Die Zukunft der Softwareentwicklung

SOA - der Weg zur Lean IT?

29.10.2008 von Bettina Dobe und Wolfgang Herrmann
In einigen Jahren könnten Service-orientierte Architekturen die Basis für eine industrielle Softwareproduktion bilden, in der Fachanwender ihre Programme selbständig zusammenstellen. Das zumindest prognostiziert der Analyst Wolfgang Martin.

"Die Überlastung der IT zwingt die Fachabteilungen zur Selbsthilfe", konstatierte Martin auf dem von IIR Technology veranstalteten SOA-Kongress 2008 in Mainz. Das Entwickeln von Anwendungen müsse sich künftig ohne klassische Programmierarbeit in den Fachabteilungen erledigen lassen. Wenn durchschnittlich 80 Prozent der IT-Budgets durch den laufenden Betrieb verschlungen würden, blieben den Unternehmen zu wenige Ressourcen für Innovationen. Der Weg aus diesem Dilemma führe über eine schlanke IT ("Lean IT"), die sich an den Prinzipien der industriellen Produktion orientiere. Die technische Basis bilden SOA-Infrastrukturen und darauf aufsetzende Service-Delivery-Plattformen.

"Industrialisierung und Agilität sind erfolgsentscheidend", so Martin. "Prozesse müssen ohne Zeitverzug an neue Situationen anpassbar sein." Eine industrialisierte Softwareproduktion kombiniere typische Vorteile von Standardsoftware, allen voran eine schnelle Implementierung, mit den Möglichkeiten maßgeschneiderter Individualsoftware. Damit verbunden sei "eine neue Arbeitsteilung zwischen Business und IT", die in den Unternehmen ein radikales Umdenken erfordere.

Lean Production als Vorbild

Nach dem Vorbild der Lean Production sollten IT-Verantwortliche einen Prozess mit einer neuen Fertigungstiefe etablieren, empfahl der Analyst: Ähnlich wie beispielsweise in der Automobilindustrie bilde ein Plattformmodell die Basis für die "Servicefabrik" der Zukunft. Auf die Softwareentwicklung übertragen bedeute dies, dass Fachanwender auf einer komponenten-orientierten Plattform Business-Services ohne Hilfe der IT eigenständig zusammenstellen.

Die Idee einer Softwareplattform mit individuell kombinierbaren Komponenten ist freilich alles andere als neu. Viele IT-Experten dürften sich dabei etwa an die Anfänge der Objektorientierung erinnern. Durch die Kombination von Service-orientierten Architekturen mit Web-2.0-Techniken könnte das Konzept aber eine neue Qualität gewinnen, glaubt Martin. Nach seinen Vorstellungen entsprechen die Business-Services in der industrialisierten IT der individuellen Implementierung eines Prozesses mit Hilfe von "Business Mashups". Diese ließen sich aus internen wie externen Services kombinieren. Der Analyst zog dabei Parallelen zu den Funktionsprinzipien des Web 2.0: "Der IT-Konsument wird zum IT-Produzenten." Andere Protagonisten sprechen in diesem Zusammenhang auch von Composite Applications.

Ontologien als gemeinsame Sprache

Um solche Mashups zu ermöglichen, brauchen Unternehmen Ontologien, erklärte Martin. Erst sie gäben Fachabteilungen und der IT eine gemeinsame Sprache. Eine Ontologie umfasse eine Taxonomie, eine Terminologie und eine Semantik. Die Verantwortlichen müssten dazu das Rad nicht jedes Mal neu erfinden; vielmehr existierten einige Ontologien bereits. So stelle etwa das SID-Framework des TM Forum eine breit akzeptierte Ontologie für die Telekommunikationsbranche zur Verfügung.

Während Ontologien das Modell für die industrialisierte IT liefern, sollen "Sevice-Delivery-Plattformen" (SDP) künftig die technische Umgebung für die Implementierung von Business Mashups bilden. "Eine SDP besteht aus von der IT vorgefertigten Komponenten", erläuterte Martin. Dazu zählten etwa Werkzeuge, Lösungsschablonen, Regeln und eine Methodik, wie sich die Komponenten verbinden lassen. Die Plattform sei insofern auch als "Service-orientierte Standardsoftware auf einer Metaebene" zu verstehen.

Alte SOA-Probleme noch ungelöst

All diese Veränderungen können Unternehmen nicht über Nacht stemmen, räumte der Analyst ein. Die Vision der schlanken IT lasse sich voraussichtlich erst in einem Zeitraum von fünf Jahren verwirklichen. Bis es soweit ist, müssen sich Unternehmen noch mit grundlegenden Problemen beim Aufbau einer SOA plagen. Eine Live-Umfrage unter den Besuchern der SOA-Konferenz brachte diesbezüglich ernüchternde Ergebnisse: Gut die Hälfte der Verantwortlichen erreichte demnach weniger als 50 bis 60 Prozent der mit SOA definierten Projektziele. Einen Zielerreichungsgrad von 80 bis 95 Prozent nannten lediglich 15 Prozent. Eines der vernachlässigten Probleme scheint nach wie vor die Governance von SOA-Vorhaben zu sein. So gaben nur 16 Prozent der Befragten an, bereits einen Prozess zur SOA-Governance als Teil der IT-Governance aufgesetzt zu haben. Knapp ein Drittel plant solche Mechanismen gar nicht. Dazu passt, dass rund 40 Prozent gänzlich auf den Einsatz von Service-Level-Agreements (SLAs) verzichten.

Nach wie vor sind SOA-Projekte stark technikgetrieben, wie ein weiteres Ergebnis der Ad-hoc-Umfrage offenbarte. Als Sponsor ihrer SOA nannten 37 Prozent der Teilnehmer den CIO oder IT/Orga-Leiter. Fachabteilungsleiter spielen nur in sechs Prozent der Fälle diese Rolle. Zu denken gibt ferner, dass für mehr als 30 Prozent der Befragten der Sponsor ihrer SOA nicht klar geregelt ist. Auch in Sachen Prozessorientierung und SOA scheint es in der Praxis noch nicht allzu weit her zu sein. Den oft geforderten Posten des Chief Process Officer (CPO) als Bindeglied zwischen Business und IT hat noch kein einziger der Umfrageteilnehmer geschaffen.

Mehr zum Thema im CW-Experten-Blog SOA meets BPM.