Tieto Enator nähert sich Deutschland durch Zukäufe

25.03.2004 von Joachim Hackmann
Der finnisch-schwedische IT-Dienstleister Tieto Enator kommt in kleinen Schritten nach Deutschland. Erste Übernahmen ebnen den Weg, um gezielt in lukrative vertikale Märkte vorzudringen.
Im europäischen IT-Dienstleistungsmarkt belegt Tieto Enator den abgeschlagenen 16. Platz. Der Umsatz 2002 wurde um Hardwaredienste bereinigt und umfasst das Projektgeschäft sowie Outsourcing. Quelle: PAC

Seit Anfang Januar firmiert die Hamburger Inveos AG mit ihren rund 120 Mitarbeitern unter dem Dach von Tieto Enator und verstärkt das Consulting-Team der Skandinavier. Zu den Zielen der Skandinavier gehört es, durch die Übernahme tiefer in die deutsche Bankenbranche vorzudringen. Die dort eingesetzten Kernanwendungen sind zu einem Gutteil nicht nur hoch komplex, sondern auch 30 Jahre alt oder älter. Mit dem Geschäftskonzept "Camp" (Core Application Modernisations Partnership), das gemeinsame Projekte mit den IT-Abteilungen der Banken vorsieht, soll dieser Markt erschlossen werden.

Neben der Finanzbranche interessiert sich Tieto Enator auch für Telekommunikation und Medien sowie die Holz- und Papierindustrie. Immer verfolgt das Beratungshaus das Ziel, über das eigene Branchen-Know-how bei den Kunden zu punkten. Die Inveos-Übernahme fügt sich in die vertikal ausgerichtete Strategie ein und spiegelt die Akquisitionspolitik der letzten Jahre wieder: Immer wurden kleine spezialisierte und gut verdauliche Häuser übernommen, den großen Wurf scheuten die Skandinavier bis dato.

Akquisitionstempo wieder erhöht

"In Krisenzeiten hat Tieto Enator nur mit gebremsten Tempo akquiriert, zuletzt wurden aber wieder einige selektive Übernahmen betrieben", erläutert Simone Sinz, Analystin bei Pierre Audoin Consultants (PAC) aus München. Im letzten Jahr wechselten beispielsweise acht Unternehmen unter das Dach der Skandinavier und bescherten dem Unternehmen, das organisch nicht zulegen konnte, ein Wachstum von acht Prozent. "In diesem Jahr werden wir die Zahl der Akquisitionen erhöhen, vornehmlich in Zentraleuropa und Skandinavien", kündigte Matti Lehti, President und CEO des Unternehmens an.

Mit diesem Vorgehen bekräftigt Tieto Enator das Image des lokalen Anbieters, behebt aber nicht die Schwäche, auf die Analysten häufig hinweisen. "Ich habe Tieto Enator immer als solide und mit kompetenten Mitarbeitern besetzt wahrgenommen. Das Unternehmen hat aber Probleme, Skaleneffekte zu erzielen, wenn es um internationale Deals geht", bemängelt Pascal Matzke, Consulting Director der Meta Group. Das sehen die heimischen Großanwender ähnlich und entscheiden sich bei umfangreichen Outsourcing-Deals vornehmlich für internationale Konkurrenten wie IBM, Hewlett-Packard und CSC. Laut einer Erhebung des Brancheninformationsdienstes "Computerwire" vergaben skandinavische Unternehmen im letzten Jahr 20 Auslagerungsprojekte mit einem Wert von jeweils mehr als einer Milliarde Euro, nur sechs wurden von lokalen Anbietern gewonnen.

"An den großen Infrastruktur-Deals des letzten Jahres in Skandinavien haben wir uns nur dort beteiligt, wo sie in größerem Umfang vertikales oder Applikations-Know-how umfassten", sagt Lehti dazu. Die letztjährigen großen Auslagerungsprojekte in Skandinavien waren aber Infrastrukturvorhaben: Der Finanzkonzern Nordea, Tieto-Enator-Kunde im Applikationsbetrieb, lagerte für 2,7 Milliarden Dollar an IBM aus. Die Fluggesellschaft SAS vergab einen mit 1,5 Milliarden Dollar dotierten IT-Outsourcing-Vertrag an CSC, und Hewlett-Packard betreibt die IT von Ericsson für eine Milliarde Dollar.

"Die globalen IT-Dienstleister haben die großen skandinavischen Anbieter wie Tieto Enator und WM-Data enorm unter Druck gesetzt", beobachtet Sinz. Mittlerweile hat Tieto Enator laut PAC-Zählung seine Spitzenposition im skandinavischen Software- und Servicemarkt, die es zwischenzeitlich durch die Fusion des finnischen Hauses Tieto mit der schwedischen Anbieter Enator vom schärfsten regionalen Widersacher WM-Data übernommen hatte, an IBM verloren. "Für Tieto Enator stellt sich nicht allein die Frage nach der Position im internationalen Servicegeschäft. Das Unternehmen muss auch eine Antwort auf die Frage finden, wie es mittel- und langfristig die Marktanteile im Heimatmarkt sichern will", kommentiert Sinz ein.

Gekauftes Wachstum

 Tieto Enator ist mit rund 13 000 Mitarbeitern weltweit der größte skandinavische IT-Dienstleister vor dem Konkurrenten WM-Data. Das Unternehmen entstand im April 1999 aus der Fusion der finnischen Tieto Corp Oy mit der schwedischen Enator AB. Im letzten Jahr konnte der Serviceanbieter seine Einnahmen um acht Prozent auf 1,37 Milliarden Euro steigern (davon 1,276 Milliarden Euro in Skandinavien). Der Gewinn verbesserte sich um gut zehn Prozent auf 130 Millionen Euro. Die Ebita-Marge belief sich auf 10,4 Prozent. Organisch wuchs Tieto Enator im letzten Jahr allerdings nicht, das Umsatzplus ist den acht im letzten Jahr übernommenen Firmen zu verdanken. Das Gros der Einnahmen stammt aus den Branchen Banken und Versicherungen, öffentliche Hand und Telekommunikation. In Deutschland beschäftigt Tieto Enator rund 350 Mitarbeiter. Seit Juni 2001 übernahmen die Skandinavier die hiesigen Unternehmen MAS

GmbH, Sykora GmbH, Seals Document Services GmbH sowie die Inveos AG.

Die von Tieto-Enator-Chef Lethi formulierte Strategie sieht vor, sich auf wenige vertikale Märkte zu konzentrieren und diesen hochwertige Dienste anzubieten. "Wir haben uns von einem Anbieter mit horizontalen Massendiensten zu einem Dienstleister mit hochwertigen Branchenlösungen entwickelt", erklärt Lehti. Das Unternehmen wird als global tätiger Nischenanbieter ausgerichtet. So sei man etwa in der Holz- und Papierbranche mit einem weltweiten Marktanteil von 35 Prozent die Nummer eins, und auch in anderen vertikalen Märkten zählt sich Tieto Enator zur Weltspitze.

Die Anwender scheinen mit dem Anbieter zufrieden, die Analysten bescheinigen Tieto Enator gute und stabile Kundenbeziehungen. Doch der Markt ist im Umbruch: "Der Trend bei den Anwendern geht dahin, sich auf wenige hochwertige Beziehungen zu konzentrieren", schildert Matzke. "Die großen Anwender neigen zu internationalen One-Stop-Shops wie IBM, EDS, CSC und HP." Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, bliebe den regionalen Nischenanbietern nur die Rolle des Juniorpartners großer IT-Dienstleister.

Schwächen im SAP-Umfeld

Auch der Best-of-Breed-Ansatz, also Kunden eigene Softwareprodukte für die Kernanwendungen zu offerieren, ist unter den Marktbeobachtern umstritten. "Das ist kein Alleinstellungsmerkmal", wendet Matzke ein. "Accenture bietet mit Alnova und SBS mit Kordoba ähnliche Kernbankensysteme an." Abseits der Bankenszene zeigt Tieto Enator zudem Schwächen in der SAP-Welt. Der Grund ist die starke Verwurzelung des Dienstleisters im Heimatmarkt. Dort dominierten bislang skandinavische Anbieter wie Intentia, IFS, IBS und Microsoft/Navision den ERP-Markt, doch SAP wächst. "Tieto Enator muss sich entscheiden, wie es mit dieser Entwicklung umgeht", sagt PAC-Analystin Sinz. Zumindest für Deutschland haben die Skandinavier eine Antwort gefunden, denn mit Inveos wurde ein SAP-Spezialist für die Banken übernommen.