Glasses vs. Reality

Warum Apple zwei Smartglass-Plattformen aufbaut

Kommentar  von Mike Elgan
Der erste Apple-Computer fürs Gesicht wird sich nicht an Consumer, sondern an Entwickler richten. Dann folgt die Revolution.
Um Apples AR-, beziehungsweise Smart-Glasses-Pläne ranken sich schon seit Jahren zahlreiche Gerüchte.
Foto: Jon Prosser / Front Page Tech

Eine Revolution steht bevor - und jeder ahnt inzwischen, dass sie auf Headsets beziehungsweise Brillen fußen wird. Aber wie genau gestaltet sich die revolutionäre Realität in der Praxis? Ist Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR), Extended Reality (ER) oder Mixed Reality (XR) das nächste große Ding?

Meta-CEO Mark Zuckerberg änderte den Namen seines Unternehmens von "Facebook" in "Meta" und überzeugte dann auf wundersame Weise die Medien davon, alle oben genannten "Realitäten" seien das Metaverse. Dieses Marketingwunder führte auch dazu, dass viele Zuckerberg als den Leader - oder zumindest den Vordenker - dieses neuen Trends ansahen. Umso schockierter wurden erste Screenshots des Meta VR-Games "Horizon Worlds" aufgenommen: Statt wie die Zukunft fühlte man sich vielmehr an die 1990er Jahre erinnert:

Der Meta-CEO versuchte sich später auf Instagram zu erklären:

Kurzum: Zuckerberg meint, VR sei die Zukunft, Apple hält AR für zukunftsweisend. Was die Sache noch verwirrender macht: Apple - die Mainstream-Maschine unter den großen Hardware-Plattformen - wird voraussichtlich 2023 ein VR-Produkt auf den Markt bringen, das für AR verwendet werden kann.

Revolutionär - oder nicht?

Es gibt so viel Gerüchte, wirre Gedanken und Hype um das so genannte Metaverse - dass es eine gute Idee ist, kurz innezuhalten und sich zu vergegenwärtigen:

Im Folgenden haben wir alles, was wir über Apples Pläne wissen, (basierend auf Quellenberichten, Patenten, Leaks und Code-Analysen) für Sie zusammengestellt:

Von diesen beiden Produkten - dem Headset und der Brille - ist es letztere, die das Smartphone als zentrale, kulturverändernde Plattform ablösen wird.

Die Zwei-Plattform-Theorie

Vergegenwärtigt man sich die aktuellen Äußerungen von Apple-CEO Tim Cook, besteht wenig Zweifel daran, dass Apple in AR die Zukunft sieht:

Warum also zwei Plattformen? Warum die VR-Brille? Warum wartet Apple nicht einfach ab? Um es mit den Worten von Ex-Microsoft-CEO Steve Ballmer zu sagen: "Entwickler, Entwickler, Entwickler, Entwickler".

Es ist wahrscheinlich, dass Apples erstes Headset vor allem als eine Art Proof of Concept oder Referenzdesign für die kommenden, "revolutionären Brillen" dienen wird. Dieses Produkt wird voraussichtlich in einem überfüllten Marktsegment für die kurzfristige Nutzung in Innenräumen zuhause sein: Hardwarelastige Devices, die zwar atemberaubende Experiences bieten, für den allgemeinen Einsatz durch Unternehmen oder Konsumenten aber zu klobig und in ihren Möglichkeiten zu begrenzt sind.

Dennoch gäbe ein solches Apple-Headset Entwicklern einen Grund, bei ARkit zu bleiben - beziehungsweise es zu verwenden. Das wird nicht nur Entwickler in Unternehmen ermöglichen, eigene Apps zu entwickeln, sondern auch Nischen-Player dazu ermutigen, RealityOS für Event- und Erlebnismarketing zu nutzen. Das Headset könnte die Welt auf die kommende Apple Glass vorbereiten. Ich wage die Prognose, dass der Konzern dieses Headset Apple Reality nennen wird.

Im besten Fall wird Apple seine AR-Brille in drei Jahren auf den Markt bringen und am Tag der Auslieferung über Tausende von überzeugenden Apps verfügen. Wirklich überzeugende Apps brauchen viel Entwicklungszeit und Unternehmen Jahre für Tests, Entwicklung, Schulung und Integration. Apples Zwischenlösung - das "Reality"-Headset - wird ihnen die nötige Zeit verschaffen.

Ob das funktionieren kann, steht in den Sternen. Apple hat eine großartige Erfolgsbilanz, in diesem Fall wird der Erfolg allerdings auch stark davon abhängen, was Apple tatsächlich entwickelt und was die Konkurrenz macht.

Wie Smartglasses die Welt verändern werden

Intelligente Brillen, die man wie normale Brillen ganztags tragen kann, werden das ermöglichen, was manche eine "augmentierte Gesellschaft" nennen. Wenn Sie zum Beispiel auf einer Webseite sind, ein eBook lesen oder ein Dokument auf Ihrem Laptop ansehen, ist jedes Element, das Sie sehen, ein Tor zu relevanten Informationen. Es kann kopiert, eingefügt, weitergegeben, erfasst, indiziert, vervielfältigt, abgetastet, gespeichert und durchsucht werden.

Forscher der University of Surrey haben eine neue Version ihres Projekts "Next Generation Paper" vorgestellt. Mit preiswertem, leitfähigem Papier können physische Bücher mit einer einfachen Geste, etwa dem Streichen über das Papier, erweiterte Inhalte anbieten. Die kontextbezogenen Informationen werden auf einem Device in der Nähe angezeigt. Diese Idee wird von fortschrittlichen AR-Brillen abgelöst werden. Diese werden in der Lage sein, Text zu erkennen und jede Art von Kontextinformationen mit Handgesten anzuzeigen - ohne spezielles Papier, Smartphone oder Tablet. Die kontextbezogenen Informationen werden über dem Buch "schweben". Kameras und andere Sensoren sowie künstliche Intelligenz werden unsere Brillen in die Lage versetzen, Bücher, aber auch Schilder, Sehenswürdigkeiten, Objekte, Menschen und vieles mehr zu erkennen. QR-Codes werden der Brille mitteilen, wo sie virtuelle Bilder und Informationen platzieren soll. Die große Revolution, die AR mit sich bringt: Alle Dinge - nicht nur digitale - können künftig digitale Eigenschaften aufweisen. Die Welt wird zum Internet und das Internet wird zur Welt.

Smartglasses werden die Welt in unseren ganz eigenen, persönlichen, um KI-erweiterten Computer verwandeln und auch Verhaltensweisen und Fähigkeiten ermöglichen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können. Apple kann es sich indes nicht leisten, sich bei der nächsten kulturverändernden Technologie mit dem zweiten Platz zu begnügen. Ich bin deshalb überzeugt davon, dass das Unternehmen zwei Plattformen aufbaut: eine für die Entwickler und eine für die Revolution. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.