Klamme Investoren

Schwieriger Start für IT-Gründer

28.10.2009 von Anja Dilk
Die Bereitschaft der Geldgeber, Gründer finanziell zu unterstützen, hat merklich nachgelassen. Umso wichtiger ist es, sich die richtige Hilfe zu holen.

Den Traum vom eigenen Unternehmen hat Dirk Wellmann schon immer geträumt. Aber lange war er einfach zufrieden mit seinen Jobs. Er arbeitete in der Werbung, als Freiberufler. Immerhin, eine Art Miniunternehmertum. Er feilte an Prospekten und Web-Auftritten, machte DVDs und Gedrucktes. Es lief gut, in jedem Falle gut genug. Vor allem über Xing zog Wellmann Aufträge an Land. Doch im Lauf der Zeit drängten immer mehr Dienstleister auf Akquisekurs in das Online-Business-Netz, es gab viel mehr Anbieter als Sucher, und in vielen Foren wurde lieber über das perfekte Dinner geplaudert als über Business. Ende 2006 waren Wellmanns Auftragsbücher leer. Da kam dem pfiffigen Internet-Freak eine Idee: "Ich entwickle ein eigenes, professionelles Kontaktnetz für Geschäftsleute. Ich gründe ein Unternehmen."

Dirk Wellmann, Myper: "Als Internet-Unternehmer ohne Eigenkapital ist man in Deutschland aufgeschmissen."

Wenn Wellmann von seiner Gründungsgeschichte spricht, erzählt er von einer Odyssee der Enttäuschung. Von Bankmitarbeitern, die ihn kopfschüttelnd hinauskomplementierten. Kein Eigenkapital? Nicht mal ein Haus, einen Maschinenpark, irgendwas, das sich im Fall des Falles zu Geld machen ließe? Mit uns nicht. Er erzählt von Investoren, die für ihre Finanzspritze 51 Prozent des neuen Unternehmens haben wollten. Von Geldgebern, denen er Quellcode und Nutzerdaten offenlegen sollte, die geheimen Schlüssel zu seinem Geschäftskonzept, an dem er ein Jahr lang gefeilt hat, damit die Plattform Geschäftsleuten Nutzen bietet, sie sich in Projekträumen treffen und Aufgaben verteilen, sich über Youtube-Videos vermarkten oder in Tutorials weiterbilden können. 14 Business-Pläne hat er geschrieben, während er seinen Prototypen permanent weiterentwickelte - für jeden Investor einen. Doch er fiel durch "sämtliche Raster". "Investoren wollten Sicherheiten, Eigenkapital oder erste Erfolge sehen, aber ich brauche das Geld, um mehr vorweisen zu können", erzählt Wellmann und spricht von einem "typischen Henne-Ei-Problem". "Als Internet-Unternehmer ohne Eigenkapital ist man in Deutschland aufgeschmissen." Ein Jahr lang hält Wellmann durch, stellt "myper.com" online, lebt von letzten Ersparnissen und der Unterstützung eines Freundes. 2008 geht nichts mehr. Der heute 36-Jährige meldet sich beim Arbeitsamt, der Traum vom Unternehmer ist auf Eis gelegt.

IT-Selbständige brauchen anfangs wenig Kaptial

Raue Zeiten für Gründer in Deutschland. Zwar sind gerade in der IT-Branche die Hürden vor der Selbständigkeit niedrig. "Es gibt viele IT-ler, die nebenberuflich programmieren und so ganz klein und langsam ihr Startup aufziehen", schätzt Heinz Klandt, Professor für Entrepreneurship an der European Business School (EBS) in Oestrich Winkel. "Ihr Kapitalbedarf ist gering, doch sie müssen aufpassen, in diesem dynamischen Markt nicht überrollt zu werden." Und wer für seine Gründung mehr braucht als ein paar Euro von Freunden und Verwandten, hat es nicht leicht. Zwar gibt es mittlerweile einen ganzen Strauß staatlicher Förder-Programme, von KfW bis zum High-Tech-Gründerfonds.

Aber zum einen ist das Finanzierungsangebot immer noch zu dünn für die vielen Gründungswilligen der Branche. Zum anderen erfüllen viele die Förderkriterien nicht. Zwar haben Hochschulen Gründerprogramme aufgelegt, Business Angels, die als Privatinvestoren Gründern unter die Arme greifen, sind auch in Deutschland mittlerweile gang und gäbe. Doch jenseits dieser Förderlandschaft wird es eng. "Die Banken bieten derzeit ein grauenvolles Bild", sagt Jürgen Rohrmeier, Personalexperte bei der IT-Beratung Pape Consulting in München. Und bei den etwa 200 Gesellschaften in Deutschland, die Venture Capital vergeben, bekommen Gründer im Moment nur schwer den Fuß in die Tür. Rohmeier: "Es fehlt vor allem an Seed-Finanzierung, der Finanzspritze zum Gründungsbeginn."

Risikokapital? Fehlanzeige!

Michael Seyda nickt. In letzter Zeit läuft sich der Frankfurter VC-Berater die Hacken ab. Risikokapital? Das will keiner mehr geben. "In diesem Jahr ist die Investitionsbereitschaft deutlich zurückgegangen, seit Sommer liegt sie fast auf null", sagt Seyda. "Selbst Konzepte, die vor zwei Jahren noch gute Chancen gehabt hätten, könnte ich gleich in der Schublade lassen." Ende des Jahres schauen die meisten Risikokapitalgeber schon Richtung 2010, der Jahresabschluss 2009 ist besiegelt, Kasse geschlossen. Leicht sei es für IT-Gründer derzeit nicht. Durch den Rost der VC-Gesellschaften fallen zum einen jene Bastler, die mit schmalem Geldbeutel in die Gründung starten. Unter einem Investitionsvolumen von einer halben Million lohnt es sich für die Kapitalgeber schlicht nicht, Konzepte zu prüfen, ein Controlling zu installieren und sich auf einen Meeting-Marathon zu begeben.

Durch fallen bei den Investoren auch jene IT-Gründer, die mit einem "astronomischen Kapitalbedarf" auf Investorensuche gehen. "Mein Job ist es, sie erst mal zu bremsen", sagt Syda. Und ihre Pläne auf Herz und Nieren abzuklopfen: Wie tragfähig ist ihre Idee? Gibt es Vergleichbares auf dem Markt? Vor allem: Was für ein Mensch steht dahinter? Seyda: "Viele denken: ´Ich kann programmieren, besorg du mir Geld, dann wird alles gut.´ Doch die tollsten Programme nutzen nichts, wenn der Gründer nicht in der Lage ist, ein Unternehmen zu führen."

Programmieren reicht nicht

Mit dem Finanzamt umgehen, Rechnungen schreiben, ein gutes Marketing auf die Beine stellen. Wer das nicht kann und nicht bereit ist, sich Kompetenz von außen zuzukaufen, hat kaum eine Chance. Oft ist die Schieflage zwischen guter Idee und mangelndem Marktverständnis schon im Business-Plan ersichtlich, der auf Seydas Schreibtisch landet. Bis "zur letzten Schraube" werden da oft technische Details ausgebreitet, die "keinen Kapitalgeber interessieren". Was dieser aber wissen will, erfährt er oft nicht: Wer soll das Produkt kaufen? Wie ist der Markt Informationsasymmetrie", nennt der Berater das.

Heinz Klandt, EBS: "IT-Gründer müssen aufpassen, in dieser Branche nicht überrollt zu werden."

EBS-Professor Klandt kennt das. Er hat schon viele Gründer der Branche bei ihrem Start beobachtet. Immer wieder stechen ihm dieselben Fehler ins Auge: "Viele sind sehr technologiegetrieben, haben kaum den Kundennutzen im Blick oder können nicht anschaulich darstellen, was ihr Produkt so unverwechselbar und nützlich macht", sagt Klandt. "Dabei kommt es nicht auf die technische Leistungsfähigkeit, sondern auf die Schnittstelle zum Kunden an." Mit einer spröden Benutzeroberfläche lässt sich ebensowenig punkten wie mit einem technischen Innovations-Coup, den keiner haben will. Klandts Rat gegen die "Klassiker des Scheiterns": genaue Marktanalyse, sorgfältige Kundenkommunikation und natürlich solide Finanzierung.

Gründer brauchen Partner

Im Zweifelsfall kann das bedeuten: Sich Kompetenzen von außen zu holen auch wenn davor Gründer oft zurückschrecken, weil sie lieber uneingeschränkter Herr im eigenen Haus sein wollen. "Gründen in Komponenten", nennt das Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin, der im Sommer mit dem deutschen Gründerpreis ausgezeichnet wurde. In seinem 2008 erschienenen Buch "Kopf schlägt Kapital - die ganz andere Art, ein Unternehmen zu gründen", plädiert er für ein arbeitsteiliges, modulares Unternehmermodell. Faltin: " Der Unternehmer als Alleskönner, der auf der Klaviatur von Betriebswirtschaft, Technologie und Arbeitsrecht spielt, gehört ins Museum. Heute ist Arbeitsteilung in die Entrepreneurship einführbar." Also: Einkaufen, was man selbst nicht kann, Partner suchen, wo die eigene Kompetenz nicht reicht. Dass das hervorragend funktionieren kann, hat Personalvermittler Rohrmeier jüngst bei einem Kunden erlebt. Weil er erkannte, dass es mit einem Crash-Kurs in Unternehmensführung nicht getan ist, holte sich der Startup-Neuling einen doppelt so alten Partner in die Firma, als COO. Im Duett floriert das Geschäft.

Bei Attila von Unruh versammeln sich jene, die mit ihrem Unternehmen den Boden unter Füßen verloren haben. Einmal im Monat kommen die "Anonymen Insolvenzler" in Köln zusammen. Sie wollen sich in einer Gruppe Gleichgesinnter austauschen, suchen Rat und emotionalen Beistand. "In der Gruppe helfen wir, das alles zu verarbeiten”, sagt Unruh, der selbst eine Pleite in den Knochen hat. Gerade erst hat von Unruh neue Selbsthilfegruppen in Hamburg, Berlin und München gegründet. "Der Bedarf ist gewaltig. Mit unserer Initiative wollen wir das Tabu brechen", sagt von Unruh. "Letztlich kann es jeden erwischen." Wie "blauäugig" manche Gründer allerdings ihr Projekt angehen, überrascht ihn schon: "Sie schreiben zwar Worst-Case-Szenarien in den Business-Plan, nehmen sie aber nicht ernst." Nach dem Motto: Wird schon gut gehen. Laut Unruh ein fataler Fehler. Denn nur, wer sich ernsthaft mit den Gefahren beschäftigt, kann rechtzeitig gegensteuern. Unruh empfiehlt "Rütteltests", wie sie die Wirtschaftsjunioren anbieten. Gründer müssen sich hier dem Fragenstakkato kritischer Experten und Unternehmerkollegen stellen. Von Unruh: "Da erkennt man schnell die Schwächen seines Konzepts - und knüpft nebenbei wertvolle Kontakte."

Krise ist für Gründer eine Chance

Manchmal reißt es auch einen vorsichtigen Gründer unverhofft von den Füßen. "Es ist unglaublich, wie viele Steine Gründern in Deutschland in den Weg gelegt werden", sagt Personalprofi Rohrmeier. Wenn etwa das Finanzamt bei einem höchst erfolgreichen Unternehmensstart gleich die Vorauszahlungen erhöht, ist das schlecht für die Liquidität, ebenso wenn Gründer in einem Wust von Antragsformularen ersticken, um staatliche Hilfen zu bekommen. Nicht wenige lassen sich entmutigen, die Hälfte der Gründer steigt in den ersten fünf Jahren aus, schätzt EBS-Mann Klandt. "wobei natürlich nicht jeder Marktaustritt eine Pleite ist". Dabei hält der Gründungsforscher die Zeit der Krise durchaus für einen guten Gründungszeitpunkt. "In Zeiten des Umbruchs werden die Karten neu gemischt, wer einen guten Blick für Lücken im Markt hat und die Konkurrenz im Blick behält, kann jetzt punkten."

Tobias Johann weiß, dass man nur überlebt, wenn man beides aufmerksam im Blick hat, gerade in der IT-Branche: die Chancen, aber auch die unberechenbare Dynamik des Markts. Der EBS-Absolvent und Doktorand bei Gründungsprofessor Heinz Klandt hatte Ende 2006 eine Gründungsidee, die eine Novität zu sein schien: ein soziales Online-Netzwerk für Sportler. Die Idee passte in die Zeit, gerade hatte das Web 2.0 seinen beeindruckenden Start hingelegt. Sie passte zu dem begeisterten Leistungssportler, der wusste: "Es fehlt ein Angebot für Sportbegeisterte, das auch das Vereinswesen in Deutschland einbezieht." Johann hörte sich um. An der Hochschule, bei Business Angels und Kooperationspartnern des Gründungslehrstuhls, bei Studi VZ. Im Dezember 2006 waren sich alle einig: Niemand plant derzeit ein ähnliches Geschäftsmodell. Zwei Monate später waren allein in Deutschland 30 Sport-Communities am Start.

Johann lehnt sich in seinem Bürostuhl zurück und atmet tief durch. Er hat sich, mit seinen beiden Co-Gründern, erfolgreich durchgebissen. Viele Konkurrenten verschwanden ebenso schnell wieder vom Markt, wie sie gekommen waren. Einer verbrannte innerhalb von sechs Monaten Millionen Investorengelder. Johann blieb mit sportme.de auf Erfolgskurs, weil er genau hinschaute, flexibel und kreativ reagierte. Schnell erkannte er: Eine reine Community rechnet sich nicht, gegen den Sog von Facebook, Studi VZ und Co hat eine Special-Interest-Gemeinde keine Chance, je genug Klicks an Land zu ziehen. Zielgenau nahm er Alternativen ins Visier, stellte Inhalte auf die Seite, machte die Seite zu einer Mischung von sozialer Community der jeweiligen Sportarten und Informationsplattform, die über alle Ereignisse der 200 gängigsten Sportarten, von Kreisligaspielen bis zum Vereinsleben, auf dem Laufenden hält. Ein Unikat in Deutschland. 100.000 Sportler und 11.000 Vereine sind registriert. Verbände und Sportsponsoren schießen Geld zu, sportme ist nicht mehr auf Werbeeinnahmen angewiesen. "Ohne diesen Schritt wären wir nicht überlebensfähig, zumal die Werbepreise im Netz in den vergangenen Jahren auf ein Zehntel eingebrochen sind", sagt Johann. Mit dem Relaunch Anfang November ist der erfolgreiche Umbau des Geschäftsmodells abgeschlossen.

Auch Dirk Wellmann will noch mal Gas geben. Seit zwei Monaten arbeitet er als Programmierer bei der Werbeagentur Gleis neun im badischen Wertheim. Fest angestellt. Einen Geldgeber für sein Gründungsprojekt myper.com er noch nicht gefunden, aber einen neuen Einsatzbereich für die zugrundeliegende Software: Für einen Hamburger Verlag hat Wellmann nebenberuflich ein Online-Business-Netzwerk für Menschen aus Kultur, Medien und Wissenschaft hochgezogen. Derart ermutigt, hält Wellmann weiterhin nach einem Investor für sein Online-Netzwerk myper Ausschau. Vielleicht muss er seinen Traum vom Unternehmertum doch nicht endgültig begraben.

Links für Gründer

Literatur für Gründer