Strategie und Methodik für Big Data gesucht

Vertrieb und Marketing fehlen Ideen für Analytics

20.12.2016 von Sascha Alexander
Das Potenzial von Big Data und Advanced Analytics wird heute von den meisten Unternehmen nicht mehr in Frage gestellt. Doch hapert es oft noch an der operativen Umsetzung entsprechender Anwendungen, auch weil Use Cases vorab nicht systematisch erarbeitet und priorisiert wurden.

Da in der öffentlichen Diskussion mittlerweile nur noch von Digitalisierung, IoT und Industrie 4.0 die Rede ist, könnte man denken, dass das Interesse an Big Data abgeklungen ist. Doch dies ist aus mindestens zwei Gründen nicht der Fall: die digitale Transformation, neue digitale Services und Geschäftsmodelle basieren auf Daten(strömen), deren Erfassung, Analyse und Operationalisierung überhaupt erst neue Angebote möglich machen. Zum anderen zeigen Umfragen und viele Projekte im Bereich der Business Intelligence und des Datenmanagements, dass sich die große Mehrheit der Unternehmen aktuell mit Big Data beschäftigt und den möglichen Nutzen zumindest an ausgewählten Prozessen und in Pilotprojekten erkunden möchte.

So ergab kürzlich eine gemeinsame Umfrage der QUNIS GmbH, der Controller Akademie und der Aquma GmbH zu "Big Data und Advanced Analytics in der Praxis", dass über 80 Prozent der Unternehmen Big Data für "wichtig" bis "sehr wichtig" halten. Ebenso viele haben erste Erfahrungen gesammelt oder wollen diese in den kommenden zwei Jahren sammeln. Befragt wurden rund 100 mittelständische und Großunternehmen aus dem deutschsprachigen Raum (Die Studie ist kostenfrei auf Anfrage bei QUNIS erhältlich).

Mehr als 80 Prozent der Unternehmen halten Big Data für wichtig oder sehr wichtig.
Foto: Ton Snoei - shutterstock.com

Gute Ideen für Big Data gesucht

Allerdings zeigte die Umfrage, dass bislang nur vergleichsweise wenige Unternehmen ihr Big-Data-Initiativen in den produktiven Betrieb überführt haben. Neben häufig auch in vergleichbaren Untersuchungen zitierten Gründen wie mangelndes Know-how, technische Einstiegshürden, Datenschutzfragen, fehlende Ressourcen, keine oder kleine Budgets oder kein Rückhalt im Management, erleben wir oft in der Projektpraxis, dass es Organisationen schlicht an guten Ideen und Strategien fehlt, wie sie Big Data nutzbringend einsetzen können. Durch eine explorative und kreative Analyse von Big Data innovative Angebote zu schaffen, ist ein Prozess, der neben einem breiten IT- und Fachwissen unternehmensrelevante und letztlich in den produktiven Betrieb überführbare "Use cases" benötigt. Hinzu kommt eine Unternehmenskultur, die eine Beschäftigung mit Big Data - häufig parallel zum IT-Betrieb - zulässt und fördert, selbst dann, wenn Versuche scheitern oder die Analyseergebnisse mager ausfallen. Und natürlich muss das Management zu diesen Vorhaben stehen, um deren Finanzierung und Etablierung nicht in Gefahr zu bringen.

Die klassischen Unternehmensbereiche für Business Intelligence wie Finance, Vertrieb und Marketing stehen auch bei der Big-Data-Diskussion aktuell im Mittelpunkt des Anwenderinteresses. Zugleich belegt aber die breite Verteilung der Anwendungsfelder, dass die Nutzung von Big Data überall in der Organisation von Nutzen sein kann.
Foto: Qunis GmbH

Bei aller Freiheit und allen Besonderheiten, die man derzeit der Analyse von Big Data zuerkennt, werden die wirtschaftlichen Zwänge eine engere Abstimmung und klare Ziele solcher Initiativen unumgänglich machen. Es muss hierfür gelingen, die Nutzung von Big Data und Advanced Analytics auch strategisch zu positionieren, als wichtige Treiber oder gar "Enabler" der digitalen Transformation des Unternehmens, die zu neuen Angeboten und Geschäftsmodellen führen. In manchen Branchen gelingt dies bereits mit neuen Angeboten beispielsweise für Predictive Maintenance.

Kundenanalyse mit Big Data und Advanced Analytics

Großes Interesse an Big Data und Advanced Analytics findet sich auch hier vergleichbar zur Nutzung von Business Intelligence im Vertrieb und Marketing. Diese Fachbereiche sind traditionell besonders an einer Produkt- und Kundenanalyse interessiert, um Kunden zu halten oder neu zu gewinnen. Ebenso spielen beispielsweise Aktivitäten wie ein besseres Monitoring und die Analyse von Vertriebsaktivtäten, Wettbewerbsanalysen, die Preisgestaltung oder die Identifikation von Cross- und Upselling-Möglichkeiten eine große Rolle. Kann beispielsweise ein Einzelhändler durch eine Sentiment-Analyse (Stimmungsanalyse) in sozialen Netzwerken frühzeitig erkennen, dass es Probleme mit den eigenen Produkten gibt, kann er gegensteuern und so Umsatzeinbußen und einen Imageschaden vermeiden helfen. Integrierte und schnelle Reaktionen und Prozesse sind hier von besonderer Bedeutung.

Auf der nächsten Seite lesen Sie Beispiele aus dem Bereich Vertrieb und Marketing, die zeigen, wie vielfältig die Nutzung von Big Data und Advanced Analytics heute bereits aussieht.

PayPal - Kunden besser verstehen und binden - Service optimieren durch Text Analytics

PayPal hat über 143 Millionen aktive Kunden und wickelt täglich über 8 Millionen Zahlungen ab. Zahlreiche Kunden äußern sich über Kundenumfragen, E-Mail, Feedback-Formulare im Web oder Twitter zu den Dienstleistungen von PayPal, unter anderem darüber, welche technischen Probleme sie haben, was sie mögen, was sie stört und wie man den Service verbessern könnte. Wegen der enorm großen Menge an Feedback wäre es sehr zeit- und kostenaufwändig, alles textuelle Feedback einzeln zu lesen und zu berücksichtigen. Die automatisierte Analyse des Kundenfeedbacks aus über 60 Ländern und in über 30 Sprachen ermöglicht es PayPal nun, wichtige Probleme und Themen sowie ihre Häufigkeit und Kritikalität automatisch und fast in Echtzeit zu erkennen, zu priorisieren und zu beheben.

ProSiebenSat.1 - Fakten mit Big Data: Was bringen TV-Spots für E-Commerce?

Die ProSiebenSat.1 Media AG vermarktet einerseits klassische TV-Werbezeiten und beteiligt sich andererseits an zahlreichen E-Commerce-Unternehmen. Im Rahmen der Beteiligung stellt ProSieben-Sat.1 u. a. Werbezeiten für die Bewerbung der E-Commerce-Angebote zur Verfügung. Es ist daher von hohem Interesse für ProSiebenSat.1, systematisch ermitteln zu können, welchen konkreten Beitrag die TV-Werbung zur Wertschöpfung des beworbenen E-Commerce-Unternehmens leistet. Wie viele Visitors besuchen genau deshalb die E-Commerce-Website, weil sie die TV-Werbung gesehen haben? Und welchen Umsatz bringen diese Visitors, die nachweislich ursächlich wegen der TV-Werbung auf die Website gekommen sind, in einem bestimmten Zeitraum? Durch den Big Data-Ansatz konnte ein Verfahren entwickelt werden, um den TV-Einfluss auf den Website-Traffic zu messen.

Supermarktkette Target - Kaufverhalten von Schwangeren analysiert

Eine Schwangerschaft ist heutzutage eine digitale Angelegenheit. Das wurde vor zwei Jahren deutlich, als eine US-Supermarktkette per Datenanalyse die Schwangerschaft einer Minderjährigen aus Minnesota erkannte, noch bevor es ihr eigener Vater tat. Die Datenanalysten der Target-Märkte haben damals den Schwangerschafts-Vorhersage-Wert erfunden. Das war möglich, weil jeder Target-Kunde eine Identifikationsnummer verpasst bekommt, die mit seinen Kreditkartendaten, seinem Namen oder seiner E-Mail-Adresse verknüpft ist. So kann Target nachverfolgen, was seine Kunden kaufen und das mit Daten aus anderen Quellen ergänzen. Die Analyse ergab unter anderem, dass Schwangere ab einem bestimmten Zeitpunkt vermehrt unparfümierte Lotionen kaufen. Target kann aus dem veränderten Konsumverhalten sogar schließen, wann ungefähr die Geburt ansteht - und diese Informationen für zielgerichtete Werbung nutzen. Werdende Eltern brauchen viele Dinge, die sie vorher nicht brauchten und sind dementsprechend wertvolle Kunden.

Deutscher Autohersteller - Indoor Analytics in Einzelhandels- und Showroom-Umgebungen

Mit Zustimmung der Kunden können über die Positionsbestimmungen der mobilen Endgeräte anonyme, automatisierte, regelmäßige Analysen über die Besuchshäufigkeit, die Verweildauer und die Laufwege erstellt werden. Laufwege und Aufenthaltsdauer von Besuchern werden in Echtzeit erfasst und anonymisiert. Die gewonnenen Daten werden in aggregierter Form über verschiedene Zeitintervalle verglichen. Die Lösung nutzt dazu unter anderem die WLAN-Signale, die die Smartphones der Kunden in regelmäßigen Abständen aussenden. Die so gewonnenen Daten werden vom System aufbereitet, analysiert, in einem Dashboard beispielsweise durch Heatmaps visualisiert oder als Report ausgeliefert. Zudem können auch Daten aus unterschiedlichen Filialen verglichen werden.

Diese und viele andere Beispiele zeigen, dass es heute keine Frage mehr ist, ob Big Data einen Mehrwert bringen kann, sondern wie und wo man beginnt. Neben Orientierungsworkshops, in denen Anforderungen und Use Cases identifiziert und priorisiert werden, müssen wie in jedem strategischen Vorhaben Fachbereiche, IT und Management organisatorisch zusammenfinden. Technisch wird letztlich eine Diskussion über eine Big Data unterstützende Datenarchitektur sowie die Nutzung solcher Daten und Analysen im Rahmen einer vorhandenen BI- oder neu zu definierenden Big-Data-Strategie unumgänglich sein. Für den Anfang ist es meist effizient und günstiger, wenn man erste Teststellungen über Cloud Services wie beispielsweise "Microsoft Azure" aufsetzt, statt intern eine separate IT-Umgebung aufzubauen. Bleibt noch das bislang vielerorts ungelöste Problem der Ressourcen. Ein "Data Scientist" wird sich nur selten finden - und dann noch bezahlen lassen. Der richtige Mix aus internen Experten aus IT und Fachbereich, ergänzt durch externe Hilfe, scheint hier erfolgversprechender. Wie hoch die organisatorischen und technischen Hürden letztlich wirklich sind, können Unternehmen nur für sich klären, wenn sie Big-Data-Vorhaben wie skizziert strukturiert und taktisch klug angehen.

Big Data in der Automobilbranche
Big Data Status in der Automobilbranche
Für 94 Prozent der Befragten ist Big Data & Analytics im Unternehmen bereits relevant.
Anwendungsfelder
Die Unternehmen haben Big Data & Analytics wahrgenommen und sehen es größtenteils als ein „must have“ in der Automobilindustrie.
Datenaustausch
Im Moment fehlt es an einem bereichsübergreifenden und geregelten Datenaustausch entlang der automobilen Wertschöpfungskette.
Technische Voraussetzungen
Laut der Mehrheit der Befragten sind die technischen Voraussetzungen für Big Data & Analytics ansatzweise gegeben.
Stellenwert Datenaustausch
Für den effizienten Nutzen von Big Data & Analytics muss ein geregelter Datenaustausch über alle Bereiche hinweg stattfinden.
Budget für Big Data
Die Investitionen für Big Data & Analytics werden in den kommenden Jahren deutlich steigen.
Big Data Potenziale
Ohne die entsprechende Verknüpfung der Bereiche kann das Potenzial von Big Data & Analytics nicht ausreichend ausgeschöpft werden.
Kundendaten aus dem Web
Big Data & Analytics spielt eine immer stärker werdende Rolle bei der Generierung und Auswertung von Kundendaten aus dem Web.
Big Data in der Produktion
Im Bereich der digitalen Produktion sind noch viele Big-Data- und Analytics-Potenziale ungenutzt.
Die größten Herausforderungen