Bundesurlaubsgesetz

Übertragung oder finanzielle Abgeltung bei Krankheit?

21.12.2009 von Renate Oettinger
Das Bundesarbeitsgericht hat beim Urlaubsanspruch trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit eine 180-Grad-Kehrtwende vollzogen. Dr. Christian Salzbrunn erläutert das Urteil.

Der Autor Dr. Christian Salzbrunn ist Rechtsanwalt in Düsseldorf.

Jeder Arbeitnehmer hat gemäß § 1 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) in jedem Jahr einen gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Nach § 3 BUrlG beträgt dieser Mindesturlaubsanspruch 24 Werktage, d. h. im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche genau 20 Urlaubstage. Da der Zweck des Urlaubs allein in der Erholung liegt, bestimmt der § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG, dass der Urlaub auch im jeweiligen Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss. Lediglich bei dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen kann der Urlaub in das Folgejahr übertragen werden. Er muss in diesem Falle aber bis zum 31.03. des Folgejahres genommen werden, vgl. § 7 Abs. 3 S. 2 und 3 BUrlG (etwas anderes gilt nur dann, wenn Tarifverträge oder individuelle Vereinbarungen längere Übertragungszeiträume vorsehen). Grundsätzlich ist dabei auch keine finanzielle Vergütung des Urlaubsanspruchs vorgesehen. Lediglich für den Fall, dass der Urlaub aufgrund einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann, bestimmt der § 7 Abs. 4 BUrlG, dass er finanziell abzugelten ist.

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Foto: Fotolia, P. Tilly

Das Bundesarbeitsgericht hat die Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes bisher immer dahingehend ausgelegt, dass der Urlaubsanspruch komplett entfällt und damit auch nicht mehr finanziell abzugelten ist, wenn ein Mitarbeiter aufgrund einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums seinen Urlaub nicht antreten kann. Von dieser Rechtsprechung ist das BAG nun in einem aktuellen Urteil vom 24.03.2009 abgerückt und hat dabei sozusagen eine 180-Grad-Kehrtwende vollzogen.

Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Eine Arbeitnehmerin war im Zeitraum von August 2005 bis zum 31.01.2007 als Erzieherin für einen Arbeitgeber tätig. Im Juni 2006 erlitt sie einen Schlaganfall und war anschließend über das Ende des Arbeitsverhältnisses bis zum August 2007 durchgehend arbeitsunfähig. Mit ihrer im Januar 2007 erhobenen Klage verlangte die Arbeitnehmerin die Abgeltung ihrer gesetzlichen Urlaubsansprüche aus den Jahren 2005 und 2006.

Bundesarbeitsgericht folgt Europäischem Gerichtshof

Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung gab das BAG ihrer Klage statt. Damit folgte das BAG wiederum einer Entscheidung des EuGH (Europäischer Gerichtshof) vom 20.01.2009. Denn der EuGH entschied im Januar 2009 nach einem Vorlagebeschluss durch das LAG Düsseldorf (dortiges Az.: 12 Sa 486/06), dass der europarechtlich garantierte Mindesturlaub von 20 Tagen pro Kalenderjahr auch dann nicht verfällt, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen einer andauernden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit daran gehindert ist, seinen Urlaub bis zum Ende des einzelstaatlich normierten Übertragungszeitraums anzutreten. Dabei berief sich der EuGH auf den Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und erklärte die bisherige Auslegung des § 7 BUrlG durch die deutsche Rechtsprechung für gemeinschaftsrechtswidrig (EuGH, Urteil vom 20.01.2009 zu C-350/06 "Schulz-Hoff").

Demzufolge blieb dem BAG nichts anderes übrig, als seine bisherige Rechtsprechung an diese neuen Vorgaben des EuGH anzupassen und die deutschen Regelungen in § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG gemeinschaftsrechtskonform fortzubilden. Das bedeutet, dass künftig Ansprüche auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs selbst dann nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres bzw. des Übertragungszeitraums erkrankt und daher arbeitsunfähig ist. Des Weiteren betonten die Richter des BAG, dass diese neue Rechtslage zumindest seit der Veröffentlichung des Vorabentscheidungsgesuchs des LAG Düsseldorf vom 02.08.2006 gelten solle (BAG, Urteil vom 24.03.2009, Az.: 9 AZR 983/07).

Wichtig ist zunächst, zu erkennen, dass sich diese neue Rechtsprechung erst einmal nur auf die gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche von vier Wochen bezieht, nicht jedoch auf weitergehendere vertragliche oder tarifvertragliche Ansprüche. Gleichwohl dürften auch so schon die wirtschaftlichen Folgen für Arbeitgeber erheblich sein. Da die gesetzlichen Urlaubsansprüche (dauerhaft) erkrankter Arbeitnehmer nun nicht mehr nach dem Ende des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraumes verfallen, sondern bestehen bleiben, werden auch in den Bilanzen künftig hierfür entsprechende Rückstellungen gebildet werden müssen. Diese können durch die immer weiter auflaufenden Urlaubs(abgeltungs)ansprüche auch nicht unerhebliche Beträge erreichen. Daher werden wohl viele Arbeitgeber zukünftig über den Umgang mit dauerhaft erkrankten Arbeitnehmern intensiver nachdenken und gegebenenfalls früher von den Möglichkeiten zur krankheitsbedingten Kündigung Gebrauch machen. Insoweit bleibt spannend, ob das BAG im Gegenzug auch die bisher sehr hohen Hürden für eine krankheitsbedingte Kündigung hieran anpasst. (oe)

Der Autor Dr. Christian Salzbrunn ist Rechtsanwalt in Düsseldorf.

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