Die Digitalstrategie der MEWA

Voll Stoff zum digitalen Player

03.09.2020 von Manfred Bremmer
Als Reaktion auf die veränderten Anforderungen von Markt und Kunden legte der Textil-Service-Anbieter MEWA ein mehrstufiges Transformationsprogramm auf.
Statt einzig auf 112 Jahre Erfahrung mit Berufskleidung zu setzen, schlägt MEWA mit seiner Digitalisierungsstrategie neue Wege ein.
Foto: MEWA Textil-Service

Mieten statt kaufen, teilen statt besitzen: Was heute besonders hip und nach New Economy klingt, hat MEWA schon lange in Form eines Geschäftsmodell für Textil-Management etabliert. Das Familienunternehmen stellt seit der Gründung im Jahr 1908 Betriebstextilien als Full-Service-Dienstleistung zur Verfügung und gilt damit als Pionier des Textil-Sharing. Im Wesentlichen geht es dabei um den Kreislauf von Vermieten, Waschen und Verteilen von Industrieputztüchern und Berufsbekleidung in großen Mengen an Handwerksbetriebe und Industrie.

Vor einigen Jahren musste der Finalist des diesjährigen DIGITAL LEADER AWARD - dem deutschen Award für Digital Leadership - allerdings feststellen, dass sich sein Geschäftsfeld durch die Digitalisierung zunehmend von einem Verkäufer- zu einem Käufermarkt wandelt: Die Kunden wünschen mehr Transparenz, Self-Service, moderne Kommunikation und Technologie-Einsatz.

Im Detail bedeutet dies, dass Preis- und Produktqualität nicht mehr die einzigen Differenziatoren sind. Die Kunden verlangen vielmehr in Ausschreibungen explizit den Einsatz neuer Technologien, um ihre eigenen Prozesse im Textil-Management schlank zu halten und eine Vergleichbarkeit der Anbieter zu bekommen.

Als Reaktion auf diesen Wandel schuf MEWA im Sommer 2017 eine eigene Abteilung, um die Digitale Transformation im Unternehmen voranzutreiben. Ziel war es, MEWA für die neuen Anforderungen von Kunden und Markt in allen Ebenen zu befähigen: Dies sollte Prozesse, Fähigkeiten, Menschen & Organisation, Geschäftsmodelle und Technologie umfassen.

3-Stufen-Plan bis 2027

Zur Erreichung dieses Ziels wurde als Digitalstrategie ein 3-Stufen-Plan mit einer Laufzeit von 2017 bis 2027 ausgearbeitet. Schwerpunkt der bis Ende 2020 laufenden ersten Stufe ist die internationale Digitalisierung des Kunden- und Marktzugangs durch die Einführung eines Omni-Channel-Ecosystems. Ziel des Programms ist es, dass Verträge nun digitalisiert werden können, was die Transparenz für den Kunden deutlich erhöhen soll. Außerdem profitierten die Kunden laut MEWA von einer besseren Informationslage im Service, Self-Service-Angeboten sowie einer bedarfsgerechteren Ansprache. Insgesamt werde der Kundenkontakt transparenter, effizienter und einfacher gestaltet.

Das System besteht in wesentlichen Teilen aus einem auf MEWA-Bedürfnisse zugeschnittenen CRM-System (SAP C4C), einem Customer-Self-Service-Portal, einem B2B-E-Commerce-Shop, einer intelligenten Kundensegmentierung und der durch Künstliche Intelligenz unterstützten Beantwortung von Kundenanfragen. Zusätzlich wurden weitere digitale Kundenschnittstellen bereitgestellt, etwa mobile Apps für Kunden und den MEWA-Vertrieb, ein digitaler Service Point in den Fabrikgebäuden der Kunden sowie IoT-Anwendungen.

Über ein Self-Service-Portal können MEWA-Kunden die gewünschten Produkte und Dienstleistungen selbst buchen.
Foto: MEWA Textil-Service

Was die Umsetzung der Digitalstrategie betrifft, muss man wissen, dass MEWA über Jahrzehnte zum Konzern gewachsen ist und dadurch einen hohen Anteil an langjährigen Mitarbeitern aufweist. Weswegen für die Einführung neuer, moderne Prozesse viele gelebte Traditionen ausgehebelt und Strukturen und Methoden auf die neuen digitalen Wege vorbereitet werden müssen.

Mitarbeiter informieren und mitnehmen

Wie Digital Transformation Officer Philipp Lehmkuhl erklärt, habe MEWA daher in seiner Digitalstrategie von Anfang an Maßnahmen für Veränderungsprozesse und den Aufbau benötigter Skills vorgesehen. "Unser Ansatz ist es, anhand von Projekten die Funktionsweise und Richtung vorzuleben und dadurch in die Organisation zu tragen. Um den Wandel für die Mitarbeiter zu begleiten, haben wir ein Change-Programm aufgesetzt, welches sich intensiv um die betroffenen Bereiche im engen Dialog mit Führungskräften in den verschiedenen Ländern kümmert", so Lehmkuhl.

Das Change-Programm "Drive" helfe dabei, über alle Informationskanäle und Mitarbeiterveranstaltungen diese Änderungen an alle Stakeholder zu kommunizieren, die Veränderungen frühzeitig zu begleiten und die Mitarbeiter und das Management mitzunehmen und auf die Veränderungen vorzubereiten.

Des Weiteren etablierte MEWA ein unternehmensweites Ideen-Management. Die von Mitarbeitern eingereichten Vorschläge werden dabei von der Organisation bewertet und bei Umsetzung prämiert. Innovationen auf Basis neuer Technologien werden grundsätzlich mit Anwendern und Kunden gemeinsam entwickelt.

Daneben kommen verschiedene Methoden zum Einsatz, um digitale Produkte und Prozesse hervorzubringen. Dazu zählen Workshops, Interviews oder "A Day in the life of", in dem Anwender methodisch beobachtet und ihr Tagesablauf analysiert wird. Neue Geschäftsmodelle wie der Aufbau einer IoT-Plattform für Smart Textiles mit neuen Technologien und Partnern wie Startups werden im 2018 gegründeten Berliner Inkubator "Webstatt" entwickelt und später - soweit dies erforderlich ist - mit der Bestandsorganisation gespiegelt. Die Innovationen werden anschließend der Muttergesellschaft übergeben oder führen zu einer Ausgründung.

Aufteilung in Greenfield und Brownfield

Ein wichtiger Aspekt bei dem Digitalisierungsvorhaben ist, dass bei MEWA technologisch zunächst noch Grundlagen geschaffen werden müssen, bevor das Potenzial der Digitalisierung in der Breite genutzt werden kann. Das Unternehmen nimmt dazu eine Aufteilung in Brownfield und Greenfield vor: Bei Greenfield handelt es sich um neue Prozesse, Technologien oder auch Business-Modelle, die an Bestandssysteme angedockt oder autonom als neuer Zweig etabliert werden. Diese Innovationen können in Projekten agil nach dem MVP-Ansatz (Minimum Viable Produkt) entwickelt werden, wobei neue Technologien wie IoT, KI, Prozess-Automation, Mobile Plattformen oder Data Analytics zum Einsatz kommen.

Im Brownfield geht es darum, mit neuen Technologien Bestandssysteme abzulösen. Wie Lehmkuhl erklärt, wurden diese allerdings häufig über viele Jahre an die spezifischen Prozesse des Unternehmens angepasst, weswegen man die spezifischen Detailprozesse nicht so schnell nach Einführung einer neuen Technologie nachbilden könne.

MEWA etablierte daher einen intensiven Prozess der Bestandsprozessanalyse und Neuprozessentwicklung, in dem in cross-funktionalen Teams die Potenziale neuer Technologie besprochen und eingesetzt werden. Beispiele dafür sind der Einsatz von SAP C/4 Hana sowie Telematik-Systeme. Die neue Technologie bietet oft mehr Potenzial, als das was tatsächlich benötigt wird, da häufig bestehende Business-Prozesse geändert oder vereinfacht werden könnten.

Dies gelingt bisher aber nur zum Teil mit der Bestandsorganisation, räumt Lehmkuhl ein. Um die Organisation mit dem technologischen Wandel und neuen Prozessen nicht zu überfordern, habe man sich daher mit dem Vorstand auf inkrementelle Innovationen im Brownfield verständigt. Nach der Einführung biete die neue Technologie dann aber über den datenbasierten KVP (Kontinuierlicher Verbesserungsprozess) die Möglichkeit, viele Potenziale zu heben und die Transformation auch Business-seitig im Bestandsgeschäft weiter zu verfolgen, erklärt der MEWA-Manager.

Neues Telematik-System für den eigenen Fuhrpark

Um die strategischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, werden Business Cases und Entscheidungsvorlagen vorbereitet, die dann beim Vorstand zur Freigabe eingereicht werden. In diesem Zuge wurden unter anderem ein neues E-Commerce-Konzept und ein neues Telematik-System für den unternehmenseigenen Fuhrpark eingeführt.

Und dank eines geeigneten Hygienesicherheitskonzepts sieht sich MEWA in der Lage, den Kunden auch in Corona-Zeiten den gewohnten Service bieten. "Dabei helfen uns die vielen neuen digitalen Werkzeuge, wie zum Beispiel eine Kunden-App zur Größenvermessung durch den Kunden selbst, eine digitale Servicestation in den Umkleideräumen der Kunden oder das Self-Service-Kundenportal, mit dem unseren Kunden Prozesse bereits selbst schnell und effizient ausführen können", führt Digital Transformation Officer Lehmkuhl aus. "Diese sind noch nicht in allen Ländern verfügbar, aber da, wo sie bereits zum Einsatz kommen, spüren wir eine stärkere Nachfrage und Nutzungsbereitschaft."