Suse-Vorstand: Mehr Produkte für Business-Kunden

27.11.2001
Die Suse Linux AG richtet nach den Entlassungen ihre Produktstrategie neu aus. Wie sie ausfällt, erklärte der Interimsboss und Finanzchef Johannes Nussbickel im Gespräch mit CW-Redakteur Ludger Schmitz.

CW: Bisher war das Hauptgeschäft Suses der Vertrieb der Linux-Box. Gibt es eine neue Produktstrategie?

Nussbickel: Das Massengeschäft werden wir weiter betreiben, aber die Distribution war die längste Zeit das alles beherrschende Produkt. In Zukunft werden wir verstärkt Produkte auf den Markt bringen, die auf den Business-User in Unternehmen zugeschnitten sind. Wir haben in den letzten Wochen schon einige Produkte mit dieser Positionierung herausgebracht und werden es zu einem wichtigen Geschäft ausbauen.

CW: Heißt das, künftig werden Suses Linux-Produkte in höherem Maße kostenpflichtige proprietäre Elemente haben?

Nussbickel: Freie Software bedeutet Freiheit und nicht Freibier. Es geht nicht darum, ob Software kostenlos ist, sondern entscheidend ist, dass der Quellcode frei verfügbar ist, dass offene Standards und Transparenz gegeben sind. Wir sehen uns als ein Unternehmen, das in besonderem Maße befähigt ist, Software auf Linux-Basis herzustellen. Weil wir dabei möglichst Open-Source-Entwicklungen nutzen, werden unsere Produkte deutlich kostengünstiger ausfallen, als es komplette Eigenentwicklungen von proprietären Herstellern sind.

CW: Wie soll eine Entwicklungsmannschaft, die ja wohl nicht verstärkt wird, die neuen Aufgaben schaffen? Wird Suse den Engpass beispielsweise durch eine Verlängerung der Release-Zyklen ausgleichen?

Nussbickel: Eine Entwicklungsabteilung von knapp 100 Mitarbeitern ist für ein kleines Unternehmen wie Suse schon sehr groß. Aber in der Tat denken wir darüber nach, im nächsten Jahr den Release-Zyklus von Suse Linux von drei auf zwei Versionen pro Jahr – eine Frühjahrs- und eine Herbstveröffentlichung – zu strecken. Doch darüber werden wir erst im nächsten Jahr entscheiden.

CW: Welche neuen Business-Lösungen schweben Ihnen vor?

Suse-Vorstand Johannes Nussbickel

Nussbickel: Die Produkte, die wir in jüngster Zeit herausgebracht haben, zum Beispiel die Firewall on CD, der E-Mail-, der Groupware- und der Connectivity-Server, sind allesamt nicht branchenspezifisch ausgerichtet. Wir denken darüber nach, solche Produkte auch auf spezielle Anforderungen von Branchen auszurichten, beispielsweise für Finanzdienstleister oder die Telekommunikationsbranche.

Der wichtige Unterschied zu früher besteht darin, dass bisher unsere Produkte eher zufällige Nebenergebnisse der Entwicklertätigkeiten waren. In Zukunft werden die Leute in den neuen Business-Units viel engeren Kontakt zu den Kunden haben und besser feststellen können, was nötig ist. Dadurch erwarten wir, zu spezifischeren Lösungen zu kommen.

CW: Der Schwerpunkt bisheriger Suse-Anwendungen liegt bei Web-Zugang und Kommunikation. Bleibt es dabei?

Nussbickel: Das beschreibt zunächst einmal die großen Stärken von Linux. Allerdings gibt es in den verschiedenen Branchen ganz unterschiedliche Kommunikationsbedürfnisse. Wir möchten die spezifischen Anforderungen differenzierter verstehen und in entsprechende Produkte umsetzen.

CW: Und darüber hinaus? Intel-Cluster, Anbindung komplexer Speicherarchitekturen sind Beispiele für Aspekte, durch die Linux attraktiver werden könnte.

Nussbickel: An solchen Themen arbeiten wir, wenn auch bisher noch nicht so stark, wie es in Zukunft sein wird.

CW: Gänzlich neue Technologiefelder, beispielsweise Embedded Systems, sind in der aktuellen Situation bei Suse nicht auf dem Plan?

Nussbickel: Das ist kein Thema. Es gibt immer wieder Vorschläge aus der Entwicklungsabteilung, und wir könnten Manches mit unserem technischen Know-how auch bewältigen. Aber der Bereich Embedded Systems ist keiner, in dem wir darüber hinaus, zum Beispiel im Marketing, besonders stark wären.

CW: Suse hat seit einigen Jahren einen klaren Schwerpunkt bei Linux auf dem Server. Könnte sich daran was ändern?

Nussbickel: Suse Linux auf dem Desktop gibt es im Wesentlichen nur bei Privatanwendern sowie bei Smart- oder Thin-Client-Projekten bei Großunternehmen wie der Debeka. Die Unternehmen zögern im Allgemeinen, Windows- durch Linux-Anwendungen zu ersetzen, denn sie fürchten den Aufwand und die Kosten für die Mitarbeiterschulungen. Allerdings sieht es anders aus, wenn ohnehin größere Neuanschaffungen von Hardware oder Software anstehen. Auch bei Linux-Umstellungen der Server-Infrastruktur stellt sich das Problem nicht. Die Clients können bei Windows bleiben, die Server gewinnen bei einer Linux-Migration an Verfügbarkeit, Performance, Skalierbarkeit.

CW: Was wird aus den Services, dem einstigen Kern der Business-Strategien von Open-Source-Firmen?

Nussbickel: Wir hatten insbesondere ab dem zweiten Quartal 2001 im Dienstleistungsbereich Auslastungsprobleme. Als Reaktion darauf haben wir unsere Anstrengungen verstärkt, schnell größere Projekte zu akquirieren. Zuletzt kamen wir jedoch nicht umhin, in diesem Bereich Consultants, das heisst bei uns implementierende Berater, entlassen zu müssen. Als zusätzlichen Service für Privatanwender wird es neben der Installationshilfe einen kostenpflichtigen Support geben. Das Supportangebot für Business-Kunden bleibt unverändert.

CW: Gibt es Veränderungen in der Einstellung der Unternehmen gegenüber Linux?

Nussbickel: Früher hat keiner geglaubt, dass man auf Linux Mission-critical-Anwendungen laufen lassen kann. Da hat sich die Meinung gründlich geändert. Aber es gibt noch genug zu tun. Früher gab es ja einmal den Spruch, dass man mit IBM immer auf der sicheren Seite ist. Heute denken das viele über Microsoft. Der Druck auf die IT-Manager, die sich für Linux interessieren, ist sehr groß. Die fürchten natürlich, unter Beschuss zu geraten, wenn mit Linux etwas nicht funktionieren sollte. Linux ist noch nicht Mainstream, sondern eher etwas Alternatives. Aber es wird vor allem in Deutschland immer stärker als Enterprise-ready anerkannt.

CW: In der Zusammenarbeit mit großen IT-Herstellern dürfte Suse früher Geld draufgelegt haben. Wird künftig realistischer abgerechnet?

Nussbickel: In der Vergangenheit haben wir das oftmals nicht so genau genommen. Der Bereich Technology Partners wird als profitorientierte Unit alle ihre Leistungen in Rechnung stellen. Linux und seine Anwendungen gelten inzwischen nicht mehr einfach als kostenlos. Da haben die traditionellen Hersteller dazugelernt. Die Firma, die ihnen heute ein zuverlässiges Produkt entwickelt, muss auch in einigen Jahren noch als zuverlässiger Partner existieren und weitere Leistungen erbringen. Das gemeinsame Interesse schlägt sich letztlich in korrekten wirtschaftlichen Beziehungen nieder.

Finanzen, Entlassungen und neue Strukturen

15 Millionen Euro hat die Suse Linux AG bei der jüngsten Finanzierungrunde erhalten. Größter Investor war E-Millennium 1, ein Fond, der von Investoren wie der Deutschen Bank, SAP, Accenture und der spanischen Bank La Caixa gespeist wird. Beteiligt waren ferner Apax und Intel Capital, die seit 1999 bei Suse engagiert sind. In unbekannter Höhe hat sich IBM an der Linux-Firma beteiligt.

Das Ziel besteht jetzt darin, im ersten Quartal 2002 schwarze Zahlen zu schreiben. Dazu müssen 120 der weltweit rund 500 Mitarbeiter gehen. Während der Entwicklungsbereich davon nicht betroffen sein soll, wird es Einschnitte vor allem in der zentralen Administration, im Marketing und bei den ausländischen Tochtergesellschaften geben.

Parallel wurde die bisherige funktionale Organisation mit Sales, Vertrieb, Entwicklung, Support, Marketing, Finanzen und Organisation neu aufgestellt. In Zukunft werden Business-Units spezifische Kundenkreise bedienen und eigenverantwortlich ihr Geschäft betreiben: Der Bereich „Qualified Users“ wendet sich an technisch versierte Privatanwender, also dem bisher größten Kundenkreis. Die Einheit „Business Users“ spricht im wesentlichen mittelständische Unternehmen mit vorkonfigurierten Lösungen an. Die Abteilung „Corporate Users“ ist für Großkunden wie den Heinrich Bauer Verlag, T-Online, Deutsche Bank etc. zuständig, die bisher hauptsächlich Dienstleistungen wie Beratung, Entwicklung, Implementierung und Schulung in Anspruch genommen haben und künftig mit Key-Account-Managern betreut werden. Der vierte Bereich, „Govermental and Institutional

Users“, kümmert sich um das Behördengeschäft. Das fünfte Segment, „Technology Partners“, konzentriert sich auf die Kooperation und das Geschäft mit IT-Anbietern.

Daneben wird es eine übergreifende Entwicklungsabteilung sowie die zentrale Finanz- und Organisationsabteilung an der Firmenspitze geben. Außerdem soll eine Business-Unit „International“ das gesamte Auslandsgeschäft bündeln.