Work-Life-Balance

SAP-Berater - Karriere nicht um jeden Preis

10.06.2011 von Christian Raum
Ein Abteilungsleiterjob ist für SAP-Profis kein Traumziel, vielmehr zähle die Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit, wie eine Diskussion auf einem Schiff in Hamburg zeigte.
von links: Birgit Wittenbreder, Kai Thile, Schiffsführer, Dieter Schoon
Foto: itelligence

Freitagnachmittag, 16.10 Uhr- Die MS Commodore liegt an den Landungsbrücken und wartet auf die Teilnehmer einer kleinen Kreuzfahrt durch den Hafen. Als das Schiff ablegt, sind 30 SAP-Berater, Experten, Manager und Freiberufler an Bord. Gemeinsam bringen sie es auf mehr als 300 Mannjahre in Projekten und an laufenden Systemen. Im Restaurant der MS Commodore plaudern Berater mit insgesamt rund zwei bis drei Millionen Euro Jahresgehalt, die in ihrer Zeit bis heute etwa 50 Millionen Euro Jahresumsatz für ihre jeweiligen Unternehmen erwirtschaftet haben.

Das Bielefelder SAP-Systemhaus Itelligence hat eingeladen - Personalchef Dieter Schoon begrüßt an der Gangway seine Gäste. Die "alten Hasen" der SAP-Beratung seien gekommen, berichtet Schoon. SAP-Experten, die zwischen 10 und 15 Jahre Arbeitserfahrung haben. Diejenigen, die alle SAP-Beratungshäuser händeringend suchen.

Schoon schüttelt Hände, sagt, er wolle ein Netzwerk aufbauen und mit den Beratern diskutieren, um sie und ihre Wünsche kennen zu lernen. Er habe die Gäste nicht zu einer Recruiting-Veranstaltung eingeladen, sondern um über den "Spannungsbogen zwischen Prototyping, Go-Live und Privatleben" zu diskutieren.

16.45 Uhr - die MS Commodore legt ab, reiht sich in die Schlange anderer Schiffe auf dem Fluss ein und schippert die Elbe hinunter.

Balance: Persönlichkeit - Soziales Netz - Beruf

Für eine Podiumsdiskussion auf dem Schiff hat Itelligence einen Verleger eingeladen, einen Professor, einen SAP-Manager, eine Bundesliga-Schiedsrichterin und zwei SAP-Experten, darunter die Chefin der eigenen Dach- (Deutschland, Österreich, Schweiz) -Region Birgit Wittenbreder.

In der deutschen Sprache gäbe es keinen Begriff für "Work-Life-Balance", stellen sie auf dem Podium zunächst nüchtern fest. Die Vorstellung in Deutschland sei, dass zwischen der Arbeit und der Familie eine große, dicke Mauer stehen müsse, die beide Welten hermetisch voneinander trennt. Typischerweise darf diese Trennung nicht in Frage gestellt werden - die Erwartung sei, dass die Menschen auf beiden Seiten gut funktionieren. Und das unabhängig davon, welche Katastrophen auf der jeweils anderen Seite passieren.

Tatsache sei aber auch, dass Krisen einen Menschen völlig aus der Bahn werfen können. Das gelte gleichermaßen für Familie wie Beruf. Trotzdem müssten Berater auch in familiären Krisen funktionieren, und die Familie erwartet volle Aufmerksamkeit, auch wenn es bei der Arbeit nicht gut läuft.

Die Diskutanten auf dem Podium richten sich an ihre Gäste. Können Sie mit der Familie berufliche Dinge während einer SAP-Implementierung besprechen? Sind Mann, Frau, Kinder, Freunde neugierig genug, um etwas von den tausenden Euro zu erfahren, die ein SAP-Berater für sein Unternehmen verdient? Sind die Kollegen im Umkehrschluss an den Abiturnoten der Kinder oder den Kindergartenproblemen der Tochter interessiert?

Viele schütteln die Köpfe. Es gibt offensichtlich eine dramatische Lücke in der Wertigkeit der privaten und der geschäftlichen Probleme.

Berater müssen perfekt funktionieren

17.00 Uhr. Sanft schaukelt die MS Commodore im Bugwasser eines Frachters die Elbe in Richtung Meer - vorbei am Fischmarkt, Altona und Museumshafen Övelgönne. Einen Steinwurf vom Ausflugsdampfer entfernt ziehen zwei Schlepper ein gewaltiges Containerschiff mit haushohen chinesischen Schriftzeichen an der Bordwand den Fluss hinauf in den Hafen.

Strukturen erkennen, organisieren, konzeptionieren, Modelle entwerfen, Ideen umsetzen - die zentrale Kompetenz von SAP-Beratern ist es, innerhalb der von SAP und dem Arbeitgeber vorgegebenen Matrix perfekt zu funktionieren. Deshalb bedeutet Berater zu sein, die vorgegebenen, festen Regeln zu verstehen, umzusetzen und die eigenen Vorstellungen gegen den Druck von Kunden, Kollegen und Chefs zu verteidigen. Wenn sie am Ende eines Projektes kurz aus diesen Strukturen entlassen werden, ist ihnen ihre Zeit so wertvoll, dass viele gern ohne feste Strukturen auskommen möchten.

Der Traum von der Weltreise

Foto: itelligence

17.30 Uhr- Die MS Commodore hat ihren Wendepunkt erreicht. Auf der Elbe verschwindet ein Frachter in Richtung Asien. Am rechten Elbeufer stehen die Villen des Hamburger Geldadels. Am linken Ufer erstrecken sich die Gebäude der Flugzeug-Werft. Über die Köpfe startet ein Airbus. Einer der Gäste berichtet über die Zeit, als er hier für SAP-Projekte verantwortlich war.

Vorab hatte Dieter Schoon seine Gäste nach ihren Träumen gefragt und alle hatten die Frage beantwortet. In ihren Büros, beim Programmieren und Projektieren sehnen sie sich nach sportlichen Erfolgen. Sie träumen von Reisen um die Welt, davon, Orte zu besuchen, die sie nur aus dem Fernsehen kennen.

Doch auch hier versagt der Balanceakt häufig. Die Weltreise - ein Traum, den sich einige der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Bord bereits erfüllt haben - wird nur möglich, wenn die Berater Arbeit und Familie für einige Monate aufgeben. Die sportliche Karriere wird erst dann Realität, wenn die Familie in den Hintergrund tritt. Und ein Familienleben ist nur dann wirklich möglich, wenn der Berater bei Job und sportlichen Ambitionen deutliche Grenzen setzt. Aber klar ist auch. Die Karriere ist als großer Traum bei den wenigsten Gästen Thema.

18.00 Uhr. Die Kräne am Containerhafen stehen Spalier für die MS Commodore und für ihre kostbare Fracht. Das Passagierschiff biegt in den Ölhafen ab, wendet vor einem riesigen Schrottberg. Eine halbe Stunde später schwenkt sie zurück auf die Elbe weiter Richtung Speicherstadt. Auf dem Dock der Blohm und Voss Werft steht ein rotweiß gestrichener Tanker zur Runderneuerung.

Wichtiger als der Beruf

In den Gesprächen geht es jetzt um Veränderung. Um einfache scheinbar kleine Dinge, die doch so wichtig sind, dass sich der Beruf ihnen unterordnen sollte. Das Tennismatch am kommenden Wochenende, die wöchentliche Bundesligakonferenz am Samstagnachmittag, Nintendo und Wii mit den Kindern.

Offensichtlich ist es nicht jedem hier wichtig, Teamleiter oder Chef einer Abteilung zu sein. Die Lebenssituation der SAP-Berater ist ein wichtiger Faktor dafür, wo sie sich selbst sehen und wo sie in den kommenden Jahren hin wollen.

Die Aufgabe der Itelligence sei es, die Wünsche nach Veränderung der Mitarbeiter zu erkennen und die Entwicklungsperspektive aufzuzeigen. Das Unternehmen habe seinen Mitarbeitern gegenüber diese Verantwortung und sei verpflichtet diese Möglichkeiten auch zu zeigen.

Robert Laube, Director und Service Line Lead Business Intelligence für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, drei Kinder:
"Ich habe E-Mails von meinem Mobiltelefon verbannt. Auch nehme ich mir, wann immer möglich, die Zeit, morgens mit meinen Kindern zu frühstücken und sie in die Schule und den Kindergarten zu bringen."
Yasmine Limberger, Group Manager Personalmarketing für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Ich will vor allem das Gefühl haben, dass es meiner Tochter gut geht, ich aber auch als Teilzeitführungskraft einen guten Job mache. Außerdem benötige ich auch ein wenig Luft für persönliche Dinge. Das bedarf einer exakten Terminplanung. Man darf Dinge nicht liegenlassen, sondern muss seine Prioritäten zeitnah abarbeiten und immer alles im Blick behalten."
Petra Kaltenbach-Martin, Service Line Lead Dynamics CRM für Avanade Deutschland, Österreich und Schweiz, ein Kind:
"Es ist schwierig, Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Bisher klappt es aber mit viel Organisation. Beispielweise nutze ich die Schlafzeiten meines Kindes, um Dinge abzuarbeiten. Zudem muss man viel Energie und Motivation für Kind und Beruf mitbringen. Dennoch ist es schön, beide Welten zu verbinden."
Hans-Peter Lichtin, Country Director Avanade Schweiz, zwei Kinder:
"Die gemeinsame Zeit mit meiner Familie versuche ich so bewusst wie möglich zu nutzen. Es gibt Tage, da kann ich durchaus mit meiner Familie frühstücken und auch zu Abend essen. Das Wochenende verbringe ich mit meiner Familie."
Dominik Steiner, Business Development Executive Avanade Schweiz, Zwillinge:
"Aus meiner Sicht ist es enorm wichtig, dass man lernt, sich persönlich abzugrenzen und sich Freiräume schafft oder auch spontane Freiräume mal für sich nutzt. Ich versuche von Zeit zu Zeit früh nach Hause zu gehen und so den Abend mit der Familie zu genießen und arbeite dann liegen gebliebene Arbeit am Abend nach - etwa wenn meine Kinder im Bett sind. Oder ich frühstücke mit den Kindern und bringe sie dann in die Tagesstätte. An einem solchen Tag beginne ich dann eben eine Stunde später zu arbeiten."
Eva Steiger-Duerig, HR & Recruiting Consultant bei Avanade, zwei Kinder:
"Wir haben die Kinderbetreuung sehr gut organisiert. Zudem habe ich das Glück, dass die Stadt Zürich ein gutes Kinderbetreuungsangebot hat und mein Mann sich auch an der Kinderbetreuung mitbeteiligt. Dennoch ist das Betreuungsangebot in Zürich auch mit sehr hohen Kosten verbunden."
Carmen Egelhaaf, Senior Marketing Specialist Avanade, ein Kind:
"Abends schreibe ich mir eine Checkliste, was privat am nächsten Tag alles organisiert und erledigt werden will: Lebensmittel einkaufen, aufräumen, Hemden und Blusen zur Reinigung bringen, Geburtstagskarte an Tante Irmgard schreiben, Geschenk für das Patenkind besorgen etc., damit ich nach der Arbeit gleich durchstarten kann. Unsere Putzfrau trägt viel dazu bei, dass ich von einigen Haushaltsaufgaben entlastet bin und möglichst viel Zeit mit meinem Sohn verbringen kann. Und ein Netzwerk von Freunden (da keine Oma in der Nähe) hilft aus, wenn mein Sohn krank ist oder Kindergartenferien zu überbrücken sind."
Andrea Cebulsky, Director Legal Europe Avanade, zwei Kinder:
"Sicherlich ist auch das Reisen manchmal eine Herausforderung - ich bin fast immer mindestens ein- bis zweimal die Woche unterwegs. Ein-Tages-Reisen sind noch zu managen. Problematischer wird es, wenn man für ein paar Tage weg muss, dann muss auch mal die Oma mithelfen. Da ist es dann wichtig, dass man frühzeitig planen kann, insbesondere weil mein Mann die Woche auch unterwegs ist. Der Terminkalenderabgleich mit vier Familienmitgliedern ist manchmal eine Herausforderung für sich."