Offshoring von Entwicklung und Testing

RWE lagert nach Vietnam aus

04.08.2014
Der deutsche Energiekonzern RWE übergibt sein Entwicklungs- und Testing-Zentrum in Košice, Slowakei, dem vietnamesischen IT-Dienstleister FPT. CIO Michael Neff erläuterte im CW-Gespräch die Hintergründe des Outsourcing-Abkommens.

Seit der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima im März 2011 ist in der deutschen Energiebranche nichts mehr wie früher. Die daraufhin eingeleitete Energiewende der Bundesregierung hat die hiesigen Versorger dazu gezwungen, sämtliche Strategien und Prozesse zu überdenken.

Die Umwälzungen haben auch die interne IT erfasst, so dass jahrelange Grundsätze auf den Prüfstand kamen. Das betraf und betrifft vor allem die Fertigungstiefe. Vom früheren Grundsatz, möglichst viele Aufgaben selbst machen zu wollen, haben sich die meisten Energieversorger heute bereits verabschiedet.

RWE hat dabei einen besonnenen Weg eingeschlagen. Bislang wurden vor allem im Ausland Auslagerungsprojekte betrieben. Im Inland steht einzig der im Oktober 2013 vereinbarte Fremdbetrieb der PC-Arbeitsplätze durch die T-Systems zu Buche. Ein großer Rundumschlag á la Eon war noch nicht dabei (siehe "Eon macht milliardenschweres Outsourcing perfekt").

"Die schwierige Situation unseres Konzerns in Folge der Energiewende erforderte erhebliche Anpassungsmaßnahmen. Wir mussten uns fragen: Was können wir uns in der internen IT noch leisten? Wie arbeiten wir? Ist das noch zeitgemäß?" schilderte Michael Neff, CIO von RWE und Geschäftsführer der hausinternen Tochtergesellschaft RWE IT GmbH, im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE die Ausgangsposition.

In der Folge wurde die IT-Strategie des Konzerns angepasst. Commodity-Dienste, die nicht wettbewerbsrelevant sind, kommen immer wieder auf den Prüfstand. Können sie extern besser erbracht, werden sie ausgelagert. Differenzierende IT-Dienste will man auch künftig in Eigenregie weiterführen.

Uwe Schlager, Europa-Geschäftsführer von FPT (links) und Michael Neff, Geschäftsführer der RWE IT GmbH sowie CIO der RWE AG, bei der Vertragsunterzeichnung.
Foto: FPT

Outsourcing von Softwareentwicklung und Testing

Unter diesen Gesichtspunkten hat man bei RWE den Entschluss gefasst, die Softwareentwicklung in Košice einem strategischen Partner zu übergeben.

In der slowakischen RWE-Niederlassung arbeiten rund 300 Mitarbeiter, die eng in die Abläufe der Essener Zentrale eingebunden sind. Sie kennen die Methode, Kollegen und Anforderungen, sprechen zum Großteil deutsch und sind laut Neff zumeist hochqualifizierte Informatiker. Ursprünglich, also vor Fukushima, hat RWE Pläne verfolgt, die dortige Dependance auf über 500 Mitarbeiter aufzustocken.

Die Niederlassung in Košice verantwortete bislang vornehmlich folgende Aufgaben:

Die Mitarbeiter agieren somit nah am Kerngeschäft und Innovationsprogramm des Konzerns. Den RWE-Verantwortlichen war es daher wichtig, dem Konzern den Zugang zu dem enormen Fachwissen der slowakischen Kollegen auch nach dem Betriebsübergangen zu bewahren.

Die interne RWE-IT

FPT: Dreigliedrige Sourcing-Kette, die bis nach Vietnam reicht

Doch das stellte sich als Herausforderung dar. Die Zeiten, in denen Outsourcing-Anbieter bei großen Deals auch gerne Mitarbeiter übernommen haben, sind passé. "Eine Marktevaluierung hat gezeigt, dass es für die großen Service-Provider sehr attraktiv ist, die IT-Funktionen, die in Kosice erfüllt werden, für RWE zu betreiben. Den Standort Košice und die Mitarbeiter wollten sie aber nicht übernehmen", schilderte Neff im CW-Gespräch seine Erfahrung.

Anders sieht das bei den Offshore-Anbietern aus, die den Markteintritt suchen und daher mit Hilfe lokale Mitarbeiter den Kontakt zu lukrativen Kunden suchen.

Auch RWE-Vorstandsvorsitzenden Peter Terium (links) und FPT-Chairman Truong Gia Binh, waren bei der Unterzeichnung des Deal zugegen. Der Vertrag sieht die Übernahme des slowakischen RWE IT-Standorts in Kosice durch FPT vor.
Foto: FPT

Fündig wurde RWE schließlich bei dem vietnamesischen Anbieter FPT, eigenen Angaben zufolge größter Software-Outsourcing-Anbieter des Landes. Das Unternehmen beschäftigt weltweit über 17.000 Mitarbeiter in Niederlassungen in Asien, Amerika, Australien und Europa. 2013 erzielte der FPT-Konzern einen Umsatz von über 1,5 Milliarden Dollar.

In Deutschland ist das Unternehmen weniger präsent. Seit knapp zwei Jahren unterhält es eine eigene Niederlassung in Deutschland und konnte bislang Kunden unter anderem in den Branchen Automobilindustrie, Softwareindustrie, Lebensmittelindustrie sowie Öffentliche Verwaltung gewinnen.

RWE wird mit dem Deal zum größten deutschen Kunden des Unternehmens. "FPT stellt lokale Ressourcen zur Verfügung. Wir eröffnen dazu eigens ein Büro in Essen", sagte Uwe Schlager, Geschäftsführer der FPT Europe GmbH. Dazu könne man auf zweisprachig aufgewachsene Mitarbeiter mit vietnamesischem Migrationshintergrund zurückgreifen. Die lokale Belegschaft werde von aktuell 15 festen Mitarbeitern auf rund 40 aufgestockt.

Problemfelder beim Offshoring -
Risiken im Offshoring
Über die Risiken des Offshoring in der Softwareentwicklung wurde viel geschrieben. Manches ist überzeichnet, vieles hingegen Realität. Stephan Koch, Senior Project Manager Offshore bei der Deutschen Leasing AG, hat folgende sieben Problemfelder identifiziert.
1. Projekt-Management
2. Unterschied in Kultur und Mentalität
3. Kommunikation
4. Politische Stabilität und geografischer Rahmen
5. Rechtlicher Rahmen
6. Zeitunterschied
7. IT-Infrastruktur und IT-Sicherheit
8. Versteckte Kosten
Risiken bergen aber auch folgende Aspekte:
der Auslagerungsprozess
Risiken bergen aber auch folgende Aspekte:
die Zusammenstellung eines internen Teams
Risiken bergen aber auch folgende Aspekte:
die Auswahl des Offshoring-Anbieters

Das Abkommen sieht ein dreistufiges Sourcing-Modell vor, in das die lokalen FPT-Mitarbeiter vor Ort, die Ex-RWE-Kollegen in Košice und die FPT-Entwickler in Vietnam eingebunden werden. "In Vietnam gibt es aufgrund der französischen Kolonialgeschichte eine Nähe zur europäischen Kultur und viele deutsch sprechende Vietnamesen, die in der DDR ausgebildet wurden", nannte Neff weitere Vorzüge des Standorts.

RWE: Aufbau der Retained Organisation

Für RWE geht es im nächsten Schritt vornehmlich darum, die eigene IT-Organisation so aufzustellen, dass sie den externen Bezug in ihr Leistungsportfolio integrieren kann. Ziel ist eine Retained Organisation zu bilden, also eine spezialisierte Einheit, die sich um die Steuerung, Kontrolle und die Services der externen Partner kümmert. Dazu müssen Mitarbeiter qualifiziert werden, Abläufe verändert und das Zusammenspiel zwischen IT, Fachbereichen und dem Einkauf neu gestaltet werden (siehe Beim Sourcing müssen IT und Einkauf an einem Strang ziehen). "Wir nutzen dabei unsere Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit anderen IT-Partnern, aber die Veränderungen sind durchaus eine große Herausforderung", räumte Neff ein.

Ziel ist ein optimierter IT-Betrieb, in dem alle Dienste ständig wieder daraufhin überprüft werden, ob sie besser intern oder extern erbracht werden. "Raus aus ´Make IT´, rein in ´Manage IT´", fasste Neff das Vorhaben zusammen.

Neben der Entwicklungs- und Test-Mannschaft in Košice hat der Konzern in Deutschland bislang nur die PC-Arbeitsplatzbetreuung an T-Systems ausgelagert. Im Ausland gab hingegen schon umfangreichere Projekte, in England wurde etwa die IT-Belegschaft durch strategische Partnerschaften mit IBM, Vodafone, Computacenter und Wipro von 750 Mitarbeiter auf 250 reduziert..

"Wir verfolgen das Konzept des selektiven Sourcings. Dabei konzentrieren wir uns auf IT-Dienste mit kontrollierbaren Volumina und hohem Reifegrad", schilderte Neff das Vorgehen. "Wenn die Marktevaluierung zeigt, dass sich für uns eine ökonomisch attraktive und strategisch passende Option ergibt, dann greifen wir zu."

Genau so sei man in den bisherigen Auslagerungsvorhaben mit T-Systems und FPT vorgegangen. "Das sind Aufgaben, die wir gut bewältigen können ", so der RWE-CIO.

Zurzeit gibt es keine konkreten Pläne zur Auslagerung weiterer Dienste. Das derzeitige Konzernprogramm "Performance 2017" hat eine effizientere interne Organisation zum Ziel. Im Zuge dieses Programms werden zurzeit auch IT-Projekte und -Services unter die Lupe genommen, um weitere Optimierungsschritte zu ergründen. Ob diese dann ins Outsourcing führen, wird sich zeigen. "Wir haben eine besondere Verpflichtung den Mitarbeitern gegenüber und nehmen die soziale Verantwortung ernst", betonte Neff.

Das RWE-Projekt

Branche

Energieversorgung

Zeitrahmen

Juli 2014 bis Juni 2019

Mitarbeiter

300 Mitarbeiter in Košice, die unter das Dach von FPT wechseln. In das Transitionprojekt sind auf FPT-Seite zirka 300 weitere Mitarbeiter involviert.

Aufwand

Keine Angaben möglich

Produkte

Outsourcing von Application Development, Application Maintenance und Application Testing.

Dienstleister

FPT

Einsatzort

Vorort-Dienste in der RWE-Zentrale in Essen, sowie an weiteren RWE-Standorte in Europa. Nearshoring-Services aus Košice, Slowakei. Offshoring aus Ho Chi Minh City, Vietnam.

Konkurrenz der Offshore-Regionen -
Indien: Trend- und Taktgeber
Indien ist Pionier sowie Trend- und Taktgeber im Offshore-Markt. Doch das Land muss sich neuer Konkurrenz erwehren, denn Offshore-Services lassen sich weitgehend ortsunabhängig beziehen. Längst haben auch andere Länder das Geschäft entdeckt und bieten IT-Dienste an.<br/><br/> (Foto: T.Gründer)
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Als Konkurrenz für Infrastrukturservices hat sich seit geraumer Zeit Malaysia positioniert. In Cyberjaya, einem staatlich eingerichteten IT-Park vor den Toren von Kuala Lumpur, haben sich vorwiegend Data-Center-Betreiber angesiedelt. Sie bieten von dort aus ähnliche RZ-Dienste an wie die Provider in Singapur, allerdings in der Regel zu etwas günstigeren Bedingungen.<br/><br/> Foto:Torsten Gründer
Dubai: Teueres Pflaster
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Südafrika: Gute Voraussetzungen, wenig Ertrag
Die gleiche Zeitzone wie Mitteleuropa und eine enorme Sprachenfülle sind eigentlich ideale Voraussetzungen für einen erfolgreichen Offshore-Standort, doch bislang konnte Südafrika seine guten Möglichkeiten nicht ausschöpfen. Das Land kommt kaum über den Betrieb von einfachen Call-Center-Services etwa für amerikanische Banken hinaus. Nach wie vor behindern große Bildungsunterschiede, ein aus historischen Gründen teilreglementierter Arbeitsmarkt sowie eine schwache IT-Branche die Entwicklung der Offshore-Industrie.<br/><br/> Foto:Torsten Gründer
Fundierte Standortwahl
Torsten Gründer: "Die Zahl der IT-Offshore-Standorte nimmt weiter rasch zu. Nicht alle lokalen Anbieter sind indes reif genug, um IT-Dienste für Anwender betreiben zu können. Die Offshore-Dienstleister unterscheiden sich erheblich, so dass Unternehmen, die IT-Services aus entfernten Regionen nutzen möchten, sich intensiv informieren sollten. Der Entscheidung sollte eine detaillierte Nutzenanalyse und eine fundierte Standort- und Dienstleisterwahl vorausgehen. Unbedingt dazu gehört ein Besuch vor Ort."