Seit der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 ist in der deutschen Energiebranche nichts mehr wie früher. Die daraufhin eingeleitete Energiewende der Bundesregierung hat die hiesigen Versorger dazu gezwungen, sämtliche Strategien und Prozesse zu überdenken.
Die Umwälzungen haben auch die interne IT erfasst, so dass jahrelange Grundsätze auf den Prüfstand kamen. Das betraf und betrifft vor allem die Fertigungstiefe. Vom früheren Grundsatz, möglichst viele Aufgaben selbst machen zu wollen, haben sich die meisten Energieversorger heute bereits verabschiedet.
RWE hat dabei einen besonnenen Weg eingeschlagen. Bislang wurden vor allem im Ausland Auslagerungsprojekte betrieben. Im Inland steht einzig der im Oktober 2013 vereinbarte Fremdbetrieb der PC-Arbeitsplätze durch die T-Systems zu Buche. Ein großer Rundumschlag á la Eon war noch nicht dabei (siehe "Eon macht milliardenschweres Outsourcing perfekt").
"Die schwierige Situation unseres Konzerns in Folge der Energiewende erforderte erhebliche Anpassungsmaßnahmen. Wir mussten uns fragen: Was können wir uns in der internen IT noch leisten? Wie arbeiten wir? Ist das noch zeitgemäß?" schilderte Michael Neff, CIO von RWE und Geschäftsführer der hausinternen Tochtergesellschaft RWE IT GmbH, im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE die Ausgangsposition.
In der Folge wurde die IT-Strategie des Konzerns angepasst. Commodity-Dienste, die nicht wettbewerbsrelevant sind, kommen immer wieder auf den Prüfstand. Können sie extern besser erbracht, werden sie ausgelagert. Differenzierende IT-Dienste will man auch künftig in Eigenregie weiterführen.
Foto: FPT
Outsourcing von Softwareentwicklung und Testing
Unter diesen Gesichtspunkten hat man bei RWE den Entschluss gefasst, die Softwareentwicklung in Košice einem strategischen Partner zu übergeben.
In der slowakischen RWE-Niederlassung arbeiten rund 300 Mitarbeiter, die eng in die Abläufe der Essener Zentrale eingebunden sind. Sie kennen die Methode, Kollegen und Anforderungen, sprechen zum Großteil deutsch und sind laut Neff zumeist hochqualifizierte Informatiker. Ursprünglich, also vor Fukushima, hat RWE Pläne verfolgt, die dortige Dependance auf über 500 Mitarbeiter aufzustocken.
Die Niederlassung in Košice verantwortete bislang vornehmlich folgende Aufgaben:
Release-Wechsel und umfangreiche Testläufe für die großen SAP-Anwendungen im Personalbereich (HR) sowie im Finanzwesen (FI) und Controlling (CO). Für die eingesetzten Module werden unternehmensspezifische Erweiterungen genutzt, die regelmäßig erweitert und aktualisiert werden müssen.
Release-Wechsel und Testing für das SAP-Modul ISU (Industry Solution Utilities) samt der RWE-Billing-Funktionen. Auch hier hat RWE die Standardsoftware um individuelle Features ergänzt, die gepflegt und gewartet werden müssen.
Betreuung der non-SAP-Plattformen etwa für E-Commerce-Anwendungen und im Intranet. Wesentlich ist unter anderem eine selbstgeschriebene Applikationslandschaft für den Braunkohle-Bergbau auf Basis von Oracle.
Unterstützung der IT-Systeme des RWE-Geschäftsbereichs Trading. Hier geht es vor allem um schnelles und flexibles Testen.
Unterstützende Leistungen in der Entwicklung von Embedded-Systems für die RWE Effizienz GmbH. Bei der RWE-Tochter entstehen unter anderem Lösungen für die Heimvernetzung (Smart Home) sowie für Elektroautos, etwa intelligente Ladestationen und Apps.
Die Mitarbeiter agieren somit nah am Kerngeschäft und Innovationsprogramm des Konzerns. Den RWE-Verantwortlichen war es daher wichtig, dem Konzern den Zugang zu dem enormen Fachwissen der slowakischen Kollegen auch nach dem Betriebsübergangen zu bewahren.
Die interne RWE-IT
FPT: Dreigliedrige Sourcing-Kette, die bis nach Vietnam reicht
Doch das stellte sich als Herausforderung dar. Die Zeiten, in denen Outsourcing-Anbieter bei großen Deals auch gerne Mitarbeiter übernommen haben, sind passé. "Eine Marktevaluierung hat gezeigt, dass es für die großen Service-Provider sehr attraktiv ist, die IT-Funktionen, die in Kosice erfüllt werden, für RWE zu betreiben. Den Standort Košice und die Mitarbeiter wollten sie aber nicht übernehmen", schilderte Neff im CW-Gespräch seine Erfahrung.
Anders sieht das bei den Offshore-Anbietern aus, die den Markteintritt suchen und daher mit Hilfe lokale Mitarbeiter den Kontakt zu lukrativen Kunden suchen.
Foto: FPT
Fündig wurde RWE schließlich bei dem vietnamesischen Anbieter FPT, eigenen Angaben zufolge größter Software-Outsourcing-Anbieter des Landes. Das Unternehmen beschäftigt weltweit über 17.000 Mitarbeiter in Niederlassungen in Asien, Amerika, Australien und Europa. 2013 erzielte der FPT-Konzern einen Umsatz von über 1,5 Milliarden Dollar.
In Deutschland ist das Unternehmen weniger präsent. Seit knapp zwei Jahren unterhält es eine eigene Niederlassung in Deutschland und konnte bislang Kunden unter anderem in den Branchen Automobilindustrie, Softwareindustrie, Lebensmittelindustrie sowie Öffentliche Verwaltung gewinnen.
RWE wird mit dem Deal zum größten deutschen Kunden des Unternehmens. "FPT stellt lokale Ressourcen zur Verfügung. Wir eröffnen dazu eigens ein Büro in Essen", sagte Uwe Schlager, Geschäftsführer der FPT Europe GmbH. Dazu könne man auf zweisprachig aufgewachsene Mitarbeiter mit vietnamesischem Migrationshintergrund zurückgreifen. Die lokale Belegschaft werde von aktuell 15 festen Mitarbeitern auf rund 40 aufgestockt.
Das Abkommen sieht ein dreistufiges Sourcing-Modell vor, in das die lokalen FPT-Mitarbeiter vor Ort, die Ex-RWE-Kollegen in Košice und die FPT-Entwickler in Vietnam eingebunden werden. "In Vietnam gibt es aufgrund der französischen Kolonialgeschichte eine Nähe zur europäischen Kultur und viele deutsch sprechende Vietnamesen, die in der DDR ausgebildet wurden", nannte Neff weitere Vorzüge des Standorts.
RWE: Aufbau der Retained Organisation
Für RWE geht es im nächsten Schritt vornehmlich darum, die eigene IT-Organisation so aufzustellen, dass sie den externen Bezug in ihr Leistungsportfolio integrieren kann. Ziel ist eine Retained Organisation zu bilden, also eine spezialisierte Einheit, die sich um die Steuerung, Kontrolle und die Services der externen Partner kümmert. Dazu müssen Mitarbeiter qualifiziert werden, Abläufe verändert und das Zusammenspiel zwischen IT, Fachbereichen und dem Einkauf neu gestaltet werden (siehe Beim Sourcing müssen IT und Einkauf an einem Strang ziehen). "Wir nutzen dabei unsere Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit anderen IT-Partnern, aber die Veränderungen sind durchaus eine große Herausforderung", räumte Neff ein.
Ziel ist ein optimierter IT-Betrieb, in dem alle Dienste ständig wieder daraufhin überprüft werden, ob sie besser intern oder extern erbracht werden. "Raus aus ´Make IT´, rein in ´Manage IT´", fasste Neff das Vorhaben zusammen.
Neben der Entwicklungs- und Test-Mannschaft in Košice hat der Konzern in Deutschland bislang nur die PC-Arbeitsplatzbetreuung an T-Systems ausgelagert. Im Ausland gab hingegen schon umfangreichere Projekte, in England wurde etwa die IT-Belegschaft durch strategische Partnerschaften mit IBM, Vodafone, Computacenter und Wipro von 750 Mitarbeiter auf 250 reduziert..
"Wir verfolgen das Konzept des selektiven Sourcings. Dabei konzentrieren wir uns auf IT-Dienste mit kontrollierbaren Volumina und hohem Reifegrad", schilderte Neff das Vorgehen. "Wenn die Marktevaluierung zeigt, dass sich für uns eine ökonomisch attraktive und strategisch passende Option ergibt, dann greifen wir zu."
Genau so sei man in den bisherigen Auslagerungsvorhaben mit T-Systems und FPT vorgegangen. "Das sind Aufgaben, die wir gut bewältigen können ", so der RWE-CIO.
Zurzeit gibt es keine konkreten Pläne zur Auslagerung weiterer Dienste. Das derzeitige Konzernprogramm "Performance 2017" hat eine effizientere interne Organisation zum Ziel. Im Zuge dieses Programms werden zurzeit auch IT-Projekte und -Services unter die Lupe genommen, um weitere Optimierungsschritte zu ergründen. Ob diese dann ins Outsourcing führen, wird sich zeigen. "Wir haben eine besondere Verpflichtung den Mitarbeitern gegenüber und nehmen die soziale Verantwortung ernst", betonte Neff.
Branche | Energieversorgung |
Zeitrahmen | Juli 2014 bis Juni 2019 |
Mitarbeiter | 300 Mitarbeiter in Košice, die unter das Dach von FPT wechseln. In das Transitionprojekt sind auf FPT-Seite zirka 300 weitere Mitarbeiter involviert. |
Aufwand | Keine Angaben möglich |
Produkte | Outsourcing von Application Development, Application Maintenance und Application Testing. |
Dienstleister | FPT |
Einsatzort | Vorort-Dienste in der RWE-Zentrale in Essen, sowie an weiteren RWE-Standorte in Europa. Nearshoring-Services aus Košice, Slowakei. Offshoring aus Ho Chi Minh City, Vietnam. |