Industrie 4.0 und Sicherheit

Safety und Security: Sicherheit bei vernetzten Industrieanlagen

01.10.2015 von Jürgen Mauerer
Da Industrieanlagen und kritische Infrastrukturen etwa für die Strom- und Wasserversorgung hochverfügbar sein müssen, waren Systeme für deren Überwachung und Steuerung bisher meist isoliert. Doch mit der zunehmenden Vernetzung (IoT, Industrie 4.0) werden diese Systeme anfälliger für Manipulationen und Hackerangriffe. Dieser Artikel beschreibt die Herausforderungen und Lösungsansätze beim Schutz von Industrieanlagen.
Spätestens seit Stuxnet ist die Industrie für IT-Sicherheitsrisiken sensibilisiert.
Foto: wk1003mike / shutterstock.com

Stillstand bei der Produktion von Autos, manipulierte Mixturen für Medikamente in der Pharmaindustrie oder flächendeckende Stromausfälle - die denkbaren Szenarien für Hackerangriffe auf Industrieanlagen oder kritische Infrastrukturen sind vielfältig. Seit der Wurm Stuxnet im Jahr 2010 eine iranische Urananreicherungsanlage und 2013 ein russisches Atomkraftwerk manipuliert hat, ist die Gefahr für Industrieanlagen, Strom- und Wasserversorgungssysteme etc. gestiegen. Ende 2014 berichtete beispielsweise das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), dass ein deutsches Stahlwerk gehackt wurde; da die Steuerelemente ausfielen, ließ sich ein Stahlofen nicht mehr herunterfahren.

Laut Kaspersky Lab gab es 2014 etwa 13.000 Vorfälle im Monat, bei denen Computer mit automatischen Prozesskontrollsystemen von Firmen wie General Electric, Siemens, Rockwell oder Emerson mit Malware infiziert werden sollten. ICS (Industrial Control Systems) oder SCADA-Systeme (Supervisory Control and Data Akquisition) bilden den Kern von Industrieanlagen und kritischen Infrastrukturen. Sie überwachen, steuern und optimieren Maschinen, Motoren oder Pumpen. Die sensiblen und kritischen Daten dieser Systeme müssen hochverfügbar sein und sicher übertragen werden.

Gefahr steigt durch Vernetzung

Doch mit der zunehmenden Vernetzung von IT und Produktion im Internet der Dinge, Stichwort Industrie 4.0, wachsen auch die Herausforderungen in puncto Sicherheit. "Ein wichtiges Einfallstor für Hacker sind die Netzwerkübergänge zwischen Office-IT und Produktionsnetz. Hier können Würmer, Trojaner oder andere unerwünschte Programme von der herkömmlichen Infrastruktur aus in die Produktionsumgebung gelangen", erläutert Lars Kroll, Sicherheitsexperte bei Symantec. "Natürlich sind auch Anlagen verwundbar, die direkt mit dem Internet verbunden sind. Angreifer können zum Beispiel mit der Suchmaschine Shodan einfach nach ungesicherten Industriegeräten und -systemen weltweit suchen."

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) listet folgende zehn kritische Bedrohungen, denen industrielle Steuerungssysteme derzeit ausgesetzt sind:

Unterschiedliches Verständnis von Sicherheit in IT und Produktion

Udo Schneider, Security Evangelist bei Trend Micro, sieht zudem ein grundsätzliches Problem: "Bestehende Industriesysteme wurden weder für eine Online-Verbindung konzipiert, noch mit einem Fokus auf IT-Sicherheit entwickelt. Der Schwerpunkt liegt auf Verfügbarkeit und physischer Sicherheit, sprich Safety. Bei der IT geht es um Security, sprich den Schutz der IT-Systeme vor Angreifern oder vor Sabotage. Es existiert hier oft ein unterschiedliches Verständnis von Sicherheit."

Risikobewertung mit Endpunkt: Im Bereich Safety läuft die Risikobewertung so lange, bis das Risiko ausreichend gemindert ist. Sollte ein geringes Restrisiko bestehen, wird es dokumentiert.
Foto: Trend Micro

Bei Safety geht es vor allem um die physische Sicherheit und den Arbeitsschutz bei der Bedienung einer Maschine oder eines Produktionsprozesses. Für Sicherheit im Sinne von Safety gibt es viele Normen und Richtlinien mit konkreten Anweisungen für den Bau und Betrieb sicherer Systeme, darunter beispielsweise die DIN EN ISO 13849 mit Gestaltungsleitsätzen zu sicherheitsbezogenen Teilen von Steuerungen.

"Das Risiko ist hier meist klar umrissen. Ein rotierendes Werkstück zum Beispiel fliegt mit bestimmter Geschwindigkeit weg, wenn eine Antriebswelle reißt. Im Rahmen der Risikobewertung geht es dann darum, dieses Risiko etwa durch eine Glaswand zu minimieren", so Udo Schneider. Der Prozess der Risikobewertung läuft dann so lange, bis das Risiko ausreichend gemindert ist. Sollte ein geringes Restrisiko bestehen, wird es dokumentiert. Damit ist die Risikobewertung "beendet".

Security beschreibt im Gegensatz zu Safety die Sicherheit von IT-Systemen. Auch hier haben sich im Laufe der Zeit verschiedene Normen und Rahmenwerke für die Risikobewertung etabliert, beispielsweise die ISO 27XXX Normen, der BSI IT-Grundschutz, ITIL (Information Technology Infrastructure Library) oder COBIT. "Im Gegensatz zur Safety, bei der die Risikobewertung beendet wird, sobald das Risiko ausreichend gemindert ist, erfolgt die Risiko-Analyse und -minimierung bei IT-Security aber als kontinuierlicher Prozess. Es gibt hier keinen Endpunkt", erklärt Schneider.

Risikoanalyse als Basis für Sicherheit

Seiner Meinung nach müssten die Produktions- und IT-Industrie zusammen an einer sicheren Einführung der Konzepte arbeiten. "Dazu gehört auch, die Sprache und Sichtweise der anderen Seite zu verstehen. Wir müssen Safety und Security zusammenbringen, um eine gemeinsame Basis zu finden", so Schneider. Auch Lars Kroll von Symantec sieht in der Zusammenarbeit noch Luft nach oben. "Die Hersteller von SCADA-Systemen waren bislang nicht auf IT-Security fokussiert und sind eher zurückhaltend, wenn es um spezielle Sicherheitslösungen anderer Hersteller geht. Das sollte sich ändern, auch um übergreifende Standards zu schaffen."

„Bestehende Industriesysteme wurden weder für eine Online-Verbindung konzipiert noch mit einem Fokus auf IT-Sicherheit entwickelt.“ Udo Schneider, Security Evangelist bei Trend Micro
Foto: Trend Micro

Einer der Gründe für die Zurückhaltung: Laufzeitkritische Anwendungen der Industrie dürfen nicht durch eine Sicherheitslösung beeinträchtigt werden. "Verzögert sich etwa der Arbeitstakt eines Roboters in der Automobilfertigung durch das Aufspielen eines Sicherheitspatches um eine Zehntelsekunde, kommt es zu Fehlproduktionen. Da die Anlagen hochverfügbar sein müssen, darf für die Installation von Sicherheitstechnologie kein Neustart notwendig sein. Das muss im laufenden Betrieb erfolgen."

Doch vor konkreten Maßnahmen steht die Risikoanalyse. Sie besteht aus grundsätzlichen Fragen wie: Was ist unser Geschäftsmodell? Von wem geht das größte Risiko aus (Mitbewerber, Cyber-Kriminelle, NSA etc.)? Ab wann ist eine digitale Information unternehmenskritisch und für andere relevant? Was kann im schlimmsten Fall passieren, etwa wenn eine Anlage für mehrere Stunden ausfällt, weil sie manipuliert wurde? In welchem Bereich drohen die größten Gefahren?

Die Risikobewertung oder Bedrohungslandkarte ist essenziell für die Präventivmaßnahmen und die Priorisierung der weiteren Schritte. "Häufig zeigt sich, dass Probleme nicht technisch bedingt sind, etwa durch eine Lücke in der Firewall, sondern organisatorische Ursachen haben, sprich in Punkten wie Rechtevergabe, Authentifizierung oder dem Fehlen eines Notfallplans", erläutert Lars Kroll. Ein Notfallplan beantwortet unter anderen folgende Fragen: Wie gehen wir bei einer Attacke vor? Wer ist kompetent? Wer entscheidet?

Frameworks helfen bei der Umsetzung

Neben der Risikobewertung benötigen Industrie-Unternehmen zunächst eine genaue Übersicht über die Anzahl und Art ihrer Produktionssysteme, Zertifikate (Wer darf mit wem sprechen?) und (potenziellen) Schwachstellen von Produktionsanlagen. Weiterhin obligatorisch sind Informationen zur aktuellen globalen Gefahrenlage, um effizient auf IT-Sicherheitsvorfälle reagieren zu können.

„Ein wichtiges Einfallstor für Hacker sind die Netzwerkübergänge zwischen Office-IT und Produktionsnetz.“ Lars Kroll, Sicherheitsexperte bei Symantec
Foto: Symantec

Orientierung erhalten Industrie-Unternehmen von Frameworks wie dem ICS Security Kompendium des BSI oder IEC 62443, einer internationalen Normenreihe über die "IT-Sicherheit für industrielle Leitsysteme - Netz- und Systemschutz". "IEC 62443 bildet eine Brücke zwischen Safety und Security und unterstützt beim sicheren Betrieb von industriellen Steuerungsumgebungen", betont Udo Schneider von Trend Micro. Für den Einstieg in die Sicherheit von Steueranlagen empfiehlt er das Tool "LARS ICS" (Light And Right Security), das die Komponenten einer Steuerung auflistet und beschreibt, welche IT-Maßnahmen zu deren Schutz möglich sind.

Vielschichtige Sicherheitsmaßnahmen

Als grundsätzliche Maßnahmen empfehlen die Experten die Segmentierung des Netzwerks in Zonen (Office-IT, SCADA und ICS), die verschlüsselte Datenübertragung, ein Intrusion-Prevention-System (IPS) mit intelligentem Umgehungsschutz sowie eine granulare Kontrolle der Anwendungen und Benutzeraktivitäten im Netzwerk. Eine Whitelisting-Funktion stellt sicher, dass ausschließlich explizit freigegebene Programme Code ausgeführt werden. Weitere unerlässliche Maßnahmen sind eine starke Benutzerauthentifizierung oder der Schutz für mobile Geräte, die an die Produktionsumgebung angeschlossen sind.

Grundsätzlich müssen die Industrie-Unternehmen herausfinden, welche Komponenten der Industriesteuerung sie mit Standard IT-Security-Tools schützen können, und wo sie spezielle Lösungen für den Schutz von ICS und SCADA-Systemen benötigen. Dies ist immer vom Einzelfall abhängig. Dabei gilt: Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit, ein Restrisiko bleibt. Wer aber seine Risiken kennt und aktiv Vorkehrungen trifft, schützt sein Unternehmen vor den größten Bedrohungen. (mb)