Optimieren, weiterentwickeln, initiieren

Schrittweise zum neuen IoT-Geschäftsmodell

10.08.2019 von Iris Lindner
Während IoT-Plattformen nicht richtig in Schwung kommen wollen, steckt in IoT-Ökosystemen aktuell sehr viel Bewegung. Neun Experten erklären, wo die Hürden auf dem Weg zu neuen Geschäftsmodellen liegen und wie man sie meistern kann.

Fällt es den Unternehmen in Deutschland immer noch schwer, neue Geschäftsmodelle aus dem Internet of Things (IoT) zu entwickeln? Um diese Frage zu beantworten, muss man zwischen IoT und Industrial IoT differenzieren, denn sowohl die Geschwindigkeiten der Entwicklungen als auch die jeweiligen Herausforderungen sind völlig verschieden. Gleich ist in beiden Bereichen jedoch die Herangehensweise: Wurde anfangs noch versucht, die bestehenden Geschäftsmodelle 1:1 zu transformieren, nähert man sich heute auf mehreren Ebenen dem IoT beziehungsweise dem IIoT an. Heutige Geschäftsmodelle optimieren, weiterentwickeln und neue Geschäftsmodelle initiieren - so lauten die drei Etappen. Im IoT-Bereich ist derzeit die Weiterentwicklung von Geschäftsmodellen, vor allem hin zu Pay-per-Use-Modellen, das Wichtigste. Und diese ist selbst schon eine große Herausforderung, da die Unternehmen dazu über Funktionsbereichs- und Unternehmensgrenzen hinweg Dinge verändern müssen.

Gemeinsam mit IDG/COMPUTERWOCHE-Redakteur Simon Hülsbömer (3.v.l.) diskutierten neun Experten aus der Industrie aktuelle Trends rund um IoT-Ökosysteme.
Foto: Michaela Handrek-Rehle / IDG Business Media GmbH

Neue Trends im IoT

Im produzierenden Gewerbe liegt der Schwerpunkt dagegen auf der Optimierung bestehender Modelle beziehungsweise Prozesse. IIoT bietet hier viele Mehrwerte, wirklich neue Geschäftsmodelle zu entwickeln ist dort aber eher schwierig - allerdings nicht unmöglich, wie ein Beispiel aus dem Bereich Steuerungen zeigt: Bei Geschäftsmodellen wie Features on Demand erhält der Kunde zu seiner Hardware softwarebasierte Dienstleistungen. Ein anderer Trend ist, Geräte nicht mehr zu verkaufen, sondern als Infrastruktur zusammen mit Diensten anzubieten, die dem Kunden einen Nutzen bringen. Der Profit für den Anbieter ergibt sich aus den Einsparungen beziehungsweise dem Gewinn, den der Nutzen generiert.

Informationen zu den Partnerpaketen für die Studie "Internet of Things 2019/2020"

Einen ähnlichen Trend verfolgt auch die bisher sehr konservative Maschinenbaubranche. Der Kunde soll in Zukunft nicht mehr die komplette Maschine kaufen, sondern nur die für seine Anwendung entsprechende Ausstattung. Allerdings benötigt der Anlagenbauer dazu die entsprechenden Daten vom Kunden. An diesem Punkt stehen IoT und IIoT wieder vor demselben Problem. Auch wenn viele Unternehmen Pay-per-Use-Modelle in der Schublade haben - sowohl Anbieter als auch die Kunden sind aktuell einfach noch nicht so weit. Der Grund: Neue Geschäftsmodelle sind nicht rein durch IoT möglich.

Der Mehrwert steckt hinter der Plattform

IoT ist eine Querschnittstechnologie, bei der auch Artificial Intelligence (AI), Data Analytics und vor allem das Umdenken in der gesamten Organisation entscheidende Rollen spielen. Ohne IoT-Plattformen lassen sich solche Transformationsprojekte nicht vernünftig realisieren. Mit der Auswahl der geeigneten Plattform sind die Kunden jedoch zunehmend ein Stück weit überfordert. Dabei ist eine Plattform, rein auf die Anwendung reduziert, meistens ein Me-too-Produkt. Interessant wird es beim Kontext, denn der eigentliche Business-Value steckt unter anderem in dem Algorithmus hinter der Plattform, in den einzelnen Künstliche-Intelligenz (KI)-Anbindungen oder in der Möglichkeit zur Anbindung an SAP-Systeme.

Roundtable Internet of Things 2019 - Plattformen
Jochen Adler, OpenText Software
"Der Veränderungsdruck kommt bei vielen Unternehmen tatsächlich aus der Belegschaft, da viele Geschäftsmodelle vom Konsumentenverhalten inspiriert sind. Diesbezüglich fängt der Vergleich von Plattform und Ökosystem zu hinken an, denn im industriellen Ökosystem müssen Player verbunden werden. Wo im B2C-Bereich für den Konsumenten also ein Anbieter ausreicht, wollen sich im B2B-Geschäft viele Kunden nicht zu sehr von einem strategischen Partner abhängig machen."
Michael Gaudlitz, Canonical
"Meine Erfahrung: IoT-Projekte sind erfolgreich, wenn ein klarer Business-Treiber dahintersteckt, also wenn man weiß, wie man Geld verdient, und wenn sich die Kosten am besten als „Pay-as-you-go-Modell“ darstellen. Man investiert also immer nur so viel, wie man gerade erfolgreich ist. Nicht ein Riesen-Invest zu Anfang mit großem Risiko, sondern das bisherige Geschäftsmodell inkrementell erweitern – das ist die herausfordernde Aufgabe."
Klaus Heiko Hünsch, Siemens
"Was die Steigerung der Produktivität in unseren Fertigungen angeht, so sind wir mit der klassischen Automatisierungstechnik an eine Grenze gekommen. Diese Grenze wird mit den Chancen, die Digitalisierung uns heute bietet, geöffnet, und neue Sprünge in der Produktivitätsentwicklung werden möglich.<br />Entscheidend für den Erfolg von Digitalisierungsprojekten ist es, die Neugier und die Begeisterung der Mitarbeiter zu wecken. Danach braucht es ein klares und schrittweises Implementierungskonzept, bei dem alle Beteiligten in der betrieblichen Wertschöpfung auf Augenhöhe eingebunden sind – vom Top-Management bis zum Bediener an der Maschine."
Hans-Joachim Köppen, IBM
"Die Mitarbeiter spielen die Hauptrolle bei der Umsetzung von IoT- und ähnlichen Digitalisierungsprojekten. Gerade bei komplexen Umgebungen wie zum Beispiel Machine-Learning-Projekten brauchen Sie nicht nur viele Sensordaten, sondern auch ein Team zum Beispiel aus einem Data Engineer, einem Data Scientist, einigen Application Developern und einem Domain-Experten, der die fachlichen Anforderungen kennt. Diese verschiedenen Qualifikationen können vereint den gewünschten Nutzen erzeugen."
Michael Nelz, Braincourt
"Die Klarheit über die Daten ist ganz wichtig: Was haben Sie, was brauchen Sie, wie kommen Sie daran? Vielen Kunden wird dies erst im Gespräch bewusst. Und auch die Relevanz der Daten muss bekannt sein. Natürlich kann man viele Daten sammeln, aber Kundendaten bringen eben nichts, wenn eine Säge kaputt geht."
Thorsten Raquet, QSC
"Es gibt zwei Gründe, warum neue Geschäftsmodelle noch nicht richtig über IoT-Plattformen in Schwung gekommen sind. Zum einen kommt es sehr oft vor, dass die neuen Geschäftsideen nicht zu Ende gedacht sind. Denn um einem Kunden am Ende des Verkaufsprozesses eine Rechnung stellen zu können, braucht es jede Menge Administration. Das ist eigentlich nichts Neues, wird aber oft nicht bedacht. <br />Zum anderen geht es vielen Unternehmen einfach zu gut. Gerade der Mittelstand hat keine Not, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, und vergibt dadurch wertvolle Chancen an andere – oft genau an die, die neue Wege gehen müssen, weil sie mit dem Rücken an der Wand stehen."
Steve Rommel, Konica Minolta
"Viele produzierende Mittelständler stehen immer noch vor der Frage: Was bedeutet das denn überhaupt? Von daher sind wir noch weit weg von neuen Geschäftsmodellen. Allerdings haben wir auch beobachtet, dass die Mitarbeiter an der Basis vom Kopf her oft viel weiter sind und in dieses Thema einsteigen wollen. Es ist also eher Aufgabe des Managements im Sinne von ,das Budget freigeben‘ und ,die Umsetzungskultur dafür planen‘."
Dominik Rüchardt, PTC
"Man muss sich mit dem Thema beschäftigen, damit man überhaupt weiß, wo man steht. Augmented Reality funktioniert als Einstieg wirklich gut, weil man dadurch eine intuitive Erfahrung gewinnt, wie sich die Welt und die eigenen Möglichkeiten, mit Produkten umzugehen, verändern. <br />Daraus ergeben sich in der Regel schöne Reiserouten, an denen man erkennt, warum es sinnvoll ist, mit IoT-Technologie Daten einzusammeln, wann Künstliche Intelligenz mit diesen Daten einen Mehrwert erzeugt, wie sich dieser Pfad durch die einzelnen Business-Prozesse zieht und wie sich von da aus ein Umbau im Unternehmen gestaltet."
Marten Schirge, Device Insight
"Meine Tipps an Unternehmen: unbedingt sofort mit der IoT-Projektumsetzung starten, die Mitarbeiter von Beginn an involvieren und auf Top-Managementebene das IoT-Projekt vorantreiben. IoT ist kein Selbstzweck, sondern eine sehr wichtige Querschnittstechnologie: ohne IoT, Industrial IoT und AI keine digitale Transformation, ohne digitale Transformation keine Wettbewerbsfähigkeit und keine Zukunft der Fertigung in Deutschland."

Nicht selten orientieren sich Kunden bei der Auswahl ihrer IoT-Plattform auch an den bestehenden Partnerschaften ihres Cloud-Anbieters - zum einen, weil sie mit ihm schon gute Erfahrungen gemacht haben und dieser bereits konsolidiert hat, zum anderen, weil die Entscheidung für einen der Big Player unter den Cloud-Anbietern auch zum politischen Thema werden kann. Natürlich kommt es dem Kunden auch darauf an, was eine IoT-Lösung am Ende tatsächlich kostet.

Zu den Lizenzkosten kommen schließlich noch die finanziellen Aufwendungen beispielsweise für Integration, Einführung und die Veränderung der eigenen Prozesse hinzu. Unter dieser Perspektive eine IoT-Lösung Schritt für Schritt aufzubauen, die noch dazu einen Wandel auf jeder Ebene erfordert, ist ein Langfristprojekt - und ein relativ mühsamer Lernprozess noch dazu, da Business-Architektur, IT-Architektur und IoT-Architektur zusammengelegt werden müssen. An dieser Stelle kommen die Berater ins Spiel, die die architektonische Weiterentwicklung eines Unternehmens in Form bringen und nun verstärkt in den Markt einsteigen.

Bei Daten gilt: Qualität statt Quantität

Und noch etwas hält hierzulande langsam Einzug: Entscheidungen aufgrund von Experimenten anstatt aufgrund von Proof of Concepts zu treffen. Der Erfolg dieser Proof of Values hängt aber nicht vom Algorithmus der Plattform ab, sondern von der Datenqualität. Und die lässt nach wie vor zu wünschen übrig. Noch immer werden Daten nur dann gepflegt, wenn ein knallharter Prozess dahintersteht, der genau steuert, was gebraucht wird. Und das ist bei Daten, die für KI relevant sind, häufig nicht der Fall.

Mangelhafte Datenqualität hat zudem noch einen ganz einfachen Grund: Die Maschinen sind 20 Jahre alt. Ihre Daten hatten damals einen komplett anderen Zweck. Diese Groundfield-Lösungen nun zu transformieren ist ein sehr großer Aufwand, der vor allem bei den Maschinenbauern nicht im Fokus steht. Und nicht zuletzt fehlt in den Unternehmen die Expertise in Form eines Data Scientists. Damit sich die Kunden an IoT-Projekten anderer orientieren können, braucht es Referenzmodelle - und Offenheit.

Informationen zu den Partnerpaketen für die Studie "Internet of Things 2019/2020"

Heute Wettbewerber, morgen Partner

Was die Software betrifft, ist die Technologie für IoT-Plattformen vorhanden. Es fehlt indes an IoT-Ökosystemen, damit die Plattformen auch uneingeschränkt genutzt werden können. Die aktuelle Situation ist vielversprechend, denn allein in diesem Jahr wurden zur Hannover Messe drei Ökosysteme gegründet: die Open Manufacturing Plattform der Firmen Microsoft und BMW, die Industrial Cloud von VW und Amazon AWS und die Open Industry Alliance der Firmen SAP, KUKA und noch weiteren. Im Vergleich zu den IoT-Ökosystemen der ersten Generation stehen die Ökosysteme 2.0 für Offenheit, Interoperabilität und Standards, was nur durch die Kooperation der großen Player und Konsolidierung zustande kommen kann. Und das ist vor allem für den Industrial-IoT-Bereich sehr wichtig.

Das Internet of Things lebt vor allem durch den Plattform- und Ökosystemgedanken, zu dem vor allem auch unternehmensübergreifende Partnerschaften gehören - im besten Fall auch unter direkten Wettbewerbern.
Foto: Andrey Suslov - shutterstock.com

Doch wie gelingt der Schritt vom Wettbewerber zum Partner? Durch die aktive Abgrenzung der eigenen Geschäftsinteressen im Kontakt mit anderen. Natürlich gibt es gemeinsame Interessen, die auch wichtig sind, damit sich ein Thema überhaupt weiterentwickelt oder sich bestimmte Schnittstellen standardisieren. Oft profitieren beide Seiten von einer Partnerschaft, da dadurch Projekte realisiert werden können, die einer allein nicht stemmen könnte. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist die Smart Factory, in der unterschiedliche Firmen gemeinsam einen Nutzen schaffen können. Leider steht der Kommunikations- beziehungsweise Kooperationsbereitschaft mit der Risikoabgrenzung in IoT-Ökosystemen ein limitierender Faktor gegenüber. In der Frage, wie man eine agile Programmstruktur vertraglich organisiert, an der viele Teilnehmer beteiligt sind, steckt zurzeit sehr viel Konfliktpotenzial.

Und es geht doch

Trotz aller Schwierigkeiten gibt es bereits erfolgreiche IoT-Projekte - zum Beispiel einen Pharmahersteller, der im Rahmen seiner Qualitätssicherung sämtliche Daten von Testreihen, Dokumentationspflichten und Maschinen in einer Blockchain abgelegt hat und somit immer das aktuellste, unverfälschte Ergebnis einer Charge im Blick hat. Auch beim 3-D-Druck ersetzt die Blockchain den Mediator, der vertrauliche Produktionsdaten vertrauenswürdig zum Printer übergibt, selbst wenn an manchen Stellen im Business-Prozess diese Daten abgegriffen werden müssen. Als erfolgreich erweist sich zudem ein Product-as-a-Service-Konzept von Bosch Rexroth: Nicht der Drehmomentschrauber wird verkauft, sondern der Kunde bezahlt am Monatsende nur die vom Werkzeug aufgebrachten Newtonmeter.

Studie "Internet of Things": Partner gesucht

Zum Thema "Internet of Things" führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multiclient-Studie unter IT-Entscheidern durch - im nunmehr vierten Jahr. Die Studie soll zeigen, welche Abteilungen besonders vom IoT profitieren, wie und wie viele IoT-Projekte in deutschen Unternehmen derzeit laufen, welche Herausforderungen auf dem Weg warten. Zu den Fragen zählen: Wann und in welchen Fällen rechnet sich eine IoT-Einführung für Unternehmen? Welche Übertragungsformen werden verwendet und für welches IoT-Szenario? Ohne IoT kein AI und Machine Learning?

Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, dann helfen Ihnen Frau Jessica Schmitz-Nellen (jschmitz-nellen@idg.de, Telefon: 089 36086 745) oder Frau Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384) gerne weiter. Informationen zur IoT-Studie finden Sie auch hier zum Download (PDF).