Interview mit John Wookey

SAP - mit leisen Schritten in die Cloud

19.04.2010 von Martin Bayer
Unternehmen werden künftig einen Mix aus On-Premise- und On-Demand-Anwendungen betreiben, sagte SAPs Executive Vice President John Wookey im Gespräch mit CW-Redakteur Martin Bayer.

CW: Alle sprechen von On-Demand und Software as a Service. Landen SAPs große Softwarepakete irgendwann auf dem Abstellgleis?

John Wookey, Executive Vice President, SAP

WOOKEY: Wir stehen vor tief greifenden Veränderungen bei Softwarearchitekturen. Das bedeutet allerdings nicht das Ende von On-Premise-Systemen. Die Unternehmen werden einen Mix aus verschiedenen Softwaretypen betreiben. Das wird auch noch eine lange Zeit so bleiben.

CW: Wie wird die neue Softwarewelt aussehen?

WOOKEY: Das On-Demand-Modell wird sich langfristig auch auf die Beziehungen zwischen Hersteller und Kunde auswirken. Es reduziert die Barrieren zwischen Anbieter und Endnutzer von Software beziehungsweise reißt sie sogar ganz nieder. Im On-Demand-Modus können wir genau beobachten, wie die Anwender unsere Software nutzen, welche Module erfolgreich sind und wo die Nutzer auf Hürden stoßen. Dadurch können wir schnell reagieren und Dinge verändern. Wir sind damit wesentlich näher am Kunden, können neue Funktionen ausprobieren und sehen sehr schnell, ob diese angenommen werden oder nicht.

CW: Das funktioniert im herkömmlichen On-Premise-Modell nicht?

WOOKEY: Bei On-Premise-Systemen kann man als Anbieter nicht so schnell reagieren. Die Kunden müssen ihre Anforderungen und Wünsche zunächst definieren und an SAP weiterleiten. Wir setzen diese Anforderungen dann je nach Priorisierung in unserer Entwicklung um, müssen das Ergebnis jedoch erst an unsere Anwender weitergeben, die die veränderte Software wieder implementieren müssen. Dann erhalten wir erst Feedback, wie zufrieden die Kunden damit sind.

CW: Dann heißt SAPs Softwarefavorit also On-Demand?

WOOKEY: Unternehmen haben im Lauf der Jahre viel in ihre ERP-Systeme investiert. Sie verlangen nach Sicherheit für diese Investitionen. Wir wollen diese Installationen mit unseren On-Demand-Services weiter vervollkommnen. Es geht nicht darum, dass die Firmen ihre bestehenden Systeme über Bord werfen sollen. Vielmehr sollen zusätzliche On-Demand-Angebote den Bestand mit weiteren Funktionen ergänzen.

CW: Dann werden Unternehmen in Zukunft also einen ERP-Kern on Premise betreiben und um diesen herum Zusatzservices im On-Demand-Modus nutzen?

WOOKEY: Das wird ein Modell sein, auf das in Zukunft immer mehr Firmen umsteigen werden. Mit unserem Konzept der Enhancement Packages für die Business Suite arbeiten wir im Grunde schon darauf hin. Mit diesen Erweiterungspaketen lassen sich zusätzliche Funktionen implementieren, ohne dass Anwender aufwendige Upgrade-Projekte starten müssen. Das ist ein großer Vorteil, denn die Nutzer wollen nicht in kurzer Abfolge immer wieder neue Upgrades einspielen müssen. SAP wird sich deshalb auf das Hybrid-Modell fokussieren. Die Kunden werden in Zukunft On-Premise-Systeme betreiben und zusätzliche Funktionen über On-Demand-Services dazuschalten. Sie können also die Vorteile flexibler Softwareservices genießen, die sich zügig implementieren lassen, und gleichzeitig ihre Investitionen in die bestehende Applikationslandschaft schützen.

CW: Wenn die Unternehmen künftig rund um den ERP-Kern eine Vielzahl von Services betreiben, wird es dann nicht schwieriger, das Gesamtsystem im Griff zu behalten?

WOOKEY: Das ist sicher der Fall, wenn die On-Demand-Services von vielen verschiedenen Anbietern stammen. Wir wollen unseren Kunden jedoch eine Art Single-Solution-Architecture liefern. Das Ganze basiert auf einem einheitlichen, zuvor definierten Datenmodell. Damit stellen wir einen integrierten Business-Workflow sicher. Kunden müssen sich nicht damit herumschlagen, wie die einzelnen Teile ihres Systems zu integrieren sind. Das regelt das SAP-System intern.

"Wir müssen On-Demand-Software von Grund auf neu entwickeln"

CW: Welchen Herausforderungen muss sich SAPs Entwicklungsabteilung im On-Demand-Zeitalter stellen? Muss man die Softwareservices von Grund auf neu entwickeln, oder lassen sich bestehende On-Premise-Programme einfach transformieren?

WOOKEY: Softwarehersteller müssen On-Demand-Software von Grund auf neu entwickeln. Abgesehen von der Funktionalität liegt dies hauptsächlich daran, wie diese Art Software ausgeliefert wird. Man entwickelt eine Softwareinstanz, die Hunderte oder Tausende von Kunden versorgt und dort jeweils ähnliche Business-Anforderungen abdeckt. Es gibt dadurch weniger Möglichkeiten, die Software anzupassen. Als Entwickler von On-Demand-Software muss man sich von Anfang an daran orientieren, diese Software so einfach wie möglich zu halten. Es geht weniger darum, eine komplette Funktionspalette anzubieten, sondern vielmehr um Schlüsselfunktionen für die Geschäftsabläufe bei den Kunden. Wir müssen diese Anwendungen so bauen, dass sie einfach zu nutzen und zügig auszuliefern sind. Die Software darf keinen großen Aufwand nach sich ziehen, das System anzupassen beziehungsweise die Nutzer zu trainieren. Die Nutzer sollen sich nicht durch dicke User-Manuals quälen und ständig den User-Support anrufen müssen. Die Hersteller müssen diesen Typ von Software also eher wie eine Art Consumer-Application entwickeln.

CW: Also keine Verwandlung von On-Premise in On-Demand auf Knopfdruck?

WOOKEY: Viele Hersteller von On-Premise-Lösungen haben versucht, ihre Software auf ein On-Demand-Modell umzumodeln. Dabei kommen letzten Endes aber Hosting-Lösungen heraus, in denen ein Anbieter die Software für einen Kunden betreibt. Keinem Anbieter ist es jedoch bislang gelungen, eine On-Premise-Software einfach im On-Demand-Modus zu betreiben. Deshalb haben wir auch gesagt, wir bauen die Software von Grund auf neu, die wir als On-Demand-Service anbieten wollen.

John Wookey - Experte für die Cloud

Im November 2008 gab SAP bekannt, den Ex-Oracle-Manager John Wookey angeheuert zu haben. Er kümmert sich seitdem bei dem Softwarekonzern aus Walldorf als Executive Vice President um den Bereich Large Enterprise On Demand.

Im Oktober 2007 hatte Oracle bestätigt, dass Wookey seine Posten als Senior Vice President für die Applikationsentwicklung und als Leiter der Applications Strategy aufgibt. In diesen Rollen war Wookey maßgeblich an der Entwicklung von Oracles Fusion-Strategie beteiligt, die zum Ziel hat, eine komplett neue Business-Software-Suite auf die Beine zu stellen. Bis heute ist von Fusion bis auf einzelne Module noch nichts am Softwaremarkt zu sehen, obwohl Oracle eigentlich schon im vergangenen Jahr mit der Suite auf den Markt kommen wollte. Insider hatten berichtet, Wookey habe die ehrgeizigen Zeitvorgaben nicht einhalten können und sich deshalb mit Oracle-Chef Lawrence Ellison überworfen.

Wookey hatte seit 1995 bei Oracle gearbeitet, hauptsächlich im Bereich Applications. Zuvor war der Manager als Vice President für die Entwicklung beim ERP-Hersteller Ross Systems verantwortlich. Wookey, der an der University of California in Berkeley Ingenieurs- und Wirtschaftswissenschaften sowie Mathematik studiert hatte, gilt als Familienmensch.

CW: Es gibt demnach große Unterschiede zwischen On-Premise- und On-Demand-Software?

WOOKEY: Auf jeden Fall. Unsere Branche hat in der Vergangenheit hauptsächlich On-Premise-Software entwickelt. Dabei ging es meist darum, alle möglichen Geschäftsanforderungen potenzieller Kunden in dieser Software abzubilden. Damit haben die Hersteller zwar komplexe Softwaresysteme geschaffen, aber sie wussten auch, dass sich Service-Experten bei den Kunden darum kümmerten, diese Software anzupassen, zu konfigurieren und zu implementieren. In aller Regel wurden diese Softwarepakete auch mit einer breiten Funktionspalette eingeführt: Die Anwender haben oft einen hohen Aufwand getrieben, die Anwendungen in ihrem Unternehmen auszurollen.

CW: Inwieweit stellt das Customizing eine Hürde auf dem Weg in die On-Demand-Welt dar?

WOOKEY: Firmen mit einem hohen Anpassungsgrad ihres ERP-Systems merken, dass es immer schwieriger wird, ihr System weiterzuentwickeln. Mit einem hohen Customizing-Grad wachsen beispielsweise die Herausforderungen bei Upgrades. Auch herkömmliche On-Premise-Upgrades sind in einem Umfeld mit hohem Customizing-Grad nicht gerade einfach. Das ist also eine grundsätzliche Herausforderung für die gesamte Softwareindustrie. Die Anwenderunternehmen implementieren ERP-Systeme, die ihre Business-Anforderungen zu 90 Prozent abdecken. Um aber auf 100 Prozent zu kommen, fangen die Firmen an, ihre Anwendungen zu modifizieren und anzupassen. Haben sie das getan, stellen sie mit einem Mal fest, dass die Herausforderungen wachsen, wenn es beispielsweise darum geht, ein Upgrade für das ERP-System einzuspielen. Viele Verantwortliche denken deshalb darüber nach, inwieweit diese Anpassungen wirklich notwendig sind und welche Möglichkeiten es gibt, das Customizing aus dem ERP-System herauszubekommen und sich auf die native Funktionalität des Standards zu konzentrieren. Wenn die Kunden darüber diskutieren, wie sie auf ein Standard-ERP-System kommen, gelangt automatisch auch das On-Demand-Modell ins Spiel.

Auch ERP kann on Demand funktionieren

CW: Gibt es bestimmte Funktionsbereiche, auf die sich SAP in seiner On-Demand-Entwicklung besonders fokussiert?

WOOKEY: Wir konzentrieren uns auf die Bereiche, in denen das Interesse des Marktes am größten ist. Das sind beispielsweise Funktionen für Strategic Sourcing, Sales Force Automation, Travel- and Expense-Manager sowie Human Resources mit Talent-Management. Hier funktionieren schon heute On-Demand-Lösungen gut. Ich glaube zudem, dass in den kommenden Jahren weitere interessante Bereiche hinzukommen werden, in denen das On-Demand-Modell gute Chancen hat, beispielsweise die Bereiche Supply Chain und Collaboration.

CW: Viele Anwender nutzen heute On-Demand-Software für Aufgaben aus Bereichen wie HR und CRM. Es gibt allerdings wenige ERP-on-Demand-Lösungen. Was sind die Gründe dafür?

WOOKEY: Ich glaube, dass auch ERP on Demand funktionieren kann. Vor fünf Jahren hätten die Unternehmen noch große Bedenken gehabt, ihre Finanzdaten einem On-Demand-Service anzuvertrauen. Mittlerweile wächst das Vertrauen: Anwender sehen On-Demand-Services immer mehr als vertrauenswürdig und sicher an. Die Verantwortlichen tasten sich langsam an das Thema On-Demand heran: So betreiben beispielsweise die wenigsten Firmen ein komplettes HR-System im On-Demand-Modus. Viele nutzen dagegen beispielsweise einen On-Demand-Service für das Recruiting-Management, um ihr bestehendes HR-System zu ergänzen. Wenn es also darum geht, neue Funktionen zu implementieren, diese aber nur dann funktionieren, wenn man ein Upgrade des Gesamtsystems implementiert, dann fängt man an darüber nachzudenken, die benötigten Funktionen als On-Demand-Service zu ergänzen. Das ist meist ein schnellerer Weg, ein ganz bestimmtes Business-Problem zügig zu lösen.

CW: SAP hatte in den vergangenen Jahren einige Probleme mit seinem ERP-on-Demand-Produkt "Business ByDesign". Was waren die Gründe dafür?

WOOKEY: Es bedeutet eine Menge Arbeit, eine komplett neue ERP-Suite inklusive der darunter liegenden Architektur im On-Demand-Modell zu entwickeln.

CW: Warum hat SAP sein On-Demand-Geschäft in verschiedene Abteilungen aufgeteilt?

WOOKEY: SAP hat mit Business ByDesign eine komplette On-Demand-Suite entwickelt. Kleine und mittelgroße Unternehmen sind damit in der Lage, sämtliche Business-Anforderungen abzudecken. Während die eine Abteilung also eine komplette Suite entwickelt, kümmern sich andere Entwickler bei SAP darum, mit speziellen On-Demand-Services einzelne Business-Probleme beim Kunden zu adressieren. Damit ergänzen wir bestehende Systeme wie die Business Suite. Es gibt also zwei ganz unterschiedliche Ansätze für On-Demand-Software bei SAP.

CW: Gibt es Berührungspunkte?

WOOKEY: In der Tat arbeiten wir auf bestimmten Ebenen eng zusammen, wenn es beispielsweise darum geht, wie bestimmte Geschäftsabläufe mit On-Demand-Servcies abgedeckt werden können beziehungsweise passende Supportstrukturen für On-Demand-Software zu entwickeln. Wir verknüpfen unsere Arbeit also, wenn es um gemeinsame Angelegenheiten geht, aber wir arbeiten getrennt an den verschiedenen Business-Problemen, die es zu lösen gilt.

SAP will kein Cloud-Provider sein

CW: Sind die On-Demand-Lösungen der Schlüssel für SAPs künftiges Wachstum?

WOOKEY: Sie sind ein wichtiger Schlüsselfaktor in einer Reihe von kritischen Faktoren. On-Demand ist sicher essenziell. Wir spielen eine führende Rolle im Geschäft mit Business-Applikationen. Diese Rolle wollen wir auch im On-Demand-Bereich behalten: Das gilt sowohl für Business ByDesign im Bereich der kleinen und mittelgroßen Firmen wie auch im Zusammenhang mit On-Demand-Services für Großunternehmen. Genauso müssen wir aber daran arbeiten, die Business Suite weiterzuentwickeln beziehungsweise Bereiche rund um die Suite wie beispielsweise die Business-Intelligence-Lösungen (BI) zu adressieren. So ist es kritisch, BI-Funktionen verstärkt in sämtliche SAP-Applikationen zu integrieren. Das gilt natürlich auch für die On-Demand-Lösungen. Alle diese Dinge sind wichtige Faktoren, die unseren künftigen Geschäftserfolg beeinflussen. On Demand ist einer davon.

CW: Wie sieht SAP seine Rolle im Zusammenhang mit Cloud Computing?

WOOKEY: Cloud Computing wird die Zukunft unserer Branche maßgeblich beeinflussen. SAP wird sich aber nicht als Cloud-Provider im Markt aufstellen. Unser Ziel ist es, dass unsere Lösungen als Teil von Cloud Computing, beispielsweise in einer Amazon-Cloud, funktionieren. Unser Fokus liegt darauf, den Kunden die Business-Lösungen als On-Demand-Service zu liefern, die diese für die Lösung ihrer Business-Probleme benötigen. Genauso müssen wir aber auch darauf achten, dass die Kunden die dafür notwendige Plattform bekommen. Das stellen wir beispielsweise bei Business ByDesign durch eine enge Zusammenarbeit mit unseren Partnern sicher.