Neues S/4HANA-Release

SAPs Cloud-Software erreicht funktional ECC

13.10.2023 von Martin Bayer
Mit einem neuen S/4HANA-Release für die Private Cloud und einem RISE-Premium-Angebot will SAP seine Kunden ermutigen, endlich den Schritt in die Cloud zu wagen.
SAP baut auf das neue S/4HANA-Release und zusätzliche RISE-Services, um seine Kunden zum Umstieg in die Cloud zu bewegen.
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Mit dem aktuellen Release S/4HANA Cloud in der Private Edition glaubt SAP, einen Meilenstein erreicht zu haben. Nach vielen Jahren habe das jetzt veröffentlichte Major Release funktional mit dem Vorgänger SAP ERP Central Component (ECC) gleichgezogen, erläutert Jan Gilg, President und Chief Product Officer für den Bereich Cloud ERP bei SAP. Anwender hatten in den vergangenen Jahren immer wieder kritisiert, SAPs neue Produktgeneration S/4HANA - speziell die Cloud-Editionen - hätten im Vergleich zu den ERP-Vorgängern funktionale Defizite.

"Die Version 2023 von SAP S/4HANA Cloud, Private Edition, bietet nicht nur den vollen Funktionsumfang von SAP ECC, sondern bringt auch Finanzwesen, Fertigung, Betrieb und Lieferanten auf einer einzigen gemeinsamen Cloud-Plattform zusammen", schreibt Eric van Rossum, Chief Marketing and Solutions Officer für SAPs Cloud-ERP, in einem Blog-Beitrag.

S/4HANA - Major Releases im Zwei-Jahres-Takt

Für die weitere Entwicklung plant SAP in zweijährigen Release-Zyklen. Das nächste Major Release der Private-Cloud-Edition von S/4HANA wird demnach 2025 herauskommen. Alle sechs Monate will SAP im Rahmen von Support- und Feature-Packages notwendige Veränderungen, beispielsweise Anpassungen an neue gesetzliche Regelungen oder funktionale Erweiterungen, in das System einpflegen. Die Wartungsfrist für S/4HANA Private Cloud Edition will SAP von fünf auf sieben Jahre erhöhen.

DSAG-Investitionsumfrage: SAP-Anwender schimpfen über Cloud-Preise

Damit möchte der deutsche Softwarekonzern seine Kunden davon überzeugen, mit der Migration auf die neue Produktgeneration auch gleich den Weg in die Cloud einzuschlagen. Das tun bis dato die wenigsten. Laut einer Umfrage der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) von Anfang dieses Jahres setzen 41 Prozent der S/4HANA-Kunden das neue SAP-System in der On-premises-Version ein, acht Prozent haben die Private-Cloud-Edition im Einsatz und drei Prozent nutzen S/4HANA in der Public Cloud. Diese Zahlen machen zudem deutlich, dass die andere Hälfte der SAP-Kunden den S/4HANA-Umstieg noch vor sich hat.

SAP-Anwender machen weiten Bogen um die Cloud

Die geringe Cloud-Akzeptanz ist der SAP-Spitze ein Dorn im Auge. Seit mehr als acht Jahren ist S/4HANA nun schon auf dem Markt, doch noch immer will keine Wechselstimmung aufkommen. Viele Anwender sind zufrieden mit ihrer SAP Business Suite und halten es nicht für notwendig, auf S/4HANA umzusteigen, zumal die Migration mit viel Aufwand und hohen Kosten verbunden ist - vor allem wenn die Altsysteme stark an die individuellen Anforderungen der Anwenderunternehmen angepasst sind.

Dieses Customizing aus den Systemen weitestgehend herauszubekommen, ist ein erklärtes Ziel der SAP. Individuelle Anpassungen machten SAP-Landschaften unnötig schwerfällig und komplex, argumentiert der Softwarehersteller. Außerdem ließen sie sich ungleich schwerer modernisieren als Systeme, die nah am Standard blieben.

Der Softwarekonzern propagiert deshalb für seine neue Produktgeneration die Idee des "Clean Core": Im Kern soll dabei das SAP-System nicht angetastet werden. Anpassungen und Erweiterungen sollen stattdessen auf Basis zusätzlicher Softwareservices geschehen, die über die Business Technology Platform (BTP) miteinander verbunden werden. Ein Dashboard soll migrationswilligen Anwendern aufzeigen, wo ihre Altsysteme durch Customizing verändert wurden und wie sie die hinzugefügten Funktionen auch im Standard des neuen SAP-Releases abdecken könnten.

SAP will Kunden bei der S/4HANA-Migration an die Hand nehmen

Überhaupt will SAP seine Klientel im Rahmen der S/4HANA-Migration enger an die Hand nehmen und dazu bewegen, ihr ERP-System laufend weiterzuentwickeln und zu modernisieren. Denn das scheint auch in der neuen schönen S/4HANA-Welt eher die Ausnahme zu sein. Viele Kunden haben ihr SAP-System lediglich technisch auf S/4HANA umgestellt, aber eine echte digitale Transformation inklusive Prüfung und Modernisierung der Prozesse vermieden.

Lesen Sie, was Experten über die Migration auf SAP S/4HANA sagen:

Auch scheinen sich nach dem Wechsel auf S/4HANA über Jahre antrainierte Verhaltensmuster zu wiederholen: Migration erledigt, SAP-System läuft, Haken dran und möglichst nichts mehr anfassen - das ist in vielen SAP-Anwenderunternehmen die gelebte Praxis. Jens Hungershausen, Vorstandsvorsitzender der DSAG, warnte erst im September 2023 auf dem Jahreskongress der Anwendervereinigung davor, dass schon jetzt erste S/4HANA-Versionen aus der Standardwartung laufen würden, weil Anwender ihr SAP-System mehr oder weniger eingefroren und keine weiteren Packages und Releases eingespielt hätten.

Wie Anwenderunternehmen auf S/4HANA umsteigen:

Das soll sich SAP zufolge ändern - am besten in der Cloud und mit einem RISE-with-SAP-Vertrag. Das Anfang 2021 Vorgestellte RISE-Programm beinhaltet ein vorkonfiguriertes Paket aus Software, Migrationsservices und Cloud-Infrastruktur, die von SAP oder einem der Hyperscaler AWS, Google oder Microsoft bezogen werden kann. Anwender sollen damit in die Lage versetzt werden, neue Geschäftsprozesse einzurichten und zu standardisieren, Daten zu harmonisieren und auf der Basis der BTP ein agiles, modulares ERP-System in der Cloud einzurichten und zu betreiben.

Anwender wollen On-premises - SAP die Cloud

Doch das RISE-Angebot ist in den vergangenen beiden Jahren von den SAP-Kunden kaum angenommen worden. Wie aktuelle DSAG-Zahlen zeigen, wollen die meisten Unternehmen ihr SAP-System im eigenen oder einem gemanagten Rechenzentrum betreiben - entweder selbst oder von einem Partner.

SAP-Chef Christian Klein hat zuletzt allerdings deutlich klar gemacht, dass für SAP-Kunden kein Weg mehr an der Cloud vorbeiführt. Man habe vor drei Jahren begonnen, den Softwarekonzern neu aufzustellen und dafür einen enormen Aufwand betrieben. Deshalb könne der eingeschlagene Cloud-Kurs nicht zur Diskussion stehen.

Für SAPs CEO Christian Klein ist die Marschrichtung klar - es geht in die Cloud.
Foto: SAP SE

Mittlerweile erhöht SAP denn auch den Druck auf seine Kunden. Mitte des Jahres hatte der Softwarekonzern angekündigt, Innovationen im Umfeld von KI oder Nachhaltigkeitsmanagement nur noch in der Cloud und ebenfalls nur noch für Kunden mit einem RISE- oder GROW-Vertrag anzubieten. Jetzt stellte SAP mit Premium Plus ein weiteres RISE-Paket vor. Die Anwender erhalten damit mehr Tools zur Entscheidungsunterstützung sowie KI zum Optimieren ihrer Geschäftsprozesse, sagt SAP-Manager van Rossum.

Im Einzelnen beinhaltet das Premium-Plus-Paket folgende Funktionen:

Mit diesen Funktionen hofft SAP seine Kunden in Richtung Cloud zu locken. Doch für den Konzern geht es noch um etwas anderes. SAP-Mann Gilg lässt durchblicken, dass mit den aufgesetzten und von SAP begleiteten Migrationsprogrammen Fehler vermieden werden sollen. Der Manager räumt ein, dass S/4HANA-Umstiege durchaus komplex werden könnten. Egal ob On-premises oder als Hosting beziehungsweise Managed Service - gerade wenn es um die Feineinstellungen der Systeme oder die Anbindung zusätzlicher Dienste oder Services gehe, könnten Probleme auftreten. Oft werde dann der Hersteller verantwortlich gemacht.

Hilfestellung oder Bevormundung?

Mit Programmen wie RISE oder GROW will SAP dagegenhalten und die Migrationsprojekte mit entsprechenden Services in sichere Bahnen lenken. Doch der Grat zwischen Hilfestellung und Bevormundung ist schmal. Gerade erst betonte DSAG-Chef Hungershausen auf dem Jahreskongress 2023, jedes Unternehmen müsse die Freiheit haben selbst zu entscheiden, wann es welchen Weg einschlage. SAP-Kunden beschäftigten sich sehr wohl mit der Cloud, doch Druck seitens der Anbieter würden sie nicht akzeptieren. "Eine Cloud-first-Strategie von SAP ist durchaus nachvollziehbar", so Hungershausen, "eine Cloud-only-Strategie ist aber keine Option".

Cloud-first ja, Cloud-only nein, so lautet die klare Botschaft des DSAG Vorstandsvorsitzenden Jens Hungershausen an SAP.
Foto: DSAG

Auf SAP dürften also noch etliche Diskussionen zukommen, auch was die Kosten anbelangt. Neben dem Ärger um von Innovationen abgeschnittene On-Premises-Kunden, kritisieren die Anwender auch die massiven Preiserhöhungen für SAPs Cloud-Lösungen und die Wartung alter Systeme. SAP-Manager Gilg versucht abzuwiegeln. Von einem im Vorfeld vielfach kolportierten pauschalen 30-prozentigen Aufschlag für das Premium-Plus-Paket von RISE könne keine Rede sein. Zwar hätten die zusätzlichen Funktionen ihren Preis. Dies werde jedoch transparent abgerechnet, beispielsweise verbrauchsabhängig nach Capacity Units für KI-Use-Cases. Ob das die Anwender zufriedenstellt, die seit vielen Jahren die aus ihrer Sicht zu komplexen Lizenzmodelle von SAP monieren und eine Vereinfachung der Metriken fordern, ist fraglich.

Weg vom ERP-Monolithen, hin zu modularen und agilen Systemen

Es bleibt also weiter unklar, ob und wie schnell SAP-Anwender den Weg in die neue ERP-Welt gehen. Weg von schwerfälligen, aber vorintegrierten Monolithen und hin zu modularen Systemen, die sich die Kunden selbst auf Basis der BTP-Plattform aus verschiedenen Services zusammenstellen können - das erscheint vielen als weiter Weg, bei dem nicht sicher ist, dass er sich lohnt.

50 Jahre SAP: Der Softwarekonzern steht am Scheideweg

Die Diskussion erinnert an die Debatten rund um Service-orientierte Architekturen (SOA) vor zwei Jahrzehnten - SAP sprach von der Enterprise Services Architecture (ESA). In der Namengebung sei SAP schon in der Vergangenheit kreativ gewesen, erinnert sich Gilg mit einem Schmunzeln. Damals sei die Argumentation sehr technisch getrieben gewesen. Ein Fehler, wie SAPs Cloud-Verantwortlicher einräumt. Heute will SAP den Business-Mehrwert herausarbeiten, der sich mit Hilfe der neuen Lösungen erzielen lasse. Bleibt abzuwarten, ob die Kunden SAPs Rechnungen folgen können.