Commodity Services

Vom Segen der Standardlösung

05.06.2015 von Torsten Beyer
Durch den weit verbreiteten Wildwuchs in der Unternehmens-IT entstehen hohe Kosten. Abhilfe schafft die Beschränkung auf einheitliche und marktgängige Lösungen.

Silolösungen bei den ERP-Systemen, übertriebene Vielfalt an den PC-Arbeitsplätzen, teure Benutzerservices und Endgeräte - in vielen Unternehmen fehlt ein einheitliches und konsequent umgesetztes Konzept für die Unternehmens-IT. Der IT-Bereich agiert als Dienstleister, der es allen recht machen soll und permanent Sonderwünsche erfüllt. Für das Unternehmen wird das vor allem eines: teuer. Gegensteuern lässt sich mit einer Beschränkung auf einheitliche und marktgängige Lösungen - so genannte Commodity Services.

Müssen es viele kleine Insellösungen sein oder reicht nicht auch ein großes Standardpaket?
Foto: Andresr-shutterstock.com

8.000 statt 300 empfohlener Anwendungen

Dabei ist es wichtig, dass die IT-Lösungen ganz konsequent an den geschäftsrelevanten Anforderungen ausgerichtet werden. Der Hebel lässt sich dann an vielen Stellen ansetzen, zum Beispiel bei einer stark reduzierten Zahl von Applikationen, die im zweiten Schritt allerdings auch eingehalten werden muss. Denn häufig bestehen in diesem Punkt Vorgaben, die in der Praxis übergangen werden. Als Beratungsfirma haben wir zum Beispiel in einem Unternehmen mit 12.000 Mitarbeitern insgesamt 8.000 verschiedene Anwendungen gefunden - empfohlen waren 300.

Dabei liegen die Vorteile der Beschränkung auf der Hand: Wenn auf allen PCs dieselben Anwendungen laufen, macht das die Bereitstellung, den Betrieb und den Austausch der Geräte sehr viel günstiger. Und auch bei den weiteren IT-Dienstleistungen kann gespart werden, wenn der Leistungsumfang systematisch überprüft wird: Braucht ein Unternehmen zum Beispiel wirklich eine 24-Stunden-Hotline? Und ist es für den Geschäftserfolg von Bedeutung, dass jeder Mitarbeiter mit seinem Lieblings-Notebook oder Lieblings-Smartphone arbeitet? In der Regel ist es das nicht.

8 Trends, die den Markt für Enterprise Software prägen werden
Hybrid Cloud wird zum Mainstream-Thema.
Chris Wolf, Chief Technolgy Officer (CTO) bei VMware in den USA, hat im vergangenen Jahr eine Tendenz zu Multi-Cloud-Strategien beobachtet, die sich seiner Einschätzung nach 2015 verstärken wird. „CIOs wollen die Flexibilität nutzen, die Hybrid-Cloud-Umgebungen bieten“, sagt Wolf. „Und Senior IT-Entscheider werden in Hybrid-Cloud-Architekturen investieren, um ihre Anwendungen und Services zukunftssicher zu gestalten.“ Mit dieser Einschätzung ist der VMware-Manager nicht allein. Für Marc Malizia, CTO bei RKON Technologies, einem Anbieter von Managed-Cloud-Lösungen, wird sich der Trend nicht mehr umkehren: „Die Cloud ist nun schon seit einigen Jahren ein ganz heißes Thema. Unternehmen legen Anwendungen in die Wolke, um schneller zu werden, die Kosten zu senken und einen höheren Servicelevel zu erreichen.“ Malizia erwartet, dass sich 2015 sehr viele Firmen für ein Hybrid-Cloud-Modell entscheiden und dabei externe Cloud-Services mit ihrer hausinternen Private Cloud integrieren werden.
Enterprise Mobile Apps heben ab.
Mobile CRM wird eines der Themen sein, die Enterprise-Software auf mobilen Endgeräten zum Durchbruch verhelfen. Dazu hat nicht zuletzt Salesforce.com beigetragen, das 2014 massiv in seine Mobile Apps investiert und auch seine Integrationspartner dazu gedrängt hat. Mark Seemann, CEO von Synety, einem Spezialisten für die Integration von VoIP-Telefonie in Business-Anwendungen, sieht „Mobile als das wichtigste Schlachtfeld für die großen CRM-Anbieter“. Die Funktionalität der zahlreichen Apps werde sich weiter der von klassischen Web-basierten CRM-Lösungen annähern. Michael DeFranco, Gründer und CEO von Lua, einem Anbieter von sicheren Messaging-Lösungen für Unternehmen, stimmt zu: “Die Mitarbeiter von Unternehmen halten sich immer seltener in ihren Büros und immer häufiger beim Kunden auf. Lösungen wie CRM oder BPM, die mobil einsetzbar sind, werden essenziell.“ Allerdings müsse deren Design optimal auf die Bedürfnisse und das Verhalten mobiler Nutzer abgestimmt sein. Die störungsfreie Kommunikation und Teamarbeit mit den Kollegen im Büro und unterwegs sei erfolgskritisch.
Enterprise Software wird im Abo bezogen.
Anstatt Lizenzen zu kaufen, werden Anwender im großen Stil auf Subskriptionsmodelle wechseln. Das erwartet unter anderem Engin Kirda, Mitgründer und Chief Architect des Security-Anbieters Lastline. „Die Abrechnung von Pro-User- und Pro-Jahr-Gebühren kommt auch für Enterprise-Software und ersetzt Pauschalpreise für Lizenzen und teure Software-Preloads für proprietäre Hardware.“ Nicht nur Enduser-bezogene Anwendungen würden künftig so berechnet, sondern auch Enterprise-Software und -Services – beispielsweise Lösungen für das Data Center Management oder die Einbruchserkennung und –vorbeugung. Die neuen Pricing-Modelle seien besser kalkulierbar und skalierbar.
In-Memory Computing trennt Spreu und Weizen im ERP-Markt.
„Plattformen wie SAP HANA oder Oracle In-Memory Application werden vor allem im Großkundenmarkt den Unterschied zur Konkurrenz ausmachen“, meint Glenn Johnson, Senior Vice President bei Magic Software Enterprises, einem Anbieter von Anwendungs-, Mobility- und Integrationslösungen. “In dem Maße, wie der Hype um Big-Data-Lösungen zunimmt, wird es für ERP-Unternehmen, die – anders als die ganz großen Player - keine In-Memory-Lösungen haben, schwieriger.“
ERP-Welten öffnen sich für tiefe Integration.
„ERP wird flexibler und ermöglicht die Einbindung neuer Einkaufs-, HR- und Kundenservicelösungen“, beobachtet Michael Golz, Senior Vice President und CIO von SAP Americas. SAP habe einige strategische Übernahmen getätigt, darunter die des auf Reisekosten-Management spezialisierten Anbieters Concur. Solche Lösungen könnten ERP-Kunden helfen, den Wert ihres Systems zu erhöhen und den Rahmen auszuweiten. Damit verschwänden die Grenzen zwischen den Enterprise-Software-Systemen immer mehr, und der Wert von IT-Investitionen steige. „Historisch wurden ERP und CRM als zwei separate Systemwelten gesehen“, ergänzt Jeremy Roche, CEO von FinancialForce, einem Anbieter von ERP-Software auf der Salesforce-Plattform. Mittlerweile realisierten viele Unternehmen aber den großen Wert, der darin liege, die Trennung zwischen Front- und Back-Office-Prozessen aufzuheben und das ERP-System ähnlich wie die CRM-Welt weiter in den Vordergrund zu rücken. „Anstatt zu erlauben, dass wichtige Kundeninformationen irgendwo im Unternehmen verteilt herumliegen, gehen Unternehmen daran, CRM und ERP zu einem einzigen System of Engagement zu verschmelzen. So können sie die gesamte ‚Customer Journey‘ begleiten – von der Geschäftsanbahnung bis zur Auslieferung des Produkts und nachgelagerten Service-Prozessen.“
Open Source gewinnt weiter an Bedeutung.
Data Warehousing und Business Intelligence waren lange die Domäne einiger weniger Anbieter von proprietärer Software. Das hat sich geändert. „In den vergangenen zehn Jahren haben sich Techniken wie Hadoop oder später auch Apache Spark als preiswerte Open-Source-Alternativen etabliert, die sowohl vom Maßstab als auch von der Raffinesse her alles mitbringen, um große Datenmengen analysieren zu können“, beobachtet Ali Ghodsi, Mitgründer von Databricks. 2015 werde diese und andere Open-Source-Software noch tiefere Spuren in der Enterprise IT hinterlassen. „Das Hadoop-Ökosystem soll bis 2020 einen Gesamtwert von 25 Milliarden Dollar erreichen“, beruft sich Ghodsi auf Marktforscher. Und Spark werde inzwischen von mehr als zehn Anbietern vermarktet, darunter Größen wie SAP, Oracle, Microsoft und Teradata. Alle großen BI-Tools wie Tableau, Qlik oder MicroStrategy würden unterstützt.
BI-Software wird visuell und einfacher zu nutzen.
„2015 werden Business-Intelligence-Lösungen so gut aussehen wie sie funktionieren - und so gut funktionieren wie sie aussehen“, sagt James Richardson, Business-Analytics-Stratege bei Qlik, einem Anbieter von BI- und Datenvisualisierungswerkzeugen. „Unternehmenskunden verlangen BI-Lösungen, die einfach zu nutzen sind – Self-Service-Lösungen. Visualisierung ist der Schlüssel dafür. Indem Daten in einfach zu erfassende Graphen und Charts aufgelöst werden, können User die Inhalte schnell und auf natürliche Art erfassen. Damit werden die Barrieren zwischen den Menschen und ihren Daten beseitigt“, so der Qlik-Manager.
Social-Web-Analyse wird selbstverständlich.
„2014 haben wir gesehen, dass die Unternehmen ernsthaft damit begonnen haben, Social Data zu analysieren“, sagt Ellie Fields, Managerin bei Tableau Software. Dieser Trend werde sich 2015 weiter verstärken. „Indem Konversationen im Social Web analysiert werden, können Unternehmen herausfinden, worüber ihre Kunden reden und wann ein Thema zu einem Trend wird.“ Social Intelligence sorge dafür, dass Firmen schneller würden und auf Kundenanforderungen, -wünsche und -beschwerden zeitnah reagieren könnten. Wer hier nicht aktiv werde, bringe sich gegenüber dem Wettbewerb ins Hintertreffen.

Auch bei den ERP-Systemen hilft nur eine gute Planung und konsequentes Durchgreifen. Wird ein System eingeführt, sollte dieses für das gesamte Unternehmen geeignet sein. Unzureichend abgestimmte Einzellösungen werden besonders teuer. Ebenso wichtig: Steigt man von einem alten System zum Beispiel auf SAP um, reduzieren sich die Kosten nur, wenn man sich auch auf den SAP-Standard einlässt, den es zum Beispiel für verschiedene Branchen gibt. Wer auch hier versucht, das alte System gleichsam nachzubauen, verschleudert hingegen schnell dreistellige Millionenbeträge. Und in den meisten Fällen lässt es sich mit dem Standard sehr gut arbeiten.

Starke IT-Leiter sind gefragt

Das Problem bei der Umsetzung einer solch standardisierten Unternehmens-IT: Am Whiteboard sehen solche Modelle immer überzeugend aus, der Kostenreduktion wird von allen Seiten zugestimmt. Werden dann jedoch die liebgewonnenen Sonderlösungen und Statussymbole tatsächlich gestrichen, regt sich der Widerstand. Wichtig ist es deshalb, dass das Top-Management die neuen IT-Standards unterstützt. Zudem darf sich der IT-Leiter nicht zu weit entfernt vom Zentrum der Macht befinden und muss eine starke Persönlichkeit sein. Denn Sonderwünsche wird es immer wieder geben und dann gilt es hart zu bleiben.

Wichtig für eine solche Vorgehensweise ist zudem eine starke Kostentransparenz. So soll jeder Firmenmitarbeiter, der einen Antrag auf eine Sonderlösung stellt, wissen, was diese das Unternehmen kostet. Genehmigt wird sie nur, wenn sie sich nachweislich für die Firma rechnet. Hierfür muss der Antragsteller einen Business Case erstellen.

Kostentransparenz durch Outsourcing

Für die Herstellung einer weitreichenden Kostentransparenz, die in den Unternehmen oftmals nicht gegeben ist, kann auch ein Outsourcing hilfreich sein. Denn in einem solchen Auslagerungs- und Vergabeprozess werden die Anforderungen an die Computerarbeitsplätze, das Netzwerk, das Rechenzentrum und die Datenbanken auf den Prüfstand gestellt, neu definiert und in der Ausschreibung detailliert festgehalten. Das Unternehmen holt Angebote ein und hat die Kosten für diese Services schwarz auf weiß. Was zu teuer wird, muss gestrichen werden.

So wechseln CIOs den Outsourcing-Partner
So wechseln CIOs den Outsourcing-Partner
Bei Unzufriedenheit unbedacht den Dienstleister zu wechseln ist gefährlich. Zu prüfen sind unter anderem Laufzeit, Folgekosten und Optionen wie Multisourcing.
1. Die Gründe für das Outsourcing nochmals überprüfen:
"Rufen Sie sich die Gründe dafür zurück, warum Sie sich ursprünglich zum Auslagern entschieden haben", rät Edward J. Hansen von der Anwaltskanzlei Baker & McKenzie. Wenn diese Gründe immer noch gelten, reicht es, sich einen neuen Dienstleister zu suchen. Falls nicht, muss die ganze Strategie überdacht werden - und das Unternehmen entschließt sich möglicherweise zum Insourcing.
2. An die Vertragslaufzeiten denken:
Wer den Anbieter wechseln will, tut das am besten, wenn das bisherige Abkommen ausläuft. Die Zusammenarbeit während der Laufzeit zu beenden, ist nur in dringenden Fällen ratsam.
3. Den Vertrag genau studieren:
Es kann Streit ums Geld geben, wenn ein Vertrag vorzeitig beendet werden soll. Schon aus diesem Grund muss der bestehende Vertrag genauestens unter die Lupe genommen werden. Wer geschickt ist, baut in künftige Abkommen ein, in welcher Weise ein Dienstleister den Kunden bei einem Provider-Wechsel unterstützen muss.
4. Wiederverhandeln kann sinnvoller sein als Aussteigen:
Ein Anbieterwechsel kann sich kompliziert gestalten. Wer das vermeiden will, sollte den bestehenden Vertrag lieber neu verhandeln. Entscheider müssen die eigenen Motive für den Wunsch nach einem Wechsel überprüfen.
5. Den bestehenden Dienstleister durchleuchten:
Dieser Punkt knüpft an den vorhergehenden an. Wenn der Grund für den Wechsel-Wunsch darin liegt, dass der Dienstleister schlechte Qualität liefert, muss sich auch der Kunde nach den Gründen dafür fragen. Ein offenes Gespräch kann in Neu-Verhandlungen statt im Wechsel enden.
6. Es wird Ärger mit dem Faktor Mensch geben:
Wenn Mitarbeiter des neuen Dienstleisters ins eigene Unternehmen kommen, kann es zu zwischenmenschlichen Reibereien kommen. Das darf nicht unterschätzt werden.
7. Beim Wechsel mit unproblematischeren Teilen beginnen:
Rechenzentrum-Services oder Disaster Recovery bieten sich als Erstes an, wenn der Dienstleister gewechselt werden soll. Generell gilt: Nicht mit dem Kompliziertesten anfangen!
8. Die Kosten eines Wechsels kalkulieren:
Wer durch den Wechsel des Anbieters Kosten senken will, muss bedenken, dass die Neu-Organisation des Outsourcings selbst auch Geld kostet. Diese Ausgaben müssen gegen mögliche Einsparungen abgewogen werden.
9. Multisourcing als Alternative:
Wer das bisherige Abkommen auflösen will, zielt meist auf Multisourcing ab, statt sich wieder für einen einzigen Anbieter zu entscheiden. Das ist zumindest die Beobachtung von Jeffrey Andrews (Anwaltskanzlei Thompson & Knight). Entscheider sollten sich des damit verbundenen Zeitaufwandes bewusst sein.
10. Aus den eigenen bisherigen Fehlern lernen:
Das vielleicht Wichtigste ist, die eigenen Erfahrungen festzuhalten, um beim nächsten Mal daraus zu lernen.

Generell ist zu beachten: Bei der IT-Standardisierung ebenso wie beim Outsourcing geht es um die diejenigen Prozesse, die ein einschlägiger Dienstleister liefern kann, wie etwa die Bereitstellung und Wartung der Endgeräte sowie den Betrieb der Netzwerke, des Rechenzentrums und der Datenbanken. Ebenso gilt das für die Software für den Jahresabschluss. Weniger geeignet für Outsourcing hingegen sind Prozesse, mit denen sich ein Unternehmen vom Wettbewerb absetzt, wie zum Beispiel die Logistikprozesse bei einem Onlinehändler oder aber die Steuerung der Produktion bei einem Maschinenbauunternehmen. In diese wetttbewerbsrelevanten IT-Prozesse kann ein Unternehmen nicht zuletzt das Geld investieren, das es durch die Standardisierung spart. (bw)