele sind die Musik- und Video-Management-Software iTunes von Apple oder die Web-Erweiterungen von Microsoft Office. Eine möglichst nahtlose Vernetzung der Produktwelt mit den Internet-basierenden Dienstleistungen ist zentrale Voraussetzung für die Umsetzung dieser Form der Serviceorientierung.
Innovate the Business - Geschäftsmodell
Die Entwicklung der Wirtschaft war schon immer durch das Erfinden - und oft auch durch das Wiederentdecken - von Geschäftsmodellen gekennzeichnet. Durch ITK entstanden in den vergangenen 15 Jahren zahlreiche neue Geschäftsmodelle, und ständig entwickeln sich weitere.
Die Musikindustrie bietet dafür ein viel diskutiertes Beispiel. Man staunt darüber, dass viele frühere Größen des Musikgeschäfts heute wieder Konzerte geben. Die Gründe für die hohe Anzahl an Tourneen und die hohen Ticket-Preise liegen in einer Umkehr des Geschäftsmodells: In den 70er Jahren dienten Tourneen als Marketing-Tool, um den Verkauf von Tonträgern anzukurbeln.
Die Preise für Konzert-Tickets und Schallplatten oder Kassetten lagen nicht weit auseinander. Die Musikindustrie, vor allem die Produzenten und Komponisten, verdienten an den hohen Verkaufszahlen der Tonträger. Inzwischen sind die Umsätze mit CDs durch die Verbreitung der MP3-Technik und der Möglichkeit, Musik aus dem Internet zu beziehen, zurückgegangen. Um genügend Geld zu verdienen, gehen die Künstler deshalb auf Tournee.
Die intensive Nutzung der Datenbestände hat besonders im Umfeld des Electronic Business neue Geschäftsmodelle geschaffen und bestehende verändert. So ist beispielsweise Google in der Lage, überdurchschnittliche Werbeerlöse zu erzielen, weil die Analyse des Benutzerverhaltens mit hoher Wahrscheinlichkeit Aussagen darüber zulässt, was der Nutzer sucht und unter Umständen kaufen möchte.
Christoph Ganswindt, der ehemalige Chief Information Officer des Lufthansa-Sektors Passage berichtet, dass er in seinem Bereich rund 60 Mathematiker, Physiker und Statistiker beschäftigt, die ständig die Luftverkehrsdaten untersuchen und nicht nur die Flugpläne und die Flugstrecken optimiert, sondern auch an Algorithmen zur Bestimmung der Preise arbeitet. Der Erfolg der Lufthansa ist zu einem großen Teil auf diese Arbeit zurückzuführen.
Innovate the IT - IT-Infrastruktur
Seit es die ITK-Industrie gibt, kommt laufend neue Hardware und Software auf den Markt. Zu Beginn stand vor allem die Steigerung der Leistungsfähigkeit im Vordergrund. Später war es das primäre Ziel, immer kleinere Geräte zu bauen. Und eine Zeitlang spielte die Benutzerfreundlichkeit die wichtigste Rolle. Heute fokussiert sich ein Teil dieser Industrie darauf, den Energieverbrauch zu reduzieren und die Umweltverträglichkeit zu erhöhen.
Ein anderer Bereich der Infrastruktur-Innovation lässt sich unter der Bezeichnung "Rechenzentrum der Zukunft" zusammenfassen. Einige Unternehmen haben in den vergangenen Jahren neue Rechenzentren gebaut, die - obwohl wesentlich größer als die bisherigen - auf kleinen, billigen Servern in großer Zahl basieren.
Zu den Innovationen der IT-Infrastruktur gehören auch neue Middleware-Produkte, die inzwischen sehr mächtigen Datenbanken und Netze sowie Backend-Software, beispielsweise ERP-Systeme. Insgesamt trägt "Innovate the IT" dazu bei, den Automatisierungsgrad der IT zu erhöhen und die Kosten pro Transaktion zu senken.
Innovate the IT - Prozesse
Traditionell war es üblich, dass der CIO mit seinen Mitarbeitenden und Beratern die Strukturen und Prozesse der IT-Abteilung festlegte. So bis vor wenigen Jahren jede IT-Abteilung ihre eigenen Prozesse und Strukturen. Seit etwa 20 Jahren publizieren Berater und Hersteller übergreifende Prozessmodelle für die IT-Abteilung. Eines der ersten war das Information Systems Management (ISM), das im IBM-Ausbildungszentrum La Hulpe in Belgien entwickelt wurde. Diese standardisierten Prozessmodelle hatten anfangs nur wenig Einfluss auf die Praxis. Erst mit der Verbreitung von Itil begann das systematische Reengineering der IT in Verbindung mit der Standardisierung von Prozessen.
Itil führt zu Verbesserungen bei ausgewählten Prozessen im Service-Management. Der Sarbanes-Oxley-Act und der Zwang, den die Revisionsfirmen ausübten, forcierten den Einsatz des CoBIT-Modells als Grundlage der Prozesslandschaft von IT-Abteilungen.
Damit ist die Innovation der IT-Prozesse allerdings noch nicht ausgeschöpft. Das Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen überträgt seit mehr als sieben Jahren Wissen und Erfahrungen aus der industriellen Produktion auf die IT-Abteilung. Im Rahmen dieser Forschung wurde zusammen mit großen Anwenderunternehmen und IT-Service-Providern eine Prozesslandschaft für IT-Abteilungen aufgebaut. Sie basiert auf Prozessen, die sich an ERP-Systeme anlehnen.
Innovate the IT - Produkte und Dienstleistungen
CIOs und Verantwortliche aus den IT-Abteilungen gliedern die Produkte ihrer Abteilung meist in "Beratung", "Projekte" und "Betrieb". Auf dieser Grundlage fußen auch viele Produktkataloge von IT-Abteilungen.
SaaS-Anbieter wie Salesforce zeigen jedoch auf, was künftig unter den Produkten einer IT-Abteilung verstanden wird. Hier werden beispielsweise verschiedene Dienstleistungsprodukte im Prozessbaukastensystem offeriert. Dieses Angebot lässt sich quasi als "ein Stück Prozessunterstützung" interpretieren. Das Cloud Computing bietet große Potentiale für Innovationen in den Produkten einer IT-Abteilung.
Innovate the IT - Geschäftsmodelle
Die Entwicklung der Geschäftsmodelle von IT-Abteilungen lässt sich an der Veränderung ihrer Wertschöpfungstiefe beobachten. Vor 30 Jahren gab es nur die klassischen IT-Abteilungen, die von Lieferanten Hardware, Betriebssysteme und Programmiersprachen bezogen; aus diesen Rohstoffen entstanden in Eigenentwicklung Informationssysteme. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Komponenten dazu. Dabei ist die Wertschöpfungstiefe in den vergangenen 20 Jahren ständig gesunken.
Outsourcing verändert zusehens das Geschäftsmodell der IT-Abteilung. Es gibt schon IT-Bereiche, die keine eigene Programmierkapazität mehr besitzen, sondern nur noch als Einkaufsdrehscheibe agieren. Sie kennen die nationalen und internationalen Beschaffungsmärkte für Dienstleistungen der Informations- und Kommunikationstechnik genau und haben Know-how in Sachen Vertragsverhandlungen aufgebaut.
Ein weiterer Gradmesser dafür, wie sich die Geschäftsmodelle der IT-Abteilungen verändern, ist das Ausmaß der Internationalisierung. Noch vor wenigen Jahren waren die IT-Abteilungen internationaler Unternehmen in der Regel im Mutterland der Unternehmen angesiedelt. Heute gibt es IT-Abteilungen, die sich über die ganze Welt verteilen: Die Softwareentwicklung befindet sich in Indien, die Rechenzentren in den USA und in Deutschland, der CIO und sein Team sind in Frankreich ansässig.
Eine weitere, wahrscheinlich nur vorübergehende, Innovation des Geschäftsmodells besteht in den Drittmarkakivitäten der IT-Abteilungen. Einige ehemals interne IT-Abteilungen sind nachhaltig in Drittmärkten erfolgreich. Allerdings müssen erfolgreiche IT-Service-Provider, die aus einstigen IT-Abteilungen erwachsen sind - wie in Deutschland T-Systems und in der Schweiz Swisscom IT Services -, als Ausnahmen von der Regel angesehen werden. (qua)