Audi, Škoda und Seat ziehen nach

Volkswagen baut die IT um

09.11.2020 von Jens Dose und Wolfgang Herrmann
Mehr Eigenleistung und eine engere Verzahnung mit den Fachbereichen: Der Umbau der Konzern-IT betrifft auch die Volkswagen-Töchter Audi, Škoda und Seat.

"Als ich vor 30 Jahren bei VW angefangen habe, teilten sich zwei Mitarbeiter ein Festnetztelefon," erinnert sich Beate Hofer, kommissarische Group CIO der Volkswagen-Gruppe seit dem Weggang von Martin Hofmann im April 2020. In der Corona-Pandemie wurde deutlich, wie sehr sich die Konzern-IT seitdem verändert hat. Binnen weniger Wochen brachte Volkswagen etwa 670.000 Mitarbeiter der zwölf Konzernmarken an weltweit 125 Produktionsstandorten ins Home-Office. Dabei habe es sich ausgezahlt, dass VW frühzeitig in Notfallpläne für Pandemie-Szenarien investiert hatte, berichtete die IT-Chefin auf dem digitalen automotiveIT-Kongress in Berlin: "Technisch haben wir es geschafft", resümiert sie. "Wie sich das kulturell im Unternehmen weiterentwickelt, sehen wir noch."

"Eine Strategie ist immer nur so gut wie die Kultur, in der sie aufgeht,“ sagt Beate Hofer, kommissarische Volkswagen-CIO.
Foto: Volkswagen

Unternehmenskultur spielt für die Managerin auch abseits der Corona-Situation eine wichtige Rolle, denn "eine Strategie ist immer nur so gut wie die Kultur, in der sie aufgeht." Hofer hat sich viel vorgenommen. Die 12.000 Mitarbeiter starke Group-IT soll Gestalterin des Wandels von Volkswagen hin zu einem digitalen Unternehmen werden. Dazu setzt die Diplom-Kauffrau auf eine Plattformstrategie, die von drei Säulen getragen wird: Sie will die IT-Lieferkette neu ausrichten, technische Kompetenzen bündeln und die IT-Landschaft so aufstellen, dass sie markenübergreifend agieren kann.

Das Supply-Chain-Modell rund um die IT-Delivery sieht künftig so aus: Die Geschäftseinheiten melden ihre Anforderungen an die Group-IT. Diese erbringt zentrale Leistungen und baut das markenübergreifende Angebotsportfolio weiter aus. So will Hofer Insellösungen vermeiden, Ressourcen effizient einsetzen und die Lieferfähigkeit der IT sicherstellen.

Ziel der Strategie ist es, IT-Produkte aus einzelnen Bereichen wie Finanzen, Beschaffung, Vertrieb und Produktion auf einer einzigen digitalen Plattform zu bündeln. Dort sollen Prozesse und Daten über alle Geschäftsbereiche hinweg durchgängig verarbeitet werden können. Für Standardprozesse nutzt die IT Standardsoftware, wettbewerbsdifferenzierende Systeme entwickelt sie selbst. Dafür nutzt Volkswagen zum einen seine Software Development Center, zum anderen auch sogenannte IT-Labs, in denen Mitarbeiter sich mit Zukunftstechnologien beschäftigen.

In seiner IT-Plattformstrategie legt Volkswagen großen Wert auf Self Services: Neuentwicklungen sollen den Geschäftsbereichen auf diese Weise bereitgestellt werden. Daten aus den einzelnen Anwendungen konsolidiert der Autobauer in logisch zusammengehörigen Pools, um sie auswerten und daraus neue Prozesse und Geschäftsmodelle entwickeln zu können. Dazu will Hofer Standard- und Individualsoftware über einheitliche Schnittstellen verbinden, unabhängig davon, ob die Systeme aus dem eigenen Haus oder von externen Partnern stammen.

Um sicherzustellen, dass alle IT-Produkte die Unternehmensstrategie unterstützen, setzt der Wolfsburger Konzern auf eine umfassende IT-Governance. Sie soll Konzernprozesse aufeinander abstimmen und Lücken schließen. Für den angestrebten Kulturwandel hat Volkswagen in einem IT-Manifest Werte für die Zusammenarbeit in der Konzern-IT formuliert. Dabei geht es insbesondere um Kundenorientierung, Teamspirit und strategisches Denken.

IT-Transformation bei Audi

Neben dem Volkswagen-Konzern selbst sind auch die Tochtergesellschaften Audi, Škoda und Seat dabei, ihre IT neu aufzustellen. Schon seit 2018 verfolgt Audi sein Transformationsprogramm NEXT:IT. Der Ingolstädter Automobilbauer will damit unter anderem Redundanzen in der IT abbauen und Synergien besser ausschöpfen, wie CIO Frank Loydl berichtete. Eine Analyse hatte ergeben, dass einige IT-Systeme kaum oder gar nicht genutzt wurden, die Komplexität der IT galt insgesamt als zu hoch.

Audi-CIO Frank Loydl: "Die IT muss wieder mehr selbst machen."
Foto: Audi AG

Ein grundlegendes Problem für den IT-Chef war die "extreme Abhängigkeit" von externen Anbietern. "Die IT muss wieder mehr selbst machen", gibt er die Marschrichtung vor. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen der Digitalisierung gelte es, die Eigenleistung zu stärken. Auf mittlere Sicht soll sich die Audi-IT als Treiber des kulturellen Wandels im Unternehmen etablieren.

Zu den zentralen Elementen der Strategie gehört laut dem CIO die IT-Bebauung mit einem veränderten Portfolio-Management, eine agile Projektsteuerung ("Delivery Management") und der Bereich der Leistungserbringung ("Supply"). Loydl: "Wir wollten weg von der klassischen Bereichsorientierung und hin zu einer ablauforientierten Organisation." Damit verbunden waren weitreichende Veränderungen auf verschiedenen Ebenen.

Für das Thema IT-Bebauung etwa richtete Audi einen Steuerkreis auf Vorstandsebene ein, der monatlich tagt. Neben dem IT-Vorstand sitzen darin auch Verantwortliche der Fachbereiche. Um eine agile Projektsteuerung zu ermöglichen, gründeten die Bayern unter anderem ein "Agile Center". Mitarbeiter berichten jetzt in 30-sekundigen "Stand-ups" über laufende IT-Projekte. Mit einem eigenen Softwareentwicklungszentrum am Hauptsitz in Ingolstadt will der Hersteller die Eigenleistung der IT erhöhen und digitales Wissen aufbauen.

Audi und der Corona Impact

Der Ausbruch der Covid-19-Pandemie bremste die IT-Transformation zunächst. Loydl spricht vom "Corona Impact", den er in drei Phasen unterteilt: Ab März konzentrierte sich die IT vor allem darauf, die Remote-Arbeitsfähigkeit sicherzustellen und "den Laden am Laufen zu halten." Die IT-Organisation habe in dieser Zeit an Reputation gewonnen.

Die zweite Phase, die etwa im Juni begann, war bereits durch das "New Normal" geprägt, so Loydl: "Neue Arbeitsweisen schliffen sich ein und Transformationsthemen nahmen weiter Fahrt auf." In der dritten Phase, die nach dem Sommer begann, zeichneten sich erste Hürden ab. Nicht alle Teams kamen gleich gut mit den neuen Arbeitsweisen zurecht, berichtet der CIO. In einigen Fällen habe man einen "Rückfall in alte Verhaltensmuster" erlebt. Mehrmals mussten Loydl und sein Team nachjustieren.

Die IT-Strategie von Škoda

Von gravierenden Auswirkungen der Corona-Pandemie berichtete auch Klaus Blüm, CIO der tschechischen Volkswagen-Tochter Škoda. Zwar seien die Verkaufszahlen bis dato gar nicht so schlecht ausgefallen, so der Manager. Doch man habe große Probleme gehabt, genügend gesunde Mitarbeiter für den Schichtbetrieb in der Fertigung zu organisieren. Blüm: "Nach dem Corona-Ausbruch im Frühjahr haben wir in Windeseile auf Home-Office umgestellt, danach ging die Kurve nach unten. Inzwischen aber sind wir schon fast wieder auf dem Niveau vom April."

"Wir brauchen intelligentere und smartere digitale Kunden-Touchpoints", fordert Škoda-CIO Klaus Blüm.
Foto: Škoda

Dessen ungeachtet verfolgt er seine IT-Strategie weiter, die sich in wesentlichen Teilen an der Volkswagen-Konzernstrategie orientiert. Er hat dafür vier übergreifende Ziele formuliert: Exceptional User Experience, Operational Excellence, Enthusiastic Team sowie Smart and Efficent Workplace. In Sachen User Experience geht es dem CIO insbesondere um digitale Kundenschnittstellen, mit denen sich Škoda-Fahrzeuge künftig stärker von anderen Modellen im Volkswagen-Markenverbund unterscheiden sollen. "Wir brauchen intelligentere und smartere digitale Kunden-Touchpoints als andere Hersteller", sagt Blüm.

Im Bereich Operational Excellence stehen Effizienz- und Kostenmaßnahmen im Vordergrund. Škoda-Automobile basierten zu zwei Dritteln auf der VW-Konzernplattform. Der Spielraum für Kosteneinsparungen sei deshalb begrenzt. Umso mehr gelte es, die Vorteile der Digitalisierung zu nutzen. Mit einem eigenen Supercomputer simulieren die Tschechen beispielsweise Crashtests. Im Vergleich zu physischen Tests fällt dafür laut Blüm nur ein Zehntel der Kosten an.

Erfolgsentscheidend seien in Zukunft mehr denn je die Mitarbeiter. "Wir wollen die Besten", sagt der CIO. Angesichts einer Arbeitslosenquote von nur zwei Prozent in Tschechien sei das keine leichte Aufgabe. Einfacher umzusetzen ist das vierte Ziel. Škoda-Beschäftigte sollen künftig eine Workplace-Umgebung nutzen können, die ortsunabhängiges Arbeiten auf jedem Gerät und jeder Plattform ermöglicht. Die Erfahrungen aus der ersten Corona-Welle helfen dem Autobauer dabei.

SEAT: Digitalisierung in zwei Dimensionen

Eine ähnliche Strategie wie die Konzernkollegen von Audi und Škoda verfolgt SEAT-CIO Sebastian Grams. "Wir brauchen ein strategisches Portfolio für die unternehmensweite Digitalisierung", beschreibt er die Herausforderungen für die IT. Dazu müsse man die hohe Abhängigkeit von externen Anbietern verringern und mehr technisches Know-how aufbauen.

Produkte und Services müssten künftig schneller ausgeliefert werden. Aufgabe der IT sei es, neue Geschäftsmodelle durch Digitalisierung zu ermöglichen. Dazu hat SEAT ein "Digitalization Framework" entwickelt. In Form eines digitalen Kompass mit den zwei Dimensionen "Optimizing Supply Chain" und "New Business Models" soll das Konstrukt helfen, "Digitalisierung sichtbar und erlebbar" zu machen.

SEAT-CIO Sebastian Grams: "Wir brauchen ein strategisches Portfolio für die unternehmensweite Digitalisierung."
Foto: SEAT, S.A.

"Back to Tech" nennt der CIO sein Vorhaben, wieder mehr Software von eigenen Mitarbeitern erstellen zu lassen. Ebenso wie die Konzernschwester Audi hat auch SEAT ein eigenes Softwareentwicklungszentrum (SEAT:CODE) gegründet. Dort arbeiten mittlerweile rund 150 Entwickler. 30 Prozent der digitalen Produkte entwickle man inzwischen intern, berichtet Grams. Auch die Orientierung an agilen Methoden ähnelt anderen Initiativen im Volkswagen-Konzern. "Wir entwickeln heute zu 50 Prozent agil", sagt der IT-Chef. 100 Prozent seien angesichts der sehr heterogenen Aufgaben gar nicht nötig.

Erste Ergebnisse des Transformationsprogramms können sich sehen lassen. So habe sich etwa die Zeitspanne, in der ein Softwareprodukt marktreif wird (time to market) um 35 Prozent verkürzt, die Verfügbarkeit der IT-Systeme sei auf 99,98 Prozent gestiegen. "Acht von zehn unserer internen Kunden sind zufrieden und würden wiederkommen", freut sich der CIO. Last, but not least habe sich auch die Zufriedenheit der IT-Mitarbeiter verbessert.