Die strategische Herausforderung

SAP - Quo vadis? (Teil 1)

28.08.2014 von Michael Fuchs
In einer komprimierten Artikelreihe „SAP – quo vadis?“ möchte ich SAP-Entscheidungen vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen aus dem SAP-Management analysieren und kommentieren. SAP steckt mitten in einem grundlegenden Veränderungsprozess, der die Kunden interessieren dürfte.

Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit! Was im Zeitalter der Informations-Gesellschaft für uns alle gilt, gilt auch für Unternehmen. Ganz besonders für solche, die von innovativen Ideen und Produkten in endlichen Märkten leben. Hier bildet auch SAP als das Vorzeigeunternehmen der deutschstämmigen Software-Industrie keine Ausnahme.

Fragen wie "Was halten Sie von der Strategie der SAP?", "Warum geht die SAP in die Cloud?", "Versteht die SAP überhaupt, was ihre Kunden brauchen?", "Warum ändert die SAP ihr so erfolgreiches Geschäftsmodell?", "Kann die SAP das alles stemmen?" oder "Wann übernimmt Microsoft die SAP?" kennen wir wahrscheinlich alle. Ich habe sie in meiner aktiven Zeit bei der SAP dutzende Male beantwortet und höre sie heute in meiner Tätigkeit als Senior Advisor für Strategiefragen rund um SAP fast täglich - nur wird der Tonfall zunehmend besorgter.

Warum also sollte SAP sein Geschäftsmodell ändern? Die Antwort liegt auf der Hand: "weil sie es muss". Denn das bisherige Geschäftsmodell ist am Ende seines Lebenszyklus' angekommen. Das gilt umso mehr, wenn man sich auf einem Wachstumspfad befindet und die Aktionäre zufriedenstellen muss. Mit einer ausgefeilten Synthese aus Lizenzvertrieb, Custom Development und Consulting hat das Unternehmen in den vergangenen vier Jahrzehnten den Markt für betriebswirtschaftliche Anwendungssoftware beherrscht. Und mit den damit verbundenen Wartungseinnahmen hat SAP ein hochprofitables Modell etabliert, das langfristig kalkulierbar die Weiterentwicklung von Produkten und Märkten finanziert.

Das Geschäftsmodell hatte seinen Zenit erreicht

Das Geschäftsmodell der SAP hat schon vor einigen Jahren seinen Zenit erreicht. Ich selbst habe nach vielen Jahren im Kunden- und Partnerumfeld der SAP im Jahre 2008 begonnen für SAP zu arbeiten. Nach der Anfangseuphorie in diesem - nach wie vor sehr interessanten - Unternehmen, gewann ich die Erkenntnis, dass SAP von seiner Substanz und der sehr breiten Kundenbasis lebte. Wirklich Neues war nicht in Sicht.

Nach dem technischen Quantensprung vom Großrechner-orientierten SAP R/2 zur Client-Server-Architektur mit SAP R/3 Anfang der 90er und den in den Jahren danach folgenden fachlichen Erweiterungen von R/3 bis hin zum ECC (ERP Central Component) hatten sich die Kunden in der Regel zufrieden gezeigt. Gerade der ERP-Kern bot die für die IT-Architektur von Unternehmen wichtige Forderung nach integrierten Systemen und einer durchgängigen Abdeckung von Geschäftsprozessen. Dadurch wurden echte Mehrwerte zur Optimierung betriebswirtschaftlicher Abläufe geliefert. Die IT-Architektur war zwar nicht trivial, aber mit kalkulierbarem Aufwand doch beherrschbar.

In der nächsten Evolutionsphase von SAP wuchs dann aber die Produktvielfalt. Das Angebotsportfolio wurde über das zentrale ERP hinaus erweitert. Die daraus entstandene aktuelle SAP Business Suite beinhaltet nun - neben dem klassischen ERP - zusätzliche betriebswirtschaftliche Anwendungen, etwa das SAP-CRM oder das SAP-SCM. Darüber hinaus gibt es 25 unterschiedliche Branchenlösungen, die sogenannten Industry Solutions. SAP konnte damit neue Kundensegmente und damit weitere Marktanteile gewinnen, so dass weiteres Wachstum garantiert war.

Für die Kunden führte diese Entwicklung aber zu wesentlich komplexeren IT-Landschaften. Die System brachten teilweise eigene Softwarearchitekturen mit und benötigten meist wieder eigene Server. Die Folge waren unterschiedliche Benutzeroberflächen und Schnittstellenanforderungen, so dass unterm Strich höhere Kosten für Wartung und Betrieb auf die Anwender zukamen. Dieses Problem hielt die DSAG, der größte unabhängiger Interessenverband der SAP-Anwender, den Walldorfern regelmäßig vor.

Michael Fuchs: "Das Vertrauen der Kunden in die SAP war beschädigt."
Foto: Michael Fuchs

Der Unmut gipfelte schließlich in einer für Anwender kaum noch zeitnah umzusetzenden Release-Strategie und einem lauten Streit über Wartungsgebühren.

Das Verhältnis zu den Kunden war am Tiefpunkt

Insidern war schon länger klar, dass dieses Geschäftsmodell einer Korrektur bedurfte. Dieser Weg hätte unweigerlich in eine Sackgasse geführt, zumal auch die inhaltlichen Erweiterungen betriebswirtschaftlich immer dünner wurden. Das war natürlich auch dem Top-Management der SAP bewusst. Aber was tun? Versuche, ein neues Geschäftsmodell zu entwickeln, hatte es bereits mit dem Kauf von Business Objects und dem selbstentwickelten ERP-Paket Business ByDesign (ByD) gegeben. Letzteres gilt noch heute als der größte und teuerste Flop in der Unternehmensgeschichte. Das Projekt hat schmerzhaft aufgezeigt, wie schnell Fehlinvestitionen auch einer SAP elementaren monetären und Image-Schaden zufügen können.

Zurückblickend muss man sagen: 2008/2009 war nichts von einem Aufbruch zu spüren. Die Produktstrategie war nicht mehr erfolgversprechend, die Release-Strategie zu komplex, eine Plattformstrategie war nicht mehr erkennbar - und in Summe war keine nachhaltige Wachstumsstrategie für das Unternehmen in Sicht. Das drückte merklich auf die interne und Stimmung und auf die von Partnern und Kunden. Es musste etwas geschehen.

Und es geschah etwas. Hasso Plattner selbst kündigte im Frühjahr 2010 SAP-HANA als neue Datenbanktechnologie der SAP an. Mit diesem Paukenschlag schaffte es die SAP, sich vom Image eines in die Jahre gekommenen Softwareherstellers für betriebswirtschaftliche Anwendungen zu lösen und zum Vorreiter für zukunftsorientierte In-memory-Lösungen zu werden - und das in beeindruckend kurzer Zeit. Damit brachte sie sich in Position, um den Markt mit dem gut eingeführten Kundenstamm (aktuell über 250.000 Bestandskunden) neu aufzumischen. Das war nötig, weil der adressierbare Markt an Neukunden durch den hohen Verbreitungsgrad von SAP immer kleiner wurde.

In diesem Frühjahr 2010 ging ein richtiger Ruck durch die Firma - endlich. HANA war in aller Munde und weitere darauf basierende Ideen wurden geboren. Doch damit nicht genug: Die Unternehmensstory wurde wieder rund. Exogene Business-Trends wurden validiert und konsequent in eine globale Strategie überführt. Beispielsweise war schnell klar, dass die SAP als globales Unternehmen das Thema Cloud Computing bedienen musste, ob sie nun wollte oder nicht. Auch wenn deutsche Anwender dem Thema sehr kritisch gegenüber standen, so war es doch international gesetzt, vor allem in Nordamerika und Asien.

Heute basiert die Unternehmens-Story auf fünf wesentlichen Pfeilern, SAP bezeichnet sie als Marktkategorien: Anwendungen, Analytics, Mobility, Cloud sowie Datenbanken & Technologie mit der SAP HANA als Plattform.

Eine gelungene Neuausrichtung

SAP baut damit auf seinen traditionellen Stärken, den betriebswirtschaftlichen Anwendungen und der Expertise in Analytics auf. Kein anderes Unternehmen der Softwareindustrie, hat so umfassendes betriebswirtschaftliches Prozess-Know-how. Dabei wurde früh erkannt, dass sich durch die Möglichkeiten der Mobiltechnologie die Art und Weise wie Anwender mit Software arbeiten und damit auf ihre Prozesse zugreifen grundsätzlich ändert. Prozesse können jederzeit und überall mit Daten gefüttert und analysiert werden. Entscheidungen fallen unabhängig vom physischen Arbeitsplatz oder der Arbeitszeit. Daher passt dies strategisch hervorragend, um die Bearbeitung von Prozessen "alltags- und zukunftstauglich" zu machen.

SAP hat früh erkannt, dass sich durch die Möglichkeiten der Mobiltechnologie die Art und Weise, wie Anwender mit Software arbeiten, grundsätzlich ändert.
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Mit der In-memory-Technologie HANA verfügt die SAP über ein Werkzeug, das die bis dato voneinander künstlich separierten transaktionalen und analytischen Welten, also die Prozessschritte mit ihren Inhalten und deren Analyse, vereint. Damit können zum einen IT-Architekturen erheblich vereinfacht werden, da viele Business-Warehouse-Konstrukte zur Aggregation von Daten überflüssig werden. Vor allem aber werden nun Auswertungen gigantischer Datenvolumina in nahezu Echtzeit möglich. Dadurch können für Unternehmen wieder echte Mehrwerte entstehen - und zwar dort, wo Auswertungszeit Geld bedeutet. Damit ist nicht das Sparen von Rechenzeit und -kosten gemeint, sondern die Chance, Business-Entscheidungen aufgrund augenblicklicher Verfügbarkeit von entscheidungsrelevanten Informationen zu fällen. Komplettiert wird die Unternehmens-Story durch das Cloud-Konzept: SAP hat angekündigt, sein Portfolio nach und nach aus der Cloud heraus anzubieten. Das verspricht dem Kunden einfachere und schnellere Implementierungsprojekte, reduzierbare Aufwände für Wartung und Betrieb sowie darüber hinaus mehr Flexibilität in der Lizenzpolitik.

Zu schön, um wahr zu sein?

Auf den ersten Blick erscheinen die Zukunftsaussichten also für SAP und seine Kunden wieder rosig. Doch wir alle wissen, dass ein guter Plan nur die halbe Miete ist. Grund genug also, sich die Herausforderungen und mögliche Stolpersteine im nächsten Teil unserer Analyse genauer anzusehen. Schließlich geht es hier nicht nur um SAP, sondern um ein ganzes Ökosystem an Partnern - und um Anwender rund um den Globus. (bw)