Ohne Mindset keine Digital Disruption

Vertrauen statt Autorität

07.09.2017 von Ralf Gräßler
Mit der disruptiven Kraft der Digitalisierung allein ist es nicht getan. Wollen Unternehmen erfolgreich neue Geschäftsmodelle entwickeln, müssen sie nicht nur die Führungsstruktur überdenken, sondern auch die Innovationskraft aktivieren, die Mitarbeiter und Netzwerke bieten. Dafür gibt es klare Prinzipien. Welche, lesen Sie hier.
  • Disruption ist keine Erfindung der Digitalisierung.
  • Der CDO kann die Neuausrichtungen des Business nicht im Alleingang meistern.
  • Unternehmen müssen sich fragen, ob sie mit Command & Control noch zeitgemäß aufgestellt sind.

Neue Geschäftsmodelle bedrohen das Business ständig aufs Neue. Amazon wird in diesem Zusammenhang immer wieder genannt oder das krisengeschüttelte Uber. Aber da sind auch viele kleine und mittelständische Unternehmen, die gerade jetzt vielleicht eine digitale Idee umsetzen, die genau Ihr Geschäft bedroht.

Wenn Unternehmen die Disruption als permanenten Prozess aufsetzen wollen, müssen sie einen Wandel des Mindsets sowohl bei Führungskräften als auch bei den Mitarbeitern herbeiführen.
Foto: Marta Design - shutterstock.com

Viele Startups haben nichts anderes im Sinn, als die Vorteile neuer Technologie mit neuen Geschäftsideen zu verbinden. Damit nehmen sie mehr oder weniger so nebenbei tradierten Unternehmen die Butter vom Brot. In der Fachsprache nennt man das Digital Disruption, also Innovationen, die existierende Techniken, Produkte oder Services komplett verdrängen. Nichts ist mehr so wie vorher. Dabei ist die Disruption keine Erfindung der Digitalisierung. Der Verfall von Technologien ist nicht erst in diesem Jahrhundert zur Grundlage für die Entstehung neuer Geschäftsmodelle geworden - heutzutage geht er nur schneller vonstatten. Während zwischen dem ersten Telegramm im Jahr 1933 bis zur Erfindung des Telefax 1979 noch 46 Jahre vergingen, kamen E-Mail, SMS und Messenger-Diensten immer schneller.

Disruption vorausschauend zu erkennen, ist daher eigentlich eine Selbstverständlichkeit für jeden Unternehmer. Es gilt, das eigene Geschäftsmodell immer wieder auf den Prüfstand zu stellen und anzupassen. Leider ist es nicht immer, aber immer öfter so, dass Anpassung allein nicht ausreicht. Wollen Unternehmen ihr langfristiges Überleben sichern, müssen sie bereit sein, mit Traditionen und Kompetenzen zu brechen und neu anzufangen unter dem Motto: "Disrupt your own business". Wie Phönix aus der Asche entsteht dann aus der Zerstörung das neue Geschäftsmodell - gegebenenfalls immer wieder.

Dass die Digitalisierung die Wirtschaft einschneidend verändert, zeigt der Blick auf die wertvollsten Unternehmen der Welt.
Foto: PwC

Der CDO kann nicht alles stemmen

Klar ist, dass in heutigen VUKA-Zeiten (Volatilität, Unsicherheit, Komplexität, Ambiguität) elementare Neuausrichtungen des Business und der daran hängenden neuen Organisationsformen nicht an den Chief Digital Officer (CDO) oder andere, einzelne Personen delegiert werden können. Die Kompetenz und Innovationskraft sind bei den Menschen und in Netzwerken zu aktivieren, sowohl unternehmensintern als auch extern. Wer Disruption als permanenten Prozess aufsetzen will, braucht einen Wandel des Mindsets. Allerdings ist aktuell ein sehr massives Beharrungsvermögen der hierarchisch geprägten, alten Strukturen festzustellen. Ein Wandel kann aber nur gelingen, wenn genügend "Follower" für eine ausreichende Transformationsenergie sorgen. Hier haben Unternehmen zwei Ansatzpunkte:

• "digital" orientierte Mitarbeiter beziehungsweise Partner,

• Organisations- und Personalentwicklung.

Einen neuen Mitarbeitertyp erwecken

Diese zwei Ansatzpunkte spielen zusammen, entdecken, entwickeln und "erwecken" Mitarbeiter mit neuer Denkweise und Lust, Verantwortung zu übernehmen. Der unternehmerische Erfolg im New Business ist eng mit der Fähigkeit des modernen Mitarbeitertyps verknüpft, frisches Wissen zu adaptieren oder sogar zu generieren, es für alle zugänglich zu machen und anzuwenden. Soll heißen: Jeden Tag Innovation leben. Es wäre so, als würden Sie sich jeden Morgen beim Kaffeekochen fragen, ob es nicht auch anders geht, schneller, besser, mit anderen Zutaten, einer anderen Methode.

Wer diesen Weg (nicht nur beim Kaffeekochen) verfolgen will, benötigt neue Kompetenzen und neue Formen der Zusammenarbeit, nämlich vernetzt und agil. Die "Smartness" des Einzelnen reicht nicht. Gebraucht werden Menschen, die aktiv mit Vernetzung und sich dynamisch ändernden Bedingungen umgehen können und wollen. Und: Die außerdem kreativ sind und eigenverantwortlich handeln. Die Personalentwicklung in Unternehmen konzentriert sich zwangsläufig auf diese Wissensarbeiter. Einerseits, weil die Entwicklung der neuen Geschäftsmodelle genau diesen Typus benötigt, andererseits, weil durch die fortschreitende Automatisierung vermutlich die Mehrzahl der Jobs mit Routinetätigkeiten wegrationalisiert werden, auch wenn in diesem Punkt die Meinungen auseinandergehen.

Selbstdenker sind gefragt

Ein weiterer Impuls zu "New People" entspringt einem generationenübergreifenden Sinneswandel, der erheblichen Einfluss auf die Qualität der Arbeitswelt hat. Viele Menschen streben verstärkt nach Unabhängigkeit, Ausgleich zwischen Familie und Karriere sowie nach Sinnhaftigkeit. Eigentlich ist es eine Win-Win-Situation: Aus der durch Disruption getriebenen Veränderung entsteht der Freiraum, in dem der oben beschriebene Mitarbeitertyp agieren kann.

Angstfrei im Job: Chefs
1. Behandeln Sie Ihre Mitarbeiter ...
... freundlich - unabhängig von der Tagesform.
2. Respektieren Sie Ihre Mitarbeiter ...
... als Menschen mit eigenen Zielen und Wünschen, die Beruf und Privatleben in Einklang bringen müssen.
3. Kontrollieren Sie nur da, wo Kontrolle nötig ist.
Lassen Sie Verantwortung und Kompetenz beim Mitarbeiter.
4. "Deckeln" Sie Ihre Mitarbeiter nicht!
Seien Sie offen für konstruktive Kritik und schaffen Sie ein Forum für den fairen Meinungsaustausch.
5. Lassen Sie Ihre Mitarbeiter wissen, woran sie sind.
Informieren Sie offen über die Lage des Unternehmens und im Einzelgespräch auch, wie Sie die Leistung des Einzelnen einschätzen.
6. Ein guter Chef ist ein gerechter Chef.
Verteilen Sie Aufgaben, Lob und Kritik gemäß nachvollziehbarer Maßstäbe.
7. Führen Sie Protokoll ...
... über Ihre Entscheidungen und Arbeitsaufträge. Nur konsistente Entscheidungen schaffen eine gute Grundlage für die Zusammenarbeit.
8. Stören Sie Ihre Mitarbeiter nicht!
Sie haben Ihre Mitarbeiter ausgewählt, weil diese Experten für ihren jeweiligen Aufgabenbereich sind. Lassen Sie die Experten ihre Arbeit tun und beschränken Sie sich auf Unterstützung und Beratung.
9. Sorgen Sie für eine angstfreie Atmosphäre, . . .
... in der die Mitarbeiter Fehler und Probleme eingestehen können, ohne Angst vor Strafe zu haben.
10. Bleiben Sie menschlich!
Wer als Chef die Größe hat, einen beruflichen Fehler zuzugeben, wächst in der Achtung der Mitarbeiter und ist zugleich Vorbild.

Genau die "Selbstdenker", die in hierarchischen Unternehmen oft verzweifeln, sind jetzt gefragt und müssen gesucht und gefördert werden. Sie brauchen ein Arbeitsumfeld, in dem sie ihre Ressourcen ausschöpfen und ihre Potenziale einbringen können und wollen. Hier müssen sich viele Unternehmen selbstkritisch fragen, ob sie mit Hierarchie, Führung à la Command & Control und einem Menschenbild, in dem der Mitarbeiter "Ressource" oder "optimierbares Talent" ist, noch zeitgemäß aufgestellt sind. Es ist Zeit für eine neue Form der Führung, weg vom Management und hin zu Leadership. Gebraucht werden Führungskräfte, die Vertrauen haben und Vertrauen erzeugen, und "Vorweggeher", die eine Vision und einen Plan haben, die Risiken eingehen, um Chancen zu nutzen.

Prinzipien für die neue Arbeitswelt

Ein neues Mindset erreichen Sie nicht, indem Sie Kicker aufstellen, Kaffeetheken anbieten und Feel-Good-Manager einstellen. Es gibt allerdings folgende Prinzipien, die zu erkennen helfen, was Unternehmen anders machen können:

• Netzwerk statt Hierarchie,

• offene Kommunikation und Transparenz statt Closed-Shop-Entscheidungen,

• Ergebnisse statt Anwesenheit,

• kompetenzbasierte Entscheidungen statt Top-down,

• Haltung statt Skills,

• "Fail often and fast" statt "Wer ist schuld?",

• Vertrauen statt Autorität.

Diese Prinzipien eint die dahinterstehende Einstellung: Der Mensch ist nicht Risikofaktor, er ist Erfolgsfaktor. Und seine Innovationskraft "verschenkt" er gerne und freigiebig, wenn man ihn lässt. Tut man das nicht, wird kein Command & Control es schaffen, sein Potenzial zu heben. Unternehmen, die "New Work" als Change-Projekt aufsetzen oder als Organigramm implementieren, werden daher zwangsläufig scheitern, weil sie die Menschen nicht mitnehmen. Letztlich ist jedes Unternehmen und jeder Manager aufgefordert, seinen Zugang zum New Business zu finden. Trial and Error ist dabei deutlich besser als totstellen. Denn das wiederum ist toll an der disruptiven Kraft der Digitalisierung: Das neue Geschäftsmodell lauert hinter der nächsten Ecke, und wer scheitert erfindet sich neu.