Bereit für das post-digitale Zeitalter?

Von DARQ-Technik und momentanen Märkten

06.12.2019 von Jochen Malinowski
In den nächsten drei Jahren werden Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI), Quantencomputing, Distributed-Ledger-Technologien und AR/VR-Anwendungen in Unternehmen weiter an Bedeutung gewinnen.

Accentures Umfrage Technology Vision 2019 unter 6.672 IT- und Business-Entscheidern - darunter 329 deutsche - zeigt deutlich: In 45 Prozent der Unternehmen beschleunigt sich das Innovationstempo aufgrund neuer Technologien erheblich. Eine Entwicklung, die an Fahrt aufnimmt, wie die fünf zukünftigen Tech-Trends zeigen.

Trends von heute wie KI, ML, Blockchain oder AR/VR können morgen schon die Norm sein.
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Trend 1: DARQ Power

Diese neuen Technologien sollte jedes Unternehmen beherrschen: Distributed-Ledger-Technologie (DLT), Artificial Intelligence (AI), Extended Reality und Quantum Computing. Sie sind die Katalysatoren für herausragende Veränderungen und neue Geschäftsmöglichkeiten. KI spielt bereits eine entscheidende Rolle bei der Optimierung von Prozessen und strategischen Entscheidungen. Extended Reality, eine immersive Technologie, schafft Menschen Erlebnisse. DLT erweitert Netzwerke und benötigt dabei keine zentrale Instanz. Und mit der Quantentechnologie sind schwierigste Rechenprobleme lösbar.

DARQ ist das "nächste große Ding", aber nicht das erste. SMAC bleibt notwendige Kernkompetenz und bildet die Grundlage für darauf aufbauende Entwicklungen. Denn SMAC - aus Social, Mobile, Analytics und Cloud - sind die Werkzeuge der digitalen Revolution. Durch diese Technologien verstehen Unternehmen ihre Partner und Kunden. Und SMAC ist die Grundvoraussetzung für den nächsten Schritt: Sobald die DARQ-Technologien ausgereift sind und zusammenwachsen, können Unternehmen ihre digitalen Fähigkeiten erweitern, um intelligente und maßgeschneiderte Erlebnisse zu erstellen, die das Leben ihrer Kunden, Geschäftspartner und Mitarbeiter neu gestalten.

Trend 2: Hyper-Personalisierung

Hyper-Personalisierung ist ein Zukunfts-Keyword. Denn Unternehmen gestalten nicht länger für eine Kundengruppe, sondern für den einzelnen Menschen. Zahlreiche Beispiele zeigen, was möglich ist. Japans größtes E-Commerce-Unternehmen Zozotown liefert "Custom Fast Fashion", indem es hautenge Spandex-Zozosuits produziert. Mit der App des Unternehmens werden die genauen Maße der Kunden ermittelt. Und nach wenigen Tagen kommt die maßgeschneiderte Kleidung zum Kunden.

Gillette nutzt individuelle Gesundheits- und Schönheitspräferenzen. Das Unternehmen bietet gemeinsam mit dem 3D-Druck-Startup "Formlabs" maßgeschneiderte Rasiermesserdesigns an. Dabei erstellen Kunden ihre personalisierten Produkte, das digital personalisierte Design wird danach gedruckt, zusammengesetzt und an die Haustür geliefert. "Sam's Club" hat eine App entwickelt, die maschinelles Lernen und Daten nutzt, um anhand vergangener Einkäufe von Kunden deren Einkaufslisten automatisch zu füllen. Oder: Virgin Hotels begrüßt Gäste mit einem Cocktail ihrer Wahl und einer mit deren Favoriten gefüllten Minibar - dank einer digitalen Plattform, die das Unternehmen anstelle eines Prämienprogramms verwendet.

Roundtable Digital Customer Experience (DCX)
Boris Bohn, Arithnea
„Auf dem Weg zu einer sehr guten Digital Customer Experience befinden wir uns erst auf den ersten fünf von 100 Metern. Die Firmen haben erkannt, dass es verschiedene Touchpoints für die Ansprache des Kunden gibt. Aber in der konkreten und übergreifenden Ausgestaltung stehen wir noch am Anfang.“
Christian Schacht, Capgemini
„In Deutschland steht bei vielen Unternehmen der Kunde oft nicht mit seinen Bedürfnissen im Mittelpunkt, sondern nur als Käufer und Nutzer eines Produkts, das sie herstellen. Das gilt auch bei digitalen Produkten.“
Dominik Lorenz, Creditreform Boniversum
„Das Frontend vieler Websites ist ansprechend, der Kunde wird gut geleitet und an die Hand genommen, doch wenn er kaufen will, ist der Bezahlprozess zu kompliziert, oder seine bevorzugte Bezahlart wird nicht unterstützt. Der Besucher bricht ab und wechselt zu einem anderen Anbieter.“
Orhan Dayioglu, Showpad
„Die deutschen Firmen können sich mittlerweile nicht mehr so stark wie früher durch ihre Produkte differenzieren. DCX hat an Bedeutung gewonnen. Wir müssen vom Monolog weg hin zum Dialog mit den Kunden, um deren Bedürfnisse zu erfahren und dann die passenden Lösungen zu bieten.“
Vanessa Dommnich, Batten & Company
„Ein ganzheitlicher Ansatz wird für die Kundenbindung im digitalen Zeitalter immer wichtiger. Firmen können ihre Kunden heute dank neuer Technologien über deutlich mehr Kanäle ansprechen. Damit die Kunden eine End-to-End-Experience erhalten, benötigen Firmen unter anderem auch eine bessere Datenbasis, die Integration von Informationen aus CRM, Marketing, ERP oder Controlling sowie Schnittstellen zwischen den Abteilungen sicherstellt.“
Ralf Wiesmann, Accenture
„Die Kombination von Online- und Offline-Welt ist der Heilige Gral. Wer das hinbekommt, hat gewonnen. Firmen müssen hier agil sein, viele Dinge ausprobieren und Prozesse ändern, wenn sie nicht funktionieren. Die Firmen können damit den Kunden auf seiner Customer Journey viel besser begleiten, lange Wartezeiten bei der Hotline entfallen durch den direkten Kontakt.“
Jens Thuesen, BSI Business Systems Integration AG
„Häufig kann der Kunde online kein Feedback hinterlassen. Diese No-Reply-Mentalität muss weg. Viele Firmen vergessen zudem die Integration der digitalen Kanäle. Ohne eine Verknüpfung von Daten weiß der Mitarbeiter im Online-Chat nichts über die Historie des Kunden und was ihn gerade bewegt.“
Frank Sinde, Damovo
„Die Zusammenführung der einzelnen Kanäle funktioniert nur unzureichend. Es gibt kaum fertige Schnittstellen. Da Firmen viel selbst programmieren müssen, werden die Projekte sehr teuer und dauern lange in der Umsetzung. Um wirklich gute DCX zu erhalten, müssen Firmen die Mitarbeiter mitnehmen und deren Mindset auf Kundenorientierung umpolen. Customer Experience funktioniert nur mit Employee Experience, sprich der Akzeptanz bei den Mitarbeitern.“
Jürgen Spieß, SHE
„Firmen brauchen einen hohen Speed am Markt und müssen insbesondere im Frontend agil sein, um schnell auf Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Hier besteht oft eine Diskrepanz zwischen den internen ERP- oder Bestandsführungssystemen mit langen Release-Zyklen und modernen Microservices. Bei der Integration müssen die Anwender eine gute Balance finden.“

Diese Unternehmen haben die wachsende Bedeutung von Technologie-Identitäten erkannt. Durch digitale Technologien gewinnen Unternehmen neue und direkte Berührungspunkte mit Kunden. Die daraus resultierenden Informationen über Kundenbedürfnisse ermöglichen personalisierte Produkte und Dienstleistungen, die den Unternehmen wiederum noch mehr Einblick in die Wünsche ihrer Kunden verschaffen. So kommt es über personalisierte Produkte zu individuellen Erlebnissen und zu einer Eins-zu-Eins-Beziehung zu jedem Kunden, bei der die Technologie die Hauptrolle spielt und immer präsent ist.

Trend 3: Human + Worker

Unternehmen erleben ihre digitale Transformation gemeinsam mit ihren Mitarbeitern. Investitionen in Technologie und eine Fokussierung auf die Belegschaft entscheiden dabei über Gewinner und Verlierer im postdigitalen Zeitalter. Denn schließlich setzen Arbeitnehmer diverse Technologien ein, um auf ihren eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen aufzubauen. Die Belegschaft wird „Human +“. Das bedeutet: Jeder Einzelne wird durch seine Fähigkeiten und sein Wissen – und durch ein neues, ständig wachsendes Spektrum an Fähigkeiten, die durch Technologie ermöglicht werden - gestärkt.
Es geht nicht darum Mitarbeiter durch Technologie „zu ersetzen“, sondern deren Fähigkeiten zu erweitern und anzureichern.

Trend 4: Secure us to secure me

Unternehmen sind keine Opfer, sondern Überträger: Weil Business von Vernetzung abhängt, erhöht dieser Zustand das Risiko der Unternehmen. Trendsetter arbeiten schon heute mit Ökosystemen zusammen, in denen Sicherheit fest integriert ist. Deswegen nahmen im Oktober 2018 JP Morgan Chase, Mastercard, Fidelity und andere globale Zahlungsunternehmen an der ersten gemeinsamen Cyber-Sicherheitsübung teil, mit der die Einsatzbereitschaft bei multiplen Angriffen auf Zahlungssysteme getestet werden sollte.

Diese Kooperation ist nur ein Beispiel dafür, wie sich Unternehmen entwickeln, um gegen die neue Realität der Cyberthreats widerstandsfähiger zu werden. Die heutige ökosystemabhängige Geschäftswelt kann die Auswirkungen von Cyber-Angriffen exponentiell verstärken: Vorfälle, die ein Unternehmen lahmlegen, können schnell durch Vernetzung zunehmen und das ganze Ökosystem oder die Branche bedrohen. Man erinnere sich nur an den WannaCry-Kryptowurm oder die Mirai-Malware.

Lesetipp: Rechtliche Verpflichtungen nach einem Cyber-Security-Vorfall

Doch das Risikomanagement vieler Unternehmen konzentriert sich bislang oftmals weitgehend auf die internen Abläufe als reine Einzelmaßnahme. Angreifer aber haben das ganze Kartenhaus im Blick, denn Unternehmen erweitern und absorbieren gleichzeitig das Risiko um die Schwachstellen der Partner.

Fakt ist: Ökosysteme bieten eine immer größer werdende Angriffsfläche. Für ihre Cyber-Sicherheit müssen Unternehmen deswegen dieses Risiko in die Strategien der Zusammenarbeit einbeziehen, die eigene Sicherheitslage also an das System koppeln und zu einer zentralen Komponente für den Aufbau von Partnerschaften machen.

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Trend 5: Der Moment als Markt

In der postdigitalen Welt wird jeder Moment zu einem potenziellen neuen Markt. Dabei wird die Nachfrage sofort kommuniziert und eine sofortige Befriedigung erwartet. Unternehmen können deswegen jederzeit und überall potenzielle Kunden treffen - wenn sie sich der Herausforderung stellen.

Postdigitale Unternehmen wollen den Wettbewerb für sich gewinnen, indem sie die Funktionsweise des Marktes selbst verändern. Das bedeutet: Sie nutzen statt eines Marktes viele kundenspezifischen Märkte. Dabei kann jedes Unternehmen mit jedem anderen konkurrieren oder einen neuen Markt erschließen. Das zeigt die besondere Partnerschaft von Amazon mit Berkshire Hathaway, einer Versicherungs- und Holdinggesellschaft, und JPMorgan Chase, einem globalen Finanzdienstleistungsunternehmen. Diese drei Riesen bündeln ihre Ressourcen im Gesundheitsbereich.

Ein gutes Beispiel auch JD.com, eine E-Retail-Plattform und eines der am schnellsten wachsenden Unternehmen in China. "JD" differenziert sich radikal mit der Verkaufsplattform für Drittanbieter "Toplife". Diese Drittanbieter profitieren nicht nur von der Personalisierung des E-Retail, sondern auch vom Zugriff auf die Lieferkette mit modernster Robotik und Drohnenlieferung, die auch ländliche Gebiete erreichen kann.

Lesetipp: Smart Contracts in der Lieferkette

Durch eine Partnerschaft mit Walmart kann beispielsweise ein physisches Geschäft in Shenzhen mehr als 8.000 Produkte anbieten, die in weniger als 30 Minuten persönlich oder aus dem Geschäft geliefert werden. Durch diese beispiellose Anpassung und Geschwindigkeit ermöglicht "JD" anderen Unternehmen, ungeahnte Geschäftsmöglichkeiten - und einen neuen Markt für sich selbst.

Es geht darum Bedürfnisse der Verbraucher in kürzester Zeit zu erfüllen. Technologie schafft eine Welt von individuellen und bedarfsgerechten Angeboten. Unternehmen müssen ihre Organisationen neu erfinden, um diese Gelegenheiten für sich zu entdecken. Marktplätze zu schaffen und zu nutzen wird zu einem wesentlichen Erfolgsfaktor.

Trends von heute sind morgen schon die Norm

Wir sind im postdigitalen Zeitalter angekommen. Digital zu sein ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung, um als Unternehmen zu bestehen. Es geht darum, neue Technologien als Chance zu nutzen, um neue Kundenerlebnisse, individueller Kundenbeziehungen und neue Märkte zu schaffen. Es wird nicht lange dauern, bis diese Trends die Norm von morgen sind. Die Botschaft ist klar: Schritt halten - damit man für die Zukunft gewappnet ist.