Inkubationsplattform

Siemens holt Innovationen aus der Google Cloud

25.08.2020 von Heinrich Vaske
Mithilfe der Google Cloud hat Siemens eine Inkubationsplattform geschaffen, auf der Mitarbeiter ständig neue digitale Innovationen entstehen lassen.
Mit Hilfe der neuen digitalen Plattform entstehen bei Siemens ständig neue Projekte mit konkretem Mehrwert.
Foto: Siemens AG

Digitale Innovationen brauchen einen fruchtbaren Boden, auf dem sie gedeihen können. Der Siemens-Konzern nutzt seit dem Frühjahr die Services und Anwendungen der "Google Cloud Platform" (GCP) als den Humus, auf dem neue Ideen wachsen sollen - zunächst immer erst einmal in Form von Minimum Viable Products (MVPs).

Zunächst bildete Siemens, unterstützt vom IT-Dienstleister Atos sowie von Google-Mitarbeitern, ein "Inkubationsteam", das sich den Technologie-Stack der Google Cloud genau ansah und erste MVPs erprobte und weiterentwickelte. Dieses Team machte sich dann daran, eine Siemens-weite Community aus IT-, Technologie- und Forschungsbereichen aufzubauen, um die Möglichkeiten der neuen Technologiebasis im Konzern zu zeigen und die Ergebnisse erster MVPs in Webcasts vorzustellen.

Mit dem Projekt "Inkubation einer Digitalen Plattform bei der Siemens AG" hat sich Siemens im Wettbewerb "Digital Leader Award 2020" von der COMPUTERWOCHE und der NTT-Gruppe beworben.

Die Resonanz war groß, zumal die GCP nicht nur die typische Cloud-Infrastruktur mitbringt, sondern dank der Machine Learning Library "AutoML" einen einfachen Einstieg in maschinelles Lernen ermöglicht. So konnte Siemens gleich 100 konkrete Anwendungsfälle für Siemens-interne, teilweise aber auch schon für extern erbrachte Services identifizieren, von denen viele in MVPs umgesetzt wurden - im besten Fall innerhalb weniger Wochen. Die Ergebnisse dieser MVPs wurden in die ständig wachsende Community zurückgespielt und dort bewertet.

Siemens nutzt auch Azure und AWS

Siemens nutzt im Konzern schon seit Längerem auch die konkurrierenden Cloud-Plattformen Microsoft Azure und Amazon Web Services. Gegen diese Herausforderer musste sich Google im sogenannten Inkubationsprozess erst einmal durchsetzen. Unter anderem erprobten die Siemens-Experten Googles Big-Data-Lösung "BigQuery", die KI-Services "AutoML" und die Bot-Technologie "DialogFlow". Anhand einiger MVPs identifizierten die Entwickler die aus ihrer Sicht besonders wertstiftenden Technologien, die "Sweet Spots".

Beispielsweise gelang es dem Projektteam zu zeigen, dass es die Siemens-Werke in die Lage versetzen kann, die meistens manuell vorgenommene visuelle Qualitätssicherung mit AutoML zu automatisieren. Ebenso konnte es die Erstellung von Trainingsvideos für Siemens-Produkte in verschiedenen Sprachen durch automatische Übersetzung und Text-to-Speech-Algorithmen automatisiert vertonen. Ebenso ist es jetzt möglich, Bedarfsanfragen an die Werke mithilfe einfach umzusetzender KI-Modelle genauer vorherzusagen.

Wie von einem Konzern wie Siemens zu erwarten, wurden auch die Hausaufgaben erledigt. So war zu prüfen, ob die Plattform für Siemens skalierbar und einsatzfähig ist, ob also etwa die Technologien den Exportregularien folgen und Datenschutz sowie Informationssicherheit mit den Konzernanforderungen vereinbar sind. Das IT-Service-Management wurde aufgebaut, die Connectivity der Plattform mit der Siemens-Infrastruktur hergestellt und alle wichtigen Anforderungen implementiert.

Keine Vorgaben aus dem Top-Management

Besonders wichtig ist dem für die Einrichtung der GCP-basierten Siemens-Plattform zuständigen "Digital Enablement Center" (DEC) aber, dass diese Digitalisierungsinitiative durch den Community-Ansatz siloübergreifend Bottom-up erfolgte - also ohne den "autoritären Push" einer starken, zentralen Governance. Es gab keine Vorgaben aus dem Top-Management, stattdessen initiierten die Mitarbeiter ihre Projekte selbst rein nutzenorientiert aus den jeweiligen Domänen heraus.

Das Team spricht von "IT-Demokratisierung": Mitarbeiter können auf der Basis von über Plattformen bereitgestellten Technologien selbstständig und in kurzer Zeit neue Digitalisierungspotenziale in ihren Domänen entdecken und ausschöpfen. Gleichzeitig fördern solche Plattformen neue Denkweisen und Wege der Zusammenarbeit im Unternehmen - vernetzt und verteilt statt zentral und/oder dezentral. Dabei sollen auch Unternehmensgrenzen überwunden werden.

Weil es dem DEC-Team gelang, anhand verschiedener MVPs zu zeigen, dass die Produktivität in den Geschäftsbereichen erhöht und ein konkreter Mehrwert erzeugt werden kann, kam es zu einer Gegenbewegung, zu einem Pull-Effekt: Das Management drängte angesichts des klaren Business-Case darauf, den Plattformaufbau voranzutreiben und zu investieren.

Ständig neue Projekte mit konkretem Mehrwert

Nun entstehen ständig neue Projekte mit konkretem Mehrwert, zum Beispiel die Digitalisierung des Telefonkanals mithilfe von Spracherkennung und KI, um den IT Service Helpdesk umzubauen. Neu sind auch Echtzeitübersetzungen von Videokonferenzen, die das internationale Zusammenarbeiten erleichtern. Vorhersagen der Produktionsnachfrage von Fabriken funktioniert auf KI-Basis, was den Einkauf von Rohstoffen verbilligt und die Koordination der Fertigung vereinfacht. Und der Customer Support wird durch den Einsatz von Chatbots entlastet.

Für den externen Markt gelang es, einen Produktkandidaten zu entwickeln, der die menschliche Sichtprüfung in Fertigungsprozessen durch einen KI-basierten Ansatz ersetzen kann. Die Vorbereitungen für den Aufbau eines dedizierten Service und Produkts sind bereits im Gange.

Mit seinen Partnern Google und Atos hat Siemens ohne "Governance" in kurzer Zeit eine Community mit etwa 700 Teilnehmern aufgebaut, 100 Anwendungsfälle identifiziert und über 30 MVPs umgesetzt. Niemand zweifelt mehr daran, dass dieser Ansatz Mehrwerte für das Business generiert - egal ob neue Produktkandidaten identifiziert, die Produktivität in den Fabriken und der IT durch KI gesteigert oder die Zusammenarbeit mit Kunden, Partnern und Mitarbeitern durch Bots verbessert wird. Die Ausgangsbasis für das Erschließen weiterer Digitalisierungspotentiale bei Siemens ist geschaffen. (rs)