CEO Jeff Abbott im CW-Gespräch

Vorbild ERP: Ivanti baut an IT-Management-Suite

16.10.2023 von Heinrich Vaske
Einstige Schwergewichte im IT-Markt, darunter MobileIron, Cherwell oder Pulse Secure, gehören heute zu Ivanti, einem von Privat-Equity-Gesellschaften gegründeten Unternehmen. CEO Jeff Abbott erklärt die Strategie.
  • Die Corona-Krise war für Ivanti eine gute Chance, die Zukäufe in einer virtuellen Organisation zusammenzuführen
  • Mit Neurons ist eine integrierte Plattform für den CIO und den CISO in Arbeit - vergleichbar mir ERP- und CRM-Lösungen
  • CEO Jeff Abbott geht erst einmal vorsichtig mit Generative AI um, viele Fragen seien noch nicht beantwortet
Im Oktober 2021 hat Jeff Abbott als CEO von Ivanti die Nachfolge von Jim Schaper angetreten. Zuvor war Abbott für Accenture, Oracle und Infor tätig. Im Auftrag verschiedener Risikokapitalgesellschaften im Hintergrund soll er Zukäufe wie Pulse Secure, MobileIron, Cherwell und RiskSense zusammenführen.
Foto: Ivanti, CW

Ivanti ist ein Unternehmen, das von Investoren finanziert und durch Zukäufe groß wurde. Verwalten Sie jetzt einen Gemischtwarenladen oder steckt ein Masterplan dahinter?

Abbott: Ivanti ist mit einem ganz bestimmten Ziel aufgebaut worden. Hinter dem Unternehmen steckt die Private-Equity-Gesellschaft Clearlake Capital, die Ivanti 2017 gegründet hat. Die haben damals ihre Portfoliounternehmen Landesk und Heat Software zusammengeführt. Ich bin 2020 dazu gestoßen, als President. Das war der Beginn eines größeren Plans: Wir wollten uns zu einem Plattformunternehmen entwickeln, das die Bedürfnisse von IT- und Security-Verantwortlichen erfüllt.

Unsere Idee war es, den integrierten Ansatz, den wir im ERP-Markt sehen, auch im Geschäft mit IT-Lösungen umzusetzen. Wir wollten allerdings noch einen Schritt weitergehen und eine Cloud-basierte Plattform entwickeln.

Zwei weitere Investoren, TA Associates und Charlesbank, haben dann in diese Strategie investiert. Das brachte zwei Milliarden Dollar an Kapital ein, um unsere Akquisitionen im Jahr 2021 voranzutreiben. Das war die Phase, in der wir MobileIron, Pulse Secure, RiskSense und Cherwell Software übernommen haben. In den vergangenen beiden Jahren haben wir diese Unternehmen integriert. Mit diesen Zukäufen sind wir von 400 Millionen Dollar auf eine Milliarde Dollar Umsatz gewachsen. Aus 24.000 wurden 40.000 Kunden, die Zahl der Beschäftigten stieg von 1.300 auf 3.000.

Sie haben diese Zukäufe mitten in der Corona-Krise gestemmt…

Abbott: ...ja, und das hatten wir so natürlich nicht geplant. Wir mussten die Firmen in einer schwierigen Zeit integrieren.

Mitarbeiter schätzen Zusammenarbeit in virtuellen Teams

War es ein Vor- oder ein Nachteil, die Teams in einer Zeit zusammenführen zu müssen, in der die meisten Menschen von zu Hause aus arbeiteten?

Abbott: Ich kann zu 100 Prozent sagen, dass uns die virtuelle Zusammenarbeit geholfen hat. Vielleicht war sie sogar der Faktor, der Ivanti für die Beschäftigten richtig attraktiv gemacht hat. Wir machen zweimal im Jahr Umfragen zum Mitarbeiter-Engagement. Am meisten schätzen die Leute demnach die persönliche Flexibilität, die sie bei uns haben. Wir haben zum Beispiel einige digitalen Nomaden, die mal sechs Monate hier leben und dann sechs Monate da. Ihnen gefällt es bei uns sehr.

Warum, glauben Sie, holen Unternehmen wie Google und IBM ihre Leute zurück ins Office?

Abbott: Das kann ich schwer beurteilen! Wir haben jedenfalls von ihrer Kurzsichtigkeit profitiert und hervorragende Talente von ihnen übernommen. Aber man muss bei Hybrid Work natürlich auf ein gesundes Gleichgewicht achten. In Indien haben wir viele junge Leute, die ihre Karriere gerade erst starten. Wir ermutigen sie, an zwei Tagen in der Woche zu Teamsitzungen und Gesprächen mit Mentoren und anderen Personen ins Büro zu kommen. Wir helfen ihnen bei den Reisekosten, um den Übergang zu erleichtern.

Gerade am Anfang einer Karriere sind persönliche Beziehungen wichtig. Wir haben deshalb Anfang dieses Jahres ein globales, virtuelles Mentor-Programm gestartet. Von 3.000 Beschäftigten haben immerhin 200 teilgenommen, das hat mich überrascht. Das funktioniert eins zu eins: 100 Mentoren kümmern sich um 100 Mentees.

Wie schaffen Sie es, dass Ihr Management-Team in einer solchen virtuellen Organisation die Kontrolle behält?

Abbott: Wir haben dazu ein Curriculum namens "Everywhere Work Leadership Program" gestartet. Da gibt es spezielle Trainings zur Führung von Remote-Teams. Das Thema bleibt ja wichtig, auch wenn ein rigoroser Führungsstil heute nicht mehr angesagt ist. Für uns ist es wichtig, ein attraktiver Arbeitgeber für Talente zu sein.

Für CIO gibt es bislang keine integrierten Lösungen

Kommen wir zurück zur Plattformstrategie von Ivanti: Welchen Plan verfolgen Sie konkret?

Abbott: Stellen Sie sich einen Vertriebschef vor, der Salesforce einführen will, oder einen HR-Verantwortlichen, der Workday wünscht, oder einen Chief Financial Officer, der mit SAP oder Oracle liebäugelt: Für diese Funktionen gibt es integrierte Lösungen, aber für den CIO und den CISO gibt es so etwas nicht. Dort wird immer noch mit 15 oder 20 verschiedenen Produkten gearbeitet. Wir haben entschieden: Lasst uns eine Plattform anbieten, die alles von Ende zu Ende bietet: Network Access, Security, Endpoint-Management, Device-Security und Service-Management.

Um dorthin zu gelangen, haben wir unsere verschiedenen Produkte integriert. Unsere Plattform "Ivanti Neurons" ist das Bindegewebe, wir wollen das Beste aus unseren Lösungen anbieten. Cherwell Software, das wir 2021 gekauft haben, ist gut für Service-Management auf der Fachabteilungsebene geeignet, etwa wenn es um Prozesse in Personalwesen oder Logistik geht. Wir konnten es mit den Stärken von Ivanti im Bereich IT Service Management (ITSM) zusammenführen. Genauso MobileIron, das wir mit Ivantis Endpoint Management integriert haben. Wir haben das Beste aus den Akquisitionen mit unseren Lösungen in einer zentralen Plattform verknüpft.

Ivanti habe das beste aus allen Übernahmen miteinander verknüpft, sagt CEO Abbott.
Foto: Ivanti

Als potenzieller Kunde würde ich mich fragen, ob ich so einen Flickenteppich kaufen oder doch lieber zu einem Anbieter mit einem tief integrierten Angebot gehen soll, ServiceNow zum Beispiel.

Abbott: ServiceNow deckt aber nur ungefähr 60 Prozent von dem ab, was ich gerade beschrieben habe. Sie sind gut im IT Service Management, aber ihr Angebot endet auch damit. Die Stärken liegen eher nicht in rollenbasiertem Schwachstellenmanagement, Patch-Management, Discovery etc.

Unsere Zielgruppe sind CIOs und CISOs, und wir glauben, dass sich diese beiden Rollen aufeinander zu bewegen. In kleineren Organisationen ist der CIO oft gleichzeitig der CISO. Diese Leute brauchen ein vollständiges Toolset. ServiceNow bietet das nicht, Microsoft auch nicht.

"Wir sind noch nicht überall da, wo wir hin wollen"

Die Angebote der zugekauften Firmen zu integrieren, ist schon schwierig genug. Was tun Sie, um die verschiedenen Teams und Kulturen zusammenzubringen und eine gemeinsame Identität zu schaffen?

Abbott: Genau das ist mein Job. Der oberste und wichtigste Punkt auf meiner Agenda als CEO besteht darin, eine gemeinsame Kultur zu schaffen. Wir sind noch nicht überall da, wo wir hinwollen. Es gibt immer noch Mitarbeitende, die sich mit MobileIron, Cherwell, Pulse etc. identifizieren. Aber wir sind in zwei Jahren schon weit gekommen.

Am Ende brauchen wir aber auch immer noch Leute, die Spezialisten für Sicherheit, Mobile Device Management oder Service-Management sind. Wir haben aufgrund der vielen Zukäufe eine riesige installierte Basis. Das bietet uns enorme Chancen. Aber Wachstum erzielen wir nur dann, wenn alle von der Plattform insgesamt überzeugt sind und diese weiterempfehlen können.Ist denn nun Schluss mit den Übernahmen bei Ivanti?

Abbott: In den letzten zwei Jahren haben wir uns mit Übernahmen zurückgehalten. Wir haben eine Pause eingelegt, um sicherzustellen, dass wir die aktuellen Akquisitionen zuerst integriert bekommen. Wir prüfen aber stets alle Optionen, und Akquisitionen werden auch weiterhin Teil unserer Wachstumsstrategie sein.

Welches Entwicklerteam baut bei Ihnen denn nun eigentlich die Neurons-Plattform?

Abbott: Das Team ist gemischt, ein Best-of sozusagen. Einige sitzen in den USA, andere in Indien und viele auch in Europa und Deutschland. Wenn Sie so viele kompetente Leute aus verschiedenen Unternehmen zusammenbringen, um etwas Gemeinsames zu schaffen, dann ist das reizvoll: Sie eröffnen jede Menge Karrieremöglichkeiten. Wir haben den nötigen Raum geschaffen, damit zum Beispiel Leute, die jahrelang für Endpoint Management zuständig waren, sich jetzt mit Business Process Management beschäftigen können. Diese Art von Veränderung ist bei uns möglich und erwünscht.

Von IT-Plattformen ist derzeit viel die Rede, aber aus Anwendersicht ist nicht immer klar, welche Vorteile sie bieten sollen.

Abbott: Anwender können integrierte Lösungen von Ende zu Ende nutzen und haben keinen großen Aufwand, um sehr schnell die Funktionen freizuschalten, die sie brauchen. Die Nutzererfahrung wird besser, und unsere jüngste Studie zum Thema Digital Employee Experience zeigt, wie wichtig das speziell für Wissensarbeiter ist. Wird sie vernachlässigt, entsteht eine strukturelle Herausforderung für das Unternehmen.

57 Prozent der Befragten haben mindestens einmal pro Woche ernsthafte Probleme mit der Nutzung von Technologien am Arbeitsplatz. 17 Prozent haben wegen schlechter Technologie gekündigt oder planen es - bei der Generation Z ist die Zahl fast doppelt so hoch. Negative Erfahrungen mit Technologie senkt die Arbeitsmoral, das ist sicher.

Die Kunden wollen Plattformen, und die Anbieter nicht weniger, denn für sie entsteht ein zusätzlicher wirtschaftlicher Nutzen durch Cross- und Upselling, wenn es gelingt, die Einzellösungen zu verbinden. Forrester Research sieht das genauso: Die Zukunft gehört den Plattformen, das ist die Richtung, in die auch Microsoft und ServiceNow gehen.

"Ich glaube, dass man mit GenAI vorsichtig umgehen muss"

Wir können unser Gespräch nicht beenden, ohne auf den Megatrend des Jahres zu kommen: Generative AI. Hat sich dadurch an Ihrer Strategie etwas geändert?

Abbott: Wir sind natürlich von den Möglichkeiten begeistert, so wie die meisten IT-Unternehmen. Aber ich persönlich bin hier etwas konservativer als andere. Ich glaube, dass man mit dieser Technologie besonders vorsichtig umgehen muss. Themen wie Unintended Bias, Halluzinationen oder Fragen um Urheberrechte sind noch nicht ausreichend beantwortet. Wir wollen hier nicht Leading Edge sein, sondern praktikable, funktionierende Lösungen anbieten.

IBM hat im Juni angekündigt, sie wollen 8.000 Arbeitsplätze in Marketing und im Personalwesen abbauen, weil die KI viele der dort anstehenden Aufgaben übernehmen könne. Ich halte das bei einer unerprobten Technologie für sehr gewagt. Das andere Extrem ist die American Writers Association, die sagte, die KI werde menschlichen Autoren niemals das Wasser reichen. Auch das kann man heute noch nicht sagen.

Jeff Abbott sieht Generative AI mit Vorsicht, aber als Chance. Er versteht nicht, warum IBM Personalabbau damit verbindet.
Foto: Ivanti

Und wie ist nun die Vorgehensweise von Ivanti?

Abbott: Wir haben uns mit unserem Management-Team zusammengesetzt und buchstäblich darüber gestritten, wie wir KI für uns erschließen sollen. Uns ist klar geworden, dass wir einen vernünftigen Governance-Prozess und Guiding-Principles brauchen. Wir haben dann direkt in diesem Meeting mit zehn Executives einen Rohentwurf dieser Guiding-Principles entworfen. Für uns kommt GenAI nur in Frage, wenn sich dadurch nachweislich Produktivitäts- oder Geschwindigkeitsvorteile, eine bessere Mitarbeitererfahrung oder ein Mehrwert für den Kunden ergeben. Das ist alles - ganz einfach.

Sicher ist jedenfalls, dass wir niemals als erstes darüber reden würden, wie wir Personal abbauen können. Ob das jemals passieren wird, wissen wir nicht, schließlich haben die industrielle Revolution und die Digitalisierung auch viele Millionen Jobs vernichtet. Gleichzeitig sind aber auch andere Arbeitsplätze hinzugekommen. Momentan ist das definitiv kein Thema, im Gegenteil.

Wie verhindern Sie, dass Ihre Entwickler Generative AI unkontrolliert nutzen und dabei vielleicht Risiken eingehen oder Fehler machen?

Abbott: Das ist die andere Seite unserer Governance: Wir haben dafür neue interne Prozesse eingeführt. Bevor irgendjemand etwas mit GenAI macht, muss er oder sie einen Screening-Prozess durchlaufen. Da geht es um einen Legal-Check, Rentabilität und die Frage, ob die richtigen Prozesse angestoßen und die nötigen Vorkehrungen getroffen wurden. Unsere General Council ist beauftragt, darüber zu wachen. Sie ist der Chef unseres AI Governance Committee. Darin sitzen 15 Leute: Ingenieure, Produktverantwortliche und Marketing-Leute. Das ist ein funktionsübergreifender Ausschuss.

Das klingt, als würden Sie Ihre Entwickler einengen.

Abbott: Das tun wir keineswegs. Wir haben ihnen eine Art Sandbox zur Verfügung gestellt, in der sie Dinge ausprobieren können, und ein Team, das ihre Ideen unterstützt und bewertet. So senken wir die Risiken, ohne die Innovation einzuschränken. Die Lösungen gehen nicht gleich produktiv. Wir testen sie ausführlich, oft in verschiedenen Bereichen unseres Unternehmens.